Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

FREISPRUCH für Tobias Pflüger!

Hier die Pressemitteilung und ein Kurzbericht

(31.05.2000)

1. Pressemitteilung
2. Ein Kurzbericht

1. PRESSEMITTEILUNG

Freispruch für Kriegsgegner

Tübingen, den 28.6.2000: Freigesprochen wurde am heutigen Mittwoch der Tübinger Kriegsgegner Tobias Pflüger vom Vorwurf des öffentlichen Aufforderns zu einer Straftat (§111 StGB). Tobias Pflüger erläuterte :“In meiner Auffassung fühle ich mich vollständig bestätigt, daß dieser Krieg völkerrechtswidrig und grundgesetzwidrig war. Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Jetzt wird es Zeit, daß die Richtigen vor Gericht kommen.“

Der Politologe Tobias Pflüger hatte während des Kosovo-Kriegs die Soldaten aller Seiten, darunter auch die am „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ beteiligten Bundeswehrsoldaten aufgerufen zu „verweigern und/oder zu desertieren“. Der Tübinger Friedensbewegte und Geschäftsführer der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., erläuterte vor Gericht, daß er damit keine strafbare Handlung verübt habe, sondern im Gegenteil die Soldaten vor der illegalen Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Krieg abhalten wollte. Er kündigte für den Fall einer ähnlich gelagerten Situation vor Gericht an: „Ich werde es wieder tun!“

Amtsrichter Hirn hob heute um 13:45 Uhr den Strafbefehl vom 9.11.1999 über 3.500 DM auf und begründete den Freispruch, damit, daß Tobias Pflüger in der Situation des Jugoslawien-Krieges alle Erkenntnismittel ausgeschöpft hat, um zu der von ihm vertretenen Auffassung zu gelangen, daß dieser Nato-Krieg verfassungswidrig ist. Selbst wenn man jetzt offen lassen müsse, so Richter Hirn, ob der Krieg völkerrechtswidrig sei oder nicht, so dürfte Tobias Pflüger von der Völkerrechtswidrigkeit ausgehen. Er unterläge damit einem sogenannten „Verbotsirrtum“, der die Schuld seines Verhaltens, nämlich auch Bundeswehrsoldaten zur Fahnenflucht aufzurufen, entfallen lasse. Dieser Verbotsirrtum sei auch „unvermeidbar“, da es zum damaligen Zeitpunkt nicht zumutbar sei, auf eine Hauptsacheentscheidung des internationalen Gerichtshofes in Den Haag zu warten, bevor die Aufrufe zur Desertion veröffentlicht würden.

Nach Ansicht des Verteidigers von Tobias Pflüger, Rechtsanwalt Holger Rothbauer aus Tübingen, ist der Freispruch unumwunden zu begrüßen. „Allerdings“, so Rothbauer, „wurden vom Angeklagten und von der Verteidigung so viele Nachweise der Völkerrechtswidrigkeit des Jugoslawien-Krieges vorgebracht (dies ist zwischenzeitlich die absolut herrschende Meinung in der Völkerrechtslehre!), daß das Amtsgericht Tübingen auch wegen des Rechtfertigungsgrundes der Völkerrechtswidrigkeit den Freispruch erteilen hätte können!“

V.i.S.d.P.: Daniel Weitbrecht, Spelterweg 8, 72072 Tübingen, erreichbar über Tel. 07071-49154, Fax: 07071-49159

2. Ein Kurzbericht vom Prozeß gegen Tobias Pflüger wegen Öffentlicher Aufforderung zur Fahnenflucht

Es war spannend, die Verhandlung dauerte 3 1/2 Stunden und am Ende stand doch ein Freispruch für Tobias Pflüger.

Leider hatte der Saal im Amtsgericht nur Platz für 53 Menschen, so daß zahlreiche SymphatisantInnen nicht eingelassen wurden. Gerade diese Tatsache spricht aber für die außergewöhnlich hohe Unterstützung, die Tobias Pflüger in diesem Verfahren seitens der Bevölkerung erfuhr.

Nachdem anfängliche Ausführungen zum Kontext in dem die Aufrufe zur Desertation stattfanden, also die Erklärungen von Tobias Pflüger zur Völkerrechtswidrigkeit des Krieges von Richter Hirn mehrfach unterbrochen wurden, wurde im Laufe der Verhandlung gerade diesem Sachverhalt erstaunlich viel (Rede)-Zeit eingeräumt, so daß Tobias Pflüger und die Verteidigung (Rechtsanwalt Holger Rothbauer) ausführlich ihre Argumentationen darlegen konnten. Diese beruhte hauptsächlich darauf, daß Tobias Pflüger mit dem Aufruf zur Desertation versucht hat, Straftaten zu verhindern, indem er die Soldaten davor bewahren wollte, sich an einem Bruch des Völkerrechts mitschuldig zu machen, es also keinesfalls er war, der sich strafbar gemacht hat, sondern diejenigen, die diesen Krieg beschlossen und durchgeführt haben: „Es müssen eigentlich andere hier auf der Anklagebank sitzen.“

Der Bruch des Völkerrechts konnten von Tobias Pflüger und Holger Rothbauer anhand des Verstoßes gegen die UN-Charta, der „zwei plus vier“ Verträge, sowie der Haager Konvention deutlich gemacht werden. Der Staatsanwalt hatte dem letztlich nicht allzuviel entgegenzusetzen, versuchte er sich doch darauf zu versteifen der Krieg sei völkerrechtlich legal, da er durch das Parlament abgesegnet gewesen sei (wie auch immer er darauf kam).

Richter Hirn sprach Tobias Pflüger vom Anklagevorwurf frei, der Krieg könnte völkerrechtswidrig sein. Er ließ diese Frage wohl bewußt offen, mit der Anmerkung, er sei ganz froh, das hier nicht entscheiden zu müssen.

Er räumte Tobias Pflüger gegenüber ein, er habe sich zum Zeitpunkt der Aufrufe umfangreich informiert und sei daher auf der Basis gründlicher Überlegungen zu seinem Entschluß gekommen. Dies sei deshalb nicht strafbar, da zumindest (laut Hirn) einige Fakten für die Gesetzeswidrigkeit diese Krieges sprachen

Interessant ist noch, daß trotz der Aussage von Tobias Pflüger, die er in seiner abschließenden Stellungnahme traf, er werde in gleichen oder ähnlichen Situationen jederzeit wieder zur Desertation aufrufen, ein Freispruch erreicht wurde. In seiner Urteilsbegründung verwies Richter Hirn unter Rücksichtnahme, daß er im November 1999 den Strafbefehl gegen Tobias Pflüger erlassen hatte, darauf, sein Wandel sei auch Ausdruck der Tatsache, daß mittlerweile in den Medien eine Vielzahl neuer Fakten über diesen Krieg bekannt geworden seien, und dies „auch bei einem Richter zum Umdenken führen kann“ (sinngemäß).

Die Fakten über diesen Krieg waren zwar schon seit längerem bekannt, aber trotzdem schön wenn auch die staatliche Seite mal durch Nachdenken einen Schritt weiter kommt, zur Abwechslung sogar mal in die richtige Richtung.

Jürgen Wagner

Abschließend noch eine Danksagung: Tobias Pflüger zum Urteil: „Ich will mich auch auf diesem Wege ganz herzlich bedanken für die überwältigende Unterstützung in Tübingen und bundesweit. Diese Solidarität, die Stimmung in Tübingen und die vielen positiven Rückmeldungen aus der ganzen Republik waren wesentliche Faktoren für den Freispruch. Einfach „Danke“ an alle.“

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