Frauen an die Waffen?


von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 31. Dezember 1999

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Europarichter entscheiden für den Waffendienst von Frauen und eine Mehrheit von Deutschen begrüßen (laut Forsa-Institut) diese Entscheidung. Wahrscheinlich stehen Frauen in der Bundeswehr bald eine ganze Reihe von Positionen, Ausbildungsgängen und Karrieremöglichkeiten offen. Ein Grund zum Jubel für Feministinnen? – Ich meine nicht! Zumindest dann nicht, wenn frau Feministin und Antimilitaristin ist und wenn frau den Kontext dieser Entwicklung nicht ausblendet.

Der Kontext:

Die Debatte findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Rahmen einer kompletten Umstrukturierung fast aller europäischer Heere. Weg von großen Massenheer (mit Wehrpflicht) hinzu professionellen überall und jederzeit einsetzbaren kleineren Kampfverbänden. Sobald Frauen den „Dienst an der Waffe“ leisten dürfen, ist die nächste Prozeßwelle absehbar: Die Klagen all der jungen Männer, die nicht verstehen, daß sie ihren Wehrdienst leisten müssen und Frauen wegen ihres Geschlechts den Vorteil haben, daß sie von diesem Zwangsdienst nicht betroffen sind. Über die dadurch immer wahrscheinlicher werdende Abschaffung werden sich nicht nur die antimilitaristischen Gegner/inn/en von Zwangsdiensten freuen, sondern auch die Bundeswehrmodernisierer, denen die Wehrpflicht ohnehin längst als lästiges und kostenintensives Relikt ein Dorn im Auge ist. Ein universal einsetzbares „modernes und effektives“ Heer braucht motivierte Menschen, Menschen die ihren „Job“ machen wollen und dafür ist es letztlich völlig egal ob es Männer oder Frauen sind.

Gleichheit ja! Aber auf welchem Niveau?

Armeen haben zu allen Zeiten (mit graduell unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichen Konsequenzen) letztlich nur deswegen funktioniert, weil sie Entmenschlichung zum Programm erhoben. Entmenschlichung der Opfer („Untermenschen“, „Volksfeinde“ oder moderner: „Weichziele“) und mit der Entmenschlichung der Täter/innen (Ausschaltung von Emotionen, von Verantwortlichkeiten, Reduzierung von Individuen zu Befehlsempfänger/innen). Daß Frauen nun auch zu Akteurinnen in diesem harten, grausamen System von Entmenschlichung werden, verändert nichts an seiner Unmenschlichkeit. Da diese Grausamkeit aber traditionell mit Männern und Männlichkeit assoziiert wird, schafft die Anwesenheit von Frauen in der Militärmaschinerie durchaus eine (zumindest oberflächliche) Imageverbesserung. Es stammt wohl aus der Mottenkiste anti – emanzipatorischer Polemik, daß Frauenemanzipation dann erreicht ist, wenn Frauen all das tun (dürfen) was Männer auch tun. Emanzipatorische Politik muß nach menschlichen, nach menschenwürdigen Bedingungen suchen für Frauen und Männer. Kampf und Krieg sind immer unmenschlich und niemandem zuzumuten.

Weder die Rollenmuster noch die Bundeswehr werden sich ändern

Verändern sich Geschlechterrollenstereotypen wirklich durch Frauen in der Bundeswehr? Die Erfahrungen aus anderen Armeen mit Frauen in Kampfeinheiten sprechen keineswegs dafür. Einzelfälle („Ich kenne auch Frauen, die stark/autoritär/zielstrebig/rücksichtslos etc. sind“) führen in der Regel nicht zu einem grundsätzlich veränderten Rollenverständnis und sind ungefähr so relevant für Bewußtseinsänderungen wie der sprichwörtliche beste Freund, der Ausländer ist, „- aber die anderen …“. Wirkliche Veränderungen hängen (leider) von wesentlich grundlegenderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.

Ja und was ist dann eigentlich mit den lesbischen Frauen in der Bundeswehr? Sind sie dann wie ihre schwulen Kollegen ein „Risikofaktor“ und auf Führungspositionen „nicht tragbar“?

An den patriarchalen Grundstrukturen von Armeen wird sich durch die verstärkte Anwesenheit von Frauen nichts ändern. Der Militärapparat wird eine streng hierarchisches System bleiben, das nur durch strikten Befehl und Gehorsam, durch Machtausübung und Unterwerfung funktioniert. Anpassen müssen sich allerdings die Frauen, die in diesem System eine Funktion ausfüllen, sie müssen funktionieren „wie ein Mann“, „ihren Mann stehen“. An den Männerrollen in der Bundeswehr ändert sich dadurch nichts. Die einzig wirklich emanzipatorische Forderung ist und bleibt die Abschaffung der Bundeswehr und die Abschaffung aller Zwangsdienste.

Es gibt erstrebenswertere Karrieren als militärische

Wie frei sind die Entscheidungen von Frauen (und Männern) Berufssoldatinnen und -soldaten werden zu wollen wirklich? Gerade in den neuen Bundesländern erscheint die Bundeswehr für viele Jugendliche als die einzige realistische Möglichkeit der Zukunfts-/Ausbildungsplanung. Ist das zugrundeliegende Problem nun wirklich dadurch zu lösen, daß Frauen hier die gleichen Möglichkeiten haben? Müssen wir nicht vielmehr dafür sorgen, daß allen Jugendlichen andere Alternativen offenstehen – in ausreichender Zahl? Ich verschließe die Augen nicht davor, daß es durchaus Menschen gibt – Männer und Frauen – , die nicht aus einer Notlage heraus zur Bundeswehr gehen wollen, daß es Menschen gibt, die genau dieses Berufsbild suchen, denen Kämpfen, harte Ausbildung, Disziplin und „Abenteuer“ sehr erstrebenswert erscheint. Aber vielleicht ist unsere Gesellschaft sehr gut beraten, genau diesen Menschen andere Angebote zu machen.

Worum geht es bei Armeen? Wozu werden Soldat/inn/en ausgebildet? Was passiert in Kriegen?

Niemand hat es klarer formuliert als Tucholsky in seiner Analyse des ersten Weltkrieges. „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

Wie „sauber“ die Kriege, wie hehr die Ziele und wie chirurgisch die Kriegsführung auch sein mögen, im Kern geht es doch immer um töten und sterben – ohne Unterscheidung von jung und alt, von Mann und Frau, von „schuldig“ und „unschuldig“.

Würde „Soldatinnen und Soldaten sind Mörderinnen und Mörder“ wirklich emanzipatorischer klingen als „Soldaten sind Mörder?

Claudia Haydt ist Religionssoziologin und Beirätin der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen