IMI-Analyse 2021/040 - in: AUSDRUCK (September 2021)

Warmes Klima, kalter Krieg

Militärische und nicht-militärische Entwicklungen in der Arktis

von: Ben Müller | Veröffentlicht am: 15. September 2021

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Als Arktis werden häufig alle Gebiete nördlich des Polarkreises (66,57° nördlicher Breite) bezeichnet. Es gibt aber auch Definitionen, die außerdem den Süden Grönlands, die kanadische Hudson Bay, das Beringmeer oder andere angrenzende Gebiete dazuzählen. Seit Millionen von Jahren ist die Arktis durch Eis und Kälte geprägt. In der langen Polarnacht bilden sich Temperaturen bis -50°C, die Böden und Gewässer tief gefrieren lassen, so dass sie auch im Sommer nur oberflächlich auftauen.[1]

Aber der Klimawandel macht sich in der Arktis stärker bemerkbar als anderswo. Schon jetzt sind die Durchschnittstemperaturen dort um mehr als 2°C gestiegen. Das Meereis geht in seiner Ausdehnung und Dicke im Sommer immer weiter zurück. Hinzu kommen Wald- und Tundrabrände sowie die Erosion von Böden und Küsten als Folge von auftauendem Permafrost mit teils verheerenden Auswirkungen für Bauten und Infrastruktur wie Straßen, Brücken oder Pipelines.

Die Aussicht auf eine weitgehend eisfreie Arktis eröffnet aber auch Möglichkeiten für kürzere Verbindungen zwischen dem Atlantik und dem Pazifik für Schifffahrtsrouten oder Unterseekabel. Und sie weckt Begehrlichkeiten nach Bodenschätzen, dem Fang von Fischen und anderen Meereslebewesen sowie der Ausweitung des Tourismus.

Streitpunkte in der Arktis

Im Gegensatz zur Antarktis ist die Arktis kein eigener Kontinent, sondern ein Ozean, der von Europa, Asien und Nordamerika umgeben ist. Die fünf Anrainerstaaten Kanada, Dänemark als Vertreter für Grönland, Norwegen, Russland und die USA haben sich deswegen 2008 darauf verständigt, das UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) in der Arktis anzuwenden.[2]

Das SRÜ definiert internationales Recht zur Nutzung der Meere unter anderem für Schifffahrt, Fischerei und Rohstoffausbeutung. Ein Küstenstaat darf seine Souveränität im „Küstenmeer“, einer Zone bis zu zwölf Seemeilen vor seiner Küste, ausüben. Daran anschließen kann sich eine „Ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ) bis maximal 200 Seemeilen vor der Küste, wo der Küstenstaat das alleinige Recht zur Ausbeutung des Meeres einschließlich des Meeresuntergrunds hat. Wenn der Meeresboden eine natürliche Fortsetzung des Festlands darstellt, kann der Küstenstaat auch über die 200-Meilen-Zone hinaus einen „Festlandsockel“ beanspruchen, der ihm das Recht zur Ausbeutung des Meeresbodens und Meeresuntergrunds gibt. Das Meeresgebiet jenseits davon gilt als „Hohe See“ und steht allen Staaten gleichermaßen offen.

Der größte Teil des Arktischen Ozeans gehört zu den AWZ der Anrainerstaaten oder wird von einem dieser Staaten als Festlandsockel beansprucht. Für die Hohe See im Arktischen Ozean gilt seit Juni 2021 außerdem ein internationales Moratorium, das kommerziellen Fischfang für die nächsten 16 Jahre untersagt, um die Bestände besser zu erforschen. Diesem Abkommen haben sich neben den fünf Anrainerstaaten auch Island, China, Japan, Südkorea und die Europäische Union verpflichtet. Von einem unkontrollierten Wettlauf um die arktischen Ressourcen, wie es in manchen Medien dargestellt wird, kann daher eigentlich keine Rede sein. Dennoch gibt es ein paar Punkte, die für Streit sorgen können.

1. Die nördlichen Seegrenzen Kanadas sind teilweise ungeklärt. Im Nordosten befindet sich auf der Grenzlinie zwischen der Ellesmere-Insel und Grönland eine kleine vegetationslose Insel, die sowohl von Kanada als auch von Dänemark beansprucht wird.[4] Und im Nordwesten ist der Verlauf der Seegrenze in der Beaufortsee umstritten. Während Kanada die Auffassung vertritt, die Seegrenze sei die Verlängerung der Landgrenze am 141. Längengrad, bestehen die USA darauf, die Seegrenze verlaufe senkrecht zur Küstenlinie. Auch wenn in dem umstrittenen Gebiet reiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden, ist nicht davon auszugehen, dass es deswegen zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden NATO-Staaten kommen könnte.[5]

2. Die Ansprüche auf Festlandsockel, die Russland, Kanada und Dänemark bei der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels eingereicht haben, überschneiden sich teils erheblich. Insbesondere beanspruchen alle drei Staaten ein über 100.000 Quadratseemeilen großes Gebiet um den Nordpol. Die Argumentation stützt sich jeweils darauf, dass der am Meeresgrund verlaufende Lomonossow-Rücken eine natürliche Fortsetzung der Landmasse Russlands, Kanadas bzw. Grönlands sei.[6] Bisher halten sich die Staaten an die Vorgehensweise gemäß SRÜ zur friedlichen Einigung über die Festlandsockelgrenzen. Allerdings hatte Russland bereits 2007 in einer spektakulären Aktion eine russische Fahne aus rostfreiem Titan am Nordpol in 4261 Meter Tiefe aufgestellt,[7] was gelegentlich als Hinweis auf eine einseitige Inbesitznahme interpretiert wird.[8]

3. Das größte Konfliktpotential steckt aber zurzeit in unterschiedlichen Ansichten über den Status der arktischen Seewege. Da das Meereis von Jahr zu Jahr schneller zurückgeht, sind die Schifffahrtsrouten im Sommer länger befahrbar, sowohl die Nordostpassage an der Nordküste Russlands als auch die Nordwestpassage an den Küsten Kanadas und Alaskas. Kanada betrachtet allerdings das Meer zwischen seinen Inseln als „innere Gewässer“, die nicht ohne Zustimmung befahren werden dürfen. Und auch Russland hat die Befahrung der „Nördlichen Seeroute“ (NSR) zwischen der Karasee und der Beringstraße durch zahlreiche Auflagen für ausländische Schiffe stark eingeschränkt.[9] Aus Sicht der USA und anderer Staaten sind die arktischen Passagen dagegen internationale Schifffahrtswege, deren Nutzung allen Staaten offensteht. Die rechtliche Einordnung ist schwierig, da das SRÜ in Artikel 234 auch Einschränkungen der Schifffahrt in eisbedeckten Meeren ermöglicht.

4. Desweiteren gibt es Meinungsverschiedenheiten über die 200-Meilen-Zone um die norwegische Inselgruppe Svalbard. Svalbard genießt durch den Spitzbergenvertrag von 1920 eine Sonderstellung. Während Norwegen dort die Souveränität ausübt, ist die Inselgruppe selber eine demilitarisierte Zone, in der sich Bürger aus allen Staaten, die dem Vertrag beigetreten sind, niederlassen und wirtschaftlich betätigen dürfen. Norwegen darf seine eigenen Staatsbürger nicht bevorzugen und muss Steuereinnahmen aus Svalbard wieder in Svalbard investieren. 1977 hat Norwegen die 200-Meilen-Zone um Svalbard zu einem Fischereischutzgebiet erklärt, was andere Staaten, die dort Fische oder Schneekrabben fangen wollen, als Verstoß gegen den Spitzbergenvertrag betrachten. In den letzten Jahren kam es deswegen zu Spannungen mit der Europäischen Union und mit Russland.[10]

Abseits dieser Streitpunkte gibt es aber auch viel Kooperation in der Arktis. Die acht arktischen Staaten Russland, USA, Kanada, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island arbeiten mit sechs Vertretungen von indigenen Gruppen und zahlreichen staatlichen oder nicht-staatlichen Beobachtern konstruktiv im Arktischen Rat zusammen. In diesem Forum sind verbindliche Vereinbarungen entstanden zur Zusammenarbeit bei Such- und Rettungseinsätzen, bei der Vermeidung und Beseitigung von Öl-Verschmutzungen sowie bei der wissenschaftlichen Forschung.[11] Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit der acht Staaten mit ihren Küstenwachen im „Arctic Coast Guard Forum“; Russland und Norwegen führen sogar regelmäßig gemeinsame Übungen durch.[12] Außerdem haben diese beiden Staaten 2010 ihre Grenzstreitigkeiten in der Barentssee erfolgreich beigelegt.[13]

Die russische Arktis-Strategie

Die russische Nordküste erstreckt sich über eine Länge von 24.140 Kilometern und umfasst damit 53% der Küste des Arktischen Ozeans und 64% der gesamten russischen Küste.[14] Außerdem liegt ein Großteil der russischen Gasvorkommens sowie ein Teil anderer Bodenschätze nördlich des Polarkreises. Dementsprechend hat die Arktis für Russland eine große Bedeutung. Gleichzeitig hat Russland im Norden mit sanierungsbedürftiger Infrastruktur und sinkenden Bevölkerungszahlen zu kämpfen, und seit 2014 behindern internationale Sanktionen die Erschließung von Offshore-Rohstoffen.

Russland setzt stark auf die Entwicklung der NSR, wobei Infrastrukturprojekte zu großen Teilen privat finanziert werden sollen. Ein Beispiel ist die Erdgasverflüssigung auf der Jamal-Halbinsel. Die Firma Nowatek betreibt seit Dezember 2017 in Sabetta ein LNG-Terminal, in dem spezielle eisgängige LNG-Tanker beladen werden, die ohne unterstützende Eisbrecher nach Asien oder Europa fahren können.[15] Weitere LNG-Terminals sind in Bau, ebenso wie Umladestationen bei Murmansk und Kamtschatka, um das verflüssigte Erdgas mit herkömmlichen LNG-Tankern weiterzutransportieren.[16] Die Firma Rosneft baut ein Öl-Terminal auf der Taimyr-Halbinsel bei Dikson und setzt zum Transport auf eisverstärkte Öl-Tanker.[17] Und bis 2025 möchte Rusatom Cargo eisgängige Containerschiffe und Umladeterminals für den internationalen Warentransport bereitstellen.[18]

Ab 2014 hat Russland angefangen, zum Bastion-Konzept aus Sowjetzeiten zurückzukehren und an strategischen Punkten entlang der NSR zahlreiche ehemalige Militärbasen wieder zu besetzen oder neue zu errichten. Dazu zählen Basen auf Franz-Josef-Land, Nowaja Semlja, der neusibirischen Insel Kotelny, der Wrangel-Insel und beim Küstenort Tiksi an der Laptewsee. Sie sind meistens mit Flugplatz, Radarstation, Luftverteidigung und Kommunikationsanlagen ausgestattet und dienen neben ihrer militärischen Funktion auch für zivile Such- und Rettungsmissionen.[19]

Eine Aufgabe der arktischen Bastion ist der Schutz der russischen Nordflotte, die auf der Halbinsel Kola stationiert ist. Während die meisten Überwasserschiffe der Nordflotte für den Atlantik ausgelegt sind und die arktischen Gewässer nur mit Eisbrechern befahren können, sind dort auch nuklear angetriebene U-Boote stationiert, die meterdickes Eis durchbrechen und Atomraketen abfeuern können. Dieser Teil des atomaren Abschreckungspotentials Russlands wird derzeit durch neue „Borei-A“ U-Boote ersetzt.[20] Auch die zivile Eisbrecherflotte wird nach und nach erneuert. Neben fünf nuklear betriebenen Eisbrechern mit 60MW Antrieb,[21] von denen der erste („Arktika“) seit 2020 in Betrieb ist, hat jetzt auch der Bau von drei noch größeren Eisbrechern mit 120MW Antrieb begonnen.[22]

Seit 2007 unternimmt Russland Patrouillenflüge mit Bombern über der Arktis. Auch wenn diese Flüge in vergleichsweise geringer Zahl stattfinden, reichen sie bis an den Luftraum von Kanada, Alaska oder Norwegen und sorgen dort für Schlagzeilen.[23] Ebenso werden die Übungen der russischen Nordflotte von den NATO-Staaten misstrauisch beobachtet. Die Arktis dient Russland auch als Testgelände für Hyperschall-Marschflugkörper.[24] Und während des NATO-Manövers Trident Juncture 2018 wurde Russland beschuldigt, als Reaktion das GPS-Signal mit Störsendern unterdrückt zu haben.[25]

Die USA entdecken die Arktis

Nachdem die USA nach dem Ende des Kalten Kriegs der Arktis kaum Beachtung geschenkt haben, ist das Interesse mit dem zunehmend gespannten Verhältnis zu Russland zurückgekehrt. Neben dem plumpen Versuch von Donald Trump, Grönland zu kaufen, gilt vor allem eine Rede seines Außenministers Mike Pompeo im Mai 2019 am Rande des Arktischen Rats als Startsignal für das neue amerikanische Engagement in der Arktis. Ohne den Begriff „Klimawandel“ zu erwähnen, hat Pompeo darin die Arktis zum strategisch umkämpften Gebiet erklärt und China und Russland vorgeworfen, sich nicht an die Regeln eines freien und fairen Wettbewerbs zu halten, und die Arktis zu militarisieren.[26]

In der Folge haben das Pentagon und das Ministerium für Innere Sicherheit sowie die einzelnen Truppenteile ihre jeweiligen Arktis-Strategien überarbeitet. Auch die Navy, die erst im Januar 2019 der Arktis „geringes Konfliktrisiko“[27] bescheinigt hatte, erklärt in einem neuen Papier, dass sie den russischen und chinesischen Herausforderungen in der Arktis mit Präsenz und Stärke begegnen will.[28] Das Pentagon formuliert für die Arktis neben der Landesverteidigung zwei strategische Ziele: günstige regionale Machtgleichgewichte aufrechterhalten[29] und den freien Zugang zu gemeinsamen Bereichen sicherstellen.[30] Einen Hinweis darauf, was unter „günstige regionale Machtgleichgewichte“ zu verstehen ist, gibt der Titel der Army-Strategie, die „Dominanz“ in der Arktis anstrebt.[31]

Das Ziel „freier Zugang zu gemeinsamen Bereichen“ bezieht sich vor allem auf den Status der NSR. Die USA betrachten die Einschränkungen der Schifffahrt als illegal und möchten Russland mit einer „freedom of navigation operation“ herausfordern und ihr „Recht“ auf freie Durchfahrt und Überflug durchsetzen. Dazu kam es bisher nicht, da die Fahrt für Kriegsschiffe ohne Eisbrecherunterstützung auch im Sommer riskant ist[32] und die beiden einsatzfähigen amerikanischen Eisbrecher für andere Aufgaben benötigt werden. Der einzige schwere Eisbrecher „Polar Star“ steht mit 45 Betriebsjahren auch kurz vor der Ausmusterung. Die US-Küstenwache hat deswegen Bedarf an mindestens sechs neuen Eisbrechern angemeldet. Für zwei ist die Finanzierung bereits gesichert, der Bau soll im Juli 2021 beginnen.[33]

Die Barentssee, die weitgehend eisfrei ist, wurde dagegen 2020 dreimal von US-Zerstörern befahren. Die erste Fahrt im Mai, an der auch eine britische Fregatte beteiligt war, diente vor allem dazu, Flagge zu zeigen. Im September führten dann Schiffe und Flugzeuge aus Großbritannien, USA, Norwegen und Dänemark in der Barentssee Militärübungen durch. Und die Fahrt der „Ross“ einen Monat später sollte anscheinend russische Übungen stören.[34] Auch amerikanische Bomber sind immer wieder in der europäischen Arktis unterwegs und nutzen dafür norwegische Militärflughäfen.[35]

Die USA pflegen eine enge militärische Zusammenarbeit mit Norwegen, das als NATO-Mitglied an der russischen Grenze eine wichtige strategische Position einnimmt. Noch während des Kalten Kriegs wurden in den Bergen bei Trondheim Höhlen angelegt, die einem Atomschlag standhalten können. Dort lagern bis heute gepanzerte Fahrzeuge, Waffen, Proviant und Munition der US-Marines, um einen russischen Einmarsch aufzuhalten.[36] Ab 2017 waren bis zu 700 Marines dauerhaft in Norwegen stationiert, von denen die meisten aber wieder abgezogen werden.[37] Außerdem betreiben die USA eine Radarstation auf der nord-östlich gelegenen Insel Vardø unweit der russischen Grenze.[38]

Auch in Grönland haben die USA mit der Thule Air Base einen Militärposten und seit 2016 wird die Basis Keflavík auf Island wieder für U-Boot-Jagdflugzeuge genutzt.[39] Ansonsten haben Army und Air Force Kasernen und Trainingsgelände in Alaska bei Fairbanks und Anchorage. Der nächste Tiefwasserhafen zur Arktis befindet sich in Dutch Harbor auf den Alëuten. Und für ein neu zu gründendes Zentrum für Sicherheitsstudien zur Arktis wird noch ein geeigneter Ort gesucht.[40]

Arktis-ferne Akteure

Wenn es um Geopolitik und Großmächte in der Arktis geht, dann wird meistens auch China genannt.[41] China bezeichnet sich in seiner 2018 veröffentlichten Arktis-Strategie als „arktis-naher Staat“[42] und zeigt Ambitionen, die Arktis wissenschaftlich, wirtschaftlich und politisch mitzugestalten. Insbesondere sollen die arktischen Seewege in die „Neue Seidenstraße“ integriert werden, wofür China in Infrastruktur investiert, vor allem in Russland. Am Projekt Jamal-LNG von Nowatek ist zum Beispiel die China National Petroleum Corporation mit 20% und der chinesische Seidenstraßen-Fonds mit 9,9% beteiligt.[43] Oft werden die Bestrebungen Chinas aber auch aus geopolitischen Gründen abgeblockt. So hat Dänemark in Grönland den Kauf einer aufgegebenen Marinebasis und die Erneuerung von drei Flughäfen durch China verhindert.[44]

China betreibt Forschungsstationen auf Svalbard und Island und verfügt über zwei arktistaugliche Eisbrecher. Zusätzlich ist ein nuklear betriebener Eisbrecher in der Größe der russischen Schiffe geplant.[45] Militärisch ist China in der Arktis bisher nicht in Erscheinung getreten.[46] Die neuseeländische Wissenschaftlerin Anne-Marie Brady weist aber darauf hin, dass in chinesischsprachigen Veröffentlichungen in Bezug auf die Arktis verstärkt von Sicherheit, Rohstoffen und strategischer Technologie die Rede sei, wobei es unter anderem um atomare Abschreckung und den Ausbau des chinesischen Navigationssatellitensystems Beidou gehe.[47]

Ähnlich wie China begründet auch Deutschland sein Engagement in der Arktis mit langjährig geleisteter Forschungsarbeit. Die 2019 veröffentlichten „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ sprechen viel von Umweltschutz, Nachhaltigkeit und internationaler Zusammenarbeit, sie erwähnen aber auch die fossilen Rohstoffe und Schifffahrtswege in der Arktis sowie sicherheitspolitische Erwägungen: „Die Entwicklungen in der Arktis betreffen somit die im Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr dargelegten sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands.“[48]

Die Bundeswehr ist regelmäßig an Militärübungen nördlich des Polarkreises beteiligt, wobei die Aktivitäten seit 2012 zunehmen.[49] Von den Spezialkräften wird Kampfbereitschaft in allen Klimazonen erwartet. Für die Gebirgsjäger findet zum Beispiel die Übung EISKRISTALL als Kaltwettertraining im Norden Norwegens statt.[50] 2021 war die Bundeswehr bereits im Mai mit der Fregatte „Hamburg“ für Raketentests im Hohen Norden,[51] im Juni folgte die Luftwaffe mit Flugübungen über Skandinavien[52] und die Marine mit Übungen zur U-Boot-Jagd im Rahmen des NATO-Manövers Dynamic Mongoose.[53]

Aussichten

Auch wenn das Meereis zurückgeht, wird der Transitverkehr durch die Arktis nicht unbedingt zunehmen. Dafür gibt es immer noch zu viele Hindernisse und Unwägbarkeiten, raue Wetterbedingungen, Bürokratieaufwand, Wartezeiten an Umladeterminals, Gebühren, spärliche Infrastruktur und lückenhafte Kartografie.[54] Der Schiffsverkehr innerhalb der Arktis sowie der Transport von Rohstoffen aus der Arktis und von Baumaterial und Versorgungsgütern in die Arktis wird aber wahrscheinlich weiter zunehmen. Da die arktischen Staaten unverändert auf die Förderung von fossilen Brennstoffen setzen, werden wohl auch CO2-Ausstoß und Klimaerwärmung weiter zunehmen und im Gegenzug die Population von Eisbären und Walrössern zurückgehen. Auch mit einer Steigerung des Tourismus in der Arktis ist zu rechnen. Und wenn man sich die Auseinandersetzungen der Großmächte im Indo-Pazifik oder im Schwarzen Meer anschaut, dann ist zu befürchten, dass auch die Militäraktivitäten in der Arktis, für die es inzwischen sogar eine eigene Tracking-Webseite[55] gibt, weiter zunehmen werden.

Anmerkungen


[1]          Klima der Arktis, 1.2.2016 umweltbundesamt.de

[2]          Erklärung von Ilulissat, 28.3.2008 arcticportal.org

[3]          Hilde-Gunn Bye: Agreement is to Prevent Unregulated Fisheries in the Central Arctic Ocean, 23.6.2021 highnorthnews.com

[4]          Hans Island – Property of Canada or Danemark? worldatlas.com

[5]          Newport Arctic Scholars Initiative: Conflict Prevention and Security Cooperation in the Arctic Region, 2020 usnwc.edu

[6]          IBRU: Center for Borders Research: Arctic Map Briefing Notes, April 2021 durham.ac.uk

[7]          Dominique Kopp: Kalter Krieg unter dem Packeis, 14.9.2007 monde-diplomatique.de

[8]          z.B. Michael Paul: Der Kampf um den Nordpol, Juni 2021 swp-berlin.org

[9]          Atle Staalesen: Russia sets out stringent new rules for foreign ships on the Northern Sea Route, 8.3.2019 arctictoday.com

[10]        Andreas Østhagen: Fish, Not Oil, at the Heart of (Future) Arctic Resource Conflicts, 2020 arcticyearbook.com

[11]        International Cooperation in the Arctic arctic-council.org

[12]        Thomas Nilsen: Emergency cooperation gets priority amid military buildup and covid crisis, 2.6.2021 thebarentsobserver.com

[13]        Delimination agreement: A new era in the Barents Sea and the Arctic? eu-arctic-forum.org

[14]        Russia, 19.6.2020 thearcticinstitute.org

[15]        Yamal LNG infrastructure novatek.ru

[16]        Russian Murmansk and Kamchatka LNG trans-shipment bases have financing for huge floating storage units, 23.9.2020 lngjournal.com

[17]        Atle Staalesen: Here comes Russia’s biggest Arctic oil terminal, 26.5.2021 thebarentsobserver.com

[18]        Rusatom Cargo to build two container hubs and ice-class container carriers by 2025, 15.7.2020 portnews.ru

[19]        Mathieu Boulègue: Russia’s Military Posture in the Arctic, 28.6.2019 chathamhouse.org

[20]        Thomas Nilsen: Northern Fleet gets priority in receiving new ballistic missile subs, 15.3.2021 thebarentsobserver.com

[21]        Xavier Vavasseur: Russia’a Atomflot orders 4th & 5th Project 22220 nuclear-powered icebreakers, 11.8.2019 navalnews.com

[22]        Martin Manaranche: Russian Shipyard lays down Leader nuclear-powered icebreaker, 6.7.2021 navalnews.com

[23]        Frédéric Lasserre, Pierre-Louis Têtu: Russian Air Patrols in the Arctic, 2016 arcticyearbook.com

[24]        Thomas Nilsen: Northern Fleet frigate test fires Tsirkon hypersonic missile, 19.7.2021 thebarentsobserver.com

[25]        Ryan Browne: Russia jammed GPS during major NATO military exercise with US troops, 14.11.2018 edition.cnn.com

[26]        Michael Klare: The Pompeo Doctrine, 12.9.2019 tomdispatch.com

[27]        U.S. Navy: Strategic Outlook for the Arctic, Januar 2019 media.defense.gov

[28]        Department of the Navy: A Strategic Blueprint for the Arctic, 5.1.2021 media.defense.gov

[29]        „Compete when necessary to maintain favorable regional balances of power“, Department of Defence Arctic Strategy, Juni 2019 media.defense.gov

[30]        „Ensure common domains remain free and open“, ebd.

[31]        U.S. Army: Regaining Arctic Dominance, 19.1.2021 api.army.mil

[32]        Rebecca Pincus: Rushing Navy Ships into the Arctic for a FONOP is Dangerous, Januar 2019 usni.org

[33]        Coast Guard Polar Security Cutter Program, 1.7.2021 crsreports.congress.gov

[34]        Diana Stancy Correll: Destroyer Ross treks into the Barents Sea’s Arctic waters – again, 21.10.2020 navytimes.com

[35]        Thomas Nilsen: Norway in joint training with B-52 up north, 20.5.2021 thebarentsobserver.com

[36]        Martin Egnash: A cave in cold Hell has everything a Marine brigade needs to fight, 6.2.2018 stripes.com

[37]        Atle Staalesen: Washington pulls 700 US Marines out of Norway, 6.8.2020 thebarentsobserver.com

[38]        Tor Ingar Oesterud: United States to build a new radar in Vardø, 30.3.2016 norwaytoday.info

[39]        Trude Pettersen: U.S. military returns to Iceland, 10.2.2016 thebarentsobserver.com

[40]        The Department of Defence Announces Establishment of Arctic Regional Center, 9.6.2021 defense.gov

[41]        z.B. Ian Anthony, Ekaterina Klimenko, Fei Su: A Strategic Triangle in the Arctic?, März 2021 sipri.org

[42]        „Near-Arctic State“, China’s Arctic Policy, Januar 2018 eng.yidaiyilu.gov.cn

[43]        About the project yamallng.ru

[44]        Christine Bang-Andersen: How to keep China out of Greenland?, 14.2.2019 georgetownsecuritystudiesreview.org

[45]        Liu Zhen: Could China’s ‚experimental‘ ship be the world’s biggest nuclear-powered icebreaker?, 20.3.2019 scmp.com

[46]        Hilde-Gunn Bye: Chinese Activity Increases in the High North, 28.5.2020 highnorthnews.com

[47]        Anne-Marie Brady: Facing Up to China’s Military Interests in the Arctic, 10.12.2019 jamestown.org

[48]        Leitlinien deutscher Arktispolitik, August 2019 auswaertiges-amt.de

[49]        BT-Drucksache 19/15326 dserver.bundestag.de

[50]        BT-Drucksache 19/19973 dserver.bundestag.de

[51]        Thomas Nilsen: German warship tests missiles outside northern Norway, 7.5.2021 thebarentsobserver.com

[52]        Volker K. Thomalla: Arctic Challenge 2021: Luftwaffe trainiert im Hohen Norden, 17.6.2021 aerobuzz.de

[53]        Edward Lundquist: NATO Trains Crews in Anti-Submarine Warfare off Norway, 28.6.2021 seapowermagazine.org

[54]        Michael Paul: Arktische Seewege, Juli 2020 swp-berlin.org

[55]        arcticmilitarytracker.csis.org