IMI-Analyse 2021/24

Drohnen für die Festung Europa

Unbemannte Überwachung des Mittelmeeres

von: Matthias Monroy | Veröffentlicht am: 20. Mai 2021

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Laut der Studie „Eurodrones Inc.“, die Ben Hayes, Chris Jones und Eric Töpfer vor sieben Jahren für Statewatch vorgelegt haben, hatte die Europäische Kommission damals bereits über 315 Mio. € ausgegeben, um die Nutzung von Drohnen für die Grenzüberwachung zu untersuchen.[1] Dabei standen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten und ihrer nationalen Kontaktzentren für das Grenzüberwachungssystem EUROSUR im Mittelpunkt. Dieses von Frontex in Warschau geführte System ging 2014 – anfangs nur in einigen EU-Mitgliedstaaten – in Betrieb.

Auch die bis 2014 erfolgten Investitionen der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) in die Drohnenforschung hat die Statewatch-Studie ausführlich dokumentiert. Mehr als 190 Mio. € sind demnach seit Gründung der EU-Militärbehörde an Fördermitteln für Drohnen an Land, zu Wasser und in der Luft geflossen. 39 Projekte forschten dabei an Technologien oder Standards, um die unbemannten Systeme für zivile und militärische Zwecke nutzbar zu machen.

Die militärischen Forschungen zu Drohnentechnologien sollten auch den grenzpolizeilichen Anwendungen zugutekommen. So war es bereits in den Schlussfolgerungen der „ersten europäischen hochrangigen Konferenz über unbemannte Luftfahrtsysteme“ niedergelegt, zu der die Kommission und die Verteidigungsagentur Militär- und Flugsicherheitsbehörden, die Rüstungsindustrie sowie andere „Vertreter der europäischen Luftfahrtgemeinschaft“ 2010 nach Brüssel geladen hatte.[2] Sobald demnach „die bestehenden Wachstumsbarrieren beseitigt sind, könnte der zivile Markt potenziell viel größer sein als der militärische Markt“.

Zusammenführung von „Seeraumüberwachungsinitiativen“

Weil unbemannte Flüge über Land mit umständlichen Genehmigungsverfahren eingefädelt werden müssen, sind die unregulierten europäischen Meere ein beliebtes Testgebiet für die zivilen und militärischen Drohnenprojekte geworden. So verwundert es nicht, dass auch die Kommission 2014 im Aktionsplan ihrer „Strategie für maritime Sicherheit“ 2014 einen „sektorübergreifenden Ansatz“ von Zivil- und Militärbehörden forderte, die verschiedenen „Seeraumüberwachungsinitiativen“ zusammenzuführen und durch unbemannte Systeme zu unterstützen.[3]

Gemeint waren neben der militärischen EDA vor allem jene EU-Agenturen, die Aufgaben zur Überwachung von Meeren und Küstenlinien übernehmen: die 2002 gegründete Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) in Lissabon, die seit 2004 in Warschau residierende Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) und die ein Jahr später eingerichtete Fischereiaufsichtsagentur (EFCA) im spanischen Vigo.

Seit 2009 arbeiten die drei Agenturen im Rahmen bi- und trilateraler Vereinbarungen in bestimmten Bereichen zusammen, dies betraf vorwiegend die Satellitenüberwachung. Mit dem „CleanSeaNet“ verfügt die EMSA seit 2007 über ein Überwachungssystem zur Erkennung von Ölverschmutzungen in europäischen Gewässern. Ab 2013 wurden die dort erhobenen Daten kontinuierlich zum Frontex-Lagezentrum übertragen. Dort fließen sie in das ebenfalls auf Satelliten basierende Grenzüberwachungssystem EUROSUR ein. Schließlich betreibt auch die EFCA zur Überwachung, Kontrolle und Durchsetzung der gemeinsamen EU-Fischereipolitik „Integrierte maritime Dienstleistungen“ (IMS) zur Schiffserkennung und -verfolgung mithilfe von Satelliten.

Nach der sogenannten „Migrationskrise“ 2015 hat die Kommission in einem „Maßnahmenpaket zum Management der EU-Außengrenzen und zum Schutz unseres Schengen-Raums ohne Binnengrenzen“ die Änderung der Mandate der drei Agenturen vorgeschlagen. Sie sollten in den fünf Bereichen Informationsaustausch, Überwachungs- und Kommunikationsdienste, Risikoanalyse, Aufbau und Austausch von Kapazitäten enger kooperieren.[4] Die Mitteilung fordert dazu den „Betrieb ferngesteuerter Luftfahrtsysteme (Drohnen) im Mittelmeerraum“.

Ab 2016 haben Frontex, EMSA und EFCA die engere Zusammenarbeit in mehreren Kooperationsabkommen festgelegt und zunächst ein Forschungsprojekt zur Nutzung von Satelliten, Drohnen und bemannten Überwachungsflugzeugen durchgeführt.[5] Die Kosten von 310.000 € übernahm die EMSA, geflogen wurden die Starrflügler „AR5 Evo“ der portugiesischen Firma Tekever und eine „Scan Eagle“ des Boeing-Ablegers Insitu.

EMSA übernahm Federführung

Seitdem hat die EMSA hinsichtlich unbemannter Dienste zur Meeresüberwachung die Federführung übernommen. Der Aufbau einer solchen Drohnenflotte war in dem Vorschlag für eine neue EMSA-Verordnung enthalten, den die Kommission Ende 2015 vorgelegt hatte. Drohnen sollten ein „ergänzendes Mittel in der gesamten Überwachungskette“ werden.[6] Davon versprach sich die Kommission ein „frühzeitiges Aufspüren von Migrantenbewegungen“, ein weiterer Zweck bestand darin „Strafverfolgungsmaßnahmen zu unterstützen“.

Für die neuen, im Leasingverfahren durchgeführten Drohnendienste erhielt die EMSA zunächst 67 Mio. €, weitere Gelder waren für den erforderlichen Ausbau der Satellitenkommunikation vorgesehen. In einer Ausschreibung wurden mittelgroße Starrflügler mit großer Reichweite sowie Senkrechtstarter gesucht, als Grundausstattung sollten diese optische und Infrarotkameras, einen optischen Scanner und einen AIS-Empfänger[7] befördern. Für die Verfolgung von Verschmutzung oder zum Emissionsmonitoring sollten die Hersteller zusätzliche Sensoren einrüsten.

Ab 2018 vergab die EMSA weitere Verträge über insgesamt 38 Mio. € für Systeme, die entweder an Land oder von Schiffen starten. Ebenfalls 2018 zahlte die Agentur 2,86 Mio. € für Quadrokopter, die von Schiffen gestartet werden können. Im gleichen Jahr unterzeichnete die EMSA einen Rahmenvertrag über 59 Mio. € für Flüge mit der Langstreckendrohne „Hermes 900“ der israelischen Firma Elbit Systems. Für 20 Mio. € suchte die Agentur 2020 abermals unbemannte Senkrechtstarter, die entweder an Land oder von Schiffen aus gestartet werden können und bis zu vier Stunden in der Luft bleiben können.

Neben der „Hermes 900“ gehören mit der „AR5 Evo“ von Tekever, der „Ouranos“ von ALTUS (Griechenland) und der „Ogassa“ von UAVision (Portugal) derzeit drei Starrflügler zur Drohnenflotte der EMSA. Als größere Helikopterdrohnen fliegen die „Skeldar V-200“ von UMS (Schweden) und der „Camcopter S-100“ der Schiebel GmbH (Österreich), außerdem der Quadrokopter „Indago“ von Lockheed Martin (USA).

Flüge mit unterschiedlichen Zielsetzungen erledigt die EMSA für zahlreiche EU-Mitgliedstaaten, außerdem für Island als einzigen Schengen-Staat. Wegen steigender Nachfrage werden die Kapazitäten jetzt aufgestockt.[8] In einer Ausschreibung über 20 Mio. € werden „Drohnendienste für die maritime Überwachung mit erweiterter Küstenreichweite“ mit senkrecht startenden, größeren Drohnen gesucht. Ein weiterer Großauftrag für „Drohnendienste für die maritime Mehrzweck-Überwachung“ soll 50 Mio. € kosten. Schließlich sucht die EMSA für 7 Mio. € mehrere Dutzend kleine Drohnen unter 25 Kilogramm.

Airbus fliegt für Frontex

Bereits ab 2009 richtete die EU-Grenzagentur einschlägige Workshops und Seminare zum Einsatz von Drohnen aus und lud Hersteller zu Vorführungen. Die Veranstaltungen sollten Grenzpolizeien aus den Mitgliedstaaten marktverfügbare Systeme „zur Überwachung von Land- und Seegrenzen“ präsentieren. Im Arbeitsprogramm von 2012 kündigte Frontex an, die „Entwicklungen zur Identifizierung und Beseitigung der bestehenden Lücken in der Grenzüberwachung mit besonderem Fokus auf unbemannte Flugsysteme“ weiterverfolgen zu wollen.[9]

Nach einer 2015 fehlgeschlagenen Vergabe schrieb Frontex 2018 zunächst Flugtests zur „maritimen Langstreckenüberwachung“ in Kreta und Sizilien aus. Den Zuschlag erhielten Airbus (4,75 Mio. €) für Flüge mit einer „Heron 1“ von Israel Aeronautics Industries (IAI) sowie Leonardo (1,7 Mio. €) mit einer „Falco Evo“. Im Vordergrund stand nicht nur die Erprobung von Überwachungstechnik, sondern auch die Nutzung der Drohnen innerhalb zivil genutzter Lufträume.

Nach den Pilotprojekten begann Frontex schließlich mit der Beschaffung eigener Drohnen der hoch fliegenden MALE-Klasse. Gesucht wurde eine Firma, die für 50 Mio. € Einsätze bei allen Wetterlagen und zur Tages- und Nachtzeit vor Malta, Italien oder Griechenland durchführt. Den Zuschlag erhielt wieder der Rüstungskonzern Airbus für Flüge mit einer „Heron 1“. Sie sollen in einem Radius von bis zu 250 Seemeilen operieren; damit könnten sie auch vor den Küsten von Tunesien, Libyen und Ägypten aufklären. Sie tragen elektrooptische Kameras, Wärmebildkameras und sogenannte „daylight spotter“, um bewegliche Ziele zu verfolgen. Zur weiteren Ausrüstung gehören Anlagen zur Ortung von Mobil- und Satellitentelefonen.

Die Frontex-Drohnen werden offenbar auf Malta stationiert, Testflüge führte Airbus Anfang Mai vom dortigen Flughafen aus durch.[10] Frontex kündigt außerdem an, zum Betrieb großer Drohnen „zwei Ausschreibungen pro Jahr für insgesamt 2000-3000 vertraglich vereinbarte Stunden zu starten“.

Drohnenoffensive für „Pull backs“

Seit 2016 haben die die EMSA 281 Mio. und Frontex 62 Mio. € für Drohnendienste ausgegeben. Hinzu kommen mehr als 45 Mio. €, mit denen die Kommission migrationsbezogene Drohnenforschungen wie UPAC S-100, SARA, ROBORDER, CAMELOT, COMPASS2020, FOLDOUT, BorderUAS finanziert hat. Nicht eingerechnet sind die zahlreichen Entwicklungsvorhaben im Rahmenprogramm „Horizont2020“, die wie die unbemannte Personenbeförderung keinen Bezug zur Grenzüberwachung haben. Ähnliche Forschungen erfolgten im gleichen Zeitraum auch im Auftrag der Verteidigungsagentur, die dafür weit über 100 Mio. € ausgab.

Die neuen unbemannten Fähigkeiten erweitern vor allem die Meeresüberwachung beträchtlich und ermöglichen ein neues Konzept gemeinsamer Kommando- und Kontrollstrukturen von Frontex, EMSA und EFCA. Langstreckendrohnen, wie sie die EMSA mit der „Hermes 900“ und Frontex mit der „Heron 1“ im Mittelmeer einsetzen, können einen ganzen Tag in der Luft bleiben und dabei große Seegebiete abdecken.

Es ist damit zu rechnen, dass die Einsätze deutlich mehr Lageinformationen über Boote von Geflüchteten generieren. Die Drohnenoffensive wird dann für noch mehr völkerrechtswidrige „Pull backs“ sorgen, nachdem die Überwachungsinformationen wie bisher an die Küstenwachen in Ländern wie Libyen weitergegeben werden, um Geflüchtete möglichst schnell nach dem Ablegen an den dortigen Küsten abzufangen.


[1]     Eurodrones Inc., Ben Hayes, Chris Jones und Eric Töpfer, statewatch.org, Februar 2014.

[2]     Conclusions of the first European High Level Conference on Unmanned Aircraft Systems vom 1.7.2010, statewatch.org.

[3]     Strategie der Europäischen Union für maritime Sicherheit (EUMSS) – Aktionsplan, Ratsdokument 17002/14 vom 16.12.2014, data.consilium.europa.eu.

[4]     Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz für die Außengrenzen Europas, Kommissions-Pressemitteilung vom 15.12.2015, ec.europa.eu.

[5]     Final report – pilot project „Creation of a European Coastguard Function“, frontex.europa.eu.

[6]     Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr.1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, COM(2015) 667 final vom 15.12.2015, ec.europa.eu.

[7]     AIS (Automatic Identification System) ist ein Funksystem zum Austausch von Schiffsdaten.

[8]     Programming Document 2020-2022, EMSA (ohne Datum), emsa.europa.eu.

[9]     Ratsdokument 6514/12 vom 22.2.2012, data.consilium.europa.eu.

[10]   EU border agency Frontex to deploy drone from Malta in €100 million mission, timesofmalta.com, 3.5.2021.