IMI-Standpunkt 2021/063

Wi(e)der die Kolonialmacht?

Wie Frankreich in Westafrika die Kontrolle entgleitet

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 17. Dezember 2021

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In Burkina Faso blockieren Demonstranten tagelang einen französischen Militärtransport und im Niger wenden sich Gewerkschaften gegen die französischen Truppen. Frankreich verliert im Sahel mehr und mehr Boden an geopolitische Konkurrenten – und antwortet mit Schüssen auf Zivilisten.

Als „chasse gardé“, die geschützten Jagdgründe, Frankreichs galten große Teile Westafrikas lange – auch nach dem offiziellen Ende des Kolonialismus mit der Unabhängigkeit der dortigen Länder in den 1960er Jahren. Frankreich kontrolliert bis heute die Währungspolitik des an den Euro gekoppelten westafrikanischen Francs, hat Vorkaufsrechte für viele der natürlichen Ressourcen, ist oft der alleinige Ausstatter der nationalen Armeen und französische Unternehmen dominieren viele wichtige Wirtschaftszweige wie Transport, Häfen oder Telekommunikation. Ganz zu schweigen von den über 6000 französischen Soldaten, die sich über die Anti-Terrormission Barkhane im Sahel oder als fest stationierte Einheiten in den Küstenstaaten Senegal und Elfenbeinküste aufhalten.(1)

Doch es mehren sich Anzeichen, dass das Blatt sich wenden könnte. Einerseits gewinnen andere Großmächte an Einfluss in der Region. Andererseits wächst der Widerstand in der Bevölkerung.

In Burkina Faso wurde ein französischer Militärkonvoi, der das Land von der Elfenbeinküste in Richtung Niger durchquerte, in mehreren Städten von Protestierenden blockiert. Nachdem er in der Großstadt Bobo Dioulasso und der Hauptstadt Ouagadoudou je mehrere Stunden von Demonstrationen aufgehalten wurde, standen die von rund 100 Soldaten bewachten LKWs und gepanzerte Wägen von Donnerstag, dem 18., bis Samstag, 20. November 2021 nahe der Stadt Kaya still, weil Straßenblockaden sie nicht passieren ließen. Nach Verhandlungen der lokalen Autoritäten mit den Demonstranten durfte die Kolonne zurück nach Ouagadougou, wo sie sich in einem Militär-Camp retten konnte, während die Regierung mit den zivil Ungehorsamen über die Weiterfahrt verhandelte. Am Donnerstag, 25. November 2021 überquerte der Konvoi mit etwa einer Woche Verspätung die Grenze zum Niger.

Schüsse auf Protestierende

In einem Moment der Blockade in Kaya eskalierte die Situation und es gab Verletzte durch Schusswaffen. Die rund 200 Protestierenden verbrannten Paletten und Reifen und versuchten zu einem Zeitpunkt wohl auch, einen Zaun einzureißen, der das Gelände umschloss auf dem sich französischen Fahrzeuge Soldaten zurückgezogen hatte. Die französischen Streitkräfte reagierten mit Warnschüssen in die Luft, könnten aber „nur bestätigen, dass es keine Verletzten gab und dass die Warnschüsse keine Verletzungen bei den Demonstranten verursacht haben“, so Pascal Ianni, Sprecher des Verteidigungsministers der französischen Streitkräfte gegenüber der AP. „Es könne sein, dass Menschen aufgrund der Bewegung innerhalb des Protests oder aufgrund der Sicherheitskräfte Burkina Fasos, die als Puffer zwischen den französischen Soldaten und der Bevölkerung fungierten, verwundet wurden“ schob dieser die Verantwortung ab.

Drei Personen erlitten Schusswunden an den Beinen. Ein anonymer Soldat des burkinischen Militärs bestreitet jedoch gegenüber der ABC, dass von seiner Einheit Schüsse kamen. Gegenüber der Associated Press beteuerten dagegen drei Augenzeugen, dass die französischen Streitkräfte auch vor den Demonstranten auf den Boden gefeuert hätten.(2)

Seit dem Massaker an einer Hochzeitsgesellschaft im zentralmalischen Dorf Bounti zu Beginn des Jahres, stehen die französischen Streitkräfte vermehrt in der Kritik, zivile Opfer nicht ausreichend zu vermeiden und zu dokumentieren. Ein investigatives Projekt zu den humanitären Kosten des Anti-Terrorkriegs im Sahel, initiiert von The Humanitarian und dem Spiegel, konnte mindestens 25 zivile Opfer unabhängig bestätigen, die nicht von Frankreich gezählt wurden. Frankreich führt lediglich sieben Zivilisten in seiner Opferliste.(3)

Informationskrieg und anti-koloniale Ressentiments?

Die Organisatoren der Proteste in Burkina Faso kritisieren, die französischen Streitkräfte würden nichts dafür tun die Terroristen zu stoppen. Roland Bayala, Sprecher der Koalition afrikanischer Patrioten in Burkina Faso, nannte sie sogar „Komplizen der Terroristen“ und hielt, auf scheinbar gängige Gerüchte in den sozialen Medien verweisend, sogar die Möglichkeit offen, dass Waffen von der ehemaligen Kolonialmacht an die Islamisten gingen.(4) Auch Demonstrierende hätten wohl gegenüber dem Sender Voice of America die Franzosen verdächtigt, dschihadistische Milizen mit Waffen auszustatten.(5)

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian sprach gegenüber dem Fernsehkanal LCI von „Manipulatoren“ die anti-französischen Gefühle anstacheln würden und von „Meinungsführern die an einem Informationskrieg beteiligt sind“. Ob Russland dahinter steckt, was mit dieser Phrase gern angedeutet wird, ist allerdings unklar. Eine direkte Verbindung bestreitet Bayala, räumt jedoch eine Nähe zu der Bewegung Yerewolo in Mali ein, die Demonstrationen für den Abzug der Franzosen organisiert und die Einladung der russischen Söldnergruppe Wagner begrüßte.(6)

Schon in den Demonstrationen gegen den korrupten malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) im Sommer 2020 vernahm man auf Schildern und Rufen „France degage“ – Frankreich hau ab! Damals endeten die wochenlang andauernden Demonstrationen mit einem Coup des Militärs. Die Junta betonte damals wie wichtig die Zusammenarbeit mit den internationalen Militärs im Kampf gegen die islamistischen bewaffneten Gruppen sei. Die Organisatoren der Straßenbewegung M5-RFP wurden hingegen nicht in die Institutionen oder in den Dialog zur Zukunft Malis mit einbezogen, und stellten die Legitimität der Putschregierung bald in Zweifel.(7)

Abhängige Militär-Regenten

Nachdem 50 französische Gefallene und der (eigentlich noch sehr klein geratene) Medienrummel um die Bombardierung in Bounti die Unterstützung für den Einsatz in der französischen Bevölkerung erheblich geschmälert hatten und Rekordzahlen der Opfer durch dschihadistische (und Staats-) Gewalt in diesem Jahr auch die anti-französischen Gefühle in den Sahelstaaten befeuerten, kündigte Macron im Juli 2021 das Ende der Antiterrormission Barkhane an. Französische Soldaten und Beamte werden dann zwar noch über die UN-Mission MINUSMA, die europäischen Ausbildungsmissionen EUTM und EUCAP, die europäische Spezialkräfte-Mission Task Force Takuba und unterstützend bei der G5-Sahel, einem Sicherheitsbündnis der Sahelstaaten, sowie fest stationiert im Tschad, vor Ort sein. Doch der Rückzug eines großen Teiles der rund 5000 französischen Soldaten aus dem Sahel ist damit angekündigt.

Für die defacto regierenden Militärs in Bamako (und anderswo) sind solche Ankündigungen unwillkommen, da die besonders gut ausgestatteten europäischen Soldaten auch Teil ihres Machtnexus gegen die Aufständischen aus den Provinzen bilden. Somit ist nicht verwunderlich, dass dies mit der Ankündigung der Einladung der russischen Söldnergruppe Wagner gekontert wurde. Teile der Bevölkerung scheinen russische Söldner sogar gegenüber der Anwesenheit von Soldaten der ehemaligen Kolonialmacht zu bevorzugen(8) – auch wenn diese, wie Das Erste anzumerken weiß, auch Rohstoffgarantien für solche Unterstützung fordern.(9)

Antikoloniale Rhetoriken en vogue

In Frankreich und bei dessen Verbündeten dagegen löste die Nachrichten über die russischen Aktivitäten erwartungsgemäß Entrüstung aus. Der russische Außenminister Lawrow dementierte in einer Rede vor der UN jeglichen Einfluss auf den Deal mit dem vorgeblich privaten Sicherheitsunternehmen Wagner. Anti-koloniale Ressentiments bestärkend, behauptete er sogar, Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außenpolitik, hätte ihm gesagt er solle sich von Afrika fern halten, es gehöre sozusagen zu Europa.(10)

Mit diesen Tönen wird er sicher auf einige empfängliche Ohren stoßen – zumal die Dominanz ehemaliger Kolonialmächte in Afrika keine Selbstverständlichkeit mehr ist. So hat Russland Frankreich beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik den Rang abgelaufen und konnte Sicherheitsberater-Positionen in der Regierung sowie öffentliche Waffenkäufe für sich entscheiden .(11) Von 2012-16 war es zudem größter Waffenexporteur nach Afrika.12

Unsere Kämpfe – eure Kämpfe

Doch nicht alle geopolitischen Misserfolge lassen sich auf den Bösewicht Russland schieben. Im Niger beispielsweise, konnte die Türkei – gegen die Frankreich zuletzt auch im libyschen (Ge)Schach(er) verlor – neue Waffendeals sichern.(13) Bestätigung bekommt die nigrische Regierung dabei von einem umfassenden Gewerkschaftsbündnis, welches auch die größte Gewerkschaft des Landes, die Union des Syndicats des Travailleurs du Niger (USTN) mit einschließt. Beiläufig fordert es eine Diversifizierung der militärischen Partner in einem Communiqué, das einen Abzug aller französischer Truppen fordert und den französischen Staat einen Feind des nigrischen Volks nennt.(14)

Das Communiqué wurde Mitte November veröffentlicht und man könnte zynisch meinen, dass die Franzosen ihm nachträglich etwas Glaubwürdigkeit verliehen, als der in Burkina schon verspätete französische Militärkonvoi den Niger erreichte. Auch hier erwarteten ihn Proteste und Blockaden. Nigrische Sicherheitskräfte, die den Konvoi zum Schutz begleiten sollten, konnten offensichtlich nicht die Sicherheit der Bevölkerung garantieren, als die Situation zwischen Protestierenden und französischen Soldaten im Dorf Téra eskalierte. Dabei starben drei Personen, 18 weitere wurden teils schwer verletzt.(15)

Der Sprecher des französischen Militärs gab auch hier an, dass Frankreich nicht für die tödlichen Schüsse verantwortlich sei. Doch eine Äußerung des kurz darauf versetzten nigrischen Innenministers lässt darauf schließen, dass die Schüsse eher den französischen Soldaten zuzuordnen seien. Eine Untersuchungskommission werde eingerichtet (ob dies nach dem Ministerwechsel noch geplant ist, ist jedoch nicht bekannt). Der nigrische Präsident Mohamed Bazoum verteidigte jedoch die französische Militärpräsenz generell. Ihr Abzug würde ins Chaos führen.(16)

Dieser Beitrag erschien zunächst in leicht abgeänderter Form am 10.12.2021 bei Telepolis.

Anmerkungen

1) Eine übersichtliche Grafik über die in französischen Streitkräfte in Aftrika gibt es vom französischen Verteidigungsministerium „Ministère d’Armées“: Dispositif opérationnel français déployé à travers le monde. defense.gouv.fr.

2) Sam Mednick, ABC: French military denies injuring protesters. abcnews.go.com, 22.11.2021.

3) Emmanuel Freudenthal, Patricia Huon et al.: Uncovering the civilian toll of France’s anti-jihadist war in Mali. thenewhumanitarian.org, 16.06.2021.

4) In Burkina Faso, the French army bears the brunt of the anger of the inhabitants against the jihadists. news.in-24.com, 22.11.2021.

5) Henry Wilkins: Protesters gather outside Ouagadougou to block French military convoy headed to Niger, voanews.com, 21.22.2021.

6) Siehe news.in-24.com, 22.11.2021, sowie Norbert Hahn: Mali: Proteste gegen französische Präsenz. daserste.de, 14.11.2021.

7) Pablo Flock: Selektive Empörung. Die Positionen Frankreichs, der EU und der ECOWAS bei strittigen Wahlen, Aufständen und Putschen in Westafrika. imi-online.de, 09.12.2020.

8) AfricaNews: Mali: Thousands denounce France at pro-army rally. youtube.com, 23.09.2021.

9) Norbert Hahn, daserste.de.

10) Lavrov says EU foreign policy head told him to STAY OUT of ‚our‘ Africa, as he denies Moscow’s role in mercenaries invited to Mali. rt.com, 25.09.2021.

11) Milena Düstersiek: Der Wettstreit um Zerntralafrika. Französische und russische Präsenz in der Zentralafrikanischen Republik. imi-online.de, 11.10.2021.

12) Trends in international arms trade 2012-16, sipri.org S. 5.
Zumindest für Sub-Sahara Afrika konnte Russland seine Position auch im Quartal 2016-20 halten.

13) Le Niger va acheter du materiel militaire dont des drones a la turquie. lefigaro.fr, 20.11.2021.

14) Ahmadou Atafa: La France et ses allies accusés d’être les ennemis du Niger. levenementniger.com, 19.11.2021.

15) Nicolas Beau: Le convoi francaise bloque au Niger temoigne de l’echec de la france au Sahel. mondafrique.com, 30.11.2021.

16) Niger: Two killed and 17 injured in clash with french military convoy. theguardian.com, 27.11.2021.