IMI-Standpunkt 2021/062

Impfkampagne mit General

Die Bundeswehr als Krisenmanager im zivilen Katastrophenschutz

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 3. Dezember 2021

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Die neue Ampelkoalition ist im Regierungsmodus angekommen. Mit ihren Beschlüssen zur Reaktion auf die vierte Welle der Corona Pandemie zeichnet sich langsam ab, wie künftig mit Krisen umgegangen werden soll. Als Zwischenziel bis Weihnachten wurde die Durchführung von 30 Millionen weiteren Impfungen ausgegeben. Um dieses Ziel durch- und umsetzen zu können, zieht der designierte Kanzler Scholz Kompetenzen an sich. Verortet im Bundeskanzleramt entsteht ein neuer Bund-Länder-Krisenstab, der die zunehmend zentralisierte Impfkampagne steuern soll. Als Leiter dieses Krisenstabes hat Carsten Breuer bereits seine Arbeit aufgenommen. Breuer ist allerdings kein Politiker, kein Beamter, kein Unternehmensberater und auch kein Wissenschaftler, sondern Zweisternegeneral der Bundeswehr.

Vom der Kaserne ins Kanzleramt

Begleitet von Lobpreisungen aus SPD und FDP hat Generalmajor Carsten Breuer sein Büro im Kanzleramt bereits bezogen. Breuers Karriere bei der Bundeswehr führte ihn bisher als Truppenkommandeur in den KFOR-Einsatz im Kosovo und auf den Posten des Direktors für Laufende Operationen (Current Ops) im ISAF Hauptquartier in Kabul. Zudem hat der studierte Pädagoge im Generalsrang sowohl im Verteidigungsministerium in Berlin als auch in Brüssel bei der NATO bereits Posten mit engem Kontakt zur Politik besetzt. Seit 2018 war er Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben (KTA) der Bundeswehr in Berlin. Dort war Breuer für die Koordination aller Inlandseinsätze der Bundeswehr zuständig. In engem Kontakt mit Bundes- und Landesregierungen koordinierte er Bundeswehreinsätze nach extremen Schneefällen in Süddeutschland, gegen die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland und die Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr nach den Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Zudem spielt das Lagezentrum des KTA seit Frühjahr 2020 eine zentrale Rolle in der Leitung der Maßnahmen der Bundeswehr im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Neben Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr in Katastrophenfällen ist das KTA aber auch für weitere Einsätze im Inland zuständig.

Erst im Oktober besuchte Breuer eine gemeinsame Anti-Terror-Übung der Polizei Bayern und der Bundeswehr im oberfränkischen Hof. In einem Bericht der Bundeswehr aus dem Januar 2020 wurde das Kommando Territoriale Aufgaben zudem als “Spinne im Netz” der deutschen Unterstützungsleistungen für das US-Großmanöver Defender 2020 bezeichnet. Dort laufen die Fäden für zivile und militärische Unterstützung des Transits von NATO-Truppen durch Deutschland, im Rahmen des sogenannten Host Nation Support, zusammen.

Breuer ist nicht der Erste

Generalmajor Breuer ist allerdings nicht der erste General der Bundeswehr, der im Rahmen der Corona-Pandemie auf einen zivilen Spitzenposten versetzt wurde. Bereits im März 2021 wurde im Bundesgesundheitsministerium unter Minister Spahn der neue Posten des Abteilungsleiters für Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit und Nachhaltigkeit geschaffen. Besetzt wurde er mit Generalarzt Hans-Ulrich Holtherm. Holtherm war bereits in zwölf Auslandseinsätzen auf drei Kontinenten aktiv. Im Zuge der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) 2009 und 2014 während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika wurde der Bundeswehrmediziner als Krisenmanager ans Gesundheitsministerium ausgeliehen. Auf seinem neuen Posten leitete er seit letztem Frühjahr den allwöchentlich tagenden gemeinsamen Krisenstab von Bundesgesundheits- und Innenministerium. Dort werden keine Maßnahmen umgesetzt, sondern strategische Diskussionen zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen geführt.

Zwischen der Berufung von Generalarzt Holtherm im März 2020 und der Berufung von Breuer Ende November 2021 gibt es allerdings einen zentralen Unterschied. Als Holtherm ins Gesundheitsministerium wechselte, war davon in der Öffentlichkeit kaum etwas zu hören. Der Generalarzt arbeitet seitdem als Abteilungsleiter und Experte für Pandemien weitestgehend hinter den Kulissen. Die Berufung von Generalmajor Breuer ins Kanzleramt hingegen ist ein mediales Großereignis. Seit dem Wochenende kursierten Berichte über seine Berufung und Jubelrufe aus der FDP. Am Dienstag nach der Bund-Länder-Krisensitzung stellte Kanzler in spe Scholz die Berufung von Breuer dann als die zentrale Maßnahme zur Beschleunigung der Impfkampagne vor. Beiden Berufungen ist allerdings gemein, dass Politiker*innen unterschiedlicher Couleur in brenzligen Situationen, in denen es um effiziente Entscheidungsfindung und Durchsetzung in der Pandemie geht, dem Charme der Generalsuniformen erliegen.

Der Griff zum General

Was genau die Ampelkoalitionäre dazu bewogen hat, einen General an die Spitze der Impfkampagne und damit auch an die politisch heikle Schnittstelle im föderalen Geflecht zwischen den Zuständigkeiten von Kommunen, Ländern und Bund zu stellen, beantworten die Koalitionäre nicht.

In den Medien werden diverse Optionen diskutiert. Die Rede ist vom Vorbild der erfolgreichen Impfkampagne in Italien und Portugal, deren Leitung ebenfalls von Spitzenmilitärs übernommen wurde. Von der Effizienz der Generäle, die als “talentierte Führer” ausgebildet werden, ist die Rede. Andere sprechen von einer symbolischen Personalie oder von Symbolpolitik. Aber was symbolisiert ein General in einer zivilen Führungsposition, von der vermeintlich Wohlergehen und die Gesundheit der gesamten Bevölkerung abhängt? Ist es ein autoritäres Symbol der Handlungsbereitschaft und des Durchsetzungswillens? Nach außen lautet das Signal wohl: “Wir packen es jetzt an” – oder, wie Olaf Scholz sich gern zitieren lässt: “Wer Führung bestellt, bekommt sie auch.” Innerhalb des Apparats wird Militärs in politischen Funktionen nachgesagt, dass sie auch unkonventionelle Wege gehen, um an ihr Ziel zu kommen.

Auch ein Imagegewinn für die Bundeswehr dürfte bei diesem Einsatz von Breuer herausspringen. Bisher profitierte die Bundeswehr in der Gunst der Bevölkerung immer von Hilfseinsätzen in Deutschland, ob bei der Sturmflut 1963 in Norddeutschland, dem Hochwasser in Ostdeutschland 2002 und 2013, dem extremen Schnee 2019 in Bayern oder den Überschwemmungen in diesem Sommer in Westdeutschland. In einem Podcast der ZEIT wird sogar spekuliert, ob es sich um ein Angebot an konservative und rechte Impfskeptiker*innen handelt, die sich von einem schneidigen General eher überzeugen lassen, als von Politiker*innen und Wissenschaftler*innen.

Anteile von all diesen Erklärungen dürften bei Teilen der Ampelkoalitionäre eine Rolle gespielt haben. Offensichtlich wird dadurch allerdings das politisch Versagen. Wenn es nicht möglich zu sein scheint, politische Grabenkämpfe und Zerrereien um Kompetenzen durch Politiker*innen oder politische Beamt*innen soweit zu befrieden, dass eine brauchbare Impfstrategie dabei herauskommt, sondern erst ein vermeintlich “neutraler” General dazu benötigt wird, stellen sich die Entscheidungsträger*innen des gesamten politischen Apparats selbst in Frage.

Krisenstäbe als Dauerzustand

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass zeitnah weitere zivile Spitzenposten mit Generälen besetzt werden, ist die Einrichtung des neuen Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt mit Beteiligung der Bundeswehr nur ein Vorzeichen für die Dinge, die in den nächsten Monaten und Jahren noch kommen werden. Auf der aktuell noch laufenden Innenministerkonferenz in Stuttgart wird diskutiert, einen dauerhaften Bund-Länder-Krisenstab im Kanzleramt zu installieren, der bei Bedarf aktiviert werden kann.

Zudem soll der Bund laut Ampel-Koaltionsvertrag “mehr Verantwortung für den Bevölkerungsschutz übernehmen.” Ein zentrales Element ist der Ausbau des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu einer bundesweiten Zentralstelle mit einem dort entstehenden Kompetenzzentrum, in dem alle Fäden für den Katastrophenschutz zusammenlaufen sollen. Am Tisch sitzen dann neben Vertreter*innen von Bund, Ländern, dem THW, diverser Hilfsorganisationen und der Polizei auch Soldat*innen der Bundeswehr.

Bundeswehr baut ihr Netzwerk in Inland aus

Die Bundeswehr ist parallel mit dem Umbau ihrer eigenen Strukturen für Inlandseinsätze beschäftigt. Laut dem Eckpunktepapier für die Zukunft der Bundeswehr vom Mai diesen Jahres ist ein eigenes Territorialkommando der Bundeswehr auf höchster Ebene geplant. Mit zwei Lagezentren in Bonn und Berlin sollen von dort aus künftig alle Bundeswehreinsätze in Deutschland, von der Katastrophenhilfe über Terrorabwehr und Manöverunterstützung bis zur Sicherung von Kasernen und Infrastruktur im Kriegsfall geplant werden. In die aktuellen Umbaupläne ist die Reflexion der spontan aufgestellten Führungsstrukturen für den Corona-Einsatz der Bundeswerhr im Verlauf 2020 bereits eingeflossen.

Um die Kommunikation zwischen Bundeswehr und zivilen Katastrophenschutzkräften zu vereinfachen und zugleich zu digitalisieren, arbeitet die Bundeswehr aktuell an einem IT-Vernetzungsprojekt namens Territorial Hub. In der neuen Softwareumgebung sollen alle Akteure, von THW, Feuerwehren und Rettungsdiensten über Polizei, Bundeswehr und andere in Deutschland stationierte Streitkräfte bis zu NGOs vernetzt werden. Trotz unterschiedlicher Computersysteme in den einzelnen Organisationen sollen diese mit einer Art Cloud auch geheime Daten austauschen können und soll eine gemeinsame Einsatzführungssoftware zur Verfügung stehen. Erst 2019 war die Bundeswehr für Aufgaben im Inland in das Digitalfunknetz der zivilen Sicherheitsbehörden mit eingestiegen.

Alles in allem stellt die Bundeswehr mit diesem neuen Projekt das gesamte System des Föderalismus mit der politischen Hoheit der Länder im Katastrophenschutz sowie das Prinzip der Subsidiarität (das besagt, dass die Bundeswehr nur dann im Inland zum Einsatz kommt, wenn der zivile Katastrophenschutz an seine Grenzen kommt) völlig auf den Kopf.

Mit dem Territorial Hub schafft die Bundeswehr eine digitale Infrastruktur, die das Militär dauerhaft und fest in der zivilen Krisenbewältigung verankern soll. Das Ziel dieser Vernetzung ist es allerdings nicht, immer mehr Soldat*innen in Katastrophenschutzeinsätze zu schicken. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr versucht bereits jetzt, mehr Einfluss auf den zivilen Katastrophenschutz zu gewinnen, damit diese Strukturen im Ernstfall, im Falle eines Krieges, gut aufgestellt und mit der Bundeswehr vernetzt sind. Nur dann könnten die Zivilen der Bundeswehr und den Armeen der NATO bei ihrem Aufmarsch Richtung Osten den Rücken freihalten. Aber auch für das, was gern als hybrider Krieg bezeichnet wird – die Kriegsführung mit vermeintlich zivilen Mitteln – und die Abwehr entsprechender Angriffe ist eine enge Vernetzung mit den zivilen Sicherheits- und Rettungskräften für die Streitkräfte von großem Vorteil.

Einen General als Leiter eines Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt zu haben, der im Rahmen der Impfkampagne Kontakte in alle beteiligten Bundesbehörden, Bundesländer und Kommunen knüpft (wenn diese nicht schon aus seine vorherigen Job bestanden), ist für die Bundeswehr ein gefundenes Fressen. Die Armee wird so noch selbstverständlicher mit der Bewältigung von eigentlich zivilen Krisen verknüpft, gewinnt dabei noch an Image und kann die Militarisierung des Katastrophenschutzes in aller Ruhe fortsetzen oder sogar beschleunigen.