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IMI-Analyse 2021/42

Die Geopolitik des AUKUS-Paktes

Jürgen Wagner (24.09.2021)

Als die USA, Großbritannien und Australien Mitte September 2021 recht überraschend ein AUKUS genanntes Bündnis ankündigten, reagierte vor allem Frankreich hochgradig verärgert. Geharnischte Pressemitteilungen wurden veröffentlicht, Treffen auf Ministerebene abgesagt und nicht zuletzt die französischen Botschafter aus den USA und Australien abgezogen. Es handele sich um eine „einseitige, brutale und unvorhersehbare Entscheidung“, polterte zum Beispiel der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian. „Ich bin wütend. So etwas macht man nicht unter Verbündeten.“ Tatsächlich hat das AUKUS-Abkommen den Franzosen ein riesiges Geschäft vermasselt, bei dem es um eine 2016 vertraglich beschlossene Lieferung von zwölf konventionellen U-Booten an Australien ging. Ursprünglich war dabei die Rede von einem Volumen von rund 31 Mrd. Euro, das sich zuletzt aufgrund diverser Probleme aber auf 56 Mrd. Euro aufgebläht hatte. Ein Aspekt des AUKUS-Pakts besteht nun aus der Unterstützung Australiens beim Bau von acht nuklearbetriebenen U-Booten, was gleichbeutend mit der Aufkündigung des Vertrages mit Frankreich ist. Natürlich geht es hier um erhebliche Summen, doch erklärt dies wohl dennoch nicht allein die Schärfe, mit der auch andere EU-Länder reagierten: „Was dort entschieden worden ist und die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist, ist irritierend. Und es ist ernüchternd nicht nur für Frankreich“, äußerte sich etwa Außenminister Heiko Maas. Und auch die EU sprang Paris in Form von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Seite: „Einer unserer Mitgliedstaaten wurde auf eine Weise behandelt, die inakzeptabel ist.“

Strittige Fragen

Viel wird jetzt über die Details gestritten, nämlich ob Frankreich tatsächlich „überrumpelt“ wurde, wie vielfach zu hören ist. Dem wird entgegengehalten, dass es bereits im Januar 2021 Berichte gab, denen zufolge sich Australien wegen mannigfaltiger Probleme, unter anderem massiver Verzögerungen und Kostensteigerungen, nach Alternativen umsehe. Allerdings berichtet unter anderem Telepolis darüber, Frankreich sei bis zuletzt offiziell versichert worden, alle laufe bestens: „Am 15. September, am Tag der Bekanntgabe von Aukus, habe man noch ein offizielles Schreiben aus Australien bekommen, wonach man in Canberra zufrieden mit dem Vertrag sei und bereit für die nächste Stufe, so der Sprecher des französischen Verteidigungsministeriums, Herve Grandjean.“ In jedem Fall scheinen die Verbündeten nicht im Vorfeld über das AUKUS-Bündnis informiert worden zu sein: „Wir wurden nicht konsultiert“, beschwerte sich etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Auch über militärisch-technische Argumente wird gestritten, wenn etwa der australische Premierminister Scott Morrison in seiner zentralen Pressekonferenz am 16. September 2021 als Begründung seiner Entscheidung vor allem auf die längere Reichweite und höhere Geschwindigkeit nukleargetriebener U-Boote verwies. Das ist einerseits richtig: Während konventionelle U-Boote laut einer Studie des „Center for Strategic and Budgetary Assessments“ primär für küstennahe Operationen gedacht seien, weil sie nur 11 Tage im Südchinesischen Meer operieren könnten, seien atombetriebene U-Boote dazu mehr als zwei Monate in der Lage. Mit dieser Befähigung werden derlei U-Boote also für militärische Planungen gegen China nutzbar, woraus sich das australische Interesse erklären dürfte. Allerdings wäre auch Frankreich in der Lage gewesen, Atom-U-Boote zu liefern. Mehr noch, denn wie ein Artikel der FAZ betont, seien die für Australien vorgesehenen U-Boote extra auf einen konventionellen Antrieb umkonstruiert worden, weil „Frankreich seinerzeit von Washington unter Druck gesetzt worden war, keine […] atomgetriebenen Boote an Australien zu verkaufen.“

Frankreich im Indo-Pazifik

Wie gesagt, über all das lässt sich trefflich streiten, es dürfte den Kern des heftigen Konfliktes aber verfehlen, der das Ringen um Einfluss im zunehmend an Bedeutung gewinnenden Indo-Pazifik betrifft. Frankreich hat als ehemalige Kolonialmacht, die immer noch eine Reihe von Überseegebieten als ihr eigen betrachtet, rund 7.000 SoldatInnen in der Region stationiert. Frankreich hat auch als erstes EU-Land bereits 2019 eine Indo-Pazifik-Strategie veröffentlicht, der 2021 eine aktualisierte Fassung folgte. Die Region sei allein deshalb von immensem Interesse, weil 18% der französischen Importe ihren Ursprung im Indo-Pazifik hätten, in den das Land 14% seiner gesamten Waren exportiere, hieß es darin. Der Kern der französischen  Indo-Pazifik-Strategie besteht darin, sich als Alternative zu den beiden Hauptkontrahenten in der Region anzubieten, erläutert der französische Indo-Pazifik-Kommandeur Jean-Mathieu Rey: „In einem strategischen Zusammenhang, der sich auf die wachsende Konkurrenz zwischen den USA und China konzentriert, könnte Frankreich dank seines ständigen Sitzes im US-Sicherheitsrat und seiner militärischen Kräfte und seiner Hoheitsgebiete, die sich permanent im Indo-Pazifik befinden, […]  eine ernsthafte Alternative für viele Länder in Südostasien darstellen.“

Um Länder langfristig an sich zu binden und seinen dortigen Einfluss auszubauen, werden Waffenlieferungen seit eh und je als probates Mittel erachtet. Erich Vad, der langjährige militärpolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, formulierte zum Beispiel pointiert: „Wenn wir liefern, sind sie von uns abhängig. Wenn die einen Mist bauen, können wir die Lieferung einstellen, die Wartung stoppen oder einfach keine Ersatzteile mehr schicken. Das kann man auch als Instrument der Außenpolitik nutzen.“ Auch in diesem nicht rein monetären Sinne dürfte das 2016 von Frankreich mit Indien abgeschlossene €8,8 Mrd. schwere Rüstungsgeschäft über die Lieferung von Rafale-Kampfjets zu interpretieren sein. Und auch der Vertrag über die Lieferung der U-Boote an Australien dürfte einer solchen Logik folgen. Außerdem betrachtete Frankreich die Vereinbarung als Basis für ein dauerhaftes Bündnis, wie der französische Strategieexperte Bruno Tertrais erläutert: „Für Frankreich war der Vertrag Teil der größeren Logik einer langfristigen strategischen Partnerschaft – eine fünfzigjährige Vermählung.“

Daher war man in Paris sichtlich stolz darauf, mit Australien einen traditionell engen Verbündeten der USA und Großbritanniens vermeintlich auf seine Seite gezogen zu haben, allerdings habe Washington nun zum Gegenschlag ausgeholt, so die Einschätzung des Fachportals Bruxelles2: „Australien ist eindeutig in der angelsächsischen, amerikanischen und britischen Welt verankert, vor allem durch Geheimdienstabkommen. Das Abkommen mit Frankreich war eine Art Einbruch in diese geopolitische Achse mit historischen Wurzeln. Wir erleben also das Erstarken des Fünferblocks (USA, Vereinigtes Königreich, Kanada, Australien, Neuseeland), auf den Europa reagieren muss, wenn es wirklich bestehen will.“

AUKUS als Nukleus einer asiatischen NATO?

Aus Sicht des Geopolitik-Experten und früheren Chefs des mit guten Kontakten zur CIA ausgestatteten privaten Nachrichtendienstes „Strategic Forecast“, George Friedman, war die seit 2016 erfolgte dramatische Verschlechterung der Beziehungen zu China ausschlaggebend für die australische Entscheidung: „Australien sieht sich einer potenziellen Gefahr durch China gegenüber, das auf Zugang und Kontrolle des Westpazifiks drängt. Australien kann es nicht alleine mit China aufnehmen. Die USA können nicht Teile oder gar den gesamten Pazifik China überlassen. […] Wenn wir es von diesem Standpunkt aus betrachten, können wir die geopolitische Logik hinter dem australischen Schwenk bei der Anschaffung der U-Boote nachvollziehen. In einer Situation, in der ein Krieg weit hergeholt ist, kann die Beschaffung von Ausrüstung als für sich allein stehender Ankauf behandelt werden. Sollte die Kriegsgefahr aber von weit hergeholt zu unwahrscheinlich wechseln, wird ein umfassendes Bündnissystem erforderlich, in dem jede Anschaffung zu diesem Bündnis beiträgt.“

Vor diesem Hintergrund sprach der australische Premierminister Morrison in seiner Pressekonferenz von einer „dauerhaften Partnerschaft für eine neue Ära“, und tatsächlich geht der AUKUS-Pakt ja noch weit über die Frage von U-Booten hinaus. Vereinbart wurde unter anderem auch eine enge Zusammenarbeit in Schlüsselbereichen der KI-High-Tech-Rüstung, der für künftige Auseinandersetzungen mit China eine entscheidende Bedeutung zugeschrieben wird. Außerdem wird schon darüber spekuliert, dass auch andere Länder dem Pakt beitreten könnten, genannt werden Kanada, Indien, Japan, Taiwan und Südkorea. Auffällig ist dabei, dass sich unter den möglichen Kandidaten kein EU-Land befindet. Und dies dürfte dann zum eigentlichen Kern der Sache führen, weshalb die Vorgänge nicht nur in Paris, sondern auch in Berlin und Brüssel so hysterisch aufgenommen wurden. Der Geopolitiker George Friedman erklärt: „Der wichtigste Punkt besteht darin, dass ein sehr reales internationales Bündnissystem im Entstehen begriffen ist, das sich auf die Meere konzentriert. Die NATO gibt es weiterhin, aber ihre Aufgaben und Fähigkeiten im Falle eines Krieges sind unklar. Die englischsprachige Allianz bewegt sich schrittweise voran. Wir müssen die Zurückweisung des französischen Vertrages in diesem Licht betrachten. Und womöglich hat der französische Zorn, der weit über einen zweifellos lukrativen Vertrag hinausgeht, etwas damit zu tun.“

EU vs. AUKUS?

Im Lichte dieser Entwicklungen müssen auch Aussagen von EU-Industriekommissar Thierry Breton betrachtet werden: „Etwas ist zerbrochen in den transatlantischen Beziehungen“, weshalb es „eine gute Idee sei“, über die „Neuausrichtung der Partnerschaft“ nachzudenken. Wie tief der Riss aber tatsächlich geht, ist aktuell schwer abzuschätzen. Allerdings scheinen sich die Wogen nach dem „Versöhnungstelefonat“ der Staatschefs Macron und Biden einige Tage nach dem AUKUS-Eklat wieder ein wenig geglättet zu haben. Unklar ist auch, ob das rüde Vorgehen der USA schlicht diplomatischer Inkompetenz geschuldet war oder ob es sich um einen gezielten Affront gegen Frankreich und damit aber auch gegen die EU-Indo-Pazifik-Strategie handelte. In jedem Fall wirft das US-Vorgehen Fragen auf, schließlich war es maßgeblich Frankreich, das sich auch mit tatkräftiger deutscher Unterstützung für die Erstellung einer EU-Indo-Pazifik-Strategie einsetzte, für die mit Schlussfolgerungen des Rates bereits im April 2021 ein erster Aufschlag gemacht wurde. Auch darin wird auf eine Doppelstrategie gesetzt, indem enge Beziehungen zu Verbündeten in der Region aufgebaut und gleichzeitig die europäische Militärpräsenz ausgebaut werden soll. Dieses Ziel verfolgt auch die offizielle EU-Indo-Pazifik-Strategie, die pikanterweise am selben Tag veröffentlicht werden sollte, an dem auch der AUKUS-Pakt zumindest in Teilen einen Strich durch die Rechnung machte.[1] So kommentierte die Süddeutsche Zeitung: „Die Frage ist […] was mehr zu bewundern ist: Die glasklare Bereitschaft Australiens, sich an der Seite der USA in eine unauflösbare Konfrontation mit China zu begeben – trotz aller nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen; oder die Chuzpe, mit der die USA Frankreich als wichtigen Verbündeten in Europa vor den Kopf stoßen – dies auch noch am Tag der Veröffentlichung einer EU-Pazifik-Strategie, die Brüssels außenpolitische Ambitionen als Sandkastenspielerei entlarvt. Für die EU und nebenbei auch für Deutschland ist dies ein blamabler Augenblick.“

Ein Umdenken tut in der Tat not, es wäre wünschenswert, wenn sich die Europäische Union von der aggressiven China-Politik der USA distanzieren würde. Stattdessen scheint aber die Lehre gezogen zu werden: „Wenn Du Verbündete (und Einfluss) willst, rüste dich für den Krieg.“ Selbst Frankreich sei nicht hochgerüstet genug, um für die Staaten der Region als ernster Verbündeter gegen China in Betracht zu kommen. Deshalb sei Deutschland nun umso mehr aufgefordert, Frankreich substanziell militärisch zu unterstützen, sonst werde man im Ringen und Macht und Einfluss im Indo-Pazifik auch künftig keinen Blumentopf gewinnen, meint zum Beispiel die Welt: „Wenn die EU-Partner so vereint Verteidigungspolitik machen würden, wie sie jetzt jammern, dann hätte es das Australien-Debakel vielleicht gar nicht gegeben. Dieses Versäumnis betrifft besonders Deutschland. […] Die EU hat nur in Ansätzen eine Strategie für den Indopazifik, und vor allem lässt sie kaum Bereitschaft erkennen, Europa robust als globalen sicherheitspolitischen Akteur zu positionieren. Wenn jemand diesen Anspruch verfolgt, dann die Franzosen. Als Großmannssucht einer Ex-Weltmacht belächeln die Deutschen diese Ambitionen gern. Dabei könnte Europa viel effizienter Sicherheitspolitik betreiben, wenn nur die Deutschen endlich ihre Scheu davor verlören. Das ist die große außenpolitische Herausforderung der nächsten Bundesregierung.“

Anmerkungen


[1] Die Veröffentlichung der EU-Indo-Pazifik-Strategie wurde recht kurzfristig um einen Tag auf den 16. September 2021 verschoben, um nicht mit der Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Konflikt zu geraten.

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