IMI-Standpunkt 2021/052 - in: AUSDRUCK (September 2021)
Von Minen und Walen
Eine Posse über Artenschutz beim Bund, 39 Minen und 18 tote Wale
von: Emma Fahr | Veröffentlicht am: 13. September 2021
Bis heute liegen ca. 1,9 Millionen Tonnen alter Kriegsmunition auf dem Grund deutscher Meere, vorrangig aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Teil dieser Altlasten, 42 britische Grundminen, wurde im Jahr 2016 vor der schleswig-holsteinischen Küste lokalisiert. 39 dieser Sprengladungen befanden sich im Fehmarnbelt.
Der Fehmarnbelt ist eine Wasserstraße in der Ostsee, welche Deutschland mit Dänemark verbindet. Er ist nicht nur als Naturschutzgebiet ausgezeichnet, sondern auch von der EU als ausgewiesenes Meeresschutzgebiet unter der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie anerkannt. Ein wichtiger Grund für die besondere Schutzwürdigkeit des Beltes ist, dass er als Kinderstube für die einzige in deutschen Gewässern lebende und vom Aussterben bedrohte Walart ist: den Schweinswal. Die Tiere, von denen nur noch wenige Hundert in der Region leben, stehen unter dem Schutz des UN-Abkommens „ASCOBANS“, in dessen Rahmen sich die Bundesrepublik explizit verpflichtet hat, die Schweinswal-Population zu bewahren.
Minen vs. Umweltschutz
2016 fand das Schifffahrtsamt also mitten im Belt eine große Menge alter Minen. Nun liegt es auf der Hand, dass vor sich hin erodierende Seeminen unschädlich gemacht werden müssen. Jahrzehnte im Salzwasser setzen den Sprengkörpern zu, sie werden instabil. Chemikalien treten aus und vergiften Tiere und Umgebung. Bergung und kontrollierte Sprengungen werden immer schwieriger, die Kollateralschäden exponentiell größer. Um diese Risiken abzuwägen und eine möglichst minimalinvasive Vorgehensweise zu eruieren, muss bei solchen Funden stets eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen.[1] Demnach sind „notwendige Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen“ zu treffen.[2] So schreibt es das Gesetz vor – a fortiori im Naturschutzgebiet. Im Idealfall werden die Minen geborgen oder in flachere Gewässer verzogen. Ist die Munition dafür bereits zu instabil, muss das von der Explosion betroffene Gebiet eigentlich ‚evakuiert‘ werden. Beispielsweise durch sogenannte Blasenschleier sollen Meerestiere abgeschreckt und aus dem Explosionsradius vertrieben werden. Insbesondere für den Schweinswal sollte das lebensrettend sein. Soweit die Theorie.
NATO – stets zu Diensten
Dass die Praxis anders aussieht, stellte die Bundeswehr eindrucksvoll und tragisch unter Beweis. August 2019 – das NATO-Manöver „Northern Coasts“ steht vor der Tür. Als Teil dieser Übung befindet sich auch der Minenräumverband der NATO in deutschen Gewässern. Eine günstige Gelegenheit, sich der zwei Jahre zuvor entdeckten, instabilen Seeminen zu entledigen. Diese ergriff die Bundeswehr beim Schopf. Ende August wurden, über drei Tage verteilt, alle 42 Minen gesprengt. Ohne vorherige Abstimmung mit den Umwelt- und Naturschutzstellen, dafür mit den abzusehenden Kollateralschäden.
Die Bundesregierung begründete diesen militärischen Alleingang in Reaktion auf eine Anfrage im Bundestag mit unmittelbarer Dringlichkeit: „Durch die Anwesenheit des NATO-Minenverbandes in dem entsprechenden Seegebiet bestand durch die gezielte Sprengung die sofortige Möglichkeit zur Abwehr von Gefahr für Leib und Leben“.[3] Tatsächlich sind die Munitionsreste auf dem Meeresgrund bis heute eine Gefahr für Schiffe und Fische. ‚Sofort‘ scheint in diesem Kontext jedoch ein sehr dehnbarer Begriff zu sein – zwei untätige Jahre nach der Entdeckung. Das eigentliche Kalkül dürfte vielmehr ein juristischer Winkelzug sein: Manövereinsätze der NATO unterliegen nicht demselben Genehmigungsvorbehalt wie die Bundeswehr allein.[4] Also wartete man ab und ließ dann Tatsachen schaffen. Minen weg – mission accomplished.
Kahlschlag
Auch für die Flora und Fauna der Region war die Sache damit erledigt – und zwar endgültig. Das Fehmarnbelt wurde durch die Sprengungen auf einer Fläche von bis zu 110.000m2 bzw. 27 Fußballfeldern zerstört.[5] In einem Umkreis von bis zu 30m um jeden der 5m breiten Krater wurde jedes Leben ausgelöscht.[6] Besonders heikel ist die Situation wieder für die Schweinswale. Zur Erinnerung: Diese Art ist in deutschen Gewässern vom Aussterben bedroht – und sie bringen nur alle zwei Jahre ein einziges Kalb zur Welt.[7] Just der August ist ihre „sensible Reproduktionszeit“.[8] Die Sprengung von 39 Minen mit ca. 300-400 kg Explosivstoffmasse mitten in der Kinderstube war ergo eine Katastrophe für die Population. Denn Schweinswale haben ein ausgesprochen sensibles Hörorgan, das für sie überlebenswichtig ist. Schon leichte Verletzungen sind lebensbedrohlich, da sie die Orientierung beeinträchtigen, wodurch sie in Netze geraten oder, im Falle von Kälbern, ihre Mutter verlieren und verhungern. Massive Explosionen, wie solche durch Seeminen, können noch in einer Entfernung von über 600m die Lungen der Tiere zerreißen.[9] Auch im Abstand von mehreren Kilometern kann es noch zu Verletzungen kommen.[10] Aus diesem Grund sollte es die erwähnten Vergrämungsmethoden geben. Zum Zeitpunkt der Räumaktion im August 2019 wurden jedoch keine Wale aus dem Radius der Minen vertrieben.[11] Wie das Umweltministerium bestätigte, starben mindestens 18 Schweinswale durch Explosionstraumata. Bis Oktober 2019 wurden insgesamt 41 tote Wale angespült,[12] darunter auch Neugeborene. Klare Aussagen zum Verhältnis natürlicher und unnatürlicher Tode sind schwierig – da die Bundeswehr zu oft sprengt.[13]
Lagebesprechung
Scharfe Kritik kam postwendend sowohl aus der Politik als auch von Naturschutzverbänden. Die Grünen-Fraktion stellte im November 2019 eine Anfrage im Bundestag, welche in der Konsequenz zu Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz und einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes führte. Letzteres bestätigte offiziell das schlicht rechtswidrige Vorgehen der Bundeswehr: „Die Sprengung von Minen im Fehmarnbelt [2018] war widerrechtlich“.[14]
Strategiewechsel in Sicht?
Dass die Bundeswehr es nicht allzu genau nimmt mit dem Natur- und Artenschutz ist hinlänglich bekannt, man denke bspw. an den Moorbrand bei Meppen 2018. Mit den Schweinswalen scheint die Truppe jedoch besonders auf Kriegsfuß zu stehen. Vor der Küste Schleswig-Holsteins werden von der Bundeswehr regelmäßig sogenannte ‚Ansprengungen‘ durchgeführt – ‚kleinere‘ Explosionen, um die Beständigkeit von Marineschiffen zu testen. Diese Tests, welche an Land „die Gläser im Schrank klirren lassen“,[15] finden konsequent auch in den Sommermonaten statt, während die Schweinswale kalben.[16] Und auch in Zukunft leben die letzten Exemplare in dieser Region sehr prekär. Das umstrittene Bauvorhaben Fehmarnbelt-Tunnel nach Dänemark ist ebenfalls begleitet von massiven Sprengungen – auch wenn die Bundeswehr daran ausnahmsweise nicht beteiligt ist.
Immerhin hat die Misere 2019 eine überfällige Debatte wiederbelebt. Neue Maßnahmen zum Artenschutz sollen folgen. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe u.a. vom Verteidigungs- und Umweltministerium sowie den Küstenländern erarbeitet zurzeit einen Leitfaden zum „naturschutzfachlichen Umgang bei der Kampfmittelräumung in Schutzgebieten“.[17] Der NABU lobt diese Entwicklungen, auch wenn es an Geld noch mangelt. Angekündigte Tunnel-Sprengungen in diesem Jahr wurden abgesagt. Immerhin.
Anmerkungen
[1] NABU Schleswig-Holstein: Schutz mariner Säuger: Bundesmarine versagt, Jörg-Andreas Krüger, 13.10.2020.
[2] Bundestagsdrucksache 19/13878. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke u.a.: Sprengungen von Munitionsaltlasten und Kampfmitteln in Meeresschutzgebieten. 18.11.2019.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion: Munitionssprengungen im Schutzgebiet Fehmarnbelt töten Schweinswale. 10.1.2020.
[6] Bundestagsdrucksache 19/13878, 18.11.2019.
[7] Nabu: Mythos Flipper – Sorgenkind Schweinswal. 28.3.2017.
[8] Bundestagsdrucksache 19/13878, 18.11.2019.
[9] Nabu 28.3.2017.
[10] Bundesamt für Naturschutz: Auswirkungen der Sprengungen von Seeminen im Naturschutzgebiet „Fehmarnbelt“ Ende August 2019. 5.10.2020.
[12] Tagesschau.de: Verendete Schweinswale. Tod durch Explosionstrauma. 21.10.2020.
[13] Vgl. Bundesamt für Naturschutz, 5.10.2020.
[14] IMI-Aktuell 2020/027. 11.1.2020.
[15] Nabu,28.3.2017.
[16] Bundesamt für Naturschutz, 5.10.2020
[17] Ebd.