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IMI-Analyse 2021/34 (Update: 10.8.21)

Flagge zeigen!

Mit der Fregatte „Bayern“ reiht sich Deutschland in den US-Aufmarsch im Indo-Pazifik ein

Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner (02.08.2021)

Am 2. August 2021 nahm die Fregatte „Bayern“ von Wilhelmshaven aus Kurs in Richtung Indo-Pazifik, es hieß, man müsse dort „Flagge zeigen“ (Annegret Kramp-Karrenbauer). Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um irgendeine beliebige Rundreise, sondern um ein bewusstes Zeichen, dass auch Deutschland in der sich verschärfenden Großmachtkonkurrenz mit China mitmischen will. Diese Konflikte haben ihre Wurzeln in unterschiedlichen kapitalistischen Ordnungsvorstellungen und knallharten Auseinandersetzungen um Macht und Einflusssphären, die aktuell im Indo-Pazifik am intensivsten ausgetragen werden.

Tonangebend sind dabei aber weiter vor allem die USA, die eine gezielte Strategie verfolgen, um China innerhalb der sogenannten ersten Inselkette militärisch blockieren zu können. Schon vor einiger Zeit rief Ursula von der Leyen, damals noch als Verteidigungsministerin, die „Ära der Konkurrenz großer Mächte“ aus, in der sich Deutschland nicht „neutral“ verhalten könne, sondern fest an der Seite der USA stehen müsse.[1] Nachdem sie den Stab an ihre Nachfolgerin übergeben musste, die ganz auf dieser Linie weiter operierte und den Kurs sogar eher noch verschärfte, ergriff von der Leyen als heutige Kommissionspräsidentin die Gelegenheit und holte mit einer neuen Indo-Pazifik-Strategie nun auch die Europäische Union mit ins Boot der neuen Großmachtkonkurrenz.

Vom Kalten Krieg zur Neuen Großmachtkonkurrenz

Lange sonnten sich die USA und in ihrem Gefolge auch ihre Verbündeten recht unangefochten an der Spitze der internationalen Machthierarchie. Allerdings bröckelt diese Vorherrschaft inzwischen erheblich und es ist vor allem China, das ein beachtliches Wirtschaftswachstum vorweisen kann: Während der kaufkraftbereinigte Anteil des Landes am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Statista von 2,27% (1980) auf 18,56% (2020) in die Höhe schnellte, schrumpfte der US-Anteil am BIP-Kuchen von 21,41% (1980) auf 15,98% (2020). Noch ausgeprägter fiel der Rückgang bei der Europäischen Union aus, die von 26,02% (1980) auf 14,90% (2020) abstürzte.

Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab etwa 2008 ist der westliche Abstieg unübersehbar geworden und es dürfte deshalb kein Zufall sein, dass seither immer prominenter eine neue Systemkonkurrenz vor allem mit China beschworen wird. Mit dem kurz danach erfolgten Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama wurden daraus auch konkrete militärpolitische Konsequenzen gezogen. Im November 2011 rief die damalige US-Verteidigungsministerin Hillary Clinton in der „Foreign Policy“ in einem viel beachteten Artikel „Amerikas pazifisches Jahrhundert“ („America’s Pacific Century“) aus, der die ein Jahr später von Obama als Chefsache eingeleitete militärische Schwerpunktverlagerung („pivot“) Richtung Asien vorwegnahm. Im Zuge dessen wurde unter anderem die bis dato hälftig im Pazifik und im Atlantik stationierte US-Marine auf etwa 60% zu 40% zugunsten Ostasiens verschoben. Unter Präsident Donald Trump war dann eine nochmalige Verschärfung zu verzeichnen, als es etwa in der Nationalen Sicherheitsstrategie von Dezember 2017 hieß: „China und Russland fordern Amerikas Macht, seinen Einfluss und seine Interessen heraus und versuchen Amerikas Sicherheit und Wohlstand zu untergraben. […] China zielt darauf ab, die USA aus der indopazifischen Region zu drängen, die Reichweite seines staatsbasierten Wirtschaftsmodells zu vergrößern und die Region nach seinen Vorstellungen neu zu ordnen. […] Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die militärische Überlegenheit der USA weiterbesteht.“[2]

Auch unter dem neuen US-Präsidenten Joseph Biden ist kein Kurswechsel zu erwarten – im Gegenteil. Bei seinem ersten großen außenpolitischen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2021 nannte er die „langfristige strategische Auseinandersetzung mit China“ als oberste Priorität.[3] Schon zuvor schuf er den Posten des „Indo-Pazifik-Koordinators“ im Nationalen Sicherheitsrat, den er mit Kurt Campbell besetzte, dem Architekten von Obamas militärischer Schwerpunktverlagerung Richtung China. Und auch der neue Verteidigungsminister Lloyd Austin ließ gleich in seinem ersten Memo an die Streitkräfte im März 2021 verlauten: „Das Verteidigungsministerium wird den Fokus auf China als vorrangiger treibender Kraft legen und die entsprechenden operativen Konzepte, Fähigkeiten und Pläne entwickeln, um die Abschreckung zu stärken und unsere Wettbewerbsvorteile zu erhalten.“[4] Dieser mit zunehmend härteren Bandagen ausgetragene Konkurrenzkampf erstreckt sich zwar auf eine ganze Reihe von Bereichen, am erbittertsten wird er derzeit allerdings im sogenannten Indo-Pazifik ausgetragen.

Epizentrum Indopazifik

Allein schon der Begriff „Indo-Pazifik“ ist ein Politikum: Er unterstreicht die immer weiter steigende Bedeutung dieses als militärisch-strategische Einheit begriffenen Raums, über den ein Großteil des weltweiten maritimen Außenhandels abgewickelt wird. Der Westen reklamiert für sich das Recht, dort für die „Freiheit“ dieser Schifffahrtrouten zu garantieren – was dem Anspruch auf deren Kontrolle ziemlich nahe kommt. Für China ist dies alles andere als unproblematisch, beinhaltet es doch die westliche Fähigkeit, im Konfliktfall jederzeit mit einer Blockade der für sein exportbasiertes Entwicklungsmodell überlebenswichtigen Handelsrouten drohen zu können. Das US-Konzept des „Freien und Offenen Indo-Pazifik“ wird in China deshalb argwöhnisch vor allem als Versuch zur Eindämmung und Einkreisung des Landes wahrgenommen: „Ein Szenario, in dem die mächtige US-Marine und ihre Verbündeten die Handelswege durch südostasiatische Gewässer blockieren und China damit wirtschaftlich strangulieren könnten, ist im strategischen Diskurs Chinas ebenfalls allgegenwärtig.“[5]

Dass dieser Verdacht alles andere als aus der Luft gegriffen ist, bestätigt das „U.S. Strategic Framework for the Indo-Pacific“, das vom Nationalen Sicherheitsrat 2018 angefertigt wurde und im Januar 2021 an die Öffentlichkeit gelangte: „Die strategischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China werden von Dauer sein“, heißt es darin. „Der Verlust der US-Vorherrschaft im Indo-Pazifik würde auch die Fähigkeit der USA schwächen, ihre Interessen global umsetzen zu können.“ Als vorrangige Aufgabe definiert dieses Dokument deshalb „die Aufrechterhaltung der strategischen Vorherrschaft der USA in der indopazifischen Region und die Förderung einer liberalen Wirtschaftsordnung.“ Dies werde gelingen, indem China eine „dauerhafte Luft- oder Seedominanz innerhalb der ‚ersten Inselkette‘ verwehrt“ werde und die USA zugleich „alle Bereiche außerhalb der ersten Inselkette beherrschen.“[6]

Mit der ersten Inselkette ist der Riegel gemeint, den Japan, Taiwan, die Philippinen und Indonesien bilden. Der klar artikulierte US-Anspruch, China im Konfliktfall jederzeit innerhalb dieses Riegels einschnüren zu können, wurde von Peking u.a. durch recht weitreichende – und aus Sicht vieler Anrainer durchaus nachvollziehbar beunruhigende – Ansprüche auf dahinterliegende Inseln gekontert, über die es versucht, den USA den Zugang in die Region erheblich zu erschweren. In diesem Zusammenhang wurden unter Donald Trump die sogenannten „Manöver für die Freiheit der Schifffahrt“ (FONOPS) massiv ausgeweitet, die Washingtons Ansprüche auf eine uneingeschränkte militärische Präsenz untermauern und die Chinas unterminieren sollen.

Leider deutet wenig darauf hin, dass die Biden-Administration von dieser waghalsigen Strategie Abstand nehmen will. So dürfte das Indopazifik-Kommando im März 2021 die $27 Mrd. für die „Pazifische Abschreckungsinitiative“ wohl kaum ohne Absprache mit der neuen Regierung beantragt haben. Diese Gelder sollen zwischen 2022 und 2027 in zusätzliche Kampfkraft im indopazifischen Raum investiert werden (unter Trump wurden für 2021 bis 2026 noch $18,5 Mrd. gefordert). Während das Regionalkommando für 2022 „nur“ $4,6 Mrd. wollte, erhöhte die Biden-Regierung diesen Betrag in ihrem Haushaltsantrag kurzerhand auf $5,1 Mrd.. Neben der weiteren Aufrüstung des US-Stützpunktes auf Guam soll davon unter anderem auch die Aufstellung von Raketen mit einer Reichweite von über 500km auf verschiedenen Inseln im indopazifischen Raum finanziert werden, was bis zur US-Aufkündigung des INF-Vertrags 2019 noch verboten gewesen wäre. Als Begründung gab das Indopazifik-Kommando an, die USA „benötigen entlang der ersten Inselkette hochgradig überlebensfähige Netzwerke für Präzisionsschläge.“[7] Ganz generell trägt Bidens neuer Haushaltsantrag über $752,9 Mrd. für nationale Verteidigung ($715 Mrd. davon für das Pentagon), der Ende Mai dem Kongress zugeleitet wurde, die Handschrift der neuen Systemkonkurrenz: „Die Biden-Administration in den USA legt einen Schwerpunkt auf die technologische Modernisierung der Streitkräfte. [Dabei] geht es um die Aufstellung der Streitkräfte mit Blick auf einen potenziellen Konflikt mit Russland oder China.“[8]

Deutschland: Kanonenbootdiplomatie!

Als ehemalige Kolonialmächte spielen Frankreich und Großbritannien bis heute auch militärisch eine wichtige Rolle in der Region. Auch Deutschland ist historisch alles andere als unvorbelastet – zum Beispiel durch seine Rolle im Boxeraufstand Anfang des vorigen Jahrhunderts, um nur ein Stichwort zu nennen.[9] Lange hielt man sich aber in der Region dann ziemlich zurück, doch seit einiger Zeit dreht sich der Wind wieder. Eine wesentliche Akteurin ist in diesem Zusammenhang Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die bereits in ihrer ersten Grundsatzrede im November 2019 von der vermeintlichen Notwendigkeit einer größeren „Präsenz“ in der Region schwadronierte.[10]

Im März 2020 kündigte sie dann die Entsendung einer Fregatte an, die ursprünglich noch im selben Jahr auslaufen sollte, bis die Corona-Pandemie einen Strich durchs Manöver machte.[11] Am 17. November 2020 visierte Kramp-Karrenbauer in ihrer zweiten Grundsatzrede dann für das kommende Jahr erneut die Entsendung einer Fregatte in die Region an und nahm Bezug auf das erste Strategiepapier der Bundesregierung für den indopazifischen Raum: „Ich freue mich, dass die Bundesregierung umfassende Leitlinien zum Indo-Pazifik beschlossen hat, die auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst. Die strategische Bedeutung der Region wird damit voll anerkannt. […] Deutschland wird präsenter, etwa durch mehr Verbindungsoffiziere und im kommenden Jahr […] durch ein Schiff der Deutschen Marine. […] Wir werden Flagge zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner.“[12]

Die besagten „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ wurden von der Bundesregierung im September 2020 veröffentlicht und betonten, im Indo-Pazifik sei für Deutschland die „maritime Sicherheit von vitaler Bedeutung“. Auch vom Ausbau der militärischen Präsenz ist in dem Dokument die Rede: „Die Bundesregierung beabsichtigt, sich in Zukunft noch aktiver an Maßnahmen zu [sic] Schutz und Si­cherung der regelbasierten Ordnung im Indo-Pa­zifik […] zu beteiligen. Ferner beabsichtigt sie, die sicherheits- und verteidigungspolitische Koopera­tion mit Partnern in der Region weiter auszubau­en. Diese umfasst […] einen Ausbau der verteidigungspolitischen Kontakte in der Region selbst. Dies schließt Verbindungsoffiziere, Militärattachéstäbe, Hafenbesuche und die Teilnahme an Übungen sowie weitere Formen maritimer Präsenz im indo-pazifischen Raum ein.“[13]

Obwohl diese Passagen reichlich vage daherkommen, ist doch klar, dass eine der „Formen“ maritimer Präsenz augenscheinlich das Anfang August 2021 in See gestochene Kriegsschiff „Bayern“ darstellt. Zur Route war folgendes zu lesen: „Nach der Passage durch den Suez-Kanal wir die Bayern nach jetzigem Stand und unter Vorbehalt der jeweiligen Corona-Regularien folgende Häfen anlaufen: Dschibuti → Karatschi → Diego Garcia → Perth → Guam → Tokio → Incheon → Schanghai → Ho-Chi-Minh-Stadt → Colombo → Mumbai → Dschibuti“.[14]

Wie teils bemängelt wurde, wird dabei entgegen ursprünglicher Planungen des Verteidigungsministeriums auf die direkte Teilnahme an Manövern oder Durchfahrten durch von China beanspruchte Gebiete verzichtet, dennoch sollte der Symbolwert der Aktion nicht unterschätzt werden. Schließlich schickt Deutschland damit erstmals im Kontext der neuen Systemkonkurrenz mit einer Fregatte seine größte maritime Gewichtsklasse in die Region: „Die Fahrt nach Fernost soll Botschaften an drei Adressaten richten. Sie ist: eine Warnung an China; eine Beistandsbekundung für die Verbündeten in der Region; eine Solidaritätsadresse an die USA: Im Systemwettbewerb mit China ist Deutschland an der Seite der Amerikaner.“[15]

Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Ohne Deutschlands neu erwachtes Interesse wäre es wohl auch kaum möglich gewesen, die gesamte Europäische Union hinter einer Indo-Pazifik-Strategie zum Ausbau des militärischen Profils zu versammeln. Bereits in den Leitlinien zum Indo-Pazifik wurde angekündigt: „Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit Frankreich für die Erarbeitung einer europäischen Strategie zum Umgang mit dem Indo-Pazifik einsetzen.“

Dauerpräsenz als EU-Strategie

Ein erstes Signal für eine Verhärtung der Fronten wurde bereits in einer gemeinsamen Mitteilung der EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragten im März 2019 gesendet. Darin hieß es zwar, China sei in „verschiedenen Politikbereichen ein Kooperationspartner“, andererseits aber nicht zuletzt auch „ein wirtschaftlicher Konkurrent in Bezug auf technologische Führung und ein Systemrivale, der alternative Governance-Modelle propagiert.“[16]

Vor allem Frankreich, das bereits beträchtliche Kräfte in der Region stationiert hat, aber auch die Niederlande und Deutschland waren es dann, die auf eine gemeinsame EU-Indo-Pazifik-Strategie hinarbeiteten, die der EU-Rat im April 2021 verabschiedete. Die EU-Strategie beklagt die „Dynamik“ und den „intensiven geopolitischen Wettbewerb“ im Indo-Pazifik, durch den die „regelbasierte internationale Ordnung“ und „freie und offene Seeschifffahrtsversorgungswege“ bedroht seien. Deshalb sei der Rat der „Auffassung, dass die EU ihre strategische Ausrichtung, ihre Präsenz und ihre Maßnahmen im indopazifischen Raum verstärken sollte“.[17]

Ins Auge sticht dabei besonders die offizielle Übernahme des Indo-Pazifik-Begriffs, die eine deutliche Annäherung an die USA und ihre Ambitionen zur militärischen Eindämmung Pekings nahelegt. Ferner wird eine buchstäblich ausufernde Definition vorgelegt, da sich der „indopazifische Raum“, laut dem Dokument auf das „geografische „Gebiet von der Ostküste Afrikas bis zu den Pazifik-Inselstaaten erstreckt“. Augenscheinlich wird hier zumindest perspektivisch eine militärische Dauerpräsenz entlang der gesamten Schifffahrtsrouten von Ostasien bis nach Europa ins Auge gefasst. Als zentrales Mittel hierfür soll das neue Instrument einer „koordinierten maritimen Präsenz“ dienen. Es sieht vor, dass in Regionen, die von der EU als Gebiete vorrangigen Interesses gebrandmarkt wurden, die maritime Präsenz der Einzelstaaten fortan unter dem offiziellen Dach der EU koordiniert und systematisiert wird. Als Pilotprojekt wurde hierfür im Januar 2021 der Golf von Guinea auserkoren und es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Indo-Pazifik hier bald folgen wird. In der EU-Indo-Pazifik-Strategie heißt es dazu: „Die EU wird prüfen, ob es zweckmäßig ist, Meeresgebiete von Interesse im indopazifischen Raum zu schaffen“. Unterhalb der Schwelle eines offiziellen Militäreinsatzes soll dies dennoch eine dauerhafte Militärpräsenz unter EU-Flagge in der Region ermöglichen: „Das Konzept unterscheidet sich zwar von GSVP-Missionen und -Operationen, könnte aber zur Bewältigung der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region beitragen. Die Mitgliedstaaten erkennen an, wie wichtig eine bedeutende europäische Marinepräsenz im indopazifischen Raum ist.“

Dunkle Wolken

Auch die NATO hat inzwischen China als Systemrivalen für sich entdeckt, wie zuletzt auf dem Gipfeltreffen in Brüssel im Juni 2021 mehr als deutlich wurde. Allerdings ist unklar, inwieweit sich das Bündnis auch geographisch bis nach Ostasien vorwagen wird. Wahrscheinlicher ist derzeit, dass es sich eher auf Fragen wie die High-Tech-Rüstung konzentrieren und den Indio-Pazifik den Einzelstaaten und nun auch der EU überlassen wird. Klar ist aber jetzt schon, dass dunkle Wolken über dem Indo-Pazifik aufziehen, wo sich die Großmachtkonflikte immer weiter hochschaukeln: „Ich bin mir sicher, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre in eine kriegerische Auseinandersetzung mit China geraten […]. Es ist einfach unvermeidbar“, so etwa die Einschätzung von Ben Hodges, der bis 2017 NATO-Oberkommandeur in Europa war.[18] Doch anstatt dieser Entwicklung mit deeskalierenden Maßnahmen und Vorschlägen entgegenzuwirken, haben sich die Bundesregierung und auch die Europäische Union augenscheinlich dazu entschieden – ungeachtet durchaus auch vorhandener Interessensunterschiede auf verschiedenen anderen Ebenen -, an der Seite der USA auch militärisch in die Auseinandersetzungen im Indo-Pazifik einzutreten.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine erweiterte Fassung eines Beitrages, der zuerst unter dem Titel „Kanonenbootdiplomatie“ in der jungen Welt vom 29. Juli 2021 erschien.

Anmerkungen

[1] Leyen, Ursula von der: Rede bei der 55. Münchner Sicherheitskonferenz,  15.02.2019.

[2] National Security Strategy, December 2017.

[3] Biden, Joseph: Remarks at the Munich Security Conference, 19.02.2021.

[4] Austin, Lloyd: Memorandum for all DoD Employees, 04.03.2021.

[5] Wirth, Christian: „Lawfare“ im Südchinesischen Meer, GIGA Focus Asien, 08/2020.

[6] U.S. Strategic Framework for the Indo-Pacific, veröffentlicht am 05.01.2021.

[7] Eyeing China, Indo-Pacific Command seeks $27 billion deterrence fund, defensenews.com, 01.03.2021.

[8] Umstrittener Pentagon-Etatantrag vorgelegt, Europäische Sicherheit und Technik, 20.07.2021.

[9] Siehe zur historischen Rolle Deutschlands ausführlich Die deutsche Marine auf großer Fahrt gegen China 2.0, in: Arbeiterstimme, Nr. 212/2021, S. 1-9.

[10] Annegret Kramp-Karrenbauer, Rede der Ministerin an der Universität der Bundeswehr München, bmvg.de, 07.11.2019: „Unsere Partner im indopazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen.“

[11] Kurz darauf begründete Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Rede bei der Deutschen Maritimen Akademie am 12. März 2020 die kurz zuvor verkündete Entscheidung zur Entsendung einer Fregatte mit den Worten: „Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. […] Es wird deutlich: Wir haben ein vitales Interesse an verlässlichen Regeln, an der liberalen internationalen Ordnung. Und die wird auch zu Wasser verteidigt. Viel genutzte strategische Engpässe, wie die Straßen von Hormus und Malakka, sind besonders bedeutsam und in hohem Maße von Regionalkonflikten bedroht, aber auch von Terrorismus und Piraterie. […] In der zweiten Jahreshälfte, während Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft, wollen wir außerdem eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Als wichtiges Zeichen: Auch in diesem Teil der Welt haben wir Interessen, auch dort setzen wir uns für internationales Recht ein, auch dort stehen wir unseren Partnern zur Seite.“ (Rede der Bundesministerin der Verteidigung  Annegret Kramp-Karrenbauer anlässlich des Parlamentarischen Frühstücks der Deutschen Maritimen Akademie am 12. März 2020)

[12]  Zweite Grundsatzrede der Verteidigungsministerin, bmvg.de, 17.11.2020. Die Begrifflichkeit „Flagge zeigen“ gefiel unter anderem auch Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, der Inspekteur der Marine, augenscheinlich so gut, dass er kurz vor Missionsbeginn denselben Ausdruck verwendete: „Es geht darum Flagge zu zeigen und vor Ort zu demonstrieren, dass Deutschland auf der Seite seiner internationalen Wertepartner für die Freiheit der Seewege und die Einhaltung des Völkerrechts in der Region eintritt. Das heißt zusammengefasst, wir treffen unsere Partner und trainieren gemeinsam. […] Damit untermauern wir aktiv und weithin sichtbar unser Bekenntnis zur regelbasierten Ordnung im Indo-Pazifik, zur Umsetzung von VN-Sicherheitsrats-Resolutionen und damit zur Stärkung der VN insgesamt.“ (Fregatte „Bayern“ zeigt Flagge im Indo-Pazifik, bmvg.de, 29.07.2021)

[13] Leitlinien zum Indo-Pazifik, September 2020.

[14] Reiseroute der Fregatte „Bayern“ durch den Indo-Pazifik, Europäische Sicherheit und Technik, 02.08.2021.

[15] Auf maritimer Mission in Fernost, The Pioneer, 21.07.2021.

[16] EU-China – Strategische Perspektiven, JOIN (2019) 5, 12.03.2019.

[17] EU-Strategie für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum – Schlussfolgerungen des Rates, 16.04.2021.

[18] White House: US-China war over Taiwan ‚would broaden quickly‘, msn.com, 05.05.2021.

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