Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2021/31 - in: AUSDRUCK (Juni 2021)

Geopolitik vor Klimawandel

Zypern und Israel wollen ihr Gas in der EU loswerden. Griechenland ist dafür, die Türkei dagegen

Pablo Flock (15.06.2021)

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Die Aufregung war groß, als die Untersuchungen verschiedener Energieunternehmen Ende der Nuller-Dekade mehrere Gasfelder in den Kontinentalschelfen von Ägypten, Israel und Zypern zutage brachten. Besonders in den beiden bisher importabhängigen Ländern Israel und Zypern versprach man sich neuen Reichtum durch die fossilen Energiereserven. Doch der Abbau von Gas in Meeresböden unter nahezu 2000 m tiefem Wasser ist aufwendig und kostenintensiv. Zudem wirken Zeit und Klima-Besorgte, die die Verbrennung fossiler Energieträger lieber gestern als morgen verboten sähen, in diesem Falle auch nicht als Wirtschaftsförderung.

Israel, dessen Gasversorgung aus Ägypten durch den arabischen Frühling bedroht wurde, begann schon 2011 mit der Förderung von Gas aus dem zuerst entdeckten, kleineren Tamar-Gasfeld. Fürs Erste decken die Vorkommen des Tamar-Gasfelds zwar den israelischen Bedarf. Da sich dieser wohl aber weiter steigern wird und Devisen locken, sollte auch das größere, 2010 gefundene Leviathan-Gasfeld erschlossen werden. Dafür fehlten, nach einer Serie missglückter Deals Mitte der Zehner-Dekade, jedoch lange die sogenannten Anker-Klienten, die sich für eine vertraglich festgelegte Zeit verpflichten jährlich eine bestimmte Menge abzunehmen und dem Investment eine Rentabilität garantieren.[1]

Ein Deal mit Ägyptens Militärjunta, die den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi 2013 wegputschte, den freundlichen West-Kurs des ehemaligen Diktators Mubarak weiterführte und auch Israel gegenüber besser gestimmt war, sorgte dafür, dass ab 2015 wieder Gas durch die berüchtigte Pipeline floss – dieses Mal jedoch von Israel nach Ägypten. Im selben Jahr wurde allerdings in ägyptischen Gewässern das größte Gasfeld im Mittelmeer gefunden, das Zhor-Gasfeld, welches Israels Absatzmarkt in dem Land erheblich schmälern könnte.

Die verschiedenen schützenden Mächte des Landes scheinen jedoch zusammenzuspielen, um die überschüssige fossile Energie doch noch zu Geld zu machen, zu Euros, genauer gesagt. Zusammen mit Griechenland und Zypern, dessen 2011 gefundenes Gasfeld Aphrodite unter denselben Entwicklungshemmern leidet, laufen seit Anfang der Dekade Verhandlungen über den Bau der längsten Unterwasser-Pipeline der Welt, die israelisches und zyprisches Gas über Griechenland zu den europäischen Absatzmärkten bringen soll.

Die Eastern Mediterranean Pipeline, kurz EastMed, war schon 2013 von der EU anvisiert worden, wie Pläne zur Entwicklung des Südlichen Gaskorridors und einer Nord-Süd Gasverbindung aus dem Jahr zeigen.[2] Die EU sprang dann auch mit knapp 35 Mio. Euro für technische, ökonomische und ökologische Studien im Vorfeld ein. Nach der Unterzeichnung eines weiteren Deals der drei Länder Ende März 2019, erhob die EU die Pipeline zu einem „Projekt des gemeinsamen Interesses“ für die Diversifizierung des europäischen Energiemixes – was im Energiesicherheits-Jargon so etwas wie eine verringerte Abhängigkeit von Gasimporten des bisher größten Exporteurs Russland bedeutet.

Diversifizierung gegen Russland

Bei der Unterzeichnung dieses Abkommens war auch der damalige US-Staatssekretär Pompeo zugegen, der die europäische Loslösung von russischem Gas aus geopolitischen Gründen natürlich unterstützte – und, in Übereinstimmung mit der unbedingten Unterstützung israelischer Interessen durch die Trump-Regierung, Israels Anbindung an neue Absatzmärkte befürwortet. Zusätzlich wurde im Dezember 2019 ein Gesetz zur Ostmediterranen Sicherheits- und Energie-Partnerschaft verabschiedet,[3] das neben einem US-Energiezentrum in der Region auch 3 Mio. Dollar Militärhilfe an Griechenland und Militärtraining für Griechenland und Zypern autorisierte, während es den Export von F-35 Tarnkappenbombern an die Türkei blockierte.[4]

Nicht von der Partie bei der Unterzeichnung des trilateralen Deals war jedoch Italien, dessen Unterstützung aber unerlässlich für das Projekt ist, da das Gas nur mit der letzten, Griechenland und Italien verbindenden Poseidon-Pipeline[5] sinnvoll an das innereuropäische Gasnetz angeschlossen werden kann. Das lange Zögern Italiens gab Anlass zu Spekulationen, die besonders bei einer Uneinigkeit in der krisengeplagten Koalition von Demokraten und Fünf-Sterne-Bewegung ankamen. Geäußert wurden jedoch Bedenken gegenüber dem Mehrwert der Pipeline, da eine andere Leitung, die Transadriatische Pipeline, seit Ende 2020 schon Gas aus Aserbaidschan über die Türkei und den Balkan nach Italien und in das europäische Netz bringt.

Obwohl das mehrheitlich dem italienischen Staat gehörende Energieunternehmen ENI an mehreren Förderprojekten im östlichen Mittelmeer beteiligt ist, gehört (oder gehörte?) Italien auch zu den letzten Fürsprechern der Türkei in der Union, mit der zusammen es auch die international anerkannte libysche Einheitsregierung unterstützt(e).[6] Und die Türkei ist derweil auch gar nicht amüsiert über die transmediterranen Leitungsbauer.

Der Wunsch der Türkei, die EastMed zu stoppen und gegebenenfalls selbst einige der Rohstoffe in ihre Hand zu bringen, wird vielmals als Motiv für den umstrittenen Deal mit der libyschen Einheitsregierung genannt, bei dem Ende November 2019 eine ausschließliche Wirtschaftszone zwischen den beiden Ländern im Mittelmeer beschlossen wurde. Dieses Abkommen, das international nicht nur von den USA und der EU, und besonders energisch von Frankreich, verurteilt wurde, sondern auch in Libyen von der rivalisierenden Regierung des Abgeordnetenhauses in Tobruk, ist zwar im Januar 2021 auch von einem libyschen Gericht als nichtig erklärt worden, hat aber zwischenzeitlich ein wildes Säbelrasseln in der Gegend ausgelöst.

Konkurrierende Seegrenzen

Das international von keinem anderen Land gebilligte binationale Abkommen veranlasste Griechenland und Ägypten im August 2020, eine mit der libysch-türkischen Zone überschneidende, ausschließliche Wirtschaftszone zu beschließen. Ein weiteres Abkommen zwischen Griechenland und Zypern über angrenzende bzw. gemeinsame ausschließliche Wirtschaftszonen scheint zwar legal auf ähnlich dünnen Beinen zu stehen wie das türkisch-libysche Abkommen. Da die Türkei den betreffenden UN-Seerechtsvertrag UNCLOS und die Gerichtsbarkeit im Internationalen Gerichtshof nicht anerkennt, kann dies jedoch nicht vor Gericht gekippt werden – und bleibt deswegen Sache von mehr oder weniger harter Diplomatie.[7]

Der Hauptgrund für diese Wirren des internationalen Rechts sind fehlende Absprachen zwischen den beiden historischen Antagonisten Griechenland und Türkei hinsichtlich der verschiedenen griechischen Inseln nahe dem türkischen Festland. Das Kastelorizo-Problem, exemplarisch nach einer der südlichsten Inseln Griechenlands benannt, bezeichnet das Absprachen-Vakuum um kleine, bewohnte Inseln, die volle 200 km ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen und damit aber die Türkei, deren Festland in Sichtweite liegt, um ihre ausschließliche Wirtschaftszone bringen. Als Mitte 2020 türkische Boote Probebohrungen nahe griechischer Inseln machten, was beinahe zu Zusammenstößen zwischen Flotten der beiden NATO-Nachbarn führte, wurde das explosive Potential dieser fehlenden Absprachen gepaart mit der beidseitigen Neigung, auf faits accomplis zu setzen, in ganz Europa spürbar.

Inwieweit diese öffentlichkeitswirksame Aktion der Probebohrungen und auch das frech bis satirisch anmutende Abkommen zwischen der Türkei und der libyschen Einheitsregierung bloße Mahnungen sind, die Energieprojekte des östlichen Mittelmeers nicht an der Türkei vorbei zu entwickeln, darüber lässt sich spekulieren. Klar ist jedoch, dass sich die Türkei ihre angestrebte Position als Energieknotenpunkt, über den fossile Brennstoffe von Anrainern des Kaspischen Meers, allen voran Aserbaidschan, aus dem Nahen Osten und eben auch dem östlichen Mittelmeer (kostenpflichtig) nach Europa fließen, nicht verderben lassen will. Die Türkei schlug Israel zwar vor, die Pipeline über türkisches Land zu bauen.[8] Doch die wachsende türkische Unterstützung der palästinensischen Unabhängigkeit – und auch der Hamas und anderer islamistischer Gruppierungen in der Region – lassen einen solchen Deal unwahrscheinlich erscheinen.

Türkei – Freund oder Feind?

In Griechenland, wo die Erinnerung der osmanischen Besetzung und der Vertreibung vieler in der Türkei lebender Griechen besonders bei den Älteren noch lebhaft ist, scheint man dem (zumindest auf dem NATO-Vertragspapier) Verbündeten eine solche Stellung jedoch nicht gönnen zu wollen. So wurde jedenfalls im griechischen Staatssender ERT vom „Schutzschild gegenüber türkischen Aggressionen“ gesprochen. Zudem wäre es wohl nicht unrentabel, eine Gasversorgung Kretas zustande zu bringen und zusätzliche Devisen über den Weitertransport selbst einzusacken.

Besonders laute Rückendeckung bekommt Griechenland dabei von Frankreich, das nicht nur über den an verschiedenen Explorationsprojekten beteiligten französischen Energiegiganten Total profitiert, sondern auch von den Aufrüstungsplänen Griechenlands. Mit einer Bestellung von 18 Kampfjets und vier Fregatten konnte die ehemalige Seefahrernation Frankreich für sein Säbelrasseln gewinnen. Auch in Deutschland im Hause Thyssen-Krupp gebaute U-Boote für Israel könnten in einem resultierenden Konflikt zum Einsatz kommen.[9]

An erster Front lägen, bei einer weiteren Erhitzung dieses Konflikts, die Bewohner Zyperns und besonders die der geteilten Hauptstadt Nicosia. Auch im Konflikt um die EastMed ist die Forderung, dass die zyprische Regierung die Gas-Einnahmen aus den südlich gelegenen Gewässern mit der türkischsprachigen Minderheit im Norden teile, eine rote Linie für die Türkei. Doch Zypern scheint einer Gewinnbeteiligung nur im Falle einer föderalen Wiedervereinigung zustimmen zu wollen. Die erscheint nach den jüngsten Gesprächen aber als unwahrscheinlich.

Um Frieden und Stabilität im Mittelmeer zu bewahren und den bisher stark von russischen und iranischen Gasimporten abhängigen Bündnispartner Türkei stärker an den Block zu binden, drängen auch US-amerikanische Strategen[10] und Autoren regierungsnaher Think-Tanks wie der Stiftung Wissenschaft und Politik[11] und des European Council for Foreign Relations für eine stärkere Einbindung der Türkei.[12]

Neben der geopolitischen Rangelei sollte jedoch vor allem die Kontroverse geführt werden, ob es eine sinnvolle Zukunftsinvestition ist, für 7 Mrd. Euro eine 2000 km lange und in bis zu 3000 m Tiefe liegende Pipeline zu bauen – zumal keine Gasknappheit besteht. Auf Militarisierung und Ressourcenverschwendung zu setzen, wird keinen nachhaltigen Frieden bringen und auch keine nachhaltige Energie.


[1]      Yaniv Bar: Natural Gas Sector in Israel. An Economic Survey. Jan. 2017, Bank Leumi (gespeichert auf wayback machine) english.leumi.co.il

[2]      Regulation (EU) No 347/2013 on guidelines for trans-European energy infrastructure, 17.04.2013 eur-lex.europa.eu Die genannten Projekte finden sich im Annex, 2. (6) und (7)

[3]      Todd Prince: Congress Passes More Legislation Aimed at Curbing Russia’s Energy Grip on Europe. 21.12.2019 RadioFreeEurope/Radio Liberty rferl.org

[4]      Menendez Bill to Reshape US-Strategy in the Eastern Mediteranean Approved by Foreign Relations Comittee of the Senate, 25.06.2019 foreign.senate.gov (Der Entwurf für den Eastern Mediterranean Security and Energy Partnership Act of 2019) Die Blockade der Jet-Exporte an die Türkei wird dabei auch mit dem Kauf von russischer Raketenabwehrsystemen begründet, da der Kauf ein Verstoß gegen die US-Sanktionen gegen Russland ist.

[5]      Der ehemalige italienische Premierminister Giuseppe Conte distanzierte sich im Mai 2019 vom Bau der Poseidon-Pipeline. (Italy opposes Poseidon gas pipeline landfall, 07.05.2019 reuters.com) Die Pipeline könnte sowohl an die East Med, die transadriatische Pipeline TAP, die Gas aus Aserbaidschan befördert, oder an Pipelines aus Russland angeschlossen werden. Nachdem Italiens neuer Premier Mario Draghi Erdogan einen Diktator nannte, witterten Interessierte ihre Chance und forderten ihn auf, auch endlich grünes Licht für Poseidon und EastMed zu geben. (Sarantis Michalopoulos: Sign EastMed pipeline deal Mr. Draghi! 12.04.2021 euractiv.com)

[6]      Seit die Libysche Nationalarmee (LNA) unter Haftar mehr Land und Ölquellen kontrolliert (Aymann al-Warfalli: Eastern Libyan Forces regain control of El Feel oilfield: LNA. 27.11.2019 reuters.com), bemüht sich Italien, im Interesse des italienischen Energiekonzerns ENI, der den libyschen Markt dominiert, um Äquidistanz zu den beiden libyschen Verwaltungsstrukturen. (Eni on living through the chaos in Libya, 27.09.2019 energyvoice.com )

[7]      Malte Daniljuk: EastMed: Konfrontativ und rechtlich fragwürdig, 27.12.2020 heise.de/tp )

[8]      Turkey, Israel hold first meeting for pipeline project, 15.11.2016 yenisafak.com

[9]      Wegen einer Korruptionsaffäre wurde der U-Boot-Deal vorerst auf Eis gelegt, scheint nun aber doch realisiert zu werden. (German Submarine Sales to Israel. World Peace Foundation sites.tufts.edu/corruptarmsdeals )

[10]     Tim Robinson und Geordie Jeakins: Squaring the Triangle: Why Turkey and the EastMed project need each other. 12.04.2019 warontherocks.com

[11]     Stefan Wolfrum: Israel widersprüchliche Gasexportpolitik. Das Werben für eine transkontinentale Pipeline steht dem erklärten Ziel regionaler Kooperation entgegen. Okt. 2019, Stiftung Wissenschaft und Politik swp-berlin.org

[12]     Malte Daniljuk: Ärger an der EU-Peripherie: die Gasvorkommen im Mittelmeer. 20.12.2020, Telepolis heise.de/tp

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