Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2021/031

Drohnen-Propaganda grenzt an Fake News

Medien übernehmen zweifelhafte Analyse eines Bundeswehr-Thinktanks

Christoph Marischka (14.06.2021)

Pünktlich zur Entscheidung des Grünen-Bundesparteitages, die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr künftig nicht mehr grundsätzlich abzulehnen, rauschte es noch von anderer Seite im Blätterwald. Zahlreiche Print- und Online-Medien berichteten unter oft spektakulären Titeln von einer „Analyse der Bundeswehr-Denkfabrik GIDS“ so die häufig aufgegriffene Formulierung der entsprechenden dpa-Meldung.1 Eine entsprechende „Analyse“ sucht man auf der Homepage der gemeinsamen Denkfabrik der Bundeswehr-Uni Hamburg und der Führungsakademie der Bundeswehr jedoch vergeblich. Die von dpa und vielen Medien aufgegriffenen Zitate entstammen dann auch tatsächlich ausnahmslos zwei Beiträgen derselben Autorin auf der GIDS-Webseite. Beim einen handelt es sich um eine Art Bericht über einen Vortrag von Oberstleutnant Michael Karl, beim anderen um ein nicht datiertes Interview mit derselben Person. Karl wird jeweils als wissenschaftlicher Referent des GIDS vorgestellt, bei der Autorin scheint es sich um eine Art Pressereferentin, jedenfalls regelmäßigen Autorin des Thinktanks zu handeln.2

Da interviewt sich das GIDS also selbst, die dpa macht eine Meldung daraus und zahlreiche Medien übernehmen diese. Was war nun der Inhalt? Die auf den ersten Blick spektakulärste Aussage des Interviews wurde von fast allen Medien – natürlich unwidersprochen – übernommen: „Um es mal ganz drastisch auszudrücken: Wenn die Bundeswehr in diesem konkreten Konflikt gegen Aserbaidschan hätte kämpfen müssen, hätte sie kaum eine Chance gehabt“. Anlass für diese Aussage sei demnach, dass „[d]ie Experten des Hamburger Thinktanks […] den internationalen Markt sowie den Verlauf der Kämpfe um Berg-Karabach untersucht“ hätten „wo Aserbaidschan im vergangenen Jahr Armenien mit Drohnen besiegt hatte“.

Zwar hat der – auf den ersten Blick – überwältigende Sieg Aserbaidschans im vergangenen Herbst Viele überrascht, diese vielzitierte Aussage eines „Experten“ der Bundeswehr grenzt trotzdem an Fake-News. Der Personalkörper der armenischen Streitkräfte beträgt mit 44.000 Kräften etwa ein Viertel der Bundeswehr, der (zuvor rasch gestiegene) Verteidigungshaushalt Armeniens lag 2019 noch bei 644 Mio. US$ – gegenüber über 40 Mrd. Euro in Deutschland. Selbst wenn man die umstrittene Region Bergkarabach hinzurechnet, hat Armenien nur etwa ein Zehntel der Fläche der Bundesrepublik. Das alleine ist noch kein Argument gegen die Aussage Karls, der ja vor allem auf die taktische Überlegenheit hinaus wollte, die Aserbaidschan durch den Einsatz von Drohnen erlangen konnte. Genannt werden hier v.a. immer Drohnen aus israelischer und türkischer Produktion, insbesondere jene vom Typ Harop und Bayraktar TB2. Diese allerdings haben eine Reichweite von 200 bzw. 150 km. Wie damit die Bundeswehr in Deutschland besiegt werden sollte, wird wohl Karls Geheimnis bleiben.

Bereits im Januar hatte „Verteidigungsministerin“ Kramp-Karrenbauer den „ersten echten Drohnenkrieg“ um Bergkarabach als Anlass genommen, eine verstärkte Aufrüstung der Bundeswehr einzufordern. Dabei ging es einerseits – zunächst nachvollziehbar – um die Verteidigung gegen Drohnen. Als Problem gelten dabei aber nicht primär große Drohnen mit (entsprechend) großer Reichweite, die tendenziell von der herkömmlichen Luftabwehr bekämpft werden können, sondern kleiner, niedriger fliegenden Drohnen mit geringerer Reichweite. Und damit geht es auch nicht um Verteidigung oder den Schutz „unserer Soldaten“, sondern um den Schutz „unserer Soldaten“ im Auslandseinsatz gegen einen gut ausgerüsteten Feind – und damit die Fähigkeit, weit entfernt Krieg zu führen.

Sowohl zu Beginn des Jahres, wie auch jetzt, wurde außerdem der vermeintliche Schock über die Kampfkraft von Drohnen wie selbstverständlich mit der Forderung verknüpft, Deutschland müsse nun dringend selbst bewaffnete Drohnen anschaffen bzw. die bestehenden bewaffnen. Das ist eigentlich widersprüchlich. Stattdessen sollte im Vordergrund stehen, wie man den Einsatz zunehmend automatisierter Waffensysteme ächten und deren Proliferation unterbinden kann. Hier spiel(t)en sowohl in Berkarabach, als auch in Libyen und der Ukraine die Türkei und Israel die zentrale Rolle. Beide Staaten sind und waren in entsprechende Forschungsprojekte Deutschlands und der EU eingebunden, sind Ziel des Technologietransfers aus Deutschland und der EU (siehe IMI-Analyse 2021/19). Die an die vermeintlich „zivile“ Sicherheitsforschung anknüpfende Verteidigungsforschung der EU treibt ebenfalls seit ihren Anfängen im „Pilot Projekt“ von 2016 die Forschung zu Drohnenschwärmen zu Land, zu Wasser und in der Luft – sowie unter Wasser – konsequent voran.3 Deutschland und die EU sind hier keine Opfer einer Entwicklung, die anderswo stattfindet, sondern Akteure, die diese Entwicklungen aktiv vorantreiben – während sie deren Regulierung blockieren.

Anmerkungen

1 Siehe u.a.: https://www.dw.com/de/bundeswehr-deutschland-schwach-drohnenabwehr/a-57873781, https://www.heise.de/news/Gegen-Drohnen-unterlegen-Bundeswehr-haette-kaum-eine-Chance-gehabt-6069588.html, https://www.zeit.de/amp/news/2021-06/13/analyse-bundeswehr-gegen-drohnen-unterlegen, https://rp-online.de/panorama/deutschland/gids-bundeswehr-hat-im-kampf-gegen-drohnen-kaum-chancen_aid-59392445.

2 Die beiden sehr ähnlichen Beiträge finden sich hier: https://gids-hamburg.de/das-ist-alles-kein-science-fiction-mehr-oberstleutnant-michael-karl-wissenschaftlicher-referent-am-gids-uber-neue-moderne-kriegsfuhrung-und-neue-technologien/, https://gids-hamburg.de/krieg-um-bergkarabach/.

3 Ausführlich in: Christoph Marischka: Künstliche Intelligenz in der Europäischen Verteidigung – Eine autonome Aufrüstung?, https://oezlem-alev-demirel.de/wp-content/uploads/2020/11/KI-Ruestung-dt-web.pdf.

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