Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2021/023

Campen mit Komfort

Das Beschaffungsvorhaben „Bewegliche Unterbringung im Einsatz Streitkräfte“

Emma Fahr (06.05.2021)

Entsprechend einer Pressemitteilung des Unternehmens unterzeichnete das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) kürzlich einen Beschaffungsauftrag mit der Kärcher-Tochter Futuretech GmbH. Im Rahmen des Projektes „Bewegliche Unterbringung im Einsatz Streitkräfte“ sollen modulare Zeltsysteme für den Einsatz außerhalb befestigter Camps entwickelt und produziert werden.1

Diese Systeme sollen je bis zu vier Soldat:innen beherbergen können. Das Basismodul hierfür besteht aus „1-Person-Zelten und vier Lampen“, welche in das reguläre Gepäckvolumen integriert werden. Bei Bedarf sollen diese winddicht mit einem Gemeinschaftszelt verbunden und ein zusätzliches Sanitär-Zelt errichtet werden können, sofern die entsprechenden Transportmöglichkeiten bestehen. Diese innovativen Zelte sollen die physische und psychische Einsatzfähigkeit der Truppen steigern – mit einem Camping-Kocher, einer Thermosflasche und verschließbaren Müllsäcken, sodass bis zu sechzig Tage in einem solchen Zeltverband ausgeharrt werden könnte. Nach sechzig Tagen müssen vermutlich die Toiletten geleert werden.

Beschaffung auf dem freien Markt

Für derlei Beschaffungsvorhaben setzt die Bundeswehr bereits seit vielen Jahren auf die vermeintliche Kosteneffizienz des freien Marktes. In der Praxis ist der Kreis der Bundeswehr-Dienstleister:innen und Lieferant:innen ein relativ geschlossener Kreis (siehe IMI-Studie 05/2020).2 Die Erfahrung zeigt seit vielen Jahren, dass von freiem Wettbewerb und den damit einhergehenden Effizienz-Versprechen kaum die Rede sein kann. Nicht nur ist die Konkurrenz unter den Wettbewerber:innen durch zunehmende Spezialisierung nahezu eliminiert. Die Bundeswehr hat zudem einen Habitus bewiesen, ihren Partner:innen gegenüber eine nahezu bedingungslose Loyalität aufzubringen. Skandalen, Fehltritten und mitunter grob fahrlässigen Fehlern zum Trotz werden immer wieder dieselben Unternehmen beauftragt. So nun auch wieder mit der „bewegliche[n] Unterbringung im Einsatz Streitkräfte“. Diese Ausschreibung konnte Kärcher Futuretech, wie sie selbst zu Protokoll geben, auf Basis des letztjährigen Auftrages der mobilen Feldküchen für sich entscheiden.3

83 Millionen an der Pandemie vorbei

Kärcher Futuretech ist kein Neuling in der Welt der militärischen Beschaffung. Zahlreiche ihrer Produkte wie Wasseraufbereitungsanlagen oder Schadstoff-Dekontaminierungstechniken wurden über die Jahre an militärische Bedarfe angepasst. Heute ist Futuretech u.a. auf die Ausstattung diverser Armeen spezialisiert.4 Insbesondere entwickelt und liefert das Schwaikheimer Unternehmen verschiedenste Infrastruktur zum mobilen Einsatz – so auch die aktuelle Ausschreibung.

Ob dieses Unternehmen wirklich der einzige Wettbewerber mit den Qualifikationen war, um Zelte und Thermosflaschen zu produzieren, sei dahingestellt. Das Timing und das Volumen dieses Auftrages wirft allerdings Fragen auf. Deutschland hat das Kunststück vollbracht, im zweiten Jahr einer global grassierenden Pandemie seinen Rüstungsetat zu neuen Rekordsummen aufzustocken – wie der aktuelle SIPRI-Bericht zeigt.5 Während Hilfsgelder für Arbeitnehmer:innen Monate brauchen, die Finanzierung der Teststrategie holpert et cetera, sind 83 Millionen Euro für komfortablere Zelte offensichtlich abrufbar und für die Bundeswehr eine legitime und notwendige Investition.

Zelte für die NATO

Nun kann man selbstverständlich und zu Recht argumentieren, dass es trotz und parallel zur Pandemie Politik abseits des Infektionsschutzes geben muss. Nichtsdestotrotz ist es angebracht abzuwägen, wie dringend derlei Investitionen (zurzeit) sind. Die Bundeswehr, bzw. das BAAINBw scheint es in dieser Sache eilig zu haben. Schon 2022 sollen die ersten 2500 Zeltsysteme zum Einsatz kommen und für die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO genutzt werden.6 2500 ‚bewegliche Unterbringungseinheiten‘ bieten Platz für 10.000 Soldat:innen. Die „Speerspitze“ der NATO hat zurzeit eine Truppenstärke von etwa 8.000. Ab Januar 2023 wird die Bundeswehr zum dritten Mal das Kommando dieser Abruf-Einheiten übernehmen und im Zuge dessen „die Masse“ der insgesamt „16.800 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr […] für die NRF NATO Response Force“ in der VJTF einsetzen.7

Um diese Führungsverantwortung übernehmen zu können, benötigt die Bundeswehr bestimmte Zertifizierungen der Einsatzfähigkeit durch die NATO. Eben jene führten in den zwei vorausgegangenen Perioden zu massiven Problemen, da benötigte Ausrüstung nicht in ausreichenden Mengen und nicht an den richtigen Stellen zur Verfügung stand.8 Derlei Materialverschiebungen und ‚Panikkäufe‘ lassen sich nun, wenn auch in geringerem Ausmaß, ein weiteres Mal beobachten. Unter anderem fehlt es an Zelten – die jetzt unter Hochdruck von Futuretech gebaut werden. Wenngleich es bereits 2018 an Zelten für die Speerspitze mangelte, wurde der Vertrag erst in diesem April abgeschlossen. Diese Frist ist so knapp bemessen, dass der Einsatz der ‚Unterbringungsmodule‘ in der VJTF erst ihre Einsatztauglichkeit unter Beweis stellen müssen, um in der Folge in größerem Ausmaß in der Bundeswehr eingesetzt zu werden.

Der Rest bleibt abzuwarten

Insgesamt wurde der Vertrag über „bis zu 19.000 Zeltsysteme für rund 76.000 Soldaten“ geschlossen.9 Nach Abzug der Zelte für den NATO-Einsatz bleiben demnach 16.500 potentielle Systeme für die Bundeswehr.Diese ist momentan mit etwa 3500 Soldat:innen im Einsatz.10 Von denen befinden sich ca. 1300 in der Resolute Support Mission in Afghanistan, welche bis Juni aus Afghanistan abgezogen sein sollen. Auch für die verbleibenden Bundeswehreinsätze scheint der Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten für Missionen außerhalb der regulären Camps minimal. Seit mittlerweile einigen Jahren wird zunehmend deutlich, wie sehr die Bundeswehr an die Sicherheitsvorkehrungen der festen Camps gebunden ist. In der Folge bewegen sie sich maßgeblich in einem kleinen Radius um diese. So können Soldat:innen im Falle eines Angriffes schnell auf die Infrastruktur der Camps und Verstärkung zurückgreifen.11 Die Notwendigkeit, sich im Umfang dieses neuen Auftrages gegebenenfalls bis zu zwei Monate außerhalb der Campstrukturen aufzuhalten, ist entsprechend kaum nachzuvollziehen.

Nichtsdestotrotz bleiben von dem aktuellen Auftragsvolumen, abzüglich der bereits genannten VJTF-Kontingente, gut 60.000 Zelte für 2.200 Soldat:innen im Einsatz. Das bedeutet, jedes uniformierte Mitglied des Heeres – ob im Einsatz oder nicht – könnte eines dieser Zelte bekommen und es wären immer noch zu viele.12 Immerhin handelt es sich nicht um Schuhe oder Uniformen, sondern um Unterbringungsmöglichkeiten für die Eventualität eines Einsatzes außerhalb der regulären befestigten Camp-Strukturen.

Fazit

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Die Bundeswehr ist unter Druck, da sie die Anforderungen an die anstehende Verantwortung für die VJTF 2023 (noch) nicht erfüllt. Diese Mängel waren über Jahre absehbar. Dennoch wurde der Auftrag zur Beschaffung der benötigen Zelte auf den letzten Pfiff an ein Unternehmen ‚des Vertrauens‘ vergeben. Damit wird ein weiteres Mal das Dogma der Beschaffung auf dem ach so effizienten ‚freien Markt‘ von der Bundeswehr selbst ad absurdum geführt.

Abgesehen von diesen (vermeintlichen) Sachzwängen der NATO-Zertifizierung werden im Windschatten tausende Zelte für Millionen gekauft. Wofür? Die Bundeswehr befindet sich in den großen Einsätzen und Missionen hauptsächlicher innerhalb der örtlichen Militärbasen und gelegentlich auf Patrouillen. Der aktuell größte Auslandseinsatz wird in Kürze beendet, womit sich die Anzahl der sich im Einsatz befindlichen Soldat:innen beinahe halbiert. Parallel hierzu werden nun 83 Millionen Euro für Zelte mobilisiert, deren einziger Zweck es scheinbar ist, den Komfort zu erhöhen – in Missionen die in dem gewährleisteten Ausmaß aus Sicherheitsgründen kaum stattfinden dürften. Und das mitten in einer Pandemie

Zu sehen ist hier ein Paradebeispiel für die Melange aus vermeintlichen Sachzwängen und Pseuso-effizienten Kaufentscheidungen, wie sie Beschaffungen der Bundeswehr seit Jahren auf skandalöse Weise auszeichnen.

Anmerkungen

1 Kärcher Futuretech: Kärcher Futuretech gewinnt Auftrag in zweistelliger Millionenhöhe, Pressemitteilung vom 19.04.2021.

2 Fahr, Emma: Zivile Logistik für den Krieg. Praxis und Probleme von Outsourcing in der Bundeswehr. IMI-Studie 05/2020, imi-online.de.

3 Kärcher Futuretech (19.04.2021).

4 Kärcher Futurertech (2021): Referenzen Militär. URL: karcher-futuretech.com

5 Tagesschau: Rüstungsausgaben auf Rekordniveau, tagesschau.de (27.04.2021).

6 Neue modulare Zeltsysteme für rund 76.000 Soldaten, www.bundeswehr-journal.de (09.04.2021).

7 Bundesministerium der Verteidigung (2021): VJTF – die Speerspitze der NATO. URL: bmvg.de

8 Wiegold, Thomas (2021): Die deutsche NATO-Speerspitze: With a little help from my friends, Teil 3. In: augengeradeaus.de URL: augengeradeaus.net

9 Ebd.

10 Bundeswehr: Die Einsätze der Bundeswehr, Stand: April 2021. URL: bundeswehr.de.

11 u.a. Chauvistré, Eric: Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2009, S. 163.

12 Vgl. Bundeswehr (2021): Personalzahlen der Bundeswehr, Stand: April 2021. URL: bundeswehr.de.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de