Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2021/020

Repression gegen die Hafenarbeiter*innen in Genua

Jacqueline Andres (20.04.2021)

Vor zwei Jahren, am 20. Mai 2019, sorgten die Hafenarbeiter*innen in Genua mit einem antimilitaristischen Streik für Schlagzeilen: Sie verhinderten die Verladung von Generatoren für das saudische Militär auf dem saudi-arabischen Frachter Bahri Yanbu im Hafen von Genua, um somit nicht zu Kompliz*innen des Kriegs in Jemen zu werden. Zehn Tage zuvor weigerten sich Hafenarbeiter*innen im französischen Le Havre, die Bahri Yanbu zu beladen. Nachdem das Schiff unverrichteter Dinge von Genua aus Fos Sur Mer bei Marseille ansteuerte, streikten auch dort die Dockarbeiter*innen. Abgesehen von Hafenarbeiter*innen engagieren sich auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Gruppen aus der Friedensbewegung gegen die militärische Nutzung der jeweiligen Häfen.

Die Liste der Häfen, in denen es zu Protesten, Streiks und rechtlichen Vorgehen gegen das Andocken unterschiedlicher Bahri-Frachtschiffe kam, die Rüstungsgüter aus Nordamerika und Europa transportieren, ist mittlerweile lang geworden.  Im Jahr 2018 begannen Streiks in Bilbao, im Jahr 2019 kamen Le Havre, Santander, Genua und Fos sur Mer[1] hinzu und im Jahr 2020 Antwerpen,[2] Tilbury und Cherbourg.[3]

Nach dem ersten erfolgreichen Streik im Mai 2019 folgten weitere Demonstrationen, Sit Ins und Streiks in Genua. So verhinderten die Hafenarbeiter*innen in Genua im Juni 2019 erneut, dass die für das saudische Militär bestimmten Generatoren der Firma Teknel Defence auf die Bahri Yanbu verladen wurden.[4] Sie fordern: Geschlossene Häfen für den Krieg, offene Häfen für Migrant*innen. Das autonome Kollektiv der Hafenarbeiter*innen von Genua  (CALP) rief im Juni 2020 dazu auf, den Hafen für das Rettungsschiff Sea Watch 3 zu öffnen, welches zu diesem Zeitpunkt bereits seit Wochen mehr als 40 gerettete Menschen an Bord hatte und nach einem Hafen suchte. Der damalige Innenminister, Matteo Salvini, verbat der Sea Watch 3 und weiteren zivilen Seenotrettungsschiffen damals in rassistischer und populistischer Manier das Anlegen in italienischen Häfen.[5]

In einem Interview mit dem Jocobin Magazine betont der Hafenarbeiter Giacomo Marchetti, die antimilitaristische Tradition im Hafen von Genua: „Der Hafen von Genua stand schon immer im Zentrum der Solidaritätsaktionen gegen imperialistische Kriege – vom Krieg in Vietnam bis hin zum Krieg in Irak, ganz zu schweigen vom Widerstand gegen Pinochet in Chile“.[6]

Hausdurchsuchungen und drohende Haftstrafen

Am 22. Februar 2021 fanden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen bei fünf Genoss*innen des CALP statt.[7] Die Anschuldigungen beziehen sich auf die Beteiligung der Angeklagten an antimilitaristischen Aktivitäten gegen den Waffenhandel im Hafen von Genua und auf ihre Teilnahme an antifaschistischen Aktionen als Teil der Gruppe Genova Antifascista.[8] In einem Interview mit Dinamo Press beschreibt José Nivoi, einer der fünf Angeklagten und Mitglied der Basisgewerkschaft USB sowie des CALP, den Polizeieinsatz: „Gegen fünf Uhr morgens tauchten Agenten von DIGOS [Staatsschutz] bei einigen Arbeitern des Autonomen Kollektivs der Hafenarbeiter*innen auf und beschlagnahmten Computer, Mobiltelefone, Telefonkarten, politische Dokumente, Festplatten, USB-Speichersticks, kurz gesagt, alle möglichen Dinge, die sich auf antimilitaristische oder antifaschistische Aktivitäten beziehen könnten.“[9] Auch die Räume des CALPs auf den Docks wurden laut Nivoi durchsucht: „Hier hatten wir eine Niederlassung mit einem Fitnessraum darin, ein Büro für Meetings. Sie haben alles im Gebäude beschlagnahmt und uns faktisch geräumt“.[10]

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Angriffs auf die Verkehrssicherheit, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Sollten die Angeklagten für letztere Straftat verurteilt werden, riskieren die fünf Genoss*innen von CALP und Genova Antifascista zwischen drei und sieben Jahre Haft. Für den Vorwurf des Angriffs auf die Verkehrssicherheit durch das Werfen von „Gegenständen oder Wurfgeschossen auf fahrende Fahrzeuge“ drohen ihnen drei Monate bis zwei Jahre Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft Genua behauptet, dass es sich bei den Bengalos, die das CALP bei dem Streik im Mai 2019 benutzte, um „tödlich modifizierte Gegenstände“[11] handelt. In einer Stellungnahme zur Repression betont das CALP die Absurdität des Vorwurfs: „“Tödlich“ seien [laut der Staatsanwaltschaft] die Bengalos und Rauchbomben, mit denen die Hafenarbeiter*innen auf die mit Waffen und Sprengstoff gefüllten Laderäume und Decks des Schiffes aufmerksam machen wollten, nicht die Waffen und Sprengstoffe, die auf dem Schiff geladen waren.“[12]

Die gravierenden Vorwürfe haben schon jetzt Folgen für die Betroffenen, wie Novio beschreibt: „Wenn man dann vor Gericht kommt, sind die Vorwürfe nicht haltbar, aber bis zum Verfahren halten einen die Justizbehörden in einer Art Pattsituation, und wenn man irgendetwas tut, was mit dem Sicherheitserlass sanktioniert werden kann, bekommt man Hausarrest, Sonderüberbewachung oder sogar Haftstrafen.“ Tatsächlich handelt es sich bei der Sonderbewachung um die schwerwiegendste Präventivmaßnahme des italienischen Staates, die die betroffenen Personen „in Gefängniswärter*innen ihrer selbst transformiert“[13]. Die Sonderüberbewachung dauert bis zu vier Jahre und ist verlängerbar. Vielerlei Auflagen gehen mit einher: U.a. muss man nachts zu Hause sein (das kann zu jeder Uhrzeit überprüft werden), der Wohnort darf nur mit polizeilicher Bewilligung verlassen werden und man darf nicht an öffentlichen Kundgebungen und Versammlungen teilnehmen.[14]

Kampf gegen den Waffenhandel im Hafen von Genua

Der Streik gegen den Frachter Bahri Yahru im Mai 2019 war der Auftakt von mehreren  Protestaktionen gegen den Waffenhandel im Hafen von Genua. So gab es letztes Jahr eine Demonstration gegen die Nutzung des Hafens von Genua durch einen weiteren mit Sprengstoff beladenen Frachter der Linie Bahri – die tödliche Ladung des aus den USA kommenden Schiffes war dieses Mal für den Krieg in Syrien bestimmt.[15] Auch am internationalen Aktionstag gegen den Krieg in Jemen am 25. Januar 2021 veranstaltete das CALP eine Kundgebung im Hafen.[16]

Laut des CALPs haben die saudischen Reeder*innen Druck auf die zuständige genuesische Agentur Delta und das Terminal GMT ausgeübt[17], welches von der weltweit tätigen C. Steinweg Gruppe betrieben wird. Diese ist übrigens auch in Hamburg und Duisburg vertreten.[18]

Die Strategie der Staatsanwaltsschaft, die auf eine Anzeige der Delta-Agentur hin nun gegen CALP ermittelt, bestünde darin, „den Kopf der Gruppen von organisierten Arbeiter*innen abzutrennen, die nicht nur einen Streik wegen Streitigkeiten führen, sondern einen politischen. Seit dreißig Jahren gab es in Genua keinen politischen Streik mehr, der in der Lage war, ein Unternehmen zu blockieren.“[19] Es sei die politische Natur des Streiks und die Tatsache, dass eine Gruppe von Arbeiter*innen es wage, darüber entscheiden zu wollen, was für Frachter in einem zivilen Hafen anlegen dürften. Zudem ist der Hafen von Genua einer der größten und wichtigsten Häfen Italiens. Auch wenn eines der sechs Bahri-Frachtschiffe behauptet, nur zivile Güter aus Genua zu laden, weigern sich die Arbeiter*innen des CALPs diesen diesen zu be – und entladen, denn „die alleinige Präsenz von Waffen und Sprengstoffen im Schiffsbauch [eines Bahri-Frachters] stellt ein Risiko für die Hafenarbeiter*innen und  die Anwohner*innen dar.“[20] Diese müssten in 500m Entfernung von Wohngegenden bleiben, doch der Hafen von Genua grenzt mit weniger als 300m an das dicht besiedelte Viertel Sanpierdarena an. Die Aktivist*innen fürchten sich vor einer unbeabsichtigten Explosion, wie der von Beirut im Jahr 2020.[21] Einen Evakuierungsplan im Falle einer solchen Katastrophe gibt es nicht.

Besonders heuchlerisch scheinen die Ermittlungen gegen das CALP in Anbetracht der Tatsache, dass die italienische Regierung selbst im Januar dieses Jahres und nur wenige Wochen vor den Hausdurchsuchungen, zum ersten Mal von dem Gesetz 185 Gebrauch macht, welches Waffenexporte an Staaten verbietet, die sich in bewaffneten Konflikten befinden oder deren Regierungen die internationale Menschenrechtskonventionen schwerwiegend verletzen. Seit Ende Januar 2021 dürfen vorerst offiziell keine Waffenexporte von Italien nach Saudi Arabien und in die VAE mehr stattfinden.[22] Doch dieses Gesetz regelt nicht nur den Export von Waffen, sondern gliechermaßen auch ihren Transit durch Italien. Laut Riccardo degl’Innocenti wird das jedoch im Hafen von Genua missachtet: „Die Bahri-Schiffe fahren weiterhin durch den Hafen, beladen mit Waffen, die dazu bestimmt sind, Leben und Eigentum in Syrien, Jemen oder Kaschmir zu zerstören. Es sind illegale Kriege nach internationalem Recht, aber der Verkehr wird von unseren Zoll-, Präfektur- und Hafenbehörden erlaubt, trotz des Gesetzes 185/90 über den Waffenhandel, das die Institutionen nicht einmal in Betracht ziehen. Jedes Mal, wenn ein Bahri [Frachter] landet, bewacht die Polizei das Terminal und die Hafenarbeiter*innen werden daran gehindert, die Gefährlichkeit der oft explosiven Fracht zu überprüfen.“[23]

In einem Video betonen ein Hafenarbeiter von CALP und eine Aktivistin von Genova Antifascista, dass die Staatsanwaltschaft von Rom ein Ermittlungsverfahren gegen Rheinmetall Waffe Munition (RWM) Italia S.p.A. und gegen die UAMA (die für Waffenexportlizenzen zuständige Agentur des italienischen Außenministeriums) aufgenommen hat. Mit den Streikaktionen wurden auch über Genua abgewickelte Waffentransporte von RWM Italia S.p.A. blockiert – Waffenlieferungen, die jetzt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Solidaritätsbekundungen

Die prominenteste Solidaritätsbekundung erhielt das CALP nur wenige Monate nach ihrem ersten Streik von Papst Franziskus. Nachdem der Präsidenten der Region Ligurien, Giovanni Toti, den Streikenden Heuchelei unterstellte, ergriff der Papst verteidigende Worte: „Christliche, europäische Länder, die über Frieden reden und von Waffen leben. Das nennt man Heuchelei. Ein Schiff voller Waffen kam in einem Hafen an, das eigentlich für den Jemen bestimmt war, und wir wissen, was im Jemen passiert. Die Arbeiter*innen im Hafen sagten ’nein‘. Sie haben das gut gemacht! [Es ist nur] ein Fall, aber er lehrt uns, wie wir vorwärts kommen.“[24]

Seit der Repression erreichten das CALP und Genova Antifascista zahlreiche Solidaritätsbekundungen u.a. aus Italien und der EU. So zum Beispiel aus den Basisgewerkschaften USB[25] und SI Cobas[26], von unterschiedlichen Antimilitarist*innen aus Genua[27], Sardinien (Sardegna Pulita und Donne Ambiente Sardegna) sowie von der italienischen und europäischen Sektion der Women’s International League for Peace and Freedom.[28] Solidarität wurde auch von der Internationalen Sozialistischen Alternative in Moskau ausgesprochen.

In Bern demonstrierten Aktivist*innen in Solidarität mit den von Repression betroffenen Hafenarbeiter*innen in Genua und den angeklagten Aktivist*innen auf Sardinien[29] vor der italienischen Botschaft und dem Konsulat. Betont wurde bei dem Protest, dass die Waffenproduzenten wie RWM Italia S.p.A. angeklagt werden sollten, „welche die tödlichen Waffen und Sprengstoffe herstellen“.[30]

Zur Finanzierung der zu erwartenden Prozesskosten können bei CALP Solidaritäts-Tshirts zum 10-jährigen Bestehen des Kollektivs bestellt werden.[31]


[1]     Katy Fox-Hodess: How Dockworkers Are Fighting the Arms Trade, thenation.com, 16.7.2019

[2]     Belgium: activists successfully stop Saudi arms ship from docking in Antwerp, wri-irg.org, 3.2.2020

[3]     Resisting the Saudi Arms Ship, caat.org.uk, 17.2.2020

[4]     Un porto non si apre, un altro porto si chiude, calp238599372.wordpress.com, 9.8.2019

[5]     Sea Watch, il Calp: “Se farà rotta a Genova apriremo il nostro porto e lo bloccheremo ancora una volta ai razzisti”, genova24.it, 25.6.2019

[6]     We Won’t Load Your Ships of Death, jacobinmag.com, 25.6.2019

[7]     Genova: Indagati 5 portuali del Calp per le proteste contro le le navi delle armi, osservatoriorepressione.info, 22.3.2021

[8]     Genova Antifascista bemüht sich u.a. gegen die wachsende Präsenz von neonazistischen Gruppen wie Casapound, Forza Nuova und Lealtà Azione in der Stadt vorzugehen.

[9]     Nicolò Arpinati: A Genova, lavoratori portuali nel mirino della procura, dinamopress.it, 31.3.2021

[10]   Ebd.

[11]   Protestare contro la guerra e’ “associazione a delinquere”?, weaponwatch.net, 22.3.2021

[12]   Ebd.

[13]   Cos’è la sorveglianza speciale?, nobordersard.files.wordpress.com, Oktober 2019

[14]   Ebd.

[15]   Ebd.

[16]   Giornata internazionale contro la guerra in Yemen: a Genova presidio a ponte Etiopia, genova24.it, 15.1.2021

[17]   Protestare contro la guerra e’ “associazione a delinquere”?, weaponwatch.net, 22.3.2021

[18]   C. Steinweg – GMT S.r.l, italy.steinweg.com

[19]   Arpinati, 31.3.2021

[20]   Ebd.

[21]   Ebd.

[22]   Jacqueline Andres: Ein Etappensieg gegen Rheinmetall?, imi-online.de, IMI-Standpunkt 2021/005, 8.2.2021

[23]   Il porto dell’ipocrisia, weaponwatch.net, 25.3.2021

[24]   Ebd.

[25]   USB a fianco dei compagni del CALP di Genova. Le intimidazioni non fermeranno la lotta contro il traffico d’armi, il movimento antifascista e l’azione sindacale nel porto, usb.it, 22.3.2021

[26]   Piena solidarietà ai compagni Calp! Contro la repressione, la lotta: il 26/3 sciopero nazionale, sicobas.org, 25.3.2021

[27]   Solidarietà è lotta, ilrovescio.info, 27.3.2021

[28]   Perquisizioni Digos ai componenti del Calp Genova. Solidarietà di ‘Sardegna Pulita’, ‘Donne Ambiente Sardegna’, ‘Wilpf-Italia’ e ‘Wilpf Europa’, cagliaripad.it, 22.3.2021

[29]   Interview zur Repression gegen Antimilitarismus in Italien, imi-online.de, 6.4.2021

[30]   Solidarität mit C.A.L.P. und Azione Antifascista in Genua, barrikade.info, 10.4.2021

[31]   Gianni del Panta: Solidarietà ai portuali di Genova, perunaltracitta.org, 6.4.2021. Ein T-Shirt kostet 15€. Bei Interesse können T-Shirts per Email (collettivoautonomoporto [at] gmail.com) oder via Facebook (CalpGe) und Instagram (calp_genova) bestellt werden.

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