IMI-Standpunkt 2020/057

AKKs Transatlantischer New Deal

Flagge zeigen Richtung Biden-NATO

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. November 2020

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Am heutigen Dienstag schickte sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer an, vor der Bundeswehr-Universität in Hamburg ihre zweite Grundsatzrede zu halten. Schon ihre erste zentrale Standortbestimmung im November 2019 hatte es in sich, verband sich darin doch der Befund zunehmender Großmachtkonflikte mit der Forderung, Deutschland müsse sich hier künftig stärker militärisch engagieren:

„Wir erleben derzeit eine Rückkehr der Konkurrenz großer Mächte um Einflusssphären und Vorherrschaft. […] Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen. […] Dazu gehört letztendlich auch die Bereitschaft, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen.“

Nun, ziemlich genau ein Jahr später, beschäftige sich Kramp-Karrenbauer bei ihrem zweiten grundsätzlichen Aufschlag vor allem mit der Frage, gegen bzw. mit wem sich Deutschland und Europa in dieser neuen Großmachtkonkurrenz positionieren müssten. Darin führte sie einen vor einigen Tagen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron begonnenen Streit weiter, indem sie ihre Ablehnung einer „Strategischen Autonomie“ Europas und damit einer weitgehenden militärpolitischen Abkopplung von den USA noch einmal deutlich betonte. Gleichzeitig unterbreitete sie im Lichte der US-Wahlen, dem (wahrscheinlich) neuen US-Präsidenten Joseph Biden einen neuen „Transatlantischen New Deal“, indem sie vor allem den Indopazifik als Kampfgebiet auserkor, wo Deutschland und Europa bereit sein müssten, den USA künftig stärker unter die Arme zu greifen.

Wirklich interessant wurde AKKs Rede an dem Punkt, an dem sie die Aussage traf, bestimmte Großprojekte könnten aus Kostengründen ggf. nicht finanziert werden – naheliegend ist hier, dass sie vor allem auf die beiden Kernvorhaben des europäischen Autonomieprojektes anspielte, die geplanten deutsch-französischen Großprojekte Kampfflugzeug und Kampfpanzer. Allerdings drängt sich dabei die Frage auf, ob hier vor allem innenpolitisch geblinkt wurde, um einem drohenden Stagnieren des Rüstungshaushaltes durch die Folgen der Coronakrise vorzubeugen.

Strategische Autonomie: Absage!

Als Strategische Autonomie wird gemeinhin die Fähigkeit bezeichnet, außen- und militärpolitisch weitgehend unabhängig eigene Interessen durchsetzen zu können. Der Begriff hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Karriere in Brüssel hingelegt und gilt heute vielen Protagonisten als das neue große Leitbild, an dem alle sicherheitspolitischen Überlegungen auszurichten seien. Ratspräsident Charles Michel etwa gab unlängst zu Protokoll (übersetzt mit deepl.com):

„Wir senden eine Botschaft nicht nur an unsere Bürger, sondern auch an den Rest der Welt: Europa ist eine Weltmacht. Wir sind fest entschlossen, unsere Interessen zu verteidigen. […] Europäische strategische Autonomie ist nicht nur ein Wort. Die strategische Unabhängigkeit Europas ist unser neues gemeinsames Projekt für dieses Jahrhundert. Das ist in unser aller Interesse. 70 Jahre nach den Gründervätern ist die strategische Autonomie Europas das Ziel Nummer eins unserer Generation. Für Europa ist dies der eigentliche Beginn des 21. Jahrhunderts.“

Die Debatte wurde vor einiger Zeit auch vom EU-eigenen „Institute for Security Studies“ (EUISS) aufgegriffen: Um ernsthaft von „Strategischer Autonomie“ sprechen zu können, bedürfe es ungleich größerer militärischer Kapazitäten als derzeit vorhanden, so der Befund. Dies sei nur möglich, wenn perspektivisch sogar mehr als die schwer umstrittenen 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgegeben werde, so das EUISS. 

Unter Verweis auf die Kosten machte nun auch Kramp-Karrenbauer aus ihrer Meinung keinen Hehl, dass es sich bei der „Strategischen Autonomie“ von vorneherein um einen Rohrkrepierer handelt:

„Das renommierte Londoner RUSI-Institut schätzt, dass die USA derzeit 75 Prozent aller NATO Fähigkeiten stellen. […] All dies zu kompensieren würde nach seriösen Schätzungen Jahrzehnte dauern und unsere heutigen Verteidigungshaushalte mehr als bescheiden daherkommen lassen. […] Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne die USA gewährleisten. […] Die Kosten einer strategischen Autonomie im Sinne einer vollkommenen Loslösung von den USA würden im Übrigen ungleich höher ausfallen, als die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zu denen wir uns selbst im atlantischen Bündnis verpflichtet haben.“

Transatlantischer New Deal: Flagge zeigen!

Anstatt auf eine – ohnehin aussichtslose – militärische Abkopplung von den USA zu setzen, gelte es laut Kramp-Karrenbauer vielmehr, den schwächelnden transatlantischen Partner künftig stärker militärisch zu unterstützen. Hier sieht sie das zentrale Angebot an die wohl bald ins Amt kommende Biden-Regierung und die Grundlage für einen „Transatlantischen New Deal“:

„Wir wollen, dass Europa für die USA starker Partner auf Augenhöhe ist und kein hilfsbedürftiger Schützling. Der neue amerikanische Präsident Joe Biden muss sehen und spüren, dass wir genau das anstreben. Ich halte es für wichtig, dass wir Europäer der kommenden Biden-Administration daher ein gemeinsames Angebot, einen New Deal, vorlegen. Für mich sind aus der Sicht der deutschen Verteidigungspolitik drei Eckpunkte dabei besonders wichtig: Dass wir unsere Fähigkeiten in der Verteidigung ausbauen und dafür die Verteidigungshaushalte auch in der Corona-Zeit zuverlässig stärken. Dass Deutschland sich zu seiner Rolle in der nuklearen Teilhabe in der NATO bekennt.
Dass beim Thema China dort, wo es mit unseren Interessen vereinbar ist, eine gemeinsame Agenda Europas mit den USA möglich und gewollt ist.“

Besonders die Konfrontation mit China war ebenfalls bereits Gegenstand der letzten AKK-Grundsatzrede, bereits damals betonte sie in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer größeren militärischen Präsenz im Indopazifik. Konsequenterweise war daher auch im Frühjahr 2020 geplant, die Fregatte Hamburg in die Region zu entsenden, bis die Coronakrise diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machte. Im September 2020 verabschiedete die Bundesregierung dann erstmals eine Indopazifik-Leitlinie, in der explizit eine größere militärische Präsenz in der Region angekündigt wird.

Auch in ihrer heutigen Grundsatzrede griff Kramp-Karrenbauer die Konfrontation mit China auf, wollte das Bestreben nach einer größeren deutschen Militärpräsenz aber explizit im Verbund und nicht gegen die USA verstanden wissen:

„Die Herausforderungen sind klar erkennbar, der internationale Systemwettbewerb auch. Einige Staaten stellen dem westlichen Modell der offenen Gesellschaft, der Demokratie und des Rechtsstaats ein anderes Modell entgegen, das mit unseren Werten in keiner Weise vereinbar ist. […] Ich freue mich, dass die Bundesregierung umfassende Leitlinien zum Indo-Pazifik beschlossen hat, die auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst. Die strategische Bedeutung der Region wird damit voll anerkannt. […] Deutschland wird präsenter, etwa durch mehr Verbindungsoffiziere und im kommenden Jahr, so Corona das zulässt, durch ein Schiff der Deutschen Marine.  Wir werden Flagge zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner.“

Innenpolitisches Manöver?

Am bemerkenswertesten an Kramp-Karrenbauers Rede war allerdings, dass die Absage an die „Strategische Autonomie“ und die Liebeserklärung Richtung Washington mit einer rüstungspolitischen Aussage von potenziell erheblicher Tragweite verknüpft wurde:

„Das führt mich zu einem zentralen Punkt: Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. […] Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.“

Rüstungsvorhaben, die bereits eine „mittelfristige Finanzperspektive“ hätten seien der „Eurofighter“, der „Hubschrauber NH90“ und die „Eurodrohne“. Bemerkenswert abwesend in der Aufzählung sind aber die beiden Kernprojekte der „Strategischen Autonomie“: Das geplante deutsch-französische Kampfflugzeug (FCAS) und der geplante Kampfpanzer (MGCS) – und das, obwohl auch für diese Projekte bereits erhebliche Gelder freigemacht wurden.

Ob es sich dabei allerdings tatsächlich um eine ernsthafte Drohung handelt, zwei der seit Jahren wichtigsten Rüstungsgroßvorhaben einzustampfen, an denen nicht zuletzt deutsche Konzerne (KMW, Rheinmetall, Airbus…) verdienen sollen, erscheint doch recht fraglich. Auch von deutscher Seite hatten die Projekte – auch nach Aussagen Kramp-Karrenbauers – bislang stets eine hohe Priorität. Da es sich bei FCAS und MGCS ganz unabhängig von den Debatten um eine Strategische Autonomie um Schlüsselvorhaben zum Ausbau der deutschen und europäischen militärischen Schlagkraft handelt, ist es deshalb gut möglich, dass hier vor allem innenpolitisch geblinkt wurde. Und zwar mit der Kerndrohung, dass alle Absichtserklärungen, über einen Ausbau des Militärapparates größere weltpolitische Geltung zu erlangen, das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind, sollte sich der seit Jahren steile Anstieg der deutschen Rüstungsausgaben nicht trotz der Coronakrise ungebremst fortsetzen.