IMI-Standpunkt 2020/056

PESCO-Drittstaatenregelung

Home Run für die US-Rüstungsindustrie?

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 6. November 2020

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Im Dezember 2017 wurde die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (engl. „PESCO“) mit einem Ratsbeschluss ins Leben gerufen, seither gilt sie als wichtigster Baustein einer sich herausbildenden Europäischen Verteidigungsunion (siehe IMI-Studie 2019/6). Das Instrument soll den fragmentierten Rüstungssektor bündeln, indem explizit länderübergreifende Projekte forciert und so Konzentrationsprozesse vorangetrieben werden. Bis auf Malta und Dänemark nehmen alle EU-Staaten an der PESCO teil, in deren Rahmen bislang 47 Projekte aufgelegt wurden – darunter befinden sich schon heute einige Rüstungshochkaräter wie etwa die Entwicklung einer waffenfähigen Eurodrohne. Um die Teilnahme an den anvisierten länderübergreifenden Rüstungsprojekten zu versüßen, sollen PESCO-Projekte künftig bevorzugt von den Milliarden profitieren, die mit dem geplanten „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) im nächsten EU-Haushalt ab 2021 bereitstehen sollen.

Diese Aussicht rief vor allem die USA auf den Plan, die sich lautstark beschwerten, sie – bzw. ihre Rüstungsindustrie – dürfe hier nicht außen vorgelassen werden. In den darauf folgenden, teils heftig geführten Auseinandersetzungen, ob und wenn ja in welcher Form es zu einer Beteiligung von Drittstaaten kommen solle, wurde am 28. Oktober 2020 eine Einigung erzielt, die gestern mit Ablauf der Einspruchsfrist rechtskräftig wurde. Damit wurde eine Teilnahme von Drittstaaten zwar prinzipiell ermöglicht, einen Homerun für die US-Rüstungsindustrie stellen die neuen Regelungen damit aber noch lange nicht dar. Der auf EU-Militärpolitik spezialisierte Blog Bruxelles2 kommentierte die Einigung mit folgenden Worten (übersetzt mit deepl.com): „Dieses Thema war die letzte große Frage, die bei der Organisation der ständigen strukturierten Zusammenarbeit geregelt wurde. Es dauerte fast drei Jahre der Diskussion oder des Zögerns, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, ganz zu schweigen von einem diskreten oder lauten Druck. Am Ende war es die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die die Angelegenheit zum Abschluss brachte.“

PESCO-Giftpille?

Seit eh und je fordern die USA ihre Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks zwar zu größeren Rüstungsanstrengungen auf, sehen es aber gleichzeitig nicht gerne, wenn damit auch die Stärkung einer unabhängigen europäischen Rüstungsbasis einhergeht. Doch genau dies ist das Kernziel der PESCO, gemäß dem Ratsbeschluss vom Dezember 2017: „Mit diesen Fähigkeitenprojekten wird die strategische Autonomie Europas erhöht und die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung (European Defence Technological and Industrial Base – EDTIB) gestärkt“.

Bislang sind die USA mit Abstand der größte Waffenlieferant Europas: Zwischen 2014 und 2016 gingen Rüstungsexporte im Wert von 62,9 Mrd. Dollar in die Europäische Union, während in die Gegenrichtung lediglich 7,6 Mrd. Dollar exportiert wurden. Hier treibt die USA also zuerst einmal ganz profan die Sorge um, den US-Konzernen weiter einen hohen Anteil am europäischen Rüstungskuchen zu sichern. Allerdings geht es dabei auch um mehr: Die Rolle als mit Abstand wichtigster Waffenlieferant verschafft den USA auch einen erheblichen Einfluss auf die EU-Staaten – genau dieser Einfluss wird aber durch die PESCO und den mit ihr verknüpften EVF erheblich gefährdet. Darüber hinausgehend könnten mit der Stärkung des europäischen Rüstungssektors den US-Konzernen auch (noch) ernstere Konkurrenten im Kampf um die globalen Exportmärkte erwachsen.

Vor diesem Hintergrund sahen sich zwei hohe Pentagon-Beamtinnen im Mai 2019 dazu veranlasst, einen geharnischten Brandbrief an die damalige EU-Außenbeauftragte zu verfassen, über den es bei Spiegel Online hieß: „Das Schreiben an Federica Mogherini ist nicht weniger als eine neue US-Kampfansage gegen die EU. Auf vier eng bedruckten Seiten kritisieren die beiden Rüstungs-Staatssekretärinnen Ellen Lord und Andrea Thompson zwei zentrale Projekte der EU – die Abmachungen für mehr Kooperation bei der Verteidigung und den milliardenschweren Fonds zur Entwicklung von EU-Rüstungsprojekten. […] Konkret moniert Washington, dass US-Firmen von den geförderten Entwicklungsprojekten durch ‚Giftpillen‘ in den entsprechenden Verträgen ausgeschlossen seien. […] Die Heftigkeit des Briefs hat viele Diplomaten bei der EU überrascht. Zwar kannte man die Vorbehalte gegen den Versuch, sich im Rüstungsbereich unabhängiger zu machen. Nun aber droht Washington mit Strafmaßnahmen, wenn die EU nicht einlenkt.“

Über Washingtons Motive in diesem Zusammenhang macht man sich in Brüssel keine Illusionen. In einer eilends auf den Brandbrief und die damit einhergehenden Debatten angerfertigten Analyse des hauseigenen „Institute für Security Studies“ der Europäischen Union (EUISS) wurden die „rüden und fragwürdigen Anschuldigungen“ kritisiert und festgehalten: „Im Kern befürchtet Washington, dass EVF und PESCO US-Firmen aus dem europäischen Markt aussperren könnten.“

Auch Ulrike Franke vom „European Council on Foreign Relations“ gelangte zu einer ähnlichen Einschätzung: „Meine persönliche Ansicht ist, dass der Hauptgrund, warum die Amerikaner diesen ganzen Anstrengungskatalog – insbesondere den Verteidigungsfonds – so negativ sehen, die Sorge ist, dass aus diesem Fonds und aus den PESCO Projekten sich Hochtechnologieprojekte entwickeln könnten, bei denen sie dann, entweder nicht dabei sind – also bei denen amerikanische Unternehmen nicht dabei sind – oder wenn sie dabei sind, dass sie – nach den aktuellen Regelungen – die Handhabe über Exporte verlieren.“

Ratsbeschluss zur Dritstaatenbeteiligung

Über die Frage einer Beteiligung von Drittstaaten wurde in den letzten beiden Jahren hart verhandelt – der für gewöhnlich gut informierte Blog Bruxelles2 gab dabei an, dass sich vor allem Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland gegen die teils recht raubeinigen US-Versuche sträubten, sich Zugang zu verschaffen. Schließlich wurde am 28. Oktober 2020 im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) eine Einigung erzielt und nach einer Sperrfrist ist nun der „BESCHLUSS DES RATES über die allgemeinen Bedingungen, unter denen Drittstaaten in Ausnahmefällen eingeladen werden könnten, sich an einzelnen SSZ-Projekten zu beteiligen“ seit dem 5. November 2020 rechtskräftig.

Der Beschluss ermöglicht zwar grundsätzlich eine Beteiligung von Drittstaaten, errichtet dafür aber doch relativ hohe Hürden. Am Gesamtkonstrukt PESCO kann nicht teilgenommen werden: „Es ist eine Struktur, die ausschließlich den Mitgliedern der Europäischen Union vorbehalten ist“, zitiert Bruxelles2 einen mit der Angelegenheit befassten Diplomaten. Vielmehr sieht der Ratsbeschluss vor, dass ein Drittstaat einen „Antrag auf Teilnahme“ nur für ein bestimmtes PESCO-Projekt stellen kann (Artikel 2, Absatz 1). Daraufhin müssen sich die am Projekt beteiligten EU-Staaten einigen, „dass sie den Drittstaat, der den Antrag gestellt hat, zur Teilnahme am Projekt einladen möchten“ und „den Umfang, die Form und gegebenenfalls die Phasen der Teilnahme des Drittstaats“ beschließen (Artikel 2, Absatz 3a und 3b).

Sind diese Hürden genommen, geht es weiter, denn anschließend müssen sich alle PESCO-Staaten – also alle EU-Mitglieder außer Dänemark und Malta – mit dem Antrag befassen und „gemäß Artikel 46 Absatz 6 EUV [befinden] ob die Teilnahme des Drittstaats am Projekt die Bedingungen nach Artikel 3 des vorliegenden Beschlusses erfüllt.“ (Artikel 2, Absatz 4) Im Kern bedeutet dies, dass die PESCO-Staaten jegliche Beteiligung eines Drittstaates einstimmig beschließen müssen, also umfassende Blockademöglichkeiten ermöglicht wurden.

In den „Bedingungen nach Artikel 3“ wird dabei grundsätzlich festgehalten, ein Drittstaat könne „in Ausnahmefällen zur Teilnahme an einem SSZ-Projekt eingeladen werden“, vorausgesetzt, er „teilt die Werte, auf die sich die Union gründet“ (Artikel 3a).

Ferner muss der Drittstaat einen „erheblichen Mehrwert für das Projekt“ leisten und „die Mittel, die er in das Projekt einbringt, [müssen] die von den – an der SSZ teilnehmenden – Mitgliedstaaten gebotenen Mittel ergänzen“ (Artikel 3b). Im Klartext, alles was die PESCO-Staaten selber machen können, sollte nicht an externe Akteure vergeben werden.

Außerdem wird klargestellt, dass eine Drittstaatenbeteiligung nicht automatisch zur Folge hat, dass sich dann aus dem anvisierten Europäischen Verteidigungsfonds bedient werden kann. Mit Blick auf den EVF-Vorläufer EDIDP heißt es: „Die Teilnahme von Drittstaaten an einem SSZ-Projekt bedeutet nicht, dass Rechtsträger eines Drittstaats zwangsläufig Zugang zum Europäischen Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich (EDIDP) oder anderen einschlägigen Unionsinstrumenten haben.“ (Erwägung 11)

ITAR: Seitenhieb auf die USA

Eine Passage im Ratsbeschluss ist besonders mit Blick auf die USA von Interesse: Eine „Teilnahme darf nicht zu Abhängigkeiten von diesem Drittstaat“ führen, heißt es im Ratsbeschluss. Weiter sei eine Beteiligung indiskutabel, wenn die „Ausfuhr oder der operative Einsatz der im SSZ-Projekt entwickelten Fähigkeit verhindert würden“ (Absatz 3d).

Hier geht es wohl um die ITAR-Vorschriften, die den USA bislang umfassende Möglichkeiten geben, europäische Waffenexporte, in denen US-Technik verbaut ist, zu torpedieren und so ihren eigenen Konzernen den Markt freizuhalten. Die Welt schrieb hierzu im August 2020: „Europas Rüstungskonzerne wollen beim Bau von Kriegsgerät möglichst keine US-Technik mehr verwenden, auch um sensible Informationen zu schützen. Dies betrifft unter anderem den Bau von Hubschraubern, das neue Sturmgewehr der Bundeswehr wie auch den FCAS-Kampfjet, der ab 2040 fliegen soll. Hintergrund ist, dass sich die USA bisher über die sogenannten Itar-Vorschriften (International Traffic in Arms Regulations) die Möglichkeit sichern, bei Produkten mit US-Technik die Kontrolle zu behalten und gegebenenfalls Exporte einzuschränken.“

Von derlei Auflagen wolle sich die europäische Rüstungsindustrie befreien, so heißt es in einem weiteren Welt-Artikel: „Selbst wenn Produkt und Bauteile nicht in den USA gefertigt sind, wollen sie mitreden, wohin die Produkte gehen, ja sogar, wer daran mitarbeiten darf. Schließlich geht es um ihre Rüstungstechnik. […] Das Ziel ‚ITAR free‘ gilt in Europas Rüstungsbranche und Politik inzwischen als Zeichen für Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und die Suche nach Souveränität. […] So soll die Exportfähigkeit sichergestellt sein. […] [D]er Verkaufschef der Safran-Hubschraubersparte Florent Chauvancy [sagt]: ‚Mit ,ITAR free‘ und ohne Auflagen anderer amerikanischer Regulierungssysteme bekommt Europa mehr Freiheit, an wen Rüstungsprodukte geliefert werden.‘“

Die oben zitierten Passagen des Ratsbeschlusses, mit denen jegliche Exportbeschränkungen durch Drittstaaten kategorisch abgelehnt werden, sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Zu dieser Einschätzung gelangt auch Bruxelles2: „Die amerikanische Beteiligung bleibt eine gestrichelte Linie: Sie ist an die Einhaltung bestimmter Verpflichtungen gebunden, insbesondere an das Fehlen technologischer oder exportbezogener Beschränkungen (die berühmten ITAR-Regeln) und an eine Verwaltungsvereinbarung mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA).“

Fazit

Aus Sicht der PESCO-Staaten war eine Regelung der Drittstaatenbeteiligung schon allein deshalb erforderlich, weil es durchaus ein Interesse gibt, Großbritannien bei diversen Vorhaben mit ins Boot zu holen. Auch die USA dürften für das ein oder andere Projekt als durchaus nützlicher Partner gesehen werden – aber nicht um den Preis einer Schwächung des übergeordneten Zieles: dem Aufbau eines starken rüstungsindustriellen Komplexes. Und mit genau diesem Ziel im Hinterkopf wurden wohl die konkreten Bestimmungen des nun in Kraft getretenen Ratsbeschlusses zur Drittstaatenbeteiligung verfasst.

Und sollten sich die Dinge dennoch nicht wie gewünscht entwickeln, behalten sich die PESCO-Staaten zudem noch die Möglichkeit vor, einen Drittstaat wieder aus einem Projekt zu kegeln: „Sind ein oder mehrere Mitgliedstaaten der Auffassung, dass die Teilnahme eines Drittstaats an einem SSZ-Projekt die allgemeinen Bedingungennach Artikel3 des vorliegenden Beschlusses nicht mehr erfüllt, so können sie die Angelegenheit an den Rat verweisen. […] Auf dieser Grundlage erörtert der Rat gemäß Artikel46 Absatz6 EUV die Fortsetzung der Teilnahme des Drittstaats und trifft hierüber eine Entscheidung.“ (Artikel 6, Absatz 3)