IMI-Standpunkt 2020/048 - in: AUSDRUCK (September 2020)

KFOR: Ein Ende in Sicht?

von: Merle Weber | Veröffentlicht am: 7. September 2020

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Deutschland hat seine militärische Präsenz im Kosovo um ein weiteres Jahr verlängert. Dabei verschiebt sich das Tätigkeitsfeld der SoldatInnen vor Ort: statt direkter Beteiligung an Gefechten dominiert schon seit langem immer stärker der Aufbau einer kosovarischen Armee das Handeln der Bundeswehr. Dementsprechend haben NATO wie Bundeswehr ihre Truppenstärke im Land wesentlich reduziert. Am Horizont des unabhängigen Kosovos mit eigener Armee sieht die Bundesregierung die euro-atlantische Integration des Staates. Damit hätten Bundesregierung und NATO nach dem Zerschlagen Jugoslawiens und über 20 Jahren militärischer Präsenz auf dem Balkan Teile der geostrategischen Schlüsselregion nachhaltig in ihr Einflussgebiet eingegliedert.

KFOR um ein Jahr verlängert

Am 6. Mai 2020 hat die Bundesregierung entschieden, die Beteiligung der Bundeswehr am KFOR Einsatz der NATO im Kosovo um 12 Monate zu verlängern, war aber aufgrund des Parlamentsvorbehalts noch auf die Zustimmung des Bundestages angewiesen. Am 13. Mai beriet das Parlament über den Antrag der Regierung. Das Kosovo sei ein Kind Europas, und „wenn es ein Kind Europas ist, muss man sich auch darum kümmern“, begründete ein Sprecher der CDU/CSU den bewaffneten Einsatz.[1] AFD und Die LINKE äußerten als einzige Kritik an der militärischen Präsenz Deutschlands im Kosovo, der Antrag der Bundesregierung wurde aber dennoch angenommen.

Für zwölf weitere Monate Kriegseinsatz im Kosovo sind dabei weitere 16,6 Millionen Euro bewilligt[2]. Deutsche Soldaten waren schon Jahre vor dem Beginn der KFOR-Mission am 12. Juni 1999 im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens aktiv und auch an der völkerrechtswidrigen Bombardierung des Landes durch die NATO beteiligt. In der Bundesrepublik befeuerten unter anderem diese „out of area“ Aktivitäten der Bundeswehr eine Debatte, an deren Ende die Enttabuisierung deutscher Auslandseinsätze stand. Für das Nachkriegsdeutschland war das ein bedeutungsschwerer Schritt auf dem Weg zur heutigen „Armee im Einsatz“, die nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Auch heute steht die deutsche Präsenz im Kosovo immer noch unter dem Deckmantel der NATO. Seit über 20 Jahren läuft die KFOR-Mission nun schon ununterbrochen mit deutscher Beteiligung. NATO wie Bundeswehr haben in den letzten Jahren allerdings kontinuierlich ihre Truppenstärke im Kosovo verringert. 2009 leitete das Bündnis den Reduzierungsprozess ein, ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008. Aus 50.000 internationalen SoldatInnen sind inzwischen 3.400, aus 6.000 deutschen SoldatInnen weniger als 70 geworden. Mandatiert ist der Bundeswehreinsatz jedoch immer noch mit einer (flexiblen) Obergrenze von 400 SoldatInnen.[3] Aber auch diese wird gesenkt: 2017 lag sie noch bei 800.

Stockender Kontingentwechsel

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, um Erfahrungen zu sammeln und sich mit der Region vertraut zu machen. Die Militärlogistik der Bundesrepublik in den Balkan läuft, nach Angaben der Bundeswehr, wie geschmiert[4]. Die letzten zwanzig Jahre hätten dazu beigetragen, ein eingespieltes Transportsystem für Material und SoldatInnen in und aus dem Kosovo aufzubauen. Noch dazu nimmt der logistische Aufwand mit der drastisch reduzierten Truppenstärke spürbar ab. Aufgrund der Corona-Krise stockte dieses Jahr dennoch der Kontingentwechsel. Die SoldatInnen konnten nicht wie gewohnt auf den zivilen Luftverkehr zurückgreifen, und auch die sonst genutzten Landrouten kamen aufgrund von EU-Grenzschließungen nicht in Frage. Stattdessen wurden SoldatInnen und Waffen dieses Jahr per Luftwaffe in und aus dem Einsatz transportiert.[5] Nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die Corona-Maßnahmen zwar das zivile Leben lahmlegen, Kriegseinsätze aber weiterlaufen.

Eine Armee für das Kosovo…

Die offiziellen Aufgaben der Bundeswehr vor Ort sind inzwischen nicht mehr dieselben wie zu Beginn des Einsatzes. Die Bundeswehr gibt an, seit Jahren nicht mehr selbst in gewalttätige Konflikte eingegriffen zu haben. Inzwischen übernähme die Kosovo Security Force diese Aufgabe.[6] Statt direkter Gewaltanwendung bestimmt nun Einflussnahme aus zweiter Reihe die alltäglichen Tätigkeitsfelder der deutschen SoldatInnen im Kosovo. Dazu zählt unter anderem die „Unterstützung und Koordination der internationalen humanitären Hilfe und internationalen zivilen Präsenz“ und der Aufbau der Kosovo Security Forces. Die Bundeswehr selbst nennt darüber hinaus als eine ihrer Aufgaben, die „Rückkehr von Flüchtlingen“[7] zu „fördern“. Einzusetzende Fähigkeiten sind dabei die Übernahme von Führungspositionen, beziehungsweise das Beraten von Personen in solchen Positionen, Überwachung und Informationsbeschaffung, medizinische Versorgung sowie Unterstützung im Bereich Logistik, sogenannte humanitäre Hilfs- und Unterstützungsdienste und nach wie vor „Kampf und Kampfunterstützung“.[8]

Wie auch Außenminister Heiko Maas in seiner Rede im Bundestag betonte, liegt der Schwerpunkt des Einsatzes inzwischen auf der Beratung und Befähigung der kosovarischen Sicherheitskräfte.[9] Zentrale Aufgabe der Bundeswehr sei es, „den durch die NATO begleiteten und auf zehn Jahre angelegten Transitionsprozess der Kosovo Security Force (KSF) zu einer militärischen Kraft mit etwa 5.000 Angehörigen“[10] zu unterstützen. Dieser Prozess startete offiziell 2018, als das Kosovo Gesetze zur Weiterentwicklung der KSF verabschiedete. Seit Anfang 2019 sind diese Gesetze in Kraft, eine formell eigenständige kosovarische Armee ist also für das Jahr 2029 vorgesehen. Das durch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg aus dem serbischen Einflussgebiet herausgebrochene, 2008 einseitig zum unabhängigen Staat erklärte Kosovo soll nun also eine eigene Armee bekommen. Und zwar als „Vorbereitung zur weiteren Einbindung der Republik Kosovo in euro-atlantische Strukturen“.[11] Zuständig für den Aufbau der kosovarischen Armee ist das NATO Advisory and Liaison Team (NALT), das nicht offiziell Teil der KFOR-Mission ist, aber durch sie unterstützt wird. So zum Beispiel durch deutsche SoldatInnen, die im Rahmen von KFOR im Kosovo stationiert sind. Das NALT ist im Camp Film City angesiedelt und soll nach aktuellen Planungen der NATO im Laufe der nächsten Jahre an die dann scheinbar „perspektivisch … zu einem erfolgreichen Ende“ geführte KFOR-Mission anknüpfen.[12] Geführt wird das multinationale Team seit 2013 von einem deutschen Brigadegeneral. NALT arbeitet vor allem mit den KSF und dem kosovarischen Verteidigungsministerium. Die Rede ist von „capacity building“, also vom Fähigkeitsaufbau.[13] Die Bundeswehr berät die KSF vor allem im Bereich Logistik, Ausbildung und Aufbau eigener Sanitätsstrukturen.[14] Im Bereich medizinische Versorgung greift die Bundeswehr dabei auch auf den privaten Gesundheitsdienstleister Iquarus zurück.[15] Angehörige der KSF bildet die Bundeswehr auch in Deutschland aus, und zwar in den Bereichen Personalführung, Ausbildungsplanung, Logistik und ABC-Abwehr. Nach Angaben der Bundesregierung unterstützt sie „die KSF über die Beratung durch die NATO hinaus mit Materialabgaben.“[16] Darüber, um welches Material es sich dabei handelt, schweigt sie jedoch.

…das Kosovo für den euro-atlantischen Block

Nicht nur das Tätigkeitsfeld, auch die räumliche Präsenz der Bundeswehr hat sich verlagert: Wenn auch immer noch ganz Kosovo und darüber hinaus die Grenzregionen offizielles Einsatzgebiet der Bundeswehr[17] sind, konzentriert sich ihre Präsenz inzwischen auf die kosovarische Hauptstadt. Im Dezember 2018 räumte die Bundeswehr ihr Feldlager in Prizren und zog ihre Kräfte im NATO-Hauptquartier Camp Film City in Priština zusammen. Der Abzug der Truppen aus Prizren bedeutet jedoch keineswegs das Ende des deutschen Einflusses: Das ehemalige Feldlager soll zum deutsch-kosovarischen Innovations- und Technologiepark umfunktioniert werden, ein „Leuchtturmvorhaben“[18] der Entwicklungszusammenarbeit, wie die Bundesregierung schreibt. Dasselbe gilt für ganz Kosovo: die Reduzierung der militärischen Präsenz von Bundeswehr und NATO bedeutet kein Ende der euro-atlantischen Einflussnahme auf die serbische Provinz.

So soll das Kosovo zum Beispiel durch das seit dem 1. April 2016 existierende Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union wirtschaftlich in den Binnenmarkt eingebunden werden. Außenminister Maas kündigte an, die Bundesrepublik werde während ihrer EU-ratspräsidentschaft einen „Schwerpunkt“ auf den westlichen Balkan setzten. Die KSF soll perspektivisch als kosovarische Armee ihr Aufgabenfeld auch auf eine „Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen“ erweitern.[19] An die Stelle direkter militärischer Einflussnahme und Besatzung tritt zunehmend die indirekte politische und ökonomische Einflussnahme auf einen für unabhängig erklärten, aber fest in den Strukturen des euro-atlantischen Blocks verankerten Kosovo. So zumindest der Plan. Denn den Weg des Kosovo in die EU verstellen nicht unerhebliche politische Spannungen, allen voran die Tatsache, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo auch von mehreren EU-Mitgliedstaaten nicht anerkannt wird. Die Bundesregierung plant vor diesem Hintergrund als nächsten Schritt eine politische Einigung zwischen Serbien und Kosovo. Ob dem NATO-Block auch die formale Einbindung des Kosovo in euro-atlantische Strukturen gelingt, ist also alles andere als gesichert. Und auch ob die KFOR-Mission tatsächlich ihrem Ende entgegenläuft, steht noch infrage. Denn in den Augen der Bundesregierung kommt der NATO-Präsenz durch KFOR „mit Blick auf nachhaltige Stabilität und Integrationsbemühungen für die Westbalkanstaaten eine besondere Rolle zu. Dies gilt auch besonders im Kontext destabilisierender nationaler Einflussnahmen und angesichts von großen transnationalen Herausforderungen.“[20] Der Balkan ist historisch eine Region, um die Großmächte immer wieder konkurriert haben. Mit den zunehmenden Spannungen zwischen Russland und dem NATO-Block kommt der Region erneut eine geostrategische Bedeutung zu.

Anmerkungen


[1] Plenarprotokoll 19/159 des deutschen Bundestages vom 13.05.2020.

[2] Bericht des Haushaltsausschusses vom 27.05.2020, Drucksache 19/19606.

[3] Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo (KFOR) vom 06.05.2020, Drucksache 19/19001.

[4] Kontingentwechsel bei KFOR präventiv anders, bundeswehr.de vom 03.06.2020.

[5] ebd.

[6] Broschüre der Bundeswehr zu KFOR, abrufbar unter bundeswehr.de.

[7] Der Eintrag „Einsatz im Kosovo“, auf bundeswehr.de zuletzt aufgerufen am 13.08.2020.

[8] Drucksache 19/19001.

[9] Plenarprotokoll 19/159 des deutschen Bundestages vom 13.05.2020.

[10] Beschlussempfehlung und Bericht Auswärtiger Ausschusses vom 27.05.2020, Drucksache 19/19587.

[11] ebd.

[12] Drucksache 19/19001.

[13] Die NATO – Berater im Kosovo, bundeswehr.de vom 25.02.2020.

[14] ebd.

[15] Antwort der Bundesregierung auf Schriftliche Frage von Tobias Pflüger, Drucksache 19/19651.

[16] Drucksache 19/19001

[17] ebd.

[18] Plenarprotokoll 19/159 des deutschen Bundestages vom 13.05.2020.

[19] Drucksache 19/19001.

[20] ebd.