IMI-Standpunkt 2020/009 - in: AUSDRUCK (März 2020)

Drei Profiteure der digitalen Aufrüstung

von: IMI | Veröffentlicht am: 16. März 2020

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Atos

Atos bezeichnet sich selbstbewusst als „führender Anbieter für digitale Transformation“ und „europäische Nummer Eins bei Cloud-Diensten, Hochleistungsrechenzentren und bei der Cyber-Sicherheit“. Seine heutigen Dimensionen hat Atos v.a. durch strategische Übernahmen und Fusionen erreicht. Im Jahr 2000 fusionierte Atos mit dem niederländischen IT-Anbieter Origin und übernahm in den folgenden vier Jahren wesentliche Teile der internationalen Beratungsgesellschaft KPMG, die IT-Sparten von Karstadt und des multinationalen Öltechnik-Dienstleisters Schlumberger. Ab 2010 folgte eine zweite Welle spektakulärer Übernahmen, u.a. 2011 mit der IT-Dienstleistungssparte von Siemens (IT Solutions & Services) und 2014 des französischen Hardware-Herstellers Bull. 2015 kaufte Atos die IT-Sparte von XEROX auf, 2015 folgte mit Unify die Übernahme einer weiteren Siemens-Tochter und 2016 mit Syntel die eines großen IT-Dienstleisters aus den USA, der v.a. auch in Südasien eine führende Rolle spielt. 2016 und 2017 übernahm der Konzern vier US-Unternehmen, die sich auf IT-Dienstleistungen im Gesundheitswesen und entsprechende Beratung spezialisiert hatten. Diese zweite Fusionswelle erfolgte unter der Führung des ehemaligen französischen Industrieministers Thierry Breton, der direkt von seinem Posten als Atos-CEO zum neuen EU-Kommissar für Binnenmarkt, Rüstung und Weltraum berufen wurde.

Atos hat seit 2012 die IT-Infrastrukturen der Bundeswehr modernisiert und sich um eine Harmonisierung der Kommunikationssysteme aller Teilstreitkräfte und deren Anschlussfähigkeit an NATO-Netze bemüht. Es hat auch darüber hinaus konzeptionell in die Planung der militärischen IT-Struktur eingegriffen. Damit ist Atos zum wichtigsten privaten Cloud-Dienstleister der Bundeswehr avanciert, deren Rechenzentren das Unternehmen betreut. Für die französische Armee stellt Atos ähnliche grundlegende IT-Dienstleistungen zur Verfügung. In einem Werbevideo unter dem Titel „Collective Defense“ spricht der Konzern von einer „neuen Welt voller Konflikte“, in der das „Schlachtfeld“ digital geworden und mithin „Informationsdominanz“ der Schlüssel zum Erfolg sei. Anschließend preist es seine militärischen Dienstleistungen auf verschiedensten Ebenen an: Beim Datenmanagement in den Stäben, der Vernetzung der Soldat_innen, der taktischen Kommunikation und der Cybersicherheit. „Atos entwickelt die beste IT und passt sie militärischen Bedürfnissen an“, so erfahren wir am Schluss des Videos.

Obwohl Atos tatsächlich ein zentraler Akteur der Digitalisierung europäischer Streitkräfte ist, repräsentiert die Rüstung neben der „Homeland Security“ und der Bildung nur einen Teil seines Geschäftsbereichs „öffentliche Verwaltung“, der gleichberechtigt neben anderen Geschäftsbereichen wie der „Gesundheit“, der Produktion, Wissenschaft und Forschung usw. steht.

Thales

Thales ist nach Angaben des Friedensforschungsinstituts SIPRI das achtgrößte Rüstungsunternehmen der Welt. 2018 setzte der Konzern 9,47 Mrd. Dollar mit Rüstung um – bei einem Gesamtumsatz von 18,78 Mrd. Dollar. Thales entstand 1998 aus dem Zusammenschluss der Rüstungssparten von Alcatel, Dassault Électronique und Thomson-CSF. 25,71% der Anteile hält der französische Staat, 24,65% der Rüstungskonzern Dassault Aviation und 46,63% befinden sich in Streubesitz.

Der Hauptsitz von Thales Deutschland befindet sich in Ditzingen bei Stuttgart. Insgesamt gibt es acht deutsche Standorte mit 3.000 Beschäftigten und der Umsatz beträgt 650 Mio. Euro (2017). In Ditzingen werden beispielsweise Radar- und Funkgeräte sowie Nachtsichtbrillen für das Heer hergestellt. Bauteile von Thales finden sich jedoch in fast allen in NATO-Staaten hergestellten Kriegsgeräten, da sie v.a. der Navigation und Kommunikation dienen. Thales ist zudem beteiligt an mehreren großen Militärprojekten wie dem Kampfflugzeug Rafale und hält über ein Drittel an dem französischen Konzern Naval Group, der Unter- und Überwasserboote herstellt.

Das Unternehmen selbst wirbt mit der Anwendung seiner Produkte in Auslandseinsätzen. So stellt es die mobile computergestützte Überwachungstechnik (MobÜT) zur Sicherung von Feldlagern in Mali und bewirbt seine „binoculare Helmsysteme, die eine Steigerung der Leistung und eine Reduzierung der Müdigkeit der Piloten aufweisen. Mit über 1.000 ausgelieferten Einheiten unterstützt Thales die Hubschrauberpiloten bei langen Missionen wie in Mali oder Afghanistan u.a. auf den Plattformen von Tiger und NH90“. 2016 lieferte das Unternehmen den ersten Schießsimulator „Sagittarius Evolution“ (Wirkmittel 90 mm) an das einsatzerprobte Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw aus. Obwohl der Konzern nach eigenen Angaben „größten Wert auf ethisches Verhalten, Transparenz und Dialog gegenüber Kunden, Zulieferern sowie Beschäftigten, Aktionären, den Finanzmärkten und der Zivilgesellschaft“ legt, kam er bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. 2011 wurden Thales und der französische Staat zu einer Entschädigung in Höhe von 630 Mio. Euro an Taiwan verurteilt, weil der Konzern für den Handel mit Fregatten mehrere hundert Mio. Euro an illegalen Provisionen gezahlt hatte. Weitere Ermittlungen laufen wegen Waffendeals nach Südafrika. Bislang ist das Unternehmen auch in der Region Stuttgart eher von Fahrkartenautomaten der Bahn her bekannt, wo es den Zahlungsverkehr ermöglicht – weniger aber für seinen Rüstungsbereich. Im November 2019 wurde jedoch bei der Berufsinformationsmesse „Lange Nacht der Unternehmen“ in Stuttgart gegen den Waffenproduzenten Thales protestiert, um auf das tödliche Geschäft des Unternehmens aufmerksam zu machen.

Airbus

Obwohl das Unternehmen seinen Sitz offiziell in Frankreich hat, handelt es sich bei Airbus sicherlich um das wichtigste deutsche Rüstungsunternehmen, dessen Hauptsitz in Deutschland bei Ottobrunn liegt, wo während des Zweiten Weltkrieges die „Luftfahrt-Forschungsanstalt München“ aufgebaut wurde. Das Unternehmen wurde über Jahrzehnte auf der Grundlage politisch-militärischer Interessen und zwischenzeitlich unter dem Dach des Daimler-Konzerns vorwiegend aus deutschen und französischen Firmen zusammenfusioniert. Im Bereich Luft- und Raumfahrt führt für die Bundeswehr und die anderen europäischen Armeen kein Weg an Airbus vorbei, der Konzern ist (gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) unmittelbar in die Satellitenaufklärung und -kommunikation der Bundeswehr einbezogen. Somit stellt er das Rückgrat einer auf Auslandseinsätze ausgerichteten Kommunikationsstruktur der Bundeswehr. Diese „Systemrelevanz“ erklärt womöglich auch, warum die Politik dem Unternehmen jede Verzögerung und Kostenexplosion – wie beim Transportflugzeug A400M – verzeiht.

Auch an den großen aktuellen Rüstungsprojekten, welche die EU fit für das „digitale Schlachtfeld“ machen sollen, ist Airbus zentral beteiligt, darunter die sog. „Euro-Drohne“ und das „Future Combat Air System“, das aus einem bemannten Flugzeug bestehen soll, das im Verbund mit einer Vielzahl unbemannter Systeme – Satelliten und Drohnen – zusammen agieren soll. Führend ist Airbus aktuell – dank massiver öffentlicher Forschungs-Förderung – auch bei der Entwicklung sog. „Pseudo-Satelliten“: An Segelflugzeuge erinnernde Drohnen, die von Solarenergie getrieben monatelang in der Stratosphäre fliegen und weitgehend autonom und relativ punktgenau Gebiete überwachen können. Als europäisches Avantgarde-Unternehmen für Luft- und Raumfahrt war Airbus natürlich auch führend an der Weiterentwicklung von Avionik, Sensorik und der darin integrierten „künstlichen Intelligenz“ beteiligt, wofür das Unternehmen v.a. auch aus zivilen Budgets umfangreiche Fördermittel erhielt. Umso überraschender war es, dass Airbus diese Geschäftsbereiche unter dem Namen Hensoldt Holding GmbH 2017/2018 an die internationale „Beteiligungsgesellschaft“ KKR veräußerte. An den Standorten u.a. in Taufkirchen/Ottobrunn, Ulm, Friedrichshafen usw. ist davon kaum etwas zu merken: Beide Unternehmen sind in denselben Gebäuden auf denselben Geländen angesiedelt und geben dieselben ID-Karten aus. Neben dem Airbus-Logo steht nun eben das Hensoldt-Logo.