IMI-Analyse 2020/06

Nationaleuropäisches Rüstungsspagat

Das Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 14. Februar 2020

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Bei der Vergabe großer Rüstungsaufträge steckt die Bundesregierung zwischen Baum und Borke: Einerseits ist es das erklärte Ziel über europaweite Ausschreibungen zu einer „Konsolidierung“ („Bündelung“) des EU-Rüstungssektors beizutragen. Hierüber sollen größere Auftragsmargen und damit deutlich geringere Stückpreise erzielt und so eine größere militärische Schlagkraft pro investiertem Euro generiert werden. Auf der anderen Seite wird ein solches Verfahren selbstredend überall dort für besonders problematisch empfunden, wo deutsche Unternehmen keine marktbeherrschende Stellung innehaben und dementsprechend leer ausgehen könnten – dahinter stehen allerdings nicht allein industriepolitische Erwägungen, sondern nicht zuletzt auch das machtpolitische Interesse am Erhalt einer starken nationalen Rüstungsindustrie.

Die diesbezügliche Debatte nahm besonders im Vorfeld der Vergabe eines milliardenschweren Auftrags zum Bau von vier Mehrzweckkampfschiffen (MKS) 180 an Schärfe zu. Obwohl teils recht deutlich vor einem „Ausverkauf der deutschen Marine-Schiffbaukompetenz“ gewarnt wurde, wurde der Auftrag europaweit ausgeschrieben und ging dann Mitte Januar 2020 an das niederländisch geführte Konsortium „Damen Shipyards Group“. Dementsprechend hitzig fielen die Reaktionen der Industrie wie auch von Teilen der Gewerkschaften und der Politik aus. Diesen Spagat zwischen nationalen und europäischen „Sachzwängen“ adressiert nun das am 12. Februar 2020 als Gemeinschaftsproduktion von BMWI, BMVg, BMI, AA und BMBF veröffentlichte „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“.

Das Dokument ist gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zunächst einmal betont es zwar den Bedarf europaweiter Ausschreibungen, erweitert aber im gleichen Atemzug die bereits im Vorgänger eingeführten „Schlüsseltechnologien“ unter anderem um den „Überwasserschiffbau“. Die entscheidende Neuerung dabei ist, dass dieser Schritt mit einer Gesetzesänderung flankiert wird, die am 14. Februar 2020 abschließend den Bundesrat passierte und die es ermöglichen soll, besagte Schlüsseltechnologien künftig vom europäischen Ausschreibungsverfahren auszuklammern. Außerdem fasst das „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, wie der Name schon andeutet, die zuvor getrennt behandelten Bereiche der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie unter besonderer Berücksichtigung neuer Technologien und deren „Wert“ für künftige Militärprojekte zusammen. Und schließlich geht es dem Papier darum, die „Rahmenbedingungen für Unternehmen dieser Industrie zu verbessern.“ Ganz vorne auf dem dazu präsentierten Maßnahmenkatalog heißt es unter anderem, man wolle, „Exporte politisch flankieren.“

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich dabei allerdings, dass es der Bundesregierung nicht gelingen dürfte, die nationale und die europäische Ebene auszutarieren. In dem Maße, wie sie sich der einen zuneigt, verprellt sie die andere.

Protektionistischer Gegenwind

Beim MKS 180 handelt es sich um eines der wirklich großen künftigen Rüstungsvorhaben: Als Auftragsvolumen sind inzwischen im Bundeshaushalt 5,27 Mrd. Euro vorgesehen, weshalb es nicht verwunderlich war, dass es aus den Reihen der Politik eine Reihe von Fürsprechern gab, den Auftrag an ein deutsches Konsortium zu vergeben. So meldete sich Anfang 2020 etwa der FDP-Politiker Hagen Reinhold erbost zu Wort, nachdem im Jahr zuvor ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und Lürssen aus dem Bieterverfahren geworfen worden waren: „Mir ist schleierhaft, wie man das Konsortium TKMS/Lürssen, einen rein deutschen Bieter, vor Jahresfrist von der Vergabe ausschließen konnte.“

Nachdem dann im Februar 2020 auch noch „German Naval Yards Kiel“ leer ausging, schalteten sich umgehend diverse Ministerpräsidenten in die Debatte ein, wie der militärnahe Blog Augengeradeaus berichtete: „Mehrere Bundesländer, in denen Schiffe und Zulieferteile für die Deutsche Marine gebaut werden, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel dringend zu einem politischen Umsteuern aufgefordert: Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, müsse der Marine Überwasserschiffbau nunmehr umgehend als Schlüsseltechnologie definiert werden, schrieb Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther auch im Namen von Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern an die Kanzlerin.“

Auch die IG Metall Küste machte aus ihrem Unmut über die Entscheidung (einmal mehr) keinen Hehl. Sie veröffentlichte umgehend nach der Auftragsvergabe ein „Gemeinsames Positionspapier von IG Metall Küste und Betriebsräten von Werften und Zulieferern“, das sich mit der „Zukunft für den Marineschiffbau in Deutschland“ beschäftigte und das auch „Forderungen an Bundesregierung und Unternehmen“ enthielt. Die MKS-Vergabeentscheidung wird darin als „Fehlentscheidung“ gegeißelt: „Keine andere Nation würde bei einem Beschaffungsprojekt solcher Dimension und Bedeutung so vorgehen und damit Arbeitsplätze und Standorte sowie die technische Zukunftsfähigkeit der Branche im eigenen Land in Gefahr bringen. […] Der Auftrag MKS 180 ist entscheidend für die Sicherung der Grundauslastung der Werften und den Erhalt einer leistungsfähigen wehr- und sicherheitstechnischen Industrie in Deutschland.“

Und auch die Industrie wollte die Entscheidung buchstäblich nicht klaglos hinnehmen, wie u.a. das Handelsblatt berichtete: „Die Bundesregierung hat sich mit der Vergabe des Auftrags für den Bau neuer Fregatten an die niederländische Werftengruppe Damen juristischen Ärger eingehandelt. Der im Bieterverfahren unterlegene Schiffbauer German Naval Yards (GNY) will den Deal über Gerichte stoppen lassen, wie das Handelsblatt aus informierten Kreisen erfahren hat.“

Offensichtlich wird die Bundesregierung in dieser Angelegenheit von diversen einflussreichen nationalen Interessensgruppen erheblich unter Druck gesetzt – und das „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ ist dazu gedacht, dieses Problem zu lösen.

Militärisch-industrieller Spagat

Die 2020er Version des „Strategiepapiers der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ ist nicht die erste ihrer Art – für die Rüstungsindustrie wurde bereits 2015 ein entsprechendes Papier veröffentlicht, dem im Jahr darauf ein weiteres folgte, diesmal mit Fokus auf die „zivile“ Sicherheitsindustrie.

Auch in der aktuellen Variante wird an der „strategischen Bedeutung“ der heimischen Rüstungs- und Sicherheitsindustrie keine Zweifel gelassen: „Industrielle Kernfähigkeiten und strategisch relevante Entwicklungskapazitäten sind am Standort Deutschland und EU zu erhalten und zu fördern.“ Auf der anderen Seite wird allerdings auch klar bedauert: „Nicht zuletzt durch die unterschiedlichen nationalen Anforderungen ist die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der EU nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Insbesondere ein Verteidigungsbinnenmarkt ist faktisch noch nicht realisiert.“ Dies sei ein Problem, denn ein fehlender Rüstungsbinnenmarkt führe zu „erheblichen Nachteilen in Bezug auf Kosten, internatio­nale Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenarbeit.“

Europaweite Ausschreibungen hätten zur Folge, dass sich – wie in anderen Sektoren bereits vorexerziert – wenige Großunternehmen herausbilden und die Unternehmen in den kleinen und mittleren Staaten schlucken würden. Obwohl vieles dafür spricht, dass derlei Annahmen reichlich optimistisch sind, versprechen sich EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten von einem Rüstungsbinnenmarkt mit seinen höheren Auftragsmargen jährliche Einsparungen von 25 Mrd. bis hin zu 100 Mrd. Euro – die dann in zusätzliches militärisches Gerät gesteckt werden könnten.

Aus diesem Grund ist auch der Bundesregierung sehr an einem Rüstungsbinnenmarkt und der damit einhergehenden „Konsolidierung“ des Sektors gelegen. Im „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ heißt es dazu: „Die Bundesregierung wird daher durch verschiedene Maßnahmen auf eine verstärkte industrielle Konsolidierung innerhalb Europas hinwirken und erforderliche Prozesse im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen, um so ökonomische Synergien zu fördern und Kohärenz zu stärken.“

Bislang ist es möglich, die – an sich obligatorische – Pflicht zu europaweiten Ausschreibungen im Militärbereich über einen Verweis auf Artikel 346 des „Vertrags über die Arbeitsweise der EU“ (AEUV) zu umgehen. Er erlaubt es Aufträge unter Berufung auf zentrale sicherheitspolitische Bedenken rein national zu vergeben, eine Möglichkeit, von der die Mitgliedsstaaten rege Gebrauch machen, sodass bis heute 80 Prozent der europäischen Rüstungsaufträge national bedient werden.

Die Kommission drängt deshalb auf eine sparsame Anwendung von Artikel 346 AEUV und auch die meisten deutschen Unternehmen sind durchaus darauf erpicht, dass in Zukunft europaweit ausgeschrieben wird. Sie schätzen ihre Marktstellung – wohl zu Recht – so ein, dass sie zu den Profiteuren der hierdurch ausgelösten Fusions- und Übernahmewelle zählen dürften. Misslich wird das Ganze aber in den Sektoren, in denen die deutschen Unternehmen nicht oder nur bedingt konkurrenzfähig sind, die aber aus macht- wie auch industriepolitischen Gründen am Leben gehalten werden sollen.

Das Strategiepapier versucht dieses Problem nun mit dem Ansatz zu lösen, das Ziel sei die „Europäisierung von Rüstungsvorhaben unter Wahrung nationaler Schlüsseltechnologien.“

Protegierte Schlüsseltechnologien

Der wichtigste Part des Strategiepapiers betrifft den Bereich der Schlüsseltechnologien, die es zu „schützen“ gelte: „Die Verfügbarkeit der identifizierten sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien ist aus wesentlichem nationalen Sicherheitsinteresse zu gewährleisten, abhängig von der Einordnung der Technologie gegebenen­falls auch im Rahmen von europäischen/transatlantischen Kooperationen und diesbezüglichen bi- und multilateralen Vereinbarungen.“

Das Papier führt drei Kategorien ein: Als „Global“ werden Technologien eingestuft, die keinerlei Beschränkungen unterliegen und problemlos im Ausland beschafft werden können. „Europäisch“ beinhaltet die „Sicherung der Technologie in Kooperation mit europäischen Partnern“, schließt also faktisch selbst manche NATO-Verbündete, insbesondere die USA aus. Sechs Bereiche fallen hierunter, wobei jeder über Segmente verfügt, die global und solche die europäisch zugeordnet werden. Genannt werden hier Handfeuerwaffen, Dreh- und Starrflügler (v.a. Drohnen und Kampfflugzeuge), ungeschützte Fahrzeuge, ABC-Abwehr, Flugkörper/Lenkverteidigung sowie IT-/Kommunikationssoftware (siehe Grafik [nur im PDF]).

Was „Nationale Schlüsseltechnologien“ anbelangt, wurde bereits 2015 eine erste Liste erstellt, die nun erweitert und mit der „zivilen“ Sicherheitsindustrie vermischt wurde – neu hinzugekommen sind die Elektronische Kampfführung (EloKa), der Überwasserschiffbau, die Künstliche Intelligenz sowie IT- und Kommunikationstechnologie, die sich zu folgenden Bereichen gesellen: Geschützte/Gepanzerte Fahrzeuge, Unterwasserplattformen, Schutz, Sensorik, Vernetzte Operationsführung/Krypto.

Im Papier unterbleibt eine genauere Definition dieser teils doch recht vagen Kategorien, bei der rüstungsnahen „Europäischen Sicherheit und Technik“ (ESUT) werden aber einige Projekte genannt, die sich hier einordnen: „Ein neues Mehrzweckkampfschiff würde also nicht mehr zwingend europäisch ausgeschrieben werden, da der Marineschiffbau eine nationale Schlüsseltechnologie darstellt. Dasselbe gilt für ein neues Battle Management System (Vernetzte Operationsführung), Kampfpanzer (Gepanzerte Fahrzeuge) oder das mittlere geschützte Sanitätsfahrzeug (Geschützte Fahrzeuge), die alle rein national zu vergeben wären. Zumindest, wenn die Aussagen des Strategiepapiers belastbar sein sollen.“

Für die rüstungsnahe ESUT ist hier der entscheidende „Lichtblick“, dass der bisherige Papiertiger Schlüsseltechnologien Zähne in Form einer Gesetzesänderung erhalten soll.

Gesetzlicher Rüstungsprotektionismus

Bereits im Oktober 2019 verabschiedete das Kabinett Änderungen zum „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB) und zur „Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit“ (VSVgV). Die Änderungen passierten am 30. Januar den Bundestag und am 14. Februar 2020 den Bundesrat und ermöglichen es nun, rüstungsindustrielle Kernbereiche von der Pflicht einer europaweiten Ausschreibung nach Artikel 346 AEUV auszuklammern.

Konkret heißt es im „Entwurf  eines  Gesetzes  zur  beschleunigten  Beschaffung  im  Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“: „Dem § 107 Absatz 2 werden folgende Sätze angefügt: ‚Wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union können insbesondere berührt sein, ‚wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft.‘“

Im „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ wird auch deutlich, dass über das Gesetz weitgehende Ausnahmeregelungen von den Verpflichtungen aus Artikel 346 AEUV eingeführt werden sollen: „Die vom europäischen und nationalen Gesetzgeber eingeräumten Spielräume in der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sollen genutzt werden, um die wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen, insbesondere den Erhalt nationaler Souveränität, zu wahren. Um dies im deutschen Vergaberecht zu konkretisieren, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf eingebracht, der ‚sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien‘ als möglichen Fall der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen nach Artikel 346 AEUV im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aus­drücklich benennt.“

Mit anderen Worten: Der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt soll überall dort über das Vehikel der Schlüsseltechnologien ausgesetzt werden, wo die Bundesregierung Sorge hat, dass deutsche Unternehmen ins Hintertreffen geraten könnten.

Exportförderung und weitere Unterstützungsmaßnahmen

Ein weiteres „Highlight“ des Strategiepapiers ist die systematische Vermischung von „zivilen Sicherheitstechnologien“ und „militärischen Verteidigungstechnologien“. Wie bereits erwähnt, schlägt sich dies allein schon darin nieder, dass die 2015 und 2016 jeweils getrennt veröffentlichten Strategiepapiere nun in einem Dokument zusammengefasst wurden.

Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Rüstungsinnovationen durch die fortschreitende Digitalisierung in immer stärkerem Maße aus der zivilen (Sicherheits-)Industrie kommen und nutzbar gemacht werden sollen. Im Strategiepapier heißt es dazu: „Eine immer größere Bedeutung nimmt dabei im Rah­men der fortschreitenden Digitalisierung die Informationstechnologie ein, durch die zunehmend neue zivile Techno­logien im Bereich der Sicherheit und Verteidigung zur Anwendung kommen. […] Fortschritte in der Forschung und der Entwicklung neuer Technologien, wie z. B. in der Digitalisierung, im Bereich der Künstlichen Intelligenz, unbemannter Systeme, der Hyperschalltechnik, der Biotechnologien und der Cyberinstrumente, werden grundlegende Auswirkungen auf die sicherheits- und verteidigungsrelevanten Systeme der Zukunft haben.“

Aufgrund der Bedeutung des Sektors wird hier eine Art Topf zum „Schutz“ der „digitalen Souveränität“ aufgelegt: „Zur Erlangung einer digitalen Souveränität und Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen soll die Abhängigkeit von ausländischen Informationstechnologien reduziert werden. Soweit die Souveränität bei heute bereits identifizierbaren, aber erst zukünftig in der Masse relevanten und produktiv eingesetzten Technologien gesichert werden muss, muss es möglich sein, einem Ausverkauf bereits in frühen Stadien entgegenzuwirken. […] Die Bundesregierung arbeitet an entsprechenden Ansätzen, dieses Ziel zu erreichen. Dazu soll insbesondere die Einrichtung eines IT-Sicherheitsfonds vorangetrieben werden, um aktiv unerwünschten Übernahmen begegnen zu können.“

Überhaupt kündigt das Strategiepapier allerhand Maßnahmen an, um die scheinbar darbende Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und ihre Schlüsselindustrien zu fördern: „Zum Erhalt bzw. zur Stärkung der sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien wird die Bundesregierung diese vor allem bei den unten genannten Maßnahmen in den Bereichen Forschung, Entwick­lung und Innovation (V.1.), Produktion (V.2.), Beschaffung (V.3.), Exportunterstützung und -kontrolle (V.4.) sowie Investitionskontrolle (V.5.) besonders fördern und schützen.“

Besonders die Passagen zur Exportförderung lassen wenig an Klarheit vermissen. So werde auf EU-Ebene eine „Harmonisierung der exportkontrollpolitischen Entscheidungen im Bereich der Rüstungs- wie der Dual-Use-Güter innerhalb der EU angestrebt.“ Dabei lehren die bisherigen Erfahrungen, dass hier mit „Harmonisierung“ stets die Angleichung der europaweiten Exportvorschriften auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gemeint ist. So soll es möglich sein, die – zumindest im Verhältnis – relativ strengen deutschen Vorschriften über den EU-Umweg zu schleifen.

In der Tat steht die Exportförderung ganz oben auf der Prioritätenliste – das Strategiepapier benennt das dahinterstehende Kalkül in selten gelesener Deutlichkeit: „Exporte, insbesondere in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, liegen im sicherheits- und verteidigungspo­litischen Interesse Deutschlands. Sie tragen bei zu höheren Stückzahlen und damit ggf. geringeren Beschaffungs- und Nutzungskosten der zivilen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und der Bundeswehr. Zudem unterstützen sie das Ziel einer höheren Interoperabilität mit verbündeten Streitkräften und fördern Beschäftigung und Technologieentwicklung in Deutschland. Die Bundesregierung wird daher Exportaktivitäten in Deutschland ansässiger Unternehmen, insbesondere in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, nach sorgfältiger Einzelfallprüfung über außenwirtschaftliche und sonstige Instrumente unterstützen.“

Nationale Rechnung ohne den europäischen Wirt?

Rüstungsnahe Akteure sehen insbesondere in der Möglichkeit, europaweite Ausschreibungen vermeiden zu können, einen großen Fortschritt für die hiesige Industrie. Für interessierte Kreise scheint die Angelegenheit klar zu sein – es wird einfach überhaupt nicht mehr europaweit ausgeschrieben. So interpretiert beispielsweise der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, das Ganze: „Wenn das definiert wird [die Schlüsseltechnologien], heißt das auch automatisch, dass auf Ausschreibungen im großen Stil verzichtet werden kann”.

Allerdings hat die Kommission in den letzten Jahren mehr als deutlich gemacht, dass eine Umgehung von Artikel 346 AEUV nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgen darf. Sie hat sogar eine Reihe von Mahnungen an Mitgliedsstaaten verschickt, die ihrer Auffassung allzu schnell dabei waren, sich auf nationale Sicherheitsinteressen zu berufen, um die einheimische Industrie zu schützen.

So könnte es sein, dass auch bei den Schlüsseltechnologien nur mit Einzelfallprüfungen und dabei auch relativ sparsam hantiert werden könnte, was wiederum auf Kritik bei Industrie und Gewerkschaften stoßen dürfte. Sollte sich die Bundesregierung aber dazu entscheiden, den Großteil ihrer Aufträge tatsächlich vom europäischen Rüstungsbinnenmarkt auszuschließen, dürfte die Frage spannend werden, wie sie denn ihre „Verbündeten“ in der EU davon überzeugen will, es ihr nicht gleichzutun. Da der Schaffung eines EU-Rüstungsmarktes aber mindestens ebenso große Bedeutung wie dem Erhalt der Schlüsselindustrien zugemessen wird, steht die Bundesregierung vor einem Dilemma, das sie auch mit dem Strategiepapier nicht aufgelöst bekommt.