Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Pressebericht - in: Schwäbisches Tagblatt, 2.12.2019

Eine neue Rüstungsspirale greift bis in den Weltraum aus

IMI-Kongress: Die Tübinger Informationsstelle Militarisierung warnte vor Verflechtungen von neuen Technologien und digitaler Aufrüstung.

(03.12.2019)

Die Digitalisierung hat auch eine milliardenschwere militärische Seite, kritisierte der Linken-Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger beim Kongress der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (Imi) zum Thema „Rüstung Digital – Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte“. Etwa 200 Besucherinnen und Besucher kamen am Wochenende zu der Tagung, die von Attac Tübingen, dem Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen, dem DGB-Kreisverband, dem Verdi-Ortsverein Tübingen, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg sowie der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner/innen (DFG-VK) Tübingen unterstützt wurde.

Obwohl der Vertrag von Lissabon eine direkte militärische Finanzierung aus dem EU-Haushalt verbiete, seien Bestrebungen,das zu ändern, erfolgreich gewesen – vonseiten der Rüstungsindustrie, von der rüstungsnahen Forschung, aber auch von einzelnen Abgeordneten des EU-Parlaments, so Pflüger.

Ab dem kommenden Jahr gebe es dann ganz offiziell den 13 Milliarden schweren Europäischen Verteidigungsfonds, von dem bis auf ein Unternehmen fast alle vormaligen Lobbyisten profitierten, so Pflüger. Weitere 6,5 Milliarden Euro seien für Military Mobility (militärische Transportmittel) vorgesehen. Das Neue: Dem Lissabon-Vertrag widersprechend erhielten militärische Projekte und ebenso Rüstungsfirmen künftig direkt Gelder aus dem Fonds, vor allem in den Feldern Künstliche Intelligenz (KI) und disruptive Technologien wie beispielsweise der 5G-Standard für mobiles Internet und Mobiltelefonie, so Pflüger.

Der Bundesregierung warf der Rüstungskritiker vor, den anteiligen deutschen Finanzierungsanteil nicht vollständig im Verteidigungshaushalt auszuweisen, sondern teilweise dem Haushaltsposten „Allgemeine Finanzverwaltung“ zugeschlagen zu haben – um die tatsächlichen Rüstungsausgaben zu verdecken.

In seinem Beitrag „Geostrategie digital“ sagte der Imi-Mitarbeiter Christoph Marischka: Statt Truppenstärke entscheidet künftig Technologie über militärische Überlegenheit und globale Vorherrschaft. Die Technologiefelder um KI und den 5G-Standard seien entscheidend für die Wirtschaftskraft wie für die militärischen Fähigkeiten eines Staates und damit auch für dessen globalen politischen Spielraum, zitierte Marischka eine Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. In der Europäischen Union werde Deutschland nach Großbritannien als führend bei diesen Technologien angesehen. Doch beide seien jeweils zu klein für einen globalen Führungsanspruch. Bei den einschlägigen Start-ups liege die USA noch weit vor China.

Treibende Kräfte für den Ausbau solcher Sprunginnovationen sieht der Imi-Mitarbeiter weniger in Politik und Militär als in Wissenschaft und Risikokapital. Dieseversuchten die Politik davon zu überzeugen, dass die Existenz der jeweiligen Volkswirtschaft von ihren Projekten abhänge. „Damit die Regierungen umso bereitwilliger den Geldbeutel öffnen?“, fragte Marischka.

Französisches RaumkommandoDurch die Digitalisierung werde nach den bekannten militärischen Operationsgebieten Luft, Land, See und zuletzt Cyberspace nun der Weltraum zur umkämpften Domäne, sagte der Politikwissenschaftler und IMI-Vorstand Jürgen Wagner. „Das bedeutet, dass Gelder umgeschichtet werden“, warnte auch er: Der globale Raumfahrtmarkt solle von 260 Milliarden Dollar im Jahr 2018 auf 2700 Milliarden Dollar im Jahr 2040 wachsen.

„Wer den Weltraum beherrscht, beherrscht die Welt“, zitierte Wagner den Autor Dirk Freudenberg aus dem Schwerpunktheft „Weltraumgeopolitik“ der Österreichischen Militärischen Zeitschrift, einem militärwissenschaftlichen Fachperiodikum. Zwar habe Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor kurzem geäußert, das Militärbündnis habe nicht die Absicht, Waffen in den Weltraum zu bringen, sagte Wagner. Aber: „Andere Natostaaten sehen das ganz anders.“

So habe US-Präsident Donald Trump eine neue Teilstreitkraft Space Command angekündigt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei ebenfalls für die Einrichtung eines Weltraumkommandos – mit Sitz in Toulouse, wo bereits die Airbus-Zentrale angesiedelt ist. In der Bundesrepublik solle das Lagezentrum in Uedem zum Operationszentrum werden.

Langfristig befürchtete Wagner die Einrichtung einer „EU Space Force“ – „um den ungehinderten Zugang zum Weltraum und zu weltraumgestützten Diensten notfalls auch militärisch verteidigen zu können“, zitierte er aus einer Studie des Pilotprojekts an der Bundeswehr-Uni in München vom August 2019.

Wer haftet für autonome Waffensysteme?

Sie wählen selbstständig ihre Ziele aus und greifen an, ohne dass Menschen beteiligt sind – „bis auf das vom Algorithmus ausgesuchte Opfer“, sagte Claudia Haydt, Geschäftsführerin der baden-württembergischen Linken, beim Tübinger Imi-Kongress: „Bis auf das vom Algorithmus ausgesuchte Opfer.“ Das sei mit dem Völkerrecht unvereinbar. Die Schwelle zum Krieg sinke, wenn der für einen Angriff Verantwortliche nicht mehr eindeutig auszumachen sei und zur Verantwortung gezogen werden könne. „Wenn autonome Waffensysteme einmal unterwegs sind, ist niemand mehr sicher. Ein plötzlicher Angriff könnte jeden treffen.“

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