Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2019/050

Beschleunigte Rüstungsgroßprojekte

Deutsch-Französischer Ministerrat konkretisiert Kampfpanzer und Kampfflugzeug

Jürgen Wagner (18.10.2019)

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine leicht aktualisierte und erweiterte Variante eine Beitrags, der unter demselben Titel zuerst bei Telepolis erschen.

Wohl nicht von ungefähr im unmittelbaren Vorfeld des gestrigen Treffens des deutsch-französischen Ministerrates in Toulouse veröffentlichten die Chefs von Dassault und Airbus, Eric Trappier und Dirk Hoke, einen gemeinsamen Brandbrief an die Adresse ihrer Regierungschefs: „Verlieren wir keine Zeit mehr!“

Das Statement zielte auf die holprige Realisierung der geplanten deutsch-französischen Rüstungsgroßprojekte ab, auf deren Bau sich beide Länder bereits beim Treffen des deutsch-französischen Ministerrates im Juli 2017 im Grundsatz verständigt hatten. Dabei handelt es sich um einen künftigen Kampfpanzer (MGCS) mit einem geschätzten Gesamtvolumen von bis zu 100 Mrd. Euro und um ein Kampfflugzeug (FCAS), das es sogar auf bis zu 500 Mrd. Euro bringen könnte. Beide Projekte standen jeweils vor diversen Problemen, die nun im Vorfeld des deutsch-französischen Treffens anscheinend zu weiten Teilen aus dem Weg geräumt wurden. Auch in der bei weitem wichtigsten und umstrittensten Frage, wie der künftige Export der gemeinsamen Rüstungsprodukte geregelt werden soll, scheinen beide Länder gestern „Fortschritte“ erzielt zu haben.

Tempest vs. FCAS

Mit Blick auf das geplante gemeinsame Kampfflugzeug ist die Nervosität der Konzernchefs von Dassault und Airbus, die bei einer Realisierung die größten Profite einstreichen würden, nachvollziehbar, da aktuelle und potenzielle Konkurrenten in jüngster Zeit an Boden gewonnen haben. So orderte Polen unlängst 32 amerikanische F-35 mit einem Gesamtwert von 6,5 Mrd. Dollar – Geld, das bei der Realisierung des FCAS fehlen wird. Doch auch in Europa formiert sich Konkurrenz: Großbritannien verfolgt mit dem Tempest ein eigenes Projekt, dem sich kürzlich auch Schweden und Italien angeschlossen haben. Vor diesem Hintergrund mahnten Trappier und Hoke eine schnelle Entscheidung in Sachen FCAS an, da sich sonst das Pendel weiter in Richtung der Konkurrenz neigen würde: „Wenn Europa nicht schnell vorangeht, wird es unmöglich sein, die Entwicklungs- und Produktionskapazitäten zu halten, die für eine souveräne Verteidigungsindustrie notwendig sind.“

Die Botschaft scheint angekommen – in der Abschlusserklärung des deutsch-französischen Sicherheitsrates wurden nun konkrete Termine für die nächsten Verträge benannt und die ursprünglich auf 2030 terminierte Fertigstellung eines ersten FCAS-Demonstrators deutlich nach vorne verlegt: „Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten werden bis Ende Januar 2020 mit dem Ziel beauftragt, dass ein Demonstrator einer neuen Generation eines Kampfflugzeugs bis 2026 fliegt.“ Bislang waren lediglich die Gelder für eine Konzeptstudie im Umfang von 65 Mio. beschlossen worden. Laut La Tribune soll auf dem deutsch-französischen Treffen auch beschlossen worden sein, weitere 165 Mio. Euro als Anfangsfinanzierung für den Demonstrator freizugeben.

Bis auf den Juniorpartner Spanien ist bislang kein weiteres Land auf den FCAS-Zug mit aufgesprungen – der Grund dürfte vor allem darin liegen, dass Deutschland und Frankreich die Spezifika des Fliegers gerne im Alleingang festlegen wollen. Um aber auch nur halbwegs kostendeckend über die Runden zu kommen, bedarf es zahlreicher Abnahmegarantien von den EU-Verbündeten (und aus dem Ausland), deren Begeisterung hierzu wiederum überschaubar ist, solange sie keine Einfluss- und Profitmöglichkeiten in dem Projekt sehen.

Eine mögliche Lösung könnte folgendermaßen aussehen: Schon im März 2019 plädierte mit dem „Instituto Affari Internazionali“ (IAI) die führende italienische Denkfabrik, das Land solle sich zunächst voll in Tempest einbringen, anstatt sich auf die absehbare Rolle als FCAS-Anhängsel reduzieren zu lassen. Aus einer solchen Position der Stärke ließen sich dann zu einem späteren Zeitpunkt Zugeständnisse erreichen und über eine Fusion von FCAS und Tempest zu günstigen Bedingungen verhandeln.

Nun steht der weitere Fortgang natürlich in den Sternen, aber dass hier (wie auch beim Kampfpanzer) womöglich innerhalb des selbsternannten deutsch-französischen Führungsduos ein Umdenken erfolgt sein könnte, deutet der folgende Satz in der Abschlusserklärung des deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrates an: „Das Projekt wird für andere europäische Staaten offen sein.“

IMI-Mitgliederkampagne: Hier direkt per Onlineformular Mitglied werden

MGCS: Einigung nach gescheiterter Übernahme

Vor allem beim geplanten deutsch-französischen Kampfpanzer lief hinter (und auch manches Mal vor) den Kulissen ein Hauen und Stechen ab. Gegenstand waren die Versuche von Rheinmetall, sich die Führung des Projektes unter den Nagel zu reißen. Für den Bau des Kampfpanzers wurde mit KNDS eine 2015 gegründete Holding ins Auge gefasst, in der der französische Nexter-Konzern und das deutsche Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) jeweils 50 Prozent halten. Die deutsche Politik war seinerzeit über diesen Schritt alles andere als glücklich – sie hätte zuerst eine Fusion von Rheinmetall und KMW bevorzugt, um dann aus solch einer Position der Stärke den europäischen Panzermarkt aufzurollen. Dies war auch so ziemlich genau die Position, die in dem im Juli 2015 veröffentlichten „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ zum Ausdruck gebracht wurde. Deutschland setzte „verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen“ – dies dürfe allerdings nur geschehen „unter Wahrnehmung der nationalen Interessen.“

Lange blockierte wohl vor allem KMW-Chef Manfred Bode die Rheinmetall-Avancen – jedenfalls legt das die Tatsache  nahe, dass Verhandlungen um eine Übernahme unmittelbar nach dessen Tod im Oktober 2018 Fahrt aufnahmen. Vor allem scheint es Rheinmetall dabei auf die Führung der KNDS abgesehen zu habe – so berichtete das Manager-Magazin im Frühjahr 2019: „Es geht um den 50-Prozent-Anteil von KMW an der deutsch-französischen Rüstungsholding KNDS, die zur anderen Hälfte dem französischen Staatsunternehmen Nexter gehört. Beide Firmen haben ihre Geschäfte in diese Holding eingebracht – kauft Rheinmetall den KMW-Anteil komplett, würde es den Münchner Konzern schlucken. […] Würde Rheinmetall bei KNDS einsteigen, würde die deutsche Seite in dem Gemeinschaftsunternehmen wesentlich gestärkt. Branchenexperten zufolge könnte Rheinmetall auf lange Sicht eigenes Geschäft in die Holding einbringen, wodurch der Anteil der Düsseldorfer auf bis zu 75 Prozent steigen könnte.“

Allerdings sträubte sich Frankreich aus nachvollziehbaren Gründen, hier klein bei zu geben. Die Streitereien verzögerten dann sogar die ersten anvisierten Vertragsunterzeichnungen, die bereits im Juni 2019 hätten erfolgen sollen. Auch hier scheint der Leidensdruck allmählich so groß geworden zu sein, dass zwei Tage vor Beginn des deutsch-französischen Ministerrates verkündet wurde, Rheinmetall würde von seinen ambitionierten Plänen abrücken. So berichtet der Journalist Björn Müller, die erste Konzeptstudie solle zwar in neun Arbeitspakete im Gesamtwert von 30 Mio. Euro aufgeteilt werden, von denen je drei an Nexter, KMW und Rheinmetall gehen würden. Bei der späteren Projektgesellschaft werde es aber wohl beim 50-prozentigen französischen Anteil bleiben: „Im zähen Ringen um den industriellen Lead beim deutsch-französischen Panzervorhaben Main Ground Combat System (MGCS) zeichnet sich eine Einigung ab. [Damit] ist auch der ehrgeizige Plan von Rheinmetall-Chef Armin Papperger vom Tisch, der die Mehrheit an der KMW-Nexter Holding KNDS übernehmen wollte. In der noch zu gründenden MGCS-Projektgesellschaft soll Nexter 50 Prozent, KMW und Rheinmetall je 25 Prozent erhalten“.

Somit war auch hier der Weg frei, um beim deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrat Nägel mit Köpfen zu machen – in der Abschlusserklärung wird erstmals ein konkretes Startdatum genannt: „Frankreich und Deutschland unterstreichen ihr Bestreben, gemeinsam ein Main Ground Combat System (MGCS) zu entwickeln, das bis 2035 zur Verfügung stehen soll. […] Die Technologiephase wird mit einer Studie zur MGCS-Systemarchitektur Anfang 2020 beginnen.“

Auch hier wird im Übrigen ausdrücklich betont, das Projekt stehe für andere Länder offen. Das ist für das MGCS insofern besonders bemerkenswert, weil es erst Mitte August noch Berichte gab, Polen habe Interesse an einem Einstieg bekundet, sei aber damit abgeblitzt. Nun heißt es in der Toulouse-Erklärung im selben Wortlaut wie schon beim FCAS: „Das Projekt wird für andere europäische Staaten offen sein.“

Rüstungsexporte: Blankoscheck?

Die deutsch-französischen Großvorhaben stehen immer noch vor einer Reihe von Problemen – beispielsweise streiten sich MTU und Safran weiter heftig über die künftige Aufteilung der FCAS-Triebwerksarbeiten, wie die FAZ am Tag des Gipfeltreffens berichtete. Mit Blick auf das MGCS hieß es dann in der Welt zwei Tage später, dass es trotz der Einigungen im Vorfeld des Tolouse-Treffens weiterhin Streit zwischen Rheinmetall und Nexter um den Bau der künftigen MGCS-Kanone gäbe: „Der von Deutschland und Frankreich geplante gemeinsame Kampfpanzer steuert auf den ersten offenen Konkurrenzkampf der beteiligten Industrie zu. Dabei geht es um das Kernstück des Nachfolgers für den deutschen Leopard-Panzer und das französische Modell Leclerc, die Kanone. Der Rüstungskonzern Rheinmetall, Lieferant der Leopard-Kanone, präsentiert soeben auf einer US-Fachmesse in Washington eine Kanone mit einem Kaliber von 130 Millimeter, statt wie bisher 120 Millimeter. Dabei hatte der französische Rüstungskonzern Nexter Anfang des Jahres auf einer Fachkonferenz erklärt, erfolgreiche Schussversuche mit 140 Millimeter durchgeführt zu haben mit einem als ‚Terminator‘ bezeichneten Leclerc-Prototypen.“

Die bei weitem größte Kuh, die aber noch endgültig vom Eis muss, ist die Frage des künftigen Exports der gemeinsamen Rüstungsprojekte. Hier stellen die vermeintlich allzu restriktiven deutschen Exportrichtlinien aus französischer Sicht eine ernsthafte Bedrohung für die Realisierung von Kampfflugzeug und Kampfpanzer, ja sogar für die gesamte Branche dar. So wurde die neue französische Vorsitzende des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung (SEDE) im EU-Parlament, Nathalie Loisea, etwa eine Woche vor dem Gipfeltreffen bei euractiv mit den Worten zitiert: „Wir müssen die industrielle und technologische Basis unserer Verteidigungsindustrie stärken; wir müssen sicherstellen, dass wir Eurochampions haben und dass wir uns auf europäische Unternehmen verlassen können, die uns die notwendige Ausrüstung bereitstellen. […] Bislang sind sie [Rüstungsexporte] eine nationale Angelegenheit und wir müssen uns bei dieser Sache absolut darüber im Klaren sein, dass es ohne Rüstungsexporte auch keine europäische Verteidigungsindustrie geben wird.“

Seit einiger Zeit bemüht man sich hier deshalb um Lösungen: Auf der einen Seite sieht die im Juni veröffentlichte Neufassung der deutschen Rüstungsexportrichtlinien die Anwendung einer de-minimis Regelung vor, also eine Regelung, dass Produkte, bei denen der deutsche Anteil eine bestimmte Schwelle unterschreitet, problemlos exportiert werden können. Zunächst kursierten hier Zahlen zwischen 3,5 und 30 Prozent, nachdem es in jüngster Zeit aber immer wieder Berichte gab, es werde wohl auf einen Produktanteil von 20% hinauslaufen, hieß es bei Zeit Online zwei Tage vor Beginn des Ministerrates: „Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP aus französischen Regierungskreisen kamen beide Seiten überein, dass Deutschland Ausfuhren französischer Rüstungsgüter nur blockieren kann, wenn diese mehr als 20 Prozent deutscher Bauteile enthalten. […] Nach Pariser Angaben soll die Abmachung kommende Woche Mittwoch beim deutsch-französischen Ministerrat in Toulouse im Südwesten Frankreichs vorgestellt werden.“

Doch bei besagtem Ministerrat wurde nun zwar verkündet, es sei zu einer Einigung gekommen, genaue Zahlen wurden aber in der offiziellen Deutsch-Französischen Erklärung von Toulouse selbst nicht genannt: „Die Bundesregierung und die französische Regierung haben im Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration (Vertrag von Aachen) vereinbart, einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte zu entwickeln. Beide Seiten haben heute ihre Verhandlungen zu einem rechtlich bindenden Abkommen abgeschlossen, dessen letzte Schritte so bald wie möglich umgesetzt werden.“

Ohnehin wäre die deutsche Industrie ausschließlich mit einer de-minimis-Regelung von 20 Prozent alles andere als glücklich, schließlich strebt sie vor allem bei den geplanten Großprojekten einen deutlich größeren Anteil am Rüstungskuchen an. Vor diesem Hintergrund warnte Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie: „Wir haben die Sorge, dass uns eine ausgehandelte 20-Prozent-Regelung zum Juniorpartner der französischen staatlichen Rüstungsindustrie degradieren könnte, das wäre inakzeptabel.“

Ihm sprang gleich auch noch sein Bruder im Geiste beiseite, nämlich der BDI-Abteilungsleiters Sicherheit und Rohstoffe Matthias Wachter. Auch er warnte davor, zum Juniorpartner degradiert zu werden und schlug in einem Tweet als Alternative vor: „Optimal wäre deshalb Neuauflage des Schmidt-Debré Abkommens, d.h. jedes Land sollte bei Gemeinschaftsprojekten eigenständig über Export entscheiden können & beteiligte Partner würden dies akzeptieren.“ Schon im Januar war berichtet worden, Deutschland und Frankreich hätten sich in einem Zusatzabkommen zum Aachener-Vertrag dementsprechend verständigt. Darin hieß es, eine Exportblockade gemeinsamer Rüstungsexportprojekte wäre nur möglich „in außergewöhnlichen Fällen, in denen direkte Interessen oder die nationale Sicherheit betroffen wären.“

Während zwar offiziell zu diesen Punkten keine Details genannt wurden, scheint es dennoch in Toulouse auch zu konkreteren Absprachen gekommen zu sein. Die FAZ jedenfalls berichtet von einer dort unterzeichneten Grundsatzvereinbarung, mit der Rüstungsexporten deutsch-französischer Gemeinschaftsprojekte künftig wohl Tür und Tor geöffnet würden: „Die Grundsatzvereinbarung enthält zwei wichtige Elemente: Bei den Gemeinschaftsprojekten FCAS (Luftkampf mit Kampfjets, Drohnen und Satelliten) sowie MGCS (Bodenkampf unter anderem mit Panzern) sollen die jeweiligen Partner ein Einspruchs- und Konsultationsrecht in Exportfragen haben, wenn sie ihre nationale Sicherheit bedroht sehen. Zudem soll ein Partner, wenn er nur Zulieferer ist, ein Exportprojekt nur dann blockieren können, wenn auf ihn mindestens 20 Prozent des Exportwertes entfallen.“

------------

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de