IMI-Analyse 2019/11

Deutsche Waffen töten im Jemen-Krieg

Was sagt die Bundesregierung?

von: Lisa Klie | Veröffentlicht am: 28. März 2019

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Seit 2015 tobt der Krieg im Jemen und verursachte die aktuell größte humanitäre Krise der Welt. Das Ausmaß der Zerstörung trifft vor allem die Zivilisten. 14 Millionen Menschen sind im Jemen von Hunger bedroht. 400.000 Kinder sind lebensbedrohlich mangelernährt. 22 Millionen Menschen sind im Jemen auf humanitäre Hilfe angewiesen und 28 Millionen gelten als Binnenflüchtlinge. Der Krieg im Jemen forderte laut UN das Leben von über 7.000 Zivilisten, wobei der UN-Menschenrechtsrat (08/2018) 100 Fälle zählt, in denen Kampfflugzeuge Wohngebiete, Moscheen, Krankenhäuser und Märkte angriffen. Unter der Berücksichtigung der von ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) analysierten Daten ist zu erkennen, dass die realistischere Zahl der Opfer sechs Mal höher liegt als von den UN angegeben. Von 2016 bis November 2018 zählte ACLED mehr als 60.000 Todesfälle.[1] Überwiegend sind saudische Luftangriffe für tote Zivilisten verantwortlich. Da ist es umso erschreckender, dass Saudi-Arabien als einer der wichtigsten Käufer deutscher Rüstungsgüter gilt. 2017 wurden Kriegswaffen im Wert  von über 110 Millionen Euro nach Saudi-Arabien ausgeführt – bis zum dritten Quartal 2018 sogar von mehr als 159 Millionen Euro. Die Einzelausfuhrgenehmigungen von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern 2018 allein nach Saudi-Arabien haben einen Wert von über 416 Millionen Euro. 2017 lag der Wert bei 254 Millionen Euro.

Die Allianz unter der Führung Saudi-Arabiens zur Unterstützung des Kampfes, welcher sich offiziell gegen die Huthi-Rebellen im Jemen richten sollte, besteht allerdings aus neun weiteren Staaten, in die ebenfalls deutsche Rüstungsgüter exportiert werden. Insgesamt gab es 2017 für die Staaten Ägypten, Bahrain, Jordanien, Katar, Kuwait, Marokko, Saudi-Arabien, Senegal und die Vereinigten Arabischen Emirate Einzelgenehmigungen im Wert von mehr als 1,3 Milliarden Euro. Die tatsächlichen Kriegswaffenausfuhren betrugen 2018 (bis ins dritte Quartal) in die jeweiligen Länder insgesamt mehr als 186 Millionen Euro. Obwohl CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag einen Exportstopp für alle Länder, die „unmittelbar“ am Jemen-Krieg beteiligt sind, angekündigt haben, gibt es weiterhin Rüstungsexporte in Millionenhöhe. Zudem galt der Exportstopp bisher nicht für bereits erteilte Vorgenehmigungen. Erst als Konsequenz aus dem Fall Jamal Khashoggi wurden am 19. November 2018 Rüstungslieferungen ausschließlich an Saudi-Arabien – und nicht etwa an alle beteiligten Länder der Allianz – gestoppt. Der Lieferstopp wurde bis Ende März 2019 verlängert. Dass der Lieferstopp an Rüstungsgütern für Saudi-Arabien aufgrund des getöteten Journalisten passierte – und nicht etwa aufgrund der Luftangriffe Saudi-Arabiens im Jemen auf zivile Ziele –, ist erschreckend und entspricht nicht den Rüstungsexportrichtlinien, auf die sich die Bundesregierung gerade im Fall Saudi-Arabiens gerne beruft.[2] Ein „Exportstopp“ meint zudem kein wirkliches und rechtlich bindendes Ende der Waffenlieferungen. So ist der sogenannte Exportstopp zeitlich begrenzt, weshalb Waffenlieferungen in am Jemenkrieg beteiligte Länder weiterhin geplant werden. Darüber hinaus umfasst der Ausfuhrstopp nicht die Produktion von Rheinmetalls Tochterunternehmen außerhalb der BRD, so z.B. die Munitionsfabrik auf Sardinien.

#GermanArms

Der anhaltende Krieg im Jemen ist eine Katastrophe für die jemenitische Bevölkerung, bekommt in Europa allerdings nur hin und wieder mediale Aufmerksamkeit. Besonders durch die Anfrage der Fraktion DIE LINKE und durch das Rechercheteam #GermanArms wurde seit Ende Februar 2019 das mediale Echo um den Jemen wieder lauter. Durch die Antwort der Bundesregierung auf besagte Anfrage zu „Rüstungsexporten Deutschlands 2018 in am Jemen-Krieg beteiligte Länder“ und die neuen Erkenntnisse des Rechercheteams wird auf den Einsatz deutscher Kriegswaffen im Jemen und die „Kenntnisse“ der Bundesregierung dazu aufmerksam gemacht.

Die wichtigsten Erkenntnisse zur aktuellen Debatte über deutsche Waffen im Jemen lieferte die 15-köpfige Journalistengruppe unter #GermanArms. Mitwirkende sind Report München, das Magazin Stern, das Recherchebüro Lighthouse Reports, die Deutsche Welle und das in anderen Bereichen durchaus umstrittene Investigativ-Netzwerk Bellingcat. Während zum Beispiel Peter Altmaier in einem Interview am 15. Februar 2019 meinte, dass er nichts über deutsche Waffen im Jemen wisse und auch in der Anfrage über die Rüstungsexporte keine (auch nachrichtendienstliche) Kenntnisse darüber genannt werden, ist es umso erstaunlicher, wie die Journalistengruppe zu ihren Erkenntnissen gelangte. Zwei Wochen betrieben sie mit Open Source Intelligence, dem Internet – sei es Google, Twitter, Instagram – intensive Recherche und entdeckten dabei einige Waffenteile im Jemen, die in Deutschland gefertigt und genehmigt wurden. Diese wurden besonders seitens der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien eingesetzt.[3]

Deutsche Rüstungsgüter für Land-, See- und Luftstreitkräfte

Das Rechercheteam fand Beweise für den Einsatz von Kampfjets, Artilleriegeschützen, Minenjagdbooten, Kampfpanzern, usw. – alles zum Teil aus deutscher Fertigung. Im Al-Souh-Tal im jemenitischen Gebiet Ketaf wurden im Januar 2018 Absturzteile eines Tornado Kampfjets gefunden. Es handelt sich hierbei um einen Kampfjet der Saudis, welcher zu mehr als 40% in deutschen Unternehmen gefertigt wurde. Die koordinierende Firma des Tornado-Programms ist die Panavia GmbH in Hallbergmoos, auch beteiligt sind das deutsche Unternehmen Airbus Defence and Space und MTU Aero Engines, die für 40% des Triebwerks zuständig sind. Bei der Zulieferung des Tornados waren ebenfalls deutsche Zulieferfirmen involviert. Obwohl die Luftangriffe Saudi-Arabiens im Jemen schon 2016 bekannt waren, wurden bis dahin Exportgenehmigungen für Tornado-Komponenten erteilt. Auch die Eurofighter Typhoon, von der Royal Saudi Air Force genutzte Kampfjets, werden im Jemen-Krieg eingesetzt. Im September 2017 stürzte im Süden Jemens ein saudisches Flugzeug ab. Dem Rechercheteam #GermanArms nach handelt es sich dabei um einen Eurofighter Typhoon. Zudem ist auf einem regierungsnahen saudischen Twitterprofil ein Eurofighter in der Grenzregion Jemens zu sehen, der in der Luft betankt wird. Dem Rechercheteam zufolge ist auch dieser aus deutscher Fertigung: „Der Eurofighter Typhoon wird von dem internationalen Konsortium Eurofighter Jagdflugzeuge GmbH produziert, das seinen Sitz in Hallbergmoos bei München hat. Die Airbus Defence and Space GmbH (Taufkirchen) hält ein Drittel der Anteile des Unternehmens. In Hallbergmoos sitzt auch die Eurojet Turbo GmbH, die für die Turbinen des Flugzeugs zuständig ist. Die MTU Aero Engines (München) hält Anteil am Turbinen-Konsortium und produziert wichtige Teile der Triebwerke. Das Augsburger Unternehmen Premium Aerotec stellt den Rumpf-Mittelteil für den Eurofighter her. Darüber hinaus sind dutzende weitere deutsche Unternehmen am Eurofighter-Programm beteiligt.“[4] Ferner wurden Komponenten der Tankflugzeuge für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt. Der Airbus A330 MRTT ist bei einer Betankung eines Eurofighters zu sehen und es sind Flugdaten über die Grenze Jemens  ersichtlich. Dieses Tankflugzeug wird zum Teil in Standorten in Deutschland gefertigt. Darüber hinaus genehmigte die Bundesregierung 2015 Storm-Shadow-Komponenten mit einem Export über Großbritannien. Dabei handelt es sich um Marschflugkörper, die nach Saudi Arabien geliefert wurden und die im Dezember 2016 im jemenitischen Sa’adah in einem Video des Senders Sky News zu sehen waren. Die britische Regierung räumte zuvor ein, dass die Royal Saudi Air Force Marschflugkörper dieses Typs im Jemen einsetzt.[5]

Während deutsche Waffen in der Luft eingesetzt werden und unweigerlich für die Luftangriffe und die Zerstörungen im Jemen verantwortlich sind, werden weitere Waffen und Rüstungskomponenten aus Deutschland von den Land- und Seestreitkräften verwendet. Minenjagdboote der Frankenthal-Klasse aus der deutschen Lürssen-Werft, welche mit MTU-Motoren und Rheinmetall-Kanonen ausgestattet sind, wurden im Juni 2017 nach Angaben der Huthi-Rebellen von ihnen im jemenitischen Hafen von Mokka attackiert. Im Oktober 2018 veröffentlichten sie ein Foto eines nahezu gesunkenen Schiffs, welches eindeutige Merkmale der Frankenthal-Klasse trug. Zudem hat #GermanArms durch Satellitenbilder Schiffe der Frankenthal-Klasse im November 2016 im Hafen von Assab in Eritrea ausgemacht, der als Operationsbasis für Einsätze im Jemen-Krieg dient. Dort wird unter anderem die Seeblockade organisiert. Neben den Schiffen der Frankenthal-Klasse wurden auch Raketenschnellboote, Patrouillenboote und Korvetten in die Vereinigten Arabischen Emirate exportiert, die in den Jemen-Krieg involviert sind und zusammen mit Saudi-Arabien und weiteren Ländern die humanitäre Krise im Jemen verschärfen. Im Hafen von Assab in Eritrea ist zusätzlich ein Raketenschnellboot der Lürssen-Werft, welches in Deutschland gebaut und von MTU-Motoren angetrieben wird, seit 2016 stationiert. Zudem ein Patrouillenboot eines niederländischen Herstellers, das allerdings mit deutschen MTU-Motoren und einem Verteidigungssystem von Rheinmetall ausgestattet ist. Im September 2018 genehmigte die Bundesregierung dafür den Export von RAM-Zielsuchköpfen durch die Firma Diehl Defence in die VAE. Auf Satellitenbildern kann man dieses Schiff im Dezember 2018 und Januar 2019 in Assab erkennen. Zwischen 2016 und 2019 ist außerdem immer wieder eine Korvette im Hafen von Assab zu sehen. Im September 2018 genehmigte die Bundesregierung hierfür den Export von ESSM-Gefechtsköpfen durch das Unternehmen TDW Gesellschaft für Verteidigungstechnische Wirksysteme mbH und von RAM-Zielsuchköpfen durch die Firma Diehl Defence in die VAE. Zwar stammt das Schiff von einem französischen Hersteller, es wird jedoch von deutschen MTU-Motoren betrieben und ist mit Kanonen- und Selbstverteidigungssystemen von Rheinmetall ausgestattet.[6]

Zusätzlich wurden seitens #GermanArms verschiedene deutsche Waffensysteme im Jemen und an der Grenze zu Jemen lokalisiert. Im Dezember 2017 wurde an der Westküste Jemens ein Pionierpanzer des Typs Wisent zum Teil in Kampfhandlungen entdeckt. Dieser wird von der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft mbH gefertigt und wurde 2014 für die VAE genehmigt. An der Grenze zum Jemen sind außerdem saudische Caesar-Artilleriegeschütze mit deutschen Unimog-Fahrgestellen stationiert, welche eine Schussweite von mehr als 40 km besitzen. Auf einem Video ist zu erkennen, wie Caesar-Geschütze Schüsse abgeben und somit im Jemen-Krieg eingesetzt werden. Besonders die siegerländische Firma Dynamit Nobel Defence (DND) aus Burbach sticht beim Einsatz deutscher Waffensysteme im Jemen-Krieg hervor. Auf zahlreichen Videos aus dem Kriegsgebiet im Jemen sind Fewas-Waffenstationen für Kampffahrzeuge der Firma DND zu erkennen. Diese deutschen Waffenstationen werden durch die Exportgenehmigungen der Bundesregierung in Höhe von 81 Millionen Euro an die VAE nun in Aden und Al-Khawkhah eingesetzt. Zusätzlich genehmigte die Bundesregierung 2017 eine Lieferung von einer Reaktivpanzerung in Form von Modulen im Wert von 126 Millionen Euro an die VAE. Diese „reaktive Panzerung“ beim französischen Panzer Leclerc wurde in die VAE exportiert und 2018 in Aden und Al-Khawkhah gesichtet.[7]

Die Panzertechnik und die Waffenstation des Herstellers DND sind besonders heikel. Im März 2017 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr besagter Waffen und Panzerungen an die VAE, obwohl der blutige Jemen-Krieg schon seit 2015 im vollen Gange war und der Einsatz von Kriegsgeräten seitens der VAE bekannt war. Der Stern schreibt sogar dazu, dass im März 2017 die Regierung dem Bundestag nicht verriet, „dass diese Module für Panzer gedacht waren“, obwohl die Firma auf ihrer Website selbst anmerkt, dass das reaktive Schutzsystem aus eigener Herstellung für gepanzerte Fahrzeuge gefertigt worden sei. Obwohl Rüstungsexporte in Länder, „die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind“ für die Koalition „anscheinend“ nicht genehmigt werden – und seit März 2015 der Einsatz von Kampfpanzern seitens der Intervention Saudi-Arabiens und den VAE bekannt ist –, wurden zwei Jahre später immer noch Ausfuhrgenehmigungen erteilt. Dabei ist „das Unternehmen kein großer Player der Rüstungsbranche […]. Anders als für Rheinmetall, Airbus, Lürssen oder selbst die Nürnberger Diehl-Gruppe ist bei der Firma aus dem Siegerland nicht bekannt, dass sie ein Lobbybüro in Berliner 1A-Lage unterhält.“ 2016 lag der Umsatz von DND bei gerade einmal 55 Millionen Euro. Das entspricht nicht einmal der Hälfte des Auftrags an reaktiver Panzerung für die VAE.  Der Jemen gilt Beobachtern zufolge als „Testgelände“ der Leclerc-Panzer, die zum Teil eben mit dieser Panzerung von Dynamit Nobel versehen sind.[8]

Es kommt hinzu, dass seit Mitte der 2000er die Firma DND als Tochterfirma des israelischen Staatskonzerns Rafael Ltd. gilt, welches aus einem Forschungsinstitut des israelischen Militärs entstanden ist. Zwar bezeichnet sich das Unternehmen selbst als eine deutsche Firma, mit deutschem Management und deutscher Gesetzgebung, dennoch könnte, laut Stern, das Unternehmen aus Burbach Israel als Ausfuhrhilfe an arabische Länder dienen. Der Stern schreibt dazu, dass Israel ein Interesse daran hätte, Saudi-Arabien zu unterstützen, da die Huthi-Rebellen inzwischen vom Iran unterstützt werden und dieser Kampf somit im Interesse der israelischen Regierung sei.[9]

Die Komponenten der Waffen, die von Deutschland an die Emiratis und Saudis exportiert wurden, sind maßgeblich für den Krieg im Jemen verantwortlich. Die Luftangriffe der Saudis mit teilweise deutschen Kampfjets haben verheerende Auswirkungen für die Bevölkerung im Jemen. Das Militärbündnis Saudi-Arabiens greift nicht nur militärische Ziele an, sondern auch Hochzeitsgesellschaften, Krankenhäuser, Schulbusse, usw. Angeblich hätten diese Bombardements den Rebellen gegolten, jedoch sterben bei Luftangriffen zahlreiche Zivilisten. Ebenso werden dadurch Infrastruktur und Versorgungsmittel zerstört, was Epidemien, Krankheiten und Hungersnot weiter schürt.[10] Grund dafür ist zusätzlich die Präsenz des Militärbündnisses auf dem Wasser. Die lang anhaltende Seeblockade forcierte die humanitäre Krise und blockierte Hilfslieferungen. Auch auf dem Wasser, in jemenitischen Häfen und im Hafen Assab von Eritrea, der als Operationsbasis für Einsätze im Jemen-Krieg dient, ist Deutschland durch seine Rüstungsexporte präsent.

Was sagt die Bundesregierung dazu?

Bezüglich der Kenntnisse zur Seeblockade und inwieweit Saudi-Arabien, Ägypten und die VAE daran beteiligt sind, antwortet die Bundesregierung in der Anfrage der Fraktion DIE LINKE, dass sie „keine über die Antwort der Bundesregierung zu Frage 14 des Abgeordneten Omid Nouripour vom Dezember 2017“ hinausgehenden Kenntnisse hätte. In der damaligen Antwort heißt es: „Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet zum freien Durchlass von Arzneimitteln und Sanitätsmaterial für die Zivilbevölkerung. Daneben ist auch der Durchlass von unentbehrlichen Lebensmitteln für Kinder und Schwangere zu gewährleisten. Alle Konfliktparteien sind völkerrechtlich verpflichtet, diese Grundregeln einzuhalten. Die Bundesregierung verfügt derzeit über keine eigenen Erkenntnisse, dass die Militärkoalition diese völkerrechtlichen Standards durch die verbleibenden Hindernisse missachten würde.“ Hier sei nochmal angemerkt, dass Schiffe mit Hilfsgütern seitens der Militärkoalition festgehalten wurden und Schiffe aus der Lürssenwerft daran beteiligt waren, diese Seeblockade zu implementieren und dadurch die Hungersnot in Jemen zu verschlimmern. Zudem merkt die Bundesregierung  an, dass weitere Auskünfte zur Verschärfung der Seeblockade „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit „ausländischen Partnerdiensten“ hätten, und dann würde „in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen […] mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland.“ Eine Offenlegung hätte zudem die Folge, dass den Interessen Deutschlands „schweren Schaden“ zugefügt würde. [11]

In der Anfrage 2019 bezieht sich die Bundesregierung somit immer noch auf eine Stellungnahme von 2017, in der sie erstens die durch die Seeblockade katastrophal verschlimmerte Versorgungslage leugnet bzw. ignoriert und zweitens Informationen, die sie anscheinend von anderen Geheimdiensten hat, unter Verschluss hält. Des Weiteren ist bei den aktuellen Antworten der Bundesregierung auffallend, dass sie keine Kenntnisse zu deutschen Waffen im Jemen haben will. Zu der Frage, ob die Bundesregierung ausschließt, dass deutsche Rüstungsexporte in die Staaten der Allianz Saudi-Arabiens nicht zu interner Repression oder seit Beginn des Jemenkriegs im Jahr 2015 zu sonstigen fortdauernden systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht wurden bzw. werden, antwortet sie: „Die Bundesregierung verfolgt eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik. […] Die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland spielt bei der Entscheidungsfindung eine hervorgehobene Rolle. Wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die zu liefernden Rüstungsgüter zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, wird eine Genehmigung grundsätzlich nicht erteilt.“ Die Bundesregierung hält somit die offenkundigen Kriegsverbrechen durch Saudi-Arabien und die VAE, sowie zahlreiche Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen und den Einsatz von Kindersoldaten[12] im Jemen nicht für so gravierende Menschenrechtsverletzungen, dass sie der „verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik“ widersprechen. Dadurch, dass hinreichender Verdacht besteht, den die Bundesregierung aber ignoriert, leistet sie Beihilfe zur Verletzung des Völkerrechts und zum Krieg im Jemen. Da nützt es auch nichts, wenn Heiko Maas bei der Sicherheitskonferenz in München von seiner Presseleiterin bei der Frage nach dem Jemen-Krieg einfach beiseitegeschoben wird und dass Peter Altmaier im Februar 2019 auch keine Kenntnisse über deutsche Waffen im Jemen haben wollte. Dabei sind diese Kenntnisse sogar ohne Nachrichtendienst ersichtlich und bedürfen lediglich intensiver Recherche im freizugänglichen Internet. Die Recherche von #GermanArms bringt die Bundesregierung in Antwortpflicht, die allerdings bisher nur sehr vage ausgefallen ist. „Der Regierung lägen »keine aktuellen Informationen zu einem Verstoß gegen Endverbleibserklärungen für aus Deutschland ausgeführte Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate vor«, schrieb die von Peter Altmaier (CDU) geführte Behörde vorab an den Ausschuss. »Grundsätzlich« gelte, dass man »konkrete Hinweise auf Verstöße sehr ernst« nehme und ihnen nachgehe“[13], so der Stern. Wirkliches Interesse an den Hinweisen scheint es jedoch seitens der Bundesregierung nicht zu geben, der zuständige Parlamentarische Staatssekretär Oliver Wittke wurde nach seinem plötzlichen Verschwinden wieder in den Wirtschaftsausschuss zurückbeordert, um Fragen zu den Hinweisen des #GermanArms-Teams zu beantworten. Diese fielen jedoch ebenfalls spärlich und unkonkret aus. Zustimmung bekam Wittke von der CDU/CSU. Die Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge meinte dazu: „Das ist eine Bankrotterklärung des ganzen Systems.“[14]

Argument „Europa“ zieht immer

Während die Bundesregierung also angeblich keine Kenntnisse über den Endverbleib ihrer exportierten Waffen hat und die zuständigen Unternehmen in ihrer Antwort zum Einsatz ihrer Waffen im Jemen-Krieg auf die Bundesregierung verweisen, wird von der Rüstungslobby die Kritik am angeblichen Exportstopp für Saudi-Arabien laut. Der Konzern Rheinmetall droht mit einer Klage auf Schadenersatz, da bereits genehmigte Exporte nicht ausgeliefert werden könnten und hohe Einbußen damit verbunden wären. Die Peene-Werft gilt seitens der Rüstungslobby und Politik als ausgezeichnetes Beispiel für die Kritik am Exportstopp an Saudi-Arabien. Die der Lürssen-Gruppe zugehörige Peene-Werft in Wolgast hat mit Saudi-Arabien einen milliardenschweren Auftrag abgeschlossen, welcher den Export von mindestens 30 Patrouillenbooten umfasst, die, um es nochmals anzumerken, auch im Jemen-Krieg seitens des saudischen Königshauses eingesetzt werden. „Boot Nummer 16 und 17 liegen fertig gebaut auf dem Werftgelände zur Auslieferung bereit. Acht weitere Schiffe sind auf Kiel gelegt. Derzeit wird daran auf der Werft nicht weiter gearbeitet. An dem Auftrag hängen 300 Arbeitsplätze.“[15] Innerhalb der SPD seien aufgrund dessen unterschiedliche Meinungen bezüglich des Rüstungsstopps aufgekommen.

Während ein Teil der SPD-Bundestagsfraktion eine klare Position gegen die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien fordert, positioniert sich Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) an der Seite der Rüstungsunternehmen. So sollen im Falle einer unbefristeten Verlängerung des Exportstopps die Unternehmen wie auch die Beschäftigten nicht im Regen stehen gelassen werden.

Vor allem seitens der CDU wird sich deshalb gerne auf das Argument „EUROPA“ bezogen. Es gibt  Anzeichen, dass die Bundesregierung die Sanktionen gegen Saudi-Arabien lockern will. So wird immer häufiger von einer „europäischen Lösung“ berichtet.[16] Auf der Münchner Sicherheitskonferenz plädierten  Angela Merkel und Ursula von der Leyen für eine Vereinheitlichung europäischer Exportrichtlinien und für eine Lockerung der deutschen Regelungen. Die Verteidigungsministerin formulierte es sogar wie folgt: „Wir Deutschen sollten nicht so tun, als seien wir moralischer als Frankreich oder menschenrechtspolitisch weitsichtiger als Großbritannien.“[17] Es ist durchaus schockierend, dass im Hinblick auf die katastrophalen und menschenunwürdigen Verhältnisse im Jemen davon gesprochen wird, „moralische und menschenrechtspolitische Weitsichtigkeit“ nicht anzustreben und stattdessen den Kurs auf eine Exportpolitik zu lenken, die diese Verhältnisse und Lebensumstände weiter verschlechtert! Es wäre angebracht die Bundesregierung daran zu erinnern, dass sie laut Koalitionsvertrag nach eben dieser Moral und einer restriktiveren Rüstungspolitik strebt.

Zu europäischen Lösungen äußerte sich auch Günthner folgendermaßen: „Wir halten hier aber auch eine gemeinsame europäische Linie für erforderlich. Aus friedenspolitischen Gründen allemal, aber nicht zuletzt auch, um einseitige Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrie zu verhindern.“[18] Mit dem Argument des „Wettbewerbsnachteils“ ist der SPD-Senator nicht alleine. Christoph Atzpodien, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, behauptete ebenfalls, dass Deutschland im Kreise seiner engsten Verbündeten – wie Frankreich und Großbritannien – isoliert würde. Er warnte sogar vor „einer weiteren Auflösung des gemeinsamen Wertekonsenses in Kern-Europa“.[19] Die Diskussion über den europäischen Wertekonsens ist lächerlich, wenn man bedenkt, wie sich dieser „Konsens“ zusammensetzt. Betrachtet man den angesprochenen Konsens, ergibt sich dieser aus der Rüstungslobby, Frankreich und Großbritannien, die Druck auf den deutschen „Exportstopp“ ausüben – im Namen Europas natürlich –, um eine gemeinsame Rüstungspolitik zu betreiben, für die momentan bestimmte Komponenten von deutschen Rüstungsunternehmen ausbleiben. Während der Konsens also nur die Interessen der Rüstungsindustrie abbildet, ist die Argumentation für eine lockerere Rüstungspolitik aufgrund  „gemeinsamer Werte“ noch absurder, da eine Definition europäischer Werte nie geschaffen wurde. „Werte“ dienen in diesem Fall lediglich als Worthülse, um etwas zu beschreiben, was gar nicht existiert – ähnlich dem „Konsens“, dem im Übrigen Länder wie Dänemark, Finnland und die Niederlande nicht zustimmen. Welche europäischen Werte sollen denn Waffenlieferungen in Länder befürworten, die unmittelbar an einem Krieg und den Völkerrechtsverletzungen beteiligt sind?

Deutschland würde sich selbst in eine „nationale Sonderrolle“ drängen und von Europa vollends isoliert werden, wenn es den Rüstungsstopp nicht aufheben würde. Fraglich ist zudem, dass die Begründung – Rüstungsexporte seien notwendig für die deutsche Rolle in der EU – auch in bekannten Medien kursiert. Dort heißt es, dass die SDP „dem Rest Europas ihren hohen moralischen Standard aufzwingen“ würde – was im Hinblick auf manch eine Meinung zur Rüstungsindustrie innerhalb der SPD fragwürdig erscheint – und dass es den Deutschen „nicht erlaubt [werden könne]  mit ihrer im Grundsatz restriktiveren Haltung alle zu binden.“[20] Waffen an Saudi-Arabien zu liefern mit dem Argument der „europäischen Einigung“ entspricht allerdings nicht dem besagten „Wertekonsens“. Während Frankreich und Großbritannien zwar die lautesten Kritiker der unterbrochenen Rüstungsexporte Deutschlands sind, haben Dänemark, Finnland und die Niederlande die Waffenlieferungen an die Saudis und an die Vereinigten Arabischen Emirate gestoppt. Im „Gemeinsamen Standpunkt“ aller EU-Staaten heißt es, Ausfuhrgenehmigungen seien zu verweigern, „wenn eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, verwendet werden, um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu begehen“.[21] Zusätzlich verabschiedete das Europäische Parlament im November 2018 einen Bericht, wonach nach Saudi-Arabien und die VAE keine Rüstungsexporte mehr stattfinden sollten. Der „Wertekonsens“, wenn man von einem sprechen kann, innerhalb der EU ist somit nicht der von Frankreich, Großbritannien, sowie Spanien vorgegebene, sondern richtet sich gegen die Rüstungsexporte in die Länder, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Doch gerade führende Politiker sprechen sich für eine Lockerung der Exportrichtlinien aus und orientieren sich am Druck Frankreichs, Großbritanniens und der Rüstungslobby.[22]

Fazit

Wie kann es also angesichts der Lage im Jemen sein, dass über eine Lockerung der Exportrichtlinien und weitere Rüstungsexporte an Saudi-Arabien nachgedacht wird, wenn eigentlich die Frage geklärt werden müsste, weshalb es zwar einen Lieferstopp nach Saudi-Arabien gibt, nicht aber in die anderen Länder des Militärbündnisses – besonders in die VAE? Weshalb wird die Rüstungsindustrie erst angehalten ihre Exporte nach Saudi-Arabien einzustellen, als der Fall Khashoggi Aufmerksamkeit erregte und nicht etwa, als bekannt wurde, wie viele zivile Opfer die Saudis im Jemen durch Luftangriffe zu verantworten haben? Noch kritischer ist zudem, dass inzwischen bekannt ist, wie die Saudis und die VAE ihre völkerrechtsverletzende Intervention mit deutsche Waffen durchführen. Es ist demnach fraglich, wie viel Glauben man der Bundesregierung schenken kann, wenn sie behauptet, nichts von alledem und dem Endverbleib deutscher Waffen zu wissen, wo es doch nur das Internet braucht, um all diese Informationen zu bekommen. Die Argumentation, dass es eine Isolation Deutschlands im Rahmen der EU zur Folge hätte, wenn Deutschland nicht weiter exportieren würde, ist demnach unsinnig, da Deutschland mit seinem „Exportstopp“ sich endlich annährend in den Vorgaben des Berichts des EU-Parlaments bewegt. Obwohl das EU-Parlament einen Lieferstopp, auch wenn dieser nicht rechtlich bindend ist, in alle am Jemen-Krieg beteiligte Länder vorgibt, kommt Deutschland dem nicht nach. Der Anlass für den Exportstopp hätte auch ein anderer sein sollen, nämlich die Völkerrechtsverletzungen der Saudis und Emiratis, besonders im Hinblick auf den Einsatz deutscher Rüstungsgüter im blutigen Jemen-Krieg. Es lässt sich demzufolge sagen, dass die Recherche von #GermanArms wichtige Kenntnisse zu deutschen Waffen im Kriegsgebiet geliefert hat. Die Teilhabe Deutschlands am Jemen-Krieg ist gerade durch Rüstungsgenehmigungen, die noch bis 2018 erteilt wurden, nicht zu leugnen. Besonders, da Tochterfirmen der Rüstungsunternehmen weiterhin Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ausführen und überdies weiter Waffenlieferungen von deutschen Rüstungsunternehmen an andere im Jemen-Krieg beteiligte Länder genehmigt werden. Deutsche Waffen töten auch im Jemen.

Lisa Klie studierte Nahoststudien und Politikwissenschaft an der Universität Halle (Saale). Ihr Artikel entstand im Rahmen eines Praktikums bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Anmerkungen

[1] Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED): Yemen War death toll now exceeds 60,000 according to latest ACLED data (12/2018).
[2] Antwort der Bundesregierung zu „Rüstungsexporte Deutschlands 2018 in am Jemen-Krieg beteiligte Länder“ (2019). Drucksache: 19/7967.
[3] Philipp Grüll, Jasmin Körber, u.a.: #GermanArms. Rechercheprojekt deckt Verwendung deutscher Waffen im Jemen-Krieg auf. Hrsg.: Report-München (02/2019).
[4] Paulus, Bernd Martin: Welche Waffen aus Deutschland werden im Jemen-Krieg benutzt?. Interaktive Seite des Rechercheteams #GermanArms. Hrsg.: BR (02/2019).
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Tillak, Hans-Martin: Deutsche Panzertechnik im Einsatz im Jemen – was Israel damit zu tun hat.  Hrsg.: Stern (03/2019).
[9] Ebd.
[10] Welt: Blutbad im Jemen. Luftangriff auf Bus tötet Dutzende Kinder (08/2018).
[11] Antwort der Bundesregierung zu schriftlichen Fragen (2018). Drucksache: 19/415.
[12] Steinmetz, Christopher: Deutsche Rüstungsexporte und Kindersoldaten. Kleinwaffen in Kinderhänden. Hrsg.: Brot für die Welt, Kindernothilfe e.V., u.a.: Publikation 2017.
[13] Tillak, Hans-Martin: Rüstungsexport-Politik. Opposition sieht „Bankrotterklärung des ganzen Systems“. Hrsg.: Stern (03/2019).
[14] Ebd.
[15] Hanuschke, Peter: Klare Kante gefordert. SPD streitet über Rüstungsexporte. Hrsg.: Weser-Kurier (03/2019).
[16] Ebd.
[17] Spiegel: Bundesregierung hält an Stopp bei Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien fest. Hrsg.: Spiegel Online (02/2019).
[18] Hanuschke, Peter: Klare Kante gefordert. SPD streitet über Rüstungsexporte. Hrsg.: Weser-Kurier (03/2019).
[19] Tillak, Hans-Martin: Wie die Rüstungslobby Stimmung für Waffenexporte an die Saudis macht. Hrsg.: Stern (03/2019).
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ebd.