Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2019/01 (Update 23.1.19)

Schneehelden im Schneechaos

Die Inszenierung der Bundeswehr und die Unterhöhlung des zivilen Katastrophenschutzes

Martin Kirsch (15.01.2019)

Am 19. Januar 2019 wurde mit der Aufhebung des Katastrophenalarms im Landkreis Berchtesgaden auch der Bundeswehreinsatz „Operation Schneelage 2019“ offiziell für beendet erklärt. Auf den ersten Blick ist es daher verwunderlich, dass die ersten Angehörigen der Armee bereits vor Ausrufung des Katastrophenfalls aktiv wurden und noch am 21. Januar 84 Soldat*innen im Einsatz gemeldet waren.[1] Ein genauerer Blick auf das Geschehen zeigt hingegen, dass die Bundeswehr hier keineswegs als letzte „Rettungsinstanz“ agierte, sondern sich ganz im Gegenteil frühzeitig regelrecht aufdrängte. Mit der medial ausgeschlachteten Präsenz der Bundeswehr bei Katastropheneinsätzen geht nicht nur eine schleichende Gewöhnung an Inlandseinsätze der Truppe einher. Hinzu kommt auch, dass der finanziellen Austrocknung der zivilen Katastrophenschutzbehörden fahrlässig Vorschub geleistet wird.

Propagandistische Spitzenleistung

Aus dem offiziellen Einsatz verabschiedete sich das Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis in Bonn und der Pressestelle der Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall mit einem voluminösen Zahlenwerk: „Elf Tage, fünf Landkreise, 2.500 Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr, 13 Kilometer geräumte Straßen, 220.000 Quadratmeter geräumte Dachfläche“.[2] Allein die Sammlung dieser Zahlen im laufenden Einsatz zeigt, mit welcher Akribie die PR-Profis der Bundeswehr das Geschehen begleiteten und die Presse mit Texten und Bildern fütterten.

Einen ersten Höhepunkt der propagandistischen Darstellung der Bundeswehr-Aktivitäten in der Alpenregion hatte die Oberbefehlshaberin von der Leyen mit ihrem Besuch bei der Gebirgsjägertruppe bereits am 13. Januar gesetzt.[3] Während Focus Online schon zwei Tage zuvor vom „Mini-Panzer der Schnee-Helden“ berichtet hatte – alle technischen Details des Kriegsgeräts inklusive – war sich die Lokalzeitung Berchtesgadener Anzeiger nicht zu schade, die Pressemitteilung der Bundeswehr zum Besuch der Ministerin vor ihrer Haustür gleich eins zu eins wiederzugeben.[4] Neben der miserablen journalistischen Arbeit und der Verherrlichung der Armee durch die jeweiligen Medien handelt es sich dabei auch um einen Effekt der massiven Pressearbeit der Bundeswehr, die ihren Einsatz zur medialen Charmeoffensive zu nutzen wusste.

Im Verhältnis zu den zivilen Hilfsorganisationen verbirgt sich hinter der von der Bundeswehr immer wieder betonten reibungslosen Kooperation vor allem ein eher rüpelhaftes Verhalten. So ließ es sich die Armee nicht nehmen erst zu Hilfe zu eilen, um dann den Landkreisen und Hilfsorganisationen, die mit der konkreten Schadensbegrenzung beschäftigt waren, die Show zu stehlen und sich in die erste Reihe der bundesweiten Berichterstattung zu drängen.

Katastrophenfall als Mittel zur Mobilisierung der Bundeswehr

Während die Verantwortlichen in einigen Gemeinden in Österreich, wie z.B. in Lech am Arlberg, noch am 13. Januar feststellten,[5] dass es sich trotz Lawinenabgängen mit Todesfolge um keine ungewöhnliche Lage handelte, herrschte in den deutschen Medien und in Teilen der Politik bereits Katastrophenstimmung. So legt die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks nah, dass der Katastrophenfall in Teilen des Berchtesgadener Landes von Landrat Georg Grabner am 10. Januar u.a. deshalb ausgerufen wurde, um den großflächigen Einsatz der Bundeswehr zu ermöglichen.[6] Einen ersten Einsatz für die Bundeswehr gab es bereits am 08. Januar bei Berchtesgaden, als drei Kettenfahrzeuge der Gebirgsjäger der lokalen Feuerwehr zu Hilfe kamen, um eine wegen Lawinengefahr eingeschlossene Schulklasse zu evakuieren.[7] Bis zum Wochenende stieg die Zahl der eingesetzten Soldat*innen dann kontinuierlich an. Koordiniert wurden diese Bundeswehraktivitäten aus dem Lagenzentrum des Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin, das für alle Inlandseinsätze zuständig ist. Vor Ort kommen Soldat*innen und Reservist*innen vom Landeskommando aus München und den lokalen Verbindungskommandos hinzu. Ist dieser Apparat erst einmal angelaufen, sitzen Bundeswehrangehörige in den lokalen Katastrophenstäben, um die zivilen Hilfsorganisationen zu beraten – so der offizielle Auftrag.

Die Praxis der letzten Jahre zeigt allerdings, dass dort die Fähigkeiten der Bundeswehr für den Katastrophenschutz aktiv angepriesen werden. Dementsprechend wurde am 11. Januar der sogenannte „militärische Katastrophenalarm“ ausgerufen, den die Bundeswehr zur inneren Mobilisierung nutzt. Zu Spitzenzeiten waren am folgenden Sonntag bis zu 1.500 Bundeswehrangehörige im Einsatz und weitere in Bereitschaft. Ihre Hauptaufgabe war es – neben vereinzelten Evakuierungseinsätzen und der Räumung von eingeschneiten Straßen sowie Lawinensprengungen mittels Hubschrauber – vor allem, Schnee mit Schaufeln von Dächern zu räumen.

Die offene Frage bleibt hingegen, warum die zivilen Katastrophenschutzbehörden des Freistaats z.T erst Tage später in Bewegung gesetzt wurden. Die Mobilisierung von 500 bayerischen Bereitschaftspolizisten erfolgte am selben Tag wie das Anlaufen des militärischen Großeinsatzes. Die (Freiwilligen) Feuerwehren und das THW aus der Region um Nürnberg machten sich hingegen erst am 13. Januar in die Schneegebiete auf den Weg[8] – zwei Tage, nachdem der „militärische Katastrophenalarm“ bereits ausgelöst worden war. In diesem Vorgehen zeigt sich deutlich, dass der Mythos der Bundeswehr als letzte Hilfsinstanz für den absoluten Ausnahmefall längst der Vergangenheit angehört.

Konsequenzen für den zivilen Katastrophenschutz

Während es den Bewohner*innen der betroffenen Regionen egal sein dürfte, wer ihr Dach vom Schnee befreit oder Zugangsstraßen räumt und sich einige Angehörige der lokalen Hilfsorganisationen sicher über die konkrete Unterstützung der Bundeswehr gefreut haben dürften, wird oftmals vergessen, dass auch staatliche Behörden in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Wenn es sich nicht um politische Hardliner handelt, die ohnehin das Militär für die Lösung aller Probleme halten, scheint einigen Landräten nicht bewusst zu sein, dass sie sich mit der frühen Mobilisierung der Bundeswehr über die Zeit selbst schaden. So ist davon auszugehen, dass die Ausfinanzierung der Hilfsorganisationen auf lokaler Ebene immer schwerer durchzusetzen sein wird, wenn die Bundeswehr entsprechende Kapazitäten vorhält, die vermehrt zum Einsatz kommen. Zu ernsthaften Problemen kommt es allerdings dann, wenn der Katastrophenschutz sich auf die Armee verlässt. Sollten die Bundeswehrstrukturen im jeweiligen Bundesland, in diesem Fall v.a. die Gebirgsjäger, zum Zeitpunkt eines Extremwettereignisses oder Großunfalls etwa im Auslandseinsatz, in der entsprechenden Vorbereitung oder in Abrufbereitschaft für die NATO-Ostflanke befinden, stehen die Strukturen der Armee schnell nicht mehr zur Verfügung und die betroffenen Kommunen bleiben sich selbst überlassen.

Die Effekte der wachsenden Nähe zeigen sich aber nicht nur im Katastrophenfall, sondern auch dann, wenn die Bundeswehr für repressive Inlandseinsätze unter dem Stichwort „Terrorabwehr“ mobilisiert werden soll. Beispiele hierfür sind die Bereitschaft der Feldjägertruppe während eines Amoklaufs in München 2016[9] und die GETEX-Übung von Bundeswehr, Polizei und Katastrophenschutz 2017.[10] Während es im unmittelbaren Interesse der Bundeswehr liegt, zivile Organisationen an sich zu binden und sich in immer weiteren Bereichen der Gesellschaft unverzichtbar zu machen, kann es nur verwundern, dass sich aus den Hilfsorganisationen und Kommunalverwaltungen kein Widerstand gegen die Militarisierung des Katastrophenschutzes regt.

Anmerkungen

[1] Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis, Infoflyer „Schneelage Bayern“ # 13, 21.01.2019, streitkräftebasis.de
[2] Landeskommando Bayern, Felicia Engelmann, Bundeswehr beendet Hilfseinsatz nach der Schneekatastrophe, 21.01.2019, streitkräftebasis.de
[3] Pressestelle Gebirgsjägerbrigade 23, Die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, besucht Gebirgssoldaten auf der Buchenhöhe, 13.01.19, streitkräftebasis.de
[4] Berchtesgadener Anzeiger, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht Soldaten auf der Buchenhöhe, 13.01.2019, Berchtesgaden-anzeiger.de
[5] Tagesschau (20 Uhr) vom 13.01.2019, tagesschau.de
[6] BR 24, Katastrophenalarm in Bayern – Söder besucht verschneite Regionen, 11.01.2019, br.de
[7] Streitkräftebasis, Eckhard Michel, Schneechaos: „Struber Jager“ bringen Schüler in Sicherheit, 10.01.2019, streitkräftebasis.de
[8] Nordbayern, Hier schickt die Nürnberger Feuerwehr Hilfe nach Südbayern, 13.01.2019, nordbayern.de
[9] IMI-Analyse 2016/33b, Martin Kirsch, Bundeswehr in den Straßen? – Einschätzungen zur aktuellen Debatte um Bundeswehreinsätze zur Terrorabwehr in Deutschland, imi-online.de
[10] IMI-Analyse 2017/10 , Martin Kirsch, GETEX – Polizei und Bundeswehr üben Anti-Terror-Einsatz im Inland, imi-online.de

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