IMI-Standpunkt 2018/040

Deutschlands Aufrüstung: An allen Fronten – Auf allen Ebenen!

Bericht vom 22. IMI-Kongress

von: IMI | Veröffentlicht am: 13. Dezember 2018

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Der 22. Kongress der Informationsstelle Militarisierung fand, dieses Jahr etwas später als gewohnt, vom 7. bis 9. Dezember 2018 wie immer in Tübingen statt. Thema war – die Debatte um das 2%-Ziel der NATO aufgreifend – Deutschlands Aufrüstung „auf allen Ebenen und an allen Fronten“. Neben dem steigenden Verteidigungshaushalt und Großprojekten aus der Rüstung wurde die intensivierte Aufrüstung auch in Bereichen der Polizei, der Forschung, der Infrastruktur und der Flächennutzung reflektiert. Die Abendveranstaltung zur „EU auf dem Weg zur Rüstungsunion“ wurde kurzfristig in einen von Aktivist*innen und Studierenden angeeigneten Hörsaal verlegt. Der Hörsaal war eine Woche zuvor im Anschluss an eine Demonstration gegen den Forschungscampus „Cyber Valley“ besetzt worden, an dem auch die Rüstungsindustrie beteiligt ist. Zu den Forderungen der Besetzenden gehört u.a. eine Zivilklausel für die gesamte Stadt.

Zwischen 70 und 140 Personen waren jeweils bei den Vorträgen präsent, insgesamt dürften über 200 Menschen Teile des Kongresses besucht haben. Viele Besucher*innen aus entfernteren Gegenden reisten bereits zur Auftaktveranstaltung am Freitagabend an, die in der Hausbar des Wohnprojekts Schellingstraße – einer ehemaligen Kaserne – stattfand. Einige von ihnen hatten bereits zuvor an der Demonstration „Menschenrecht fundamental ist!“ des „Bündnis Bleiberecht“ zum Tag der Menschenrechte teilgenommen, zu der auch die IMI aufgerufen hatte. Auch bei der Begrüßung zur Auftaktveranstaltung wurde unterstrichen, dass Tübingen gerade eine „Stadt in Bewegung“ sei, wobei die Proteste gegen das Cyber Valley, Abschiebungen und Rechtspopulismus sowie für Menschenrechte und Demokratisierung hier gerade tatsächlich alltäglich, zugleich ermutigend wie aber auch kräftezehrend seien. Dies wurde auch Anhand von Bildern einiger Protestveranstaltungen unterstrichen, bevor Jacqueline Andres einen kurzen Vortrag zu Beispielen der Konversion – also der zivilen Nutzung vormals militärischer Flächen – hielt. Dabei wurde einerseits deutlich, welches Potential ehemalige Kasernengelände für die Schaffung neuen Wohnraums und auch sozio-kultureller Begegnungs- und Veranstaltungsräume bergen. In vielen ehemaligen Kasernengebäuden werde heute versucht, möglichst hierarchiefrei zu leben und nach dem Konsensprinzip zu entscheiden, was Andres u.a. anhand von Beispielen aus Tübingen veranschaulichte. „Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die zivile Nutzung ehemaliger Militärgebäude oft aus Besetzungen hervorgeht“, so die Referentin. Anschließend gab es noch eine Art Kneipen-Quiz zu Ritualen bei der Bundeswehr, bei dem v.a. viel gelacht und eines klar wurde: Es gibt Weniges, was die Anwesenden sich vorstellen konnten und gelangweilte Soldat*innen nicht schon durchgeführt und ritualisiert hätten…

Rüstungshaushalt und Rüstungsmarkt

Eröffnet wurde der Kongress mit einem Beitrag von IMI-Vorstand Tobias Pflüger, der angesichts der drastischen Steigerungen des Militärhaushalts auf nunmehr 43,2 Mrd. Euro im Jahr 2019 (von 24,3 Mrd. im Jahr 2000) die fehlende öffentliche Debatte über diese Entwicklung kritisierte. Den Rahmen für den jüngsten Rüstungsschub stecke die im Juli 2018 verabschiedete „Konzeption der Bundeswehr“ ab, die mit Blick auf Russland den Aufbau „kampfkräftiger Großverbände“ vorsehe, gleichzeitig aber festschreibe, dass auch die Fähigkeiten für sog. „Stabilisierungseinsätze“ wie z.B. in Afghanistan weiter aufrechterhalten werden müssten: „Weil die Bundeswehr für buchstäblich alles gerüstet sein will, macht das die ganze Angelegenheit derzeit besonders teuer“, so der Bundestagsabgeordnete. Die weitere Feinausplanung sei nun im „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ vom September 2018 niedergeschrieben worden. Allerdings dürfe aus dem Papier nicht zitiert werden, große Teile seien sogar als geheim eingestuft, nicht einmal als Bundestagsabgeordneter sei es erlaubt, sich daraus Notizen zu machen oder gar über dessen Inhalte zu sprechen, so Pflüger. Die Bundeswehr wolle, soviel sei bekannt, bis 2023 ein Bataillon (ca. 5.000 Soldaten) und ab 2027 eine Division (ca. 20.000) als zusätzliche schwere Großverbände bereitstellen. Bis 2031 wären dann bereits drei Divisionen vorgesehen. „Dafür wird die Bundeswehr deutlich mehr Personal benötigen, die jüngsten Pläne, sie bis 2025 von aktuell 180.000 auf 203.000 Soldaten zu vergrößern, ist hier wohl nur der Anfang.“ Und auch der Militärhaushalt solle weiter steigen: „Mit Unterstützung der Kanzlerin wurde der NATO zugesagt, dass Deutschland bis 2025 1,5% seines BIP für das Militär ausgeben wird, nach internen Bundeswehrberechnungen wären das dann sage und schreibe 60 Mrd. Euro!“

Anschließend widmete sich Andreas Seifert unter der Überschrift „Think Big: Rüstungsmarkt in Bewegung“, den aktuellen Entwicklung in diesem Segment. Obwohl allein im Jahr 2019 (inklusive Erhalt) etwa 15,5 Mrd. Euro in Rüstungsmaterialien investiert würden, seien nur wenige deutsche Firmen überhaupt unter den Top-100 Rüstungskonzernen zu finden (und wenn, zumeist auf hinteren Plätzen). Aktuell verteile sich das Rüstungsgeschäft also noch auf viele kleine und mittlere Unternehmen, die eine hohe Spezialisierung aufweisen und teilweise sehr erfolgreich auf den internationalen Märken mitmischten. Derzeit werde aber deutlich, dass die Politik auf eine nationale und dann auch europäische „Konsolidierung“ der Rüstungsindustrie abziele und „strukturierend“ in den Markt eingreife. „Die aktuell geplante Fusion der deutschen Panzerbauer KMW und Rheinmetall, wie sie auch die Politik unterstützt, ist hier wohl nur der Anfang“, so Seifert. Perspektivisch sei es das Ziel, den europaweiten Rüstungsmarkt unter deutsch-französischer Führung neu zu ordnen und zu konsolidieren: „Deutschland und Frankreich haben sich vorgenommen, den Rüstungsmarkt aufzumischen, indem über Auftragsvergaben im Marineschiffbau und der Luftfahrt neue Strukturen vorgezeichnet werden.“ Auffällig sei dabei das Phänomen, dass in der Öffentlichkeit die teils massiven Kosten- und Produktionszeitüberschreitungen militärischer Großprojekte sowie die mangelhafte Ausführung primär der Politik und nicht der Industrie angekreidet würden. Interne Untersuchungen der Branche hätten ergeben, dass die Rüstungsindustrie generell eine relativ hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genieße: „Als Schlussfolgerung will die Industrie künftig noch einmal deutlich offensiver ihre Belange in der Öffentlichkeit vertreten, als dies bislang der Fall war. Auf diese Entwicklung sollten wir vorbereitet sein“, so Seiferts Fazit.

Aufrüstung in der Forschung und bei der Polizei

Christoph Marischka, Mitglied im Vorstand der IMI, referierte zum Thema „High-Tech-Rüstung“ und der damit einhergehenden Militarisierung der Forschung. Während der Gesamtetat des Verteidigungsministeriums von 2018 auf 2019 um gut 11% steige, sollten die Ausgaben für Wehrforschung um 44% anwachsen. Auch der Koalitionsvertrag verdeutliche das Ziel, rechtliche und ethische Barrieren in der Forschungsförderung einzureißen, um gerade bei sog. „disruptiven Technologien“ die „Innovationsführerschaft“ auszubauen. Dahinter stehe auch die Ideologie der sog. „Revolution of Military Affairs“, die darauf ziele, militärisch nutzbare Technologien voranzutreiben und möglichst rasch zur Anwendung zu bringen, um die numerische Unterlegenheit gegenüber potentiellen Feinden auszugleichen. Während über Jahrzehnte die USA als unangefochtener Vorreiter auf diesem Gebiet galten, werde heute von einem globalen Wettbewerb ausgegangen, an dem sich nun auch Deutschland intensiv beteiligen wolle.
Technologiebereiche, die in diesem Kontext als zentral angesehen würden, seien neben etwa der Robotik und der Miniaturisierung die Luft- und Raumfahrt, die Sensorik und die sog. Künstliche Intelligenz, die zugleich im Rahmen ziviler wie auch militärischer Forschungsprogramme vorangetrieben würden, wie Marischka an Beispielen verdeutlichte. Typisch sei dabei eine politisch vorangetriebene, thematische und räumliche Verdichtung von Wissenschaft, Politik und (Rüstungs-)Industrie in sog. „Forschungscampi“. Ein solcher entstehe aktuell etwa auf dem Gelände der ehemaligen Luftfahrtforschungsanstalt München bei Ottobrunn und auch das sog. Cyber Valley zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz in Tübingen könne als solcher Forschungscampus verstanden werden.

Zum Thema „Rüstungsgüter für die Polizei“ war Martin Kirsch als Referent eingeladen. Zu Beginn stellte er heraus: „Im Gegensatz zu den USA, wo eine Militarisierung der Polizei durch die Weitergabe von ausgemusterten Waffen der Armee stattfindet, handelt es sich in Deutschland tatsächlich um einen polizeilichen Rüstungsmarkt.“ Zu einem regelrechten Boom auf diesem Markt sei es seit den Anschlägen in Paris Anfang 2015 und der darauf folgenden Terrorhysterie gekommen. Allein zwischen 2015 und 2017 wurden von den Länderpolizeien für neue Waffen und Schutzausrüstung rund 230 Millionen Euro ausgegeben. „Die von Polizeibehörden neu beschafften Rüstungsgüter fallen zumeist dadurch auf, dass sie von der Industrie für Bundeswehreinsätze wie in Afghanistan entwickelt wurden“, so Kirsch.
Nach einer Vorankündigung des Innenministeriums sei u.a. davon auszugehen, dass im nächsten Jahr rund 70 neue Panzerwagen für die deutschen Polizeibehörden geordert werden. Diese seien als Ersatz für veraltete Fahrzeuge aus den 1980er Jahren vorgesehen. Im Gegensatz zu den Vorgängermodellen sollten die Neubeschaffungen auch gegen Minen und Sprengfallen sowie Feuerwaffen mit größerem Kaliber geschützt sein. Hinzu komme die Option, eine ferngesteuerte Waffenstation mit Maschinengewehr und Überwachungstechnik auf dem Dach zu installieren. Auch bei der bevorstehenden Beschaffung von Panzerfahrzeugen durch das Innenministerium werde sich konsequent an den Erfahrungen der Bundeswehr im Afghanistaneinsatz orientiert. Wie die Debatte um ein neues Leitbild der Polizei NRW zeige, scheint „das Wort als wesentliches taktisches Einsatzmittel“, wie es in den 1980er Jahren formuliert wurde, an Bedeutung zu verlieren. Vielmehr sollten PolizistInnen – so der aktuelle Vorschlag – „durchsetzungsfähig und -stark und damit letztlich gewaltfähig, aber nicht gewaltaffin werden“. Das Selbstbild der Polizei verschiebe sich damit parallel zur materiellen Aufrüstung hin zu einem kriegerischen Ideal.

Atomare Rüstung und Widerstand

Die Debatte über die Aufkündigung des INF-Vertrages durch die USA hat die atomare Aufrüstung wieder auf die internationale Tagesordnung gebracht, führte Claudia Haydt im anschließenden Vortrag aus.
Die Gefahr eines neuen (atomaren) Rüstungswettlaufs inklusive der Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland sei real. Doch auch ohne diese jüngste Eskalation wäre die Atomkriegsgefahr 2018 bereits auf zwei Minuten vor zwölf (Atomkriegsuhr) nach vorn gestellt worden. Teil der Eskalation wäre auch die geplante „Modernisierung“ der in Deutschland stationierten Atomwaffen. Diese sollten gegen lenkbare, in ihrer Intensität skalierbare und relativ leichte Atomwaffen ausgetauscht werden. Durch die Vielzahl der zukünftig möglichen Einsatzszenarien steige auch die Gefahr, dass diese Waffen tatsächlich zum Einsatz kommen könnten.
Als Gegenstrategie hätten zahlreiche NGOs und über 120 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag auf den Weg gebracht. Deutschland habe sich weder an den Vertragsverhandlungen beteiligt, noch wäre die Bundesregierung bereit, den Vertrag zu unterzeichnen – obwohl eine Bevölkerungsmehrheit dies befürworte. Hintergrund für die ablehnende Haltung sei die – zutreffende – Analyse, dass nach einem Beitritt Deutschlands die nukleare Teilhabe beendet werden müsste. Dieser zumindest potentielle Zugriff Deutschlands auf die Bombe scheine einen hohen Stellenwert für deutsche machtpolitische Optionen zu haben. Es mehrten sich zugleich Stimmen aus Wissenschaft und Politik, die sogar eine deutsche oder wenigstens eine EU-Atombombe fordern würden, wobei letzteres Szenario auf eine Weiterentwicklung des französischen Atomwaffenarsenals hinauslaufen würde. Mit einer starken Kampagne für einen deutschen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag könnte solchen gefährlichen Strategien ein Riegel vorgeschoben werden, so Haydt.

Die EU auf dem Weg zur Rüstungsunion

Das kurzfristig in das Hörsaalgebäude „Kupferbau“ verlegte Abendpanel „Die EU auf dem Weg zur Rüstungsunion“ eröffnete Jürgen Wagner, der argumentierte, die im Dezember 2017 aktivierte „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ – englisch abgekürzt: „PESCO“ – werde aktuell als künftige Schaltzentrale der EU-Militärpolitik in Stellung gebracht. Erstmals würde durch PESCO, an der sich derzeit 25 EU-Staaten beteiligen, das in der EU-Militärpolitik bisher geltende Konsensprinzip in wichtigen Teilen ausgehebelt. „Im PESCO-Rahmen kann künftig außerhalb von Militäreinsätzen nahezu jedes erdenkliche Rüstungsprojekt durchgeführt werden. Die Teilnehmer haben zwar auch in PESCO weiter ein Vetorecht was die Projektanbahnung anbelangt, mussten dafür aber zusagen, künftig eine Reihe von Rüstungskriterien zu erfüllen.“ Diese Kriterien würden u.a. die Verpflichtung zur Steigerung der Militärhaushalte und Rüstungsinvestitionen ebenso beinhalten, wie die Teilnahme an Maßnahmen, die den deutsch-französisch geführten Konzentrationsprozess der europäischen Rüstungsindustrie vorantreiben sollen. „Der Knackpunkt besteht darin, dass die Einhaltung dieser Rüstungskriterien künftig durch die EU-Verteidigungsagentur überprüft wird. Und sollte die zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Staat nicht adäquat mitgerüstet hat, kann ein Land auf dieser Grundlage mit einem Mehrheitsbeschluss aus der PESCO hinausgeworfen werden.“ Versüßt werde das Ganze dann wiederum dadurch, so der IMI-Vorstand weiter, dass PESCO-Projekte künftig bevorzugt aus dem künftigen EU-Verteidigungsfonds subventioniert werden sollen, für den im nächsten EU-Haushalt bis zu 48,6 Mrd. Euro vorgesehen seien: „Bislang war eine Verwendung des EU-Haushalts für militärische Maßnahmen tabu, sollte dieses Verbot geschliffen werden, müssen wir uns im schlimmsten Fall daran gewöhnen, dass künftig zusätzlich zu den nationalen Haushalten auch über die EU-Ebene Milliardenbeträge in den Rüstungssektor gepumpt werden“, so Wagners abschließende Befürchtung.

Anschließend an den PESCO-Vortrag stellte IMI-Beirat Marius Pletsch die drei größten aktuellen europäischen Rüstungsprojekte vor. Das erste Beispiel, die Eurodrohne – oder auch MALE RPAS – sei erst im November 2018 in PESCO überführt worden und solle bis 2025 von Deutschland – hier Führungsnation – sowie Frankreich, Italien, Spanien und der Tschechischen Republik entwickelt werden. Bis zu 30 % der Kosten für die Entwicklung könnten aufgrund der Überführung in PESCO vom Europäischen Rüstungsfonds übernommen werden. Deutschland plane, 21 Drohnen zu beschaffen, Italien und Spanien je 15 und Frankreich 12. Bei den anderen beiden Großprojekten sind bislang lediglich Deutschland und Frankreich beteiligt, auf diese einigte man sich beim Ministerratstreffen der beiden Staaten im Juli 2017 und bekräftigte die Vorhaben bei einem kleinen Ministerratstreffen im Juni 2018 nochmals: Zum einen den nächsten Kampfpanzer – das Main Ground Combat System (MGCS) –, der für Deutschland den Leopard 2 und für Frankreich den Leclerc ersetzen soll. Das System solle nicht nur aus dem Kampfpanzer selbst, sondern auch aus unbemannten Subsystemen bestehen. Deutschland hat bei diesem Projekt, das nicht vor 2035 eingeführt werden soll, die Führung übernommen. Zum zweiten sei die nächste Generation eines Kampfflugzeugs (FCAS) mitsamt Satellitenkommunikation, Begleitdrohnen(schwärmen) und Tankflugzeugen zu nennen. Für dieses Projekt zeige sich Frankreich hauptverantwortlich, es solle vermutlich ab 2040 in die Streitkräfte integriert werden. Laut Handelsblatt würde mit Umsätzen für die beiden letztgenannten Projekte von 100 Mrd. € für das MGCS und 500 Mrd. für das FCAS bis 2040 gerechnet. Strittig seien zwischen Deutschland und Frankreich die Punkte der Beteiligung weiterer Staaten und die Exportfrage. Ob sich die Projekte, gerade unter deutsch-französischer Dominanz, eignen, die EU zu einen, dürfe beim nationalen Interesse, die jeweils eigenen Rüstungsindustrien fördern zu wollen, bezweifelt werden, so Pletsch.

„Gegenkonversion“

Am Sonntagmorgen ging es zweimal um das Thema „Gegenkonversion“, also die (Re-)Militarisierung von Flächen. Den Auftakt zum Thema machte IMI-Vorstand Tobias Pflüger unter dem Titel „Freie Fahrt fürs Militär: Militärische Mobilität und das NATO-Logistikkommando in Ulm“. Als Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag verfügt er über Informationen aus erster Hand zur momentanen Aufrüstungspolitik. Das Thema Militärische Mobilität spiele im Bundestag momentan eine wichtige Rolle. Die Infrastruktur in den europäischen NATO-Staaten solle – wieder – für den reibungslosen Transport von Truppen und vor allem Gerät fit gemacht werden. Auch die EU wirke daran mit. Im Rahmen der PESCO würden Verkehrswege auf ihre militärische Eignung überprüft und nun für schnelle Militärverlegungen nach Osteuropa ausgebaut. Tobias Pflüger meinte hierzu: „Ein Military Schengen und freie Fahrt fürs Militär, während an den europäischen Außengrenzen täglich Menschen sterben? Das ist menschenverachtend und zynisch!“ Doch auch die Kommandostruktur der NATO werde ausgebaut. In Ulm werde momentan ein „Joint Support and Enabling Command“ (JSEC) der NATO aufgebaut. Im Falle eines Krieges wäre dieses direkt dem Oberbefehlshaber der NATO für Europa unterstellt. Tobias Pflüger betonte, dies würde Ulm bei einer Konfrontation mit Russland möglicherweise zu einem potenziellen Kriegsziel machen. Deutschland werde zunehmend zur militärischen Drehscheibe der NATO und der EU.

Den zweiten Vortrag zur „Gegenkonversion“ bestritt IMI-Beirat Alexander Kleiß. Er referierte zum Thema „Die militärische (Rück-)Eroberung der Fläche: (Re-)Aktivierung alter und neuer Liegenschaften“. Der Referent argumentierte, seit einigen Jahren sei ein neues Phänomen zu beobachten: Für die Aufrüstung des Militärs würden zunehmend neue Flächen benötigt. Während seit dem Ende des Kalten Krieges zahlreiche Militärgelände einer sinnvollen zivilen Nutzung zugeführt werden konnten, deute sich jetzt ein neuer Trend an, den er unter dem Begriff „Gegenkonversion“ fasste. Dabei ließen sich drei verschiedene Formen identifizieren, die nicht immer klar abtrennbar seien: Erstens die Inbesitznahme ziviler Flächen durch das Militär, teilweise um den Verlust von (anderen) Flächen, die einer zivilen Nutzung zugeführt werden sollen, auszugleichen; zweitens die Reaktivierung aufgegebener Flächen, Liegenschaften und Ressourcen; drittens den Abbruch oder die Verzögerung eines Konversionsprozesses.
Der Versuch, den zivilen Segelflugplatz in Haiterbach in ein Militärgelände für Fallschirmabsprünge des Kommando Spezialkräfte (KSK) umzuwandeln, sei ein Beispiel für die erste Form von Gegenkonversion. Ein Beispiel für die Reaktivierung aufgegebener Flächen stelle die Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim dar. Dort werde eine eigentlich aufgegebene und sogar bereits verkaufte Liegenschaft nun wieder durch eine Führungsunterstützungskompanie des KSK militärisch genutzt. Bald solle dort sogar ein neues Panzerbataillon aufgestellt werden. Ein Beispiel für den Abbruch bzw. die Verzögerung eines Konversionsprozesses sei schließlich die Verhinderung einer zivilen Nutzung der Bleidorn-Kaserne in Ulm, die für das dort neu entstehende NATO-Logistikkommando vorgehalten werde. Alexander Kleiß meinte abschließend: „Die militärisch genutzten Flächen sollten einer Konversion zugeführt werden. Dass nun hingegen zivile Flächen in Militärgelände umgewandelt sollen, stößt zu Recht auf Widerstand aus der Bevölkerung.“

Widerstand gegen Aufrüstung

Das Abschlusspodium des diesjährigen Kongresses fokussierte sich auf aktuellen Widerstand gegen Aufrüstung. Mit dabei waren Eva-Maria Glathe-Braun, die über den wachsenden Widerstand in Ulm gegen das geplante NATO-Logistikkommando JSEC referierte sowie Ronja Bober vom bundesweiten Jugendnetzwerk für politische Aktion (JunepA), Aron vom Tübinger Bündnis gegen das Cyber Valley und Andrea Behnke vom Kassler antimilitaristischen Aktionsbündnis Block War. Abgesehen von der Darstellung der jeweiligen politischen Auseinandersetzungen und auch Erfolge ging es darum, zu erörtern, wie wir es schaffen können, die anti-militaristischen Bewegungen zu stärken. Ein Schwerpunkt des Fazits war, dass das Vernetzen mit Bewegungen aus anderen Spektren, wie den Wohnraumbündnissen und Naturschutzverbänden, intensiviert werden könnte.