IMI-Standpunkt 2018/039 - in: AUSDRUCK (Dezember 2018)
Die Konstruktion des russischen Feindbilds – Beispiele aus der Politikberatung
von: Christopher Schwitanski | Veröffentlicht am: 4. Dezember 2018
PDF-Artikel im AUSDRUCK (Dezember 2018)
Ganze Ausgabe des AUSDRUCK (Dezember 2018)
Ende April 2018 veröffentlichte die tschechische Denkfabrik European Values Think Tank eine Studie zu russischen Desinformationsaktivitäten in Europa. Die besagte Studie mit dem Titel Prague Manual fasst zunächst die Aktivitäten europäischer Staaten im Umgang mit Russland zugeschriebenen Kommunikationsaktivitäten zusammen und formuliert weiterhin Empfehlungen für den Umgang mit selbigen. Diesen Empfehlungen widmet sich auch ein im Herbst diesen Jahres veröffentlichtes Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), welches den Autoren der ursprünglichen Studie ein Forum bietet, die Ergebnisse ihrer ursprünglichen Arbeit auf fünf Seiten zusammenzufassen und auf diesem Weg zur Reproduktion und Verbreitung selbiger beiträgt. Das Arbeitspapier der BAKS und die zugrunde liegende Studie können als Teil eines antirussischen Diskurses gelesen werden, welcher in den sicherheitspolitischen Institutionen Deutschlands und zahlreicher EU- und Nato-Mitgliedstaaten vorherrscht und sich durch eine einseitige Negativzeichnung Russlands auszeichnet, im Zuge derer in der Regel die historischen Bedingungen der gegenwärtigen Konfrontation zwischen der Nato und Russland ebenso wie eine kritische Perspektive auf erstere ausgeblendet wird. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden einige zentrale Stellen des BAKS-Arbeitspapiers und des Prague Manuals wiedergegeben und diskutiert.
Generalverdacht
Im Rahmen des Arbeitspapiers wird zunächst die in den letzten Jahren immer häufiger laut werdende Forderung erhoben, auch westlicherseits offensive Kommunikationskampagnen unter dem Schlagwort „strategische Kommunikation“ zu betreiben, womit auf die wahrgenommene Bedrohung durch russische Aktivität auf diesem Gebiet reagiert werden soll. In diesem Zusammenhang wird Russlands Kommunikation als Teil einer sogenannten „hybriden Kriegsführung“[1] dargestellt. Dabei handelt es sich um ein relativ junges Konzept, welches nicht zuletzt dazu genutzt wird, russische Aktivitäten im Cyber- und Informationsraum zu benennen und diesen zugleich eine negative Deutung zu geben, wobei zumeist ausgespart wird, dass sich die Aktivitäten westlicher Staaten in diesen Bereichen in gleicher Weise als „hybrid“ kennzeichnen ließe.
Neben der obigen Eingangsforderung warnen die Autoren des Arbeitspapiers vor der Einflussnahme der russischen Regierung auf einzelne europäische Politiker mittels Geld und medialer Unterstützung. Denn im Gegenzug erwarte „der Kreml eine tolerante Sichtweise auf Russlands aggressive Politik oder Engagement für die Aufhebung der EU-Sanktionen. Der kritische Punkt ist erreicht, wenn der Kreml zum Beispiel einen strategisch wichtigen Geschäftsabschluss zwischen russischen Staatsunternehmen und europäischen Firmen verhandeln kann, üblicherweise in der Energiebranche oder anderen volkswirtschaftlich relevanten Sektoren. Solche Geschäfte können lukrativ erscheinen, aber ihr tatsächlicher Zweck ist in den meisten Fällen politisch. Nachdem solche Geschäfte abgeschlossen wurden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Kreml und seine Stellvertreter versuchen, gegnerische Kräfte auf staatlicher und nicht staatlicher Ebene lähmen [sic]. Das letztendliche Ziel ist ein weicher Regimewechsel.“[2]
Nach dieser Argumentation, mit der sich jede nicht antirussische (Entspannungs-)Politik unter den Generalverdacht von Korruption und Einflussnahme mit dem Ziel eines Regimewechsels stellen lässt, finden sich weiterhin Empfehlungen entlang einer dreiteiligen Typisierung der EU-Mitgliedstaaten: Unter dem Punkt „Empfehlungen für Länder, in denen das Ausmaß der Bedrohung nicht erkannt oder nicht anerkannt wird“, werden diese wie folgt adressiert: „in manchen Ländern Europas wird die Bedrohung durch russische Einflussnahme in Strategiedokumenten und politischen Verlautbarungen überhaupt nicht oder nur in einem sehr geringen Maße anerkannt. Diese Situation ist oft das Ergebnis enger Wirtschaftsbeziehungen oder geht auf Sympathien für die Praktiken des Kremls zurück.“[3] In einem solchen Fall russlandfreundlicher Regierungen oder solcher, die dem „falschen“ Glauben erliegen, die kommunikative Bedrohung aus Russland „tangiere ihre eigene innere Sicherheit nicht“, wird empfohlen, diese durch Aktivitäten der Zivilgesellschaft umzustimmen, u. a. „durch die investigative Auseinandersetzung mit kremlfreundlichen Akteuren und Narrativen“. Weiterhin könnten „[d]urch intensive und systematische Lobbyarbeit […] die Regierungen in den betreffenden Ländern – wie zum Beispiel Irland oder Belgien – dazu gebracht werden, die Einflussnahme des Kremls auf die Tagesordnung zu setzen und zumindest vorläufige Präventions- und Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen.“[4] In der vollständigen Studie finden sich weiterhin Passagen, welche Kritiker von Nato und EU pauschal in die Nähe russischer Einflussnahme rücken: „Die häufigsten Kandidaten für Unterstützung durch den Kreml sind Politiker, die eine negative Perspektive auf internationale Organisationen wie die EU oder die NATO teilen, zu Autoritarismus tendieren oder einfach mediale oder finanzielle Hilfe für ihren persönlichen Vorteil benötigen. Die Kultivierung solcher Schlüsselfiguren in europäischen politischen Systemen führt nicht nur zur Unterstützung der Interessen des Kremls auf internationaler Ebene, sondern dient auch der Legitimation des korrupten und aggressiven russischen Regimes in Europa und dem Publikum innerhalb Russlands.“[5]
Das hierin zutage tretende Deutungsmuster, Kritiker von Nato und EU pauschal Beeinflussung durch externe Akteure zu unterstellen und ihre Position dadurch zu delegitimieren, findet sich in ähnlicher Weise auch in Nato-Publikationen zum Umgang mit angeblichen Desinformationskampagnen.[6]
Die Zivilgesellschaft als Zielscheibe
In dem obigen Auszug wird weiterhin der Trend deutlich, vor dem Hintergrund von Kommunikationsaktivitäten (wie sie im Westen vornehmlich unter dem Stichwort „strategische Kommunikation“ erfolgen), die Zivilgesellschaft als Ort der kommunikativen (militärischen) Auseinandersetzung zu begreifen, innerhalb dessen es von staatlicher Seite zu intervenieren gilt. Im Arbeitspapier der BAKS heißt es diesbezüglich, „[d]ie Zivilgesellschaft spielt grundsätzlich eine Schlüsselrolle gegen die Unterwanderung durch den Kreml“[7] und es wird empfohlen, die geforderten, für strategische Kommunikation zuständigen Institutionen dem Innenministerium zuzuordnen. Dementsprechend wird im zugrunde liegenden Prague Manual auch wohlwollend die Aktivität von Nichtregierungsorganisationen betrachtet, welche sich dem Widerlegen von Falschinformationen verschrieben haben. Auf der anderen Seite wird gefordert, Nichtregierungsorganisationen zu identifizieren, die wissentlich oder unwissentlich die Politik Russlands unterstützen. Insbesondere die Konzeption einer unwissentlichen oder nicht intendierten Unterstützung bietet potentiell die Möglichkeit, wie oben bereits angesprochen, kritische zivilgesellschaftliche Akteure unter den Verdacht zu stellen, im Sinne Russlands zu agieren.[8]
Diese Entwicklung spiegelt sich aktuell auch in der gemeinsamen Krisenmanagement-Übung von Nato und EU „Hybrid Exercise Multilayer 18“, sowie der 2017 vorangegangenen Übung wider, welche in ihren Szenarien von feindlichen zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgehen.[9]
Schwarz-Weiß-Denken
Die obigen Auszüge machen bereits die antirussische Stoßrichtung der Studie deutlich und fügen sich damit in den gegenwärtigen Trend aggressiver Rhetorik gegenüber Russland seitens der Nato und der EU. Eine differenzierte Problematisierung von Falschinformationen ebenso wie der Außenpolitik Russlands (wobei aufzuzeigen wäre, an welcher Stelle diese beiden Aspekte tatsächlich zusammengehen) findet sich an dieser Stelle nicht. Vielmehr wird eine übersimplifizierte Schwarz-Weiß-Zeichnung der gegenwärtigen Konfrontation mit Russland sowie die Forderung präsentiert, eben diese offensiver in die Gesellschaft zu tragen und Gegenstimmen mit dem Verdacht der Fremdlenkung und Propaganda von vornerein zu delegitimieren.
Die hinter der Studie stehende Denkfabrik European Values sieht sich laut ihrer Website als Verteidigerin der liberalen Demokratie und berät politische Entscheidungsträger in der Bekämpfung von Extremismus, radikalen Regimen und autoritären Tendenzen. Weiterhin betreibt sie das Programm Kremlin Watch, im Rahmen dessen versucht wird, Russland zugeschriebene Kommunikationsaktivitäten in der EU aufzudecken und welches u. a. vom Militärrat der Nato ausgezeichnet wurde. Dabei scheinen friedliche Beziehungen zu Russland für die selbsternannten Verteidiger europäischer Werte mit selbigen unvereinbar zu sein.
Literatur:
[1] European Values Think Tank. 2018. The Prague Manual – How to Tailor National Strategy Using Lessons Learned from Countering Kremlin’s Hostile Subversive Operations in Central and Eastern Europe. (S. 6)
[2] Bundesakademie für Sicherheitspolitik. 2018. Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 22/2018. Das Prague Manual – Wie man der Einflussnahme des Kremls in Europa entgegenwirken kann. (S. 2 f.)
[3] Ebd. (S. 3)
[4] Ebd. (S. 4)
[5] European Values Think Tank. 2018. The Prague Manual – How to Tailor National Strategy Using Lessons Learned from Countering Kremlin’s Hostile Subversive Operations in Central and Eastern Europe. (S. 7), Übersetzung des Autors.
[6] Vgl. Schwitanski, Christopher. 2017. Ein Beispiel für Nato-Kriegspropaganda – Die Studie zum Umgang mit Desinformationskampagnen gegenüber der Luftwaffe. IMI-Analyse 2017/41.
[7][7] Bundesakademie für Sicherheitspolitik. 2018. Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 22/2018. Das Prague Manual – Wie man der Einflussnahme des Kremls in Europa entgegenwirken kann. (S. 3)
[8] Vgl. diesbezüglich auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Umgang mit „Propaganda“ aus dem Jahr 2016: Europäisches Parlament. 2016. Bericht über das Thema „Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken“.
[9] Vgl. Kleiß, Alexander. 2018. Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der EU. IMI-Standpunkt 2018/037.