IMI-Standpunkt 2018/037 (Update, 27.11.2018)

Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der EU

Mit militärischen Mitteln gegen Fake News und Migration?

von: Alexander Kleiß | Veröffentlicht am: 16. November 2018

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Vom 5.11. bis zum 23.11.2018 lief die Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ (HEX-ML 2018 PACE). Diese wurde von der EU ausgerichtet. Auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich daran.

Ziel der Übung ist es, „in Zusammenarbeit mit der NATO […] Krisenmanagement und die Bewältigung hybrider Bedrohungslagen“, welche die EU und ihre Mitgliedstaaten betreffen könnten, einzuüben und „die Reaktionsfähigkeit der EU auf kommende hybride Krisen zu verbessern.“[1] Im vergangenen Jahr fand bereits eine vergleichbare Übung unter dem Namen PACE 2017 statt. Die Szenarien der beiden Übungen ähneln sich sehr stark. In beiden Fällen ist das Szenario eng an die aktuelle Situation angepasst, so z.B. die Entwicklung der arabischen Staaten in den vergangenen Jahren: Ein von der EU unterstützter fiktiver nordafrikanischer Staat, der 2011 eine Revolution erlebt hatte, hat mit der Opposition und einer terroristischen Gruppe zu kämpfen. Die EU mischt sich in den Konflikt ein, da der Staat ein Stabilitätsanker in der Region sei und ökonomisch, militärisch und politisch in den letzten Jahren zunehmend mit der EU kooperiert habe. Der Staat habe dennoch ein Sicherheitsproblem, weshalb die EU diesem Staat helfe.

Im Vergleich zur Übung im vergangenen Jahr gab es jedoch auch Unterschiede: Im vergangenen Jahr wurde die Übung hauptsächlich von der NATO ausgerichtet. In diesem Jahr wurden die EU-Mitgliedstaaten stärker eingebunden. Diese hatten die Möglichkeit, bevorzugte Bereiche einzubringen: Als hybride Bedrohungen, deren militärische Beantwortung trainiert werden soll, brachten die Mitgliedstaaten die Bereiche Energie, Gesundheit, Cyber, Desinformation, maritime Ereignisse und einen Anstieg von Migration ein. Dass diese Bereiche nicht zivil, sondern militärisch „gelöst“ werden sollen, ist Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der EU. Migration als militärische Bedrohung zu betrachten ist falsch und für die Betroffenen sehr gefährlich. Und auch eine Bekämpfung von Desinformation durch das Militär ist äußerst fraglich. Christopher Schwitanski zeigt in der IMI-Analyse 2017/23 sehr anschaulich, „dass mit dem Kontern [z.B.] russischer Kommunikationsaktivität keine neutrale Berichterstattung einhergeht, sondern eine einseitige Deutung des Konflikts – im Sinne von EU und Nato – der zufolge Russland die alleinige Schuld für die Eskalation in Osteuropa trägt. Raum für politische Entspannung oder Konfliktlösung wird ein solches Narrativ nicht bieten.“[2]

Gefährlich ist das Einüben solcher Informationskriege auch, weil die erlernten Mechanismen nicht nur gegen Fake-News, sondern auch gegen abweichende politische Meinungen eingesetzt werden könnten. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass im Zuge der Militärübung als Akteur auch die „internationale Bewegung AWG (Anti-Western-Group)“ simuliert wurde. In den Übungsinstruktionen wird sie folgendermaßen charakterisiert: „AWG ist eine internationale Bewegung, die sich gegen westliche Interessen einsetzt. AWG nutzt häufig soziale Medien, um Propagandanachrichten zu verbreiten, Riots zu organisieren, die als Demonstrationen getarnt sind. Die AWG, welche Verbindungen zu NGOs in zahlreichen EU-Staaten hat, beschuldigt die EU-Mitgliedstaaten einer erhöhten Militärpräsenz im Mittelmeer und in Nordafrika. Geheimdienstinformationen zufolge erhält die AWG finanzielle Unterstützung von verschiedenen Ländern, die der EU feindlich gesinnt sind, insbesondere vom [fiktiven Staat] Kronen und zudem Zahlungen in Kryptowährung von anonymen privaten Sponsoren weltweit. Sie zeigten bislang geringe Fähigkeiten im Bereich Cyber. Es gibt den Verdacht, dass die AWG von einem stärkeren Akteur unterstützt wird.“[3] Im Übungsszenario organisiert die AWG u.a. eine Demonstration in Brüssel, mit sogenannten „anti EU messages“, wie z.B. „NO MORE COLONISATION“ oder „SELF-DETERMINATION NOW!“.[4] Kritik an der EU und Militarismus wird bereits im Szenario der Übung implizit als Desinformation oder antieuropäisch diskreditiert. Es ist somit zu befürchten, dass auch soziale Bewegungen, wie z.B. die Friedensbewegung, als hybride Bedrohungen, denen mit militärischen Mitteln begegnet werden soll, wahrgenommen werden. Auch bei PACE 2017 gab es bereits den Akteur AGG (Anti-globalisation-Group). Im damaligen Szenario wurde die Gruppe AGG ähnlich wie die AWG bei HEX-ML 2018 folgendermaßen charakterisiert: „AGG benutzt häufig soziale Medien, um Propagandanachrichten zu verbreiten, Riots zu organisieren, die als Demonstrationen getarnt sind, all dies verbunden mit E-Mail-Spam. Die AGG, die NGOs in diversen EU-Mitgliedstaaten sponsert, warf der EU eine erhöhte Präsenz in der Mittelmeerregion vor. Laut Geheimdienstinformationen erhält die AGG finanzielle Unterstützung von verschiedenen Ländern, die der EU feindlich gesinnt sind.“[5] Interessant ist es, zu betrachten, in welchen Punkten sich die fiktiven Gruppen AWG (2018) und AGG (2017) unterscheiden. Allein die Änderung des Namens ist interessant: War die Gruppe AGG noch gegen Globalisierung, ist die AWG nun noch entpolitisierter dargestellt und richtet sich ausschließlich gegen „westliche Interessen“. Welche Interessen dies sind, bleibt weitgehend offen. Nur die Kritik an der überhöhten Militärpräsenz bleibt inhaltlich bestehen. Geändert hat sich jedoch, dass die EU nicht nur einer erhöhten Militärpräsenz im Mittelmeer, sondern zudem noch einer erhöhten Militärpräsenz in Nordafrika beschuldigt wird – ein Hinweis auf das gestiegene militärische Selbstbewusstsein der EU in Form der Beanspruchung Nordafrikas als eigene geopolitische Sphäre. Was die in diesem Zusammenhang zu übenden Inhalte angeht, scheint das Thema E-Mail-Spam an Wichtigkeit verloren zu haben, wohingegen das Thema Kryptowährungen bei der Übung 2018 neu auftaucht. Unverändert interessant ist zudem die Tatsache, dass soziale Bewegungen prinzipiell als durch der EU feindlich gesinnte Staaten fremdgesteuert wahrgenommen werden. Ihre legitimen politischen Forderungen nach einer Demilitarisierung der Mittelmeerregion werden als hybride Bedrohung durch den Feind konstruiert. Bemerkenswert ist hier der 2018 zusätzlich hinzugefügte Satz über die AWG, es gebe den Verdacht, die oppositionelle AWG würde durch einen stärkeren Akteur („a more capable actor“[6]) unterstützt – ein Hinweis auf Russland oder China? Dies bleibt offen.

Weitere Akteure der Übung sind die drei fiktiven nordafrikanischen Staaten „Ropperta“, „Kronen“ und „Loripa“, wobei die Staaten „Kronen“ und „Loripa“ als feindlich fingiert werden. Die drei Staaten unterliegen im Szenario einer terroristischen, gesundheitlichen und konsularischen Krise, die durch die EU im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) militärisch gelöst werden soll. Mit einer konsularischen Krise könnte z.B. der Fall gemeint sein, dass Spezialeinheiten zur Evakuierung  europäischer Staatsbürger in den betreffenden Staaten eingesetzt werden sollen, diese Staaten aber die Kooperation und somit den Zutritt verweigern.

Ein weiterer fiktiver Akteur der Übung ist die „globale terroristische Vereinigung NEXSTA (Newborn Extremist State)“. Diese wird für eine Reihe von Zwischenfällen – auch innerhalb der EU – verantwortlich gemacht, die teilweise als Terroranschläge bezeichnet werden. Zudem wird die EU im Szenario durch mehrere Cyberakteure angegriffen. Simuliert werden Angriffe auf den Energiesektor, IT-Systeme der EU-Institutionen, Infrastruktur von Häfen sowie Aufklärungs- und Überwachungsmittel.

Die Bundesregierung beteiligt sich an der Übung im Übungskomplex „Energie“ in Form des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und der Bundesnetzagentur. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist ebenso wie das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium an der Übung beteiligt. Seitens der NATO sind Vertreter des Internationalen Stabes an der Vorbereitung und Durchführung der Übung beteiligt.[7]

Auch der Rat für Auswärtige Beziehungen im Format der Verteidigungsminister beschäftigte sich auf seinem Treffen am 19. und 20. November 2018 in Brüssel mit der Übung. Geplant war ein Austausch „zu den Themen ‚militärische Mobilität‘ und ‚hybride Bedrohungen‘ im Lichte der aktiven Phase der Übung HEX-ML 2018 PACE“.[8]

Es ist beängstigend, wie die „klassischen“ Kriege in den Domänen Land, See und Luft verschmolzen werden mit einem Krieg im Cyber- und Informationsraum, der auch politische Gegner im Inneren zu militärischen Feinden deklariert. Kritik an der NATO und ihren Kriegen wird als von außen gesteuert diskreditiert. Anstatt diese Widersprüche politisch zu verhandeln, wird ihnen mit militärischen Mitteln begegnet. Teil und Ausdruck dieses Problems ist auch die Übung HEX-ML 2018 PACE.

Anmerkungen

[1]     Bundestagsdrucksache 19/4106: Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko u.a.: „Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der Europäischen Union und der NATO gegen Cyberangriffe, Fake News und Migration“. 31.08.2018.

[2]     Christopher Schwitanski: IMI-Analyse 2017/23. Strategische Kommunikation. Die Aufrechterhaltung europäischer Deutungshoheit.

[3]     Übungsinstruktionen (EXINST) für die (parallele und koordinierte) Übung HEX-ML 18 (PACE) der EU „European Union Hybrid Exercise-Multilayer 18“.

[4]     Ebd.

[5]     Exercise Instructions (EXINST) for the EU PACE17 Parallel and Coordinated Exercise with NATO CMX17, Brüssel, 14.7.2017. Das Papier findet sich bei statewatch.org.

[6]     Übungsinstruktionen (EXINST) für die (parallele und koordinierte) Übung HEX-ML 18 (PACE) der EU „European Union Hybrid Exercise-Multilayer 18“.

[7]     Bundestagsdrucksache 19/4106: Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko u.a.: „Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der Europäischen Union und der NATO gegen Cyberangriffe, Fake News und Migration“. 31.08.2018.

[8]     Ausschussdrucksache 19(12)312 – Vorbericht zum Treffen des Rates für Auswärtige Beziehungen im Format der Verteidigungsminister vom 19. bis 20. November 2018 in Brüssel. 15.11.2018.