IMI-Standpunkt 2018/030 - in: AUSDRUCK (Oktober 2018)

Ist die Optimierung von Flugsimulatoren Grundlagenforschung?

Eine Spurensuche im Cyber Valley

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 25. September 2018

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Auf den möglichen militärischen Nutzen der Forschung des Cyber Valley angesprochen, versicherte Forschungskoordinator Matthias Tröndle vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt: „Wir haben keinerlei Projekte, die in diese Richtung gehen“. Auch Cyber-Valley-Koordinatorin Tamara Almeyda äußerte sich eindeutig: „Wir machen keine militärische Forschung … Viele Wissenschaftler engagieren sich dagegen.“ Bei der Cyber-Valley-Initiative gehe es „nicht um Produkt- oder Auftragsforschung“, sondern „um freie Grundlagenforschung“. Obwohl eingeräumt wird, dass sich diese „theoretisch immer missbrauchen“ lasse, wird trotzdem versichert: „Momentan sind alle Forschungen so grundlegend, dass sie weit weg sind von irgendeinem Missbrauch.“ Dem Redaktionsleiter des Schwäbischen Tagblatts reichten diese Aussagen, um seinen Artikel dann gleich – ohne Anführungszeichen – mit dem Titel „zivile Grundlagenforschung“ zu versehen.(1)

Knapp zwei Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels veranstalteten die drei Tübinger Max-Planck-Institute für Evolutionsbiologie, biologische Kybernetik und intelligente Systeme anlässlich des bundesweit ausgetragenen „Max Planck Day“ einen Tag der Offenen Tür mit Hüpfburg, Imbissständen, Führungen und Vorführungen von freundlich aussehenden Robotern. Tatsächlich gab es mehr Luftballons als offene Türen, der größte Teil aller beteiligten Institute war durch Absperrbänder, freundliche Hostessen und weniger freundlichen Securities abgeschirmt. Obwohl dennoch alles recht kindgerecht und freundlich wirkte, vernahm man doch an verschiedenen Stellen skeptische bis kritische Nachfragen zum Sinn und Zweck der vorgestellten Forschung. Die Antwort lautete auch hier stets – und vermutlich nicht zufällig: „Wir machen hier nur Grundlagenforschung“. Wurde dann trotzdem nochmal nachgehakt, wozu diese Forschung denn verwendet werden könnten, war ähnlich übereinstimmend die Antwort meist: „autonomes Fahren“.
Die Behauptung, lediglich Grundlagenforschung zu betreiben, nahm bisweilen absurde Züge an, insbesondere im sog. „Cyberneum“ des Max-Planck-Institutes für biologische Kybernetik, in dem ein Flugsimulator vorgestellt wurde, der die Flugeigenschaften eines real existierenden Hubschraubers nachahmen sollte – um welches Modell es sich handelt, konnte oder wollte der vorführende Techniker jedoch nicht sagen.

Die Optimierung der Simulation … eines Black Hawk

Recherchiert man im Internet zur Modellierung von Hubschraubern für den „Cyber Motion Simulator“ (CMS) im Cyberneum des MPI, stößt man auf eine Publikation des Institutsleiters Bülthoff und weiterer Institutsangehöriger aus dem Jahre 2014, die anlässlich des European Rotorcraft Forum verfasst wurde.(2) In dieser wird die Modellierung eines Hubschraubers des Typs UH-60 Black Hawk – vermutlich der berühmteste Kampfhubschrauber weltweit – durch den am MPI entwickelten CMS getestet und mit den Leistungen eines herkömmlichen Flugsimulators verglichen. Dabei wurde auf Manöver zurückgegriffen, die vom technischen Informationszentrum des US-Verteidigungsministeriums (Defense Technical Information Center, DTIC) als „erforderliche Bedienungsqualitäten für militärische Drehflügler“ definiert wurden. Zur Evaluation der Testergebnisse wurde einerseits auf die Daten aus dem Verhalten des realen Hubschraubers zurückgegriffen, andererseits auf die Aussagen und Antworten eines professionellen Piloten auf einen Fragebogen, der vom Rüstungsunternehmen Israel Aircraft Industries (IAI) entwickelt wurde. IAI ist u.a. Hersteller der Drohnen vom Typ Heron I und Heron TP, die über den Airbus-Konzern von der Bundeswehr geleast und aktuell in Afghanistan und Mali zum Einsatz kommen. Ein Ergebnis des Vergleichs mit dem herkömmlichen Flugsimulator bestand darin, dass es dem Piloten im CMS leichter fiel, eine bestimmte Höhe zu halten, weil sich der CMS tatsächlich in dieser Dimension bewegt und Höhenunterschiede dadurch spürbar wurden. In den Schlussfolgerungen der Publikation wird noch einmal unmissverständlich der Zweck der Übung dargelegt: „Dieses Paper hat die Entwicklung und Validierung eines vollständig nicht-linearen Helikopter-Modells vorgestellt. Seine Implementierung wurde kurz beschrieben. Verschiedene Tests wurden angewandt, um das implementierte Modell zu validieren … Nächste Schritte bestehen in der weiteren Verbesserung des Modells und die die Verwendung weiterer Piloten für Tests.“

Weiterentwicklung mit der Industrie

Der CMS im Cyberneum des Max-Planck-Institutes für biologische Kybernetik beruht auf einem Roboterarm des Herstellers Kuka, an dessen Ende eine Kabine montiert ist, die sich entlang von drei Achsen bewegen und um drei Achsen drehen kann, weshalb von insgesamt sechs Freiheitsgraden die Rede ist. Dieser Roboterarm wurde für das CMS auf einer Schiene montiert, woraus sich die insgesamt acht Freiheitsgrade ergäben, die in der oben genannten Studie zur verbesserten Modellierung des Black Hawk genannt werden. Die Anlage im Cyberneum wurde in Partnerschaft mit dem Reutlinger Robotik-Unternehmen BEC entwickelt.(3) Zum Thema Pilotentraining schreibt das Unternehmen auf seiner Homepage: „Den ersten Schritt in Richtung interaktiver Darstellung eines Fluges an einem Roboterarm machte BEC 2010 am Zentrum für Robotik und Mechatronik des Deutschen [Zentrum] Luft- und Raumfahrt (DLR), wo ein roboterbasierter Bewegungssimulator auf einer 10-Meter-Linearachse montiert wurde. Durch den modularen Aufbau des Simulators können Gerätemodule einfach ausgetauscht, und verschiedene Flugzeuge oder Hubschrauber-Simulationen durchgeführt werden. Insbesondere beim Training von Disorientierung und Schwindel zeigt das robotische Systeme seine Vorteile“.(4) Das DLR mit seinen etwa 20 Standorten erhielt im betreffenden Jahre 2010 „für Zwecke der wehrtechnischen Luftfahrtforschung“ 29 Mio. Euro aus dem Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums. Zwar sind die einzelnen Standorte in sehr unterschiedlichem Maße in die militärische Forschung eingebunden, der Jahresbericht „Wehrwissenschaftliche Forschung“ des BMVg für 2012 etwa nennt jedoch dessen Institut für Robotik und Mechatronik als federführend bei der Entwicklung eines neuen 3D-Kamerasystems für die Aufklärungstornados der Bundeswehr.(5)
Das Unternehmen BEC dokumentiert auf seiner Homepage auch einen Artikel aus dem „International Defence Training Journal“ über die Rüstungsmesse ITEC 2015 in Prag, in dem eine Vorführung des Flugsimulators von BEC beschrieben wird, der wie der CMS aus einem Roboterarm mit Kabine besteht. Dem Beitrag ist außerdem zu entnehmen, dass das Display zur Darstellung der virtuellen Umgebung auf der Innenwand der Kabine vom Reutlinger Hersteller Eyevis stammt, der auf Großleinwände spezialisiert ist und als Kunden ihres „Control Room Manager“ u.a. die NATO, die Bundeswehr und die Armeen Frankreichs, der USA und Abu Dhabis nennt.(6)

Kurze Wege in die Rüstung

Im Mai 2010 hatten das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, die KUKA Roboter GmbH und das Augsburger Unternehmen Heli Aviation einen Vorgänger des CMS als “Heli Trainer” auf der ILA erstmals einem breiteren Fachpublikum vorgestellt.(7) Die “Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung Berlin” wird häufig ebenfalls als Rüstungsmesse bezeichnet und zieht tatsächlich viele Vertreter*innen des Militärs und der Rüstung an, stellt aber auch zivile Produkte vor. Der Heli Trainer war noch nicht wie der CMS auf einer Schiene installiert, wie es im selben Jahr das DLR vorgeschlagen hatte. In der gemeinsamen Pressemitteilung des MPI und der beteiligten Unternehmen ist von militärischen Anwendungen keine Rede, das Unternehmen BEC wird ebenfalls nicht genannt. Dass die Vorstellung eines Prototyps gemeinsam mit der Industrie auf einer Messe noch unter Grundlagenforschung fällt, ist natürlich zweifelhaft. Dass die Beteiligten hier noch v.a. zivile Anwendungen im Blick gehabt haben könnten, ist hingegen durchaus möglich. Heli Aviation war zu dieser Zeit – soweit nachvollziehbar – v.a. auf die Ausbildung zivilen Personals ausgerichtet. Im Jahr 2016 jedoch wurde das Unternehmen von dem britischen Babcock International aufgekauft, das vom Friedensforschungsinstitut SIPRI im Jahr 2016 auf Platz 28 der weltgrößten Rüstungsunternehmen (ohne China) geführt wurde. Deutlich höher rangierten auf dieser Liste auf den Plätzen zwei und sieben mit Boeing und Airbus weitere Partner des Max Planck Instituts für biologische Kybernetik. Im August 2018 wurde bekannt, dass sich Babcock International um die Übernahme dreier deutscher Panzerwerkstätten im Zuge der Reprivatisierung der Wartung und Instandhaltung der Großsysteme des Heeres beworben hat, die bislang durch ein bundeseigenes Unternehmen, die Heeresinstandsetzungslogistik (HIL) GmbH geleistet wird.(8)
Die ebenfalls in Augsburg ansässige KUKA Roboter GmbH, die das Reutlinger Unternehmen BEC zu ihren “offiziellen Systempartnern” zählt, war zwar in der Vergangenheit – u.a. mit der Herstellung von Gefechtstürmen für Schützenpanzer der Bundeswehr – in der Rüstung aktiv, verkaufte seine wehrtechnische Sparte jedoch in den 1990er Jahren an Rheinmetall. Heute ist KUKA mit etwa 14.000 Mitarbeiter*innen einer der wichtigsten Roboterhersteller in Deutschland und v.a. in der Fertigung und der Medizintechnik allgegenwärtig. Auch das informelle Maskottchen des Cyber Valley, der stets freundlich lächelnde, humanoide Roboters “Apollo” des MPI für intelligente Systeme, ist mit Armen des Herstellers KUKA ausgerüstet. Deutlich zu erkennen ist das Logo des Unternehmens außerdem in einer Broschüre des deutschen Raketenherstellers MBDA aus Schrobenhausen auf einem Roboterarm, der eine Rakete fixiert.(9) Dass die Rüstungsindustrie in Sachen Automatisierung stets auf dem neuesten Stand ist, ist weder überraschend, noch zufällig. So ist am von der EU geförderten Projekt “valerie” des Fraunhofer Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) für die Validierung von Robotern für industrielle Anwendungen neben KUKA als Hersteller u.a. die Rüstungssparte von Airbus beteiligt, die 37% der Anteile an MBDA besitzt.

Forschungsförderung

Die besondere Qualität des CMS gegenüber herkömmlichen Flugsimulatoren besteht in den Freiheitsgraden, die es u.a. ermöglichen, auch Flüge zu simulieren, bei denen die Bediener*innen tatsächlich kopfüber in der Kabine sitzen. Durch ein Kippen der Kabine nach hinten kann z.b. auch Beschleunigung körperlich erfahrbar werden. Die Entwicklung solcher „wahrnehmungsbasierten Bewegungssimulation“ wurde 2012/2013 im Zuge der High-Tech-Strategie der Bundesregierung unter dem Akronym WABS mit über einer Mio. Euro gefördert. „Grundlagenforschung und wirtschaftliche Anwendung gehen hier erfolgreich Hand in Hand“ schrieb hierzu die Tübinger CDU-Abgeordnete Annette Widmann-Mauz in einer Pressemitteilung.(10) Das Paper zur Modellierung des Black Hawk verweist darüber hinaus auf ein weiteres Projekt, das unter Führung des MPI für biologische Kybernetik durchgeführt und zwischen 2011 und 2014 von der EU mit knapp 3.5 Mio. Euro finanziert wurde. Das Projekt „mycopter“, an dem auch das DLR beteiligt war, habe das Ziel verfolgt, das Fliegen von Luftfahrzeugen für den Individualverkehr (Personal Air Vehicles, PAV) so einfach wie das Fahren eines Autos zu machen, heißt es einleitend in der Studie, in der es im Weiteren ausschließlich um die verbesserte Modellierung des Kampfhubschraubers Black Hawk geht. Zuvor war das MPI am Projekt „Supra“ beteiligt, das die EU-Kommission mit knapp 4 Mio. finanziert hatte und bei dem es gemeinsam mit einem russischen Forschungsinstitut, dem Flugzeughersteller Boeing und dem niederländischen Unternehmen Desdemona um die Erfassung und Modellierung der Flugdynamik und Wahrnehmung extremer Flugmanöver gegangen war. Desdemona bietet aktuell Simulationen u.a. für die Militärhubschrauber CH-47 Chinook und AH-64 Apache von Boeing, den AS-532 Cougar von Airbus Helicopters und das Kampfflugzeug F-16 von General Dynamics an.

Grundlagenforschung oder Forschung und Entwicklung?

Die drei genannten Projekte werden in einem Faltblatt des MPI über den Cyber Motion Simulator vorgestellt.(11) Zur Zielsetzung des Projekt WABS heißt es ausdrücklich, es sollten „Steuerungssysteme für Bewegungssimulatoren entwickelt“ werden, Supra solle „Flugsimulatoren verbessern“. Auch die Schlussfolgerungen der oben genannten Studie zur Modellierung eines Black Hawk sind kein Einzelfall, wenn sie konkrete, anwendungsbezogene Fortschritte feststellen, aber weitere Verbesserungen und Tests anmahnen. Mit Grundlagenforschung hat dies ebenso viel zu tun, wie regelmäßige gemeinsame Auftritte mit der Industrie auf Messen usw. Tatsächlich werden am MPI für biologische Kybernetik auch „menschliche Wahrnehmung, Kognition und Handlung“ – insbesondere in simulierten, virtuellen Umgebungen bei Eigenbewegung untersucht, wie es der Name der Abteilung, die den CMS betreibt, verspricht. Für sich genommen lässt sich dies noch unter Wissenschaft und Forschung fassen. Die Weiterentwicklung von Flugsimulatoren in enger Zusammenarbeit mit den Herstellern und Nutzern, wie sie insbesondere im Zuge der Drittmittelprojekte vorangetrieben wird, weist hingegen deutliche Charakteristika von „Produkt- oder Auftragsforschung“ (s.o.) oder gar – im militärischen Duktus – „Forschung, Entwicklung und Erprobung“ (FE&E) auf. Von einer militärischen Forschung zu sprechen, mag auch hinsichtlich des Flugsimulators einigen zu weit gehen, von einer zivilen Forschung im Sinne einer klaren Abgrenzung von Rüstung und Militär kann hingegen auch keine Rede sein. Die Aussage jedenfalls, am Cyber Valley, zu dem das MPI für biologische Kybernetik nun einmal gehört, seien „alle Forschungen so grundlegend, dass sie weit weg sind von irgendeinem Missbrauch“, entlarvt sich am Beispiel des CMS als unwahr, schlichte Augenwischerei.

Anmerkungen

[1] Gernot Stegert: „Cyber-Valley-Initiative in Tübingen weist Vorwürfe der Militarisierung und des Ausverkaufs zurück“, www.tagblatt.de.

[2] Carlo A. Gerboni, Stefano Geluardi, Mario Olivari, Frank M. Nieuwenhuizen, Heinrich H. Bülthoff, Lorenzo Pollini: Development of a 6 Dof Nonlinear Helicopter Model for the Mpi Cybermotion Simulator.

[3] „Virtual Reality Facilities“, www.kyb.tuebingen.mpg.de.

[4] Bewegungssimulatoren“, www.b-e-c.de.

[5] BMVg: Wehrwissenschaftliche Forschung, Jahresbericht 2012.

[6] Eyevis“, www.tueinfo.org/cms.

[7] „Heli Trainer flight simulator presented exclusively at the ILA“, gemeinsame Pressemitteilung vom 17.5.2010, www.tuebingen.mpg.de.

[8] „Ausländische Konzerne wollen Panzer der Bundeswehr reparieren“, www.haz.de vom 22.8.2018.

[9] MBDA: Corporate & Social Responsibility Report 2017, www.mbda-systems.com.

[10] Christoph Marischka: Alzheimer- oder Drohnenforschung?, Telepolis vom 18.9.2014, www.heise.de/tp.

[11] The MPI CyberMotion Simulator – A Simulator in the Service of Science, www.cyberneum.de.