IMI-Standpunkt 2017/038 - in: junge Welt, 6.11.2017

Angst vor klarem Himmel

Emran Feroz hat ein Buch über den US-Drohnenkrieg geschrieben. Darin kommen die Betroffenen zu Wort

von: Marius Pletsch | Veröffentlicht am: 6. November 2017

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Emran Feroz: Tod per Knopfdruck. Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte. Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2017, 256 S., 18 Euro

 

Die Berichte über Schicksale, wie das von Mohammad Kareem Aluzai, machen das anklagende, aufrüttelnde und pessimistische Buch von Emran Feroz »Tod per Knopfdruck« lesenswert. In einem Moment noch war er Obst- und Gemüseverkäufer im Distrikt Saidabad in Afghanistan, im nächstem Moment tot. Aus dem Leben gerissen von einer Rakete, die von einer Drohne – einem unbemannten, von einer Box in den Vereinigten Staaten aus gesteuerten Luftfahrzeug – abgeschossen wurde.

»Dieses Szenario«, schreibt Feroz, »ist in Afghanistan und in anderen Ländern, die vom Drohnenterror heimgesucht werden, mittlerweile zum Alltag geworden. Immer wieder trifft es die männlichen Haupternährer von Familien, die in der Folge völlig hilflos dastehen.« Warum Kareem Aluzai getötet wurde ist unklar. Laut seinem Bruder war er weder bewaffnet noch Mitglied einer extremistischen Gruppe. Die US-Regierung entsendete niemanden, um den Tod zu untersuchen oder mit den Angehörigen zu sprechen. Es habe keine Entschuldigung, geschweige denn eine Entschädigung für die Hinterbliebenen gegeben. Auch Menschenrechtler und Journalisten gingen diesen Fällen nur zu selten nach und wenn, dann würden sie nicht selten von US-finanzierten Milizen an der Arbeit gehindert.

Das Buch ist in sechs größere Abschnitte unterteilt, in denen Feroz über die Anfänge der Drohnentechnologie in den USA, deren Opfer in den Kriegs- und Krisenregionen berichtet, in denen sie tagtäglich zum Einsatz kommt: Afghanistan, Pakistan, Jemen, Syrien, Irak, Libyen, Somalia. Der zweite Abschnitt ist das Herzstück des Buches. Feroz reiste selbst nach Afghanistan und sammelte die Stimmen derjenigen, die zu oft ungehört bleiben. Was die ständige Präsenz der Drohnen in diesen Gegenden für einen Einfluss auf die lokale Bevölkerung hat, wird im Buch eindrücklich dargestellt: »Die Angst ist vor allem dann groß, wenn der Himmel klar ist. Dann erst tauchen die Drohnen auf und können den Piloten und Operatoren klare Bilder liefern. ›Die Kinder rennen oft zu mir, sobald sie ein Flugzeug am Himmel sehen. Sie schreien immer panisch auf und haben Angst, während des Spielens bombardiert zu werden‹.« Die psychischen Folgen sind enorm, auch wenn keine Rakete einschlägt. Die alleinige Möglichkeit reicht aus, um das Leben der Menschen grundlegend zu verändern.

Die weiteren Abschnitte beschäftigen sich mit den Tätern, die einen bürokratischen Prozess zur Tötung von Menschen eingerichtet haben. Den Komplizen des US-Drohnenprogramms ist das vierte Kapitel gewidmet. Hier liegt der Fokus auf den NATO-Verbündeten, insbesondere auf Deutschland. Mit dem United States Africa Command (AFRICOM) in Stuttgart und dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein sind zwei zentrale Bausteine des Drohnenkrieges hier beheimatet. Im AFRICOM werden die Einsätze auf dem afrikanischen Kontinent geplant und koordiniert, Ramstein ist für die Datenverbindung von der Drohne zum Bedienpersonal in den USA (noch) unverzichtbar. Denn auf dem Grundstück liegt eine Relaisstation, durch die die Verzögerung des Videosignals in den USA und der Umsetzung der Steuerungsbefehle an die Drohne möglichst gering gehalten werden kann. Auch die Rolle der westlichen Massenmedien, sowie einiger regionaler Sender, die die USA mitfinanzieren, wird kritisch beleuchtet.

Des weiteren wird aufgezeigt, welche Rolle der Drohnenkrieg als einer der Gründe für die Radikalisierung und den Zulauf für extremistische Gruppen spielt. Auch werden die viel kritisierten, offiziellen Opferzahlen des Drohnenkriegs genannt, die 2016 erstmals für den Zeitraum von 2009–2015 veröffentlicht wurden. Danach seien 64 bis 116 »Nicht-Kombattanten« getötet worden. Feroz schreibt hierzu: »das Weiße Haus […] versucht, die Öffentlichkeit zu beruhigen, indem man Transparenz vortäuscht und das Bild einer präzisen Hightech-Kriegführung propagiert – ein Schlag ins Gesicht aller Drohnenopfer«.

Das Buch schließt mit einem eher pessimistischen Ausblick: Mehr und mehr Staaten sowie nichtstaatliche Akteure nehmen sich ein Beispiel an der langjährigen Praxis der USA und setzen Drohnen tödlich ein, US-Präsident Donald Trump möchte den Drohnenkrieg ausweiten, autonome Systeme werden erforscht und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sie eingesetzt werden. Gerechtigkeit für die Opfer ist dabei nicht in Sicht. Für Personen, die auf Tötungslisten gesetzt werden, gelte: »Die Unschuldsvermutung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der Anspruch auf ein faires Gerichtverfahren – all diese Grundlagen demokratischer Freiheiten werden von den Vereinigten Staaten mit Füßen getreten.«

Emran Feroz hat ein im Ton anklagendes Buch geschrieben. Die letzten Kapitel wirken aber zu komprimiert, sie erlauben so lediglich einen Überblick, aber keinen tieferen Einblick in die Thematik. Am überzeugendsten ist der zweite Abschnitt, die Recherchen vor Ort, die Interviews des Autors mit den Betroffenen, für die der Tod per Drohne zu einer alltäglichen Bedrohung gehört. Allein dafür lohnt die Lektüre. Zu selten bekommt man einen solchen Einblick und wird mit der Situation in den Ländern konfrontiert, in denen nach dem früheren Verteidigungsminister Peter Struck angeblich »unsere Freiheit« verteidigt wird.