IMI-Analyse 2017/38b - in: AUSDRUCK (Oktober 2017)

Scheinbeteiligung oder „Politik des Gehörtwerdens“?

Das Kommando Spezialkräfte und die Suche nach einem neuen Absprunggelände

von: Alexander Kleiß | Veröffentlicht am: 21. September 2017

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Scheinbeteiligung oder „Politik des Gehörtwerdens“?
Das Kommando Spezialkräfte und die Suche nach einem neuen Absprunggelände

Hier als PDF

 

 

Das Kommando Spezialkräfte (KSK) sucht momentan nach einem neuen Übungsgelände für Fallschirmsprünge. Der Umgang von Bund und Land mit den betroffenen Bürger_innen sorgt dabei für Diskussionen. Dieser Text soll einen Einblick in die politischen Auseinandersetzungen in der ländlich geprägten Region geben, wobei zunächst auf das KSK, seine Verflechtungen mit der Bevölkerung und der lokalen Wirtschaft sowie seine Besonderheiten eingegangen wird, um vor diesem Hintergrund anschließend die Suche nach einem neuen Absprunggelände und die Politik der baden-württembergischen Landesregierung und des Bundes zu betrachten und zu bewerten.

Tief im Nordschwarzwald, zwischen Pforzheim und Stuttgart, liegt die von 23.000 Einwohner_innen bewohnte Kleinstadt Calw. Direkt an die Stadt angrenzend befindet sich die Graf-Zeppelin-Kaserne und der Standortübungsplatz, auf dem die Soldat_innen[1] der Bundeswehr-Elitetruppe KSK stationiert sind. 1540 Angehörige der Bundeswehr tun hier ihren Dienst.[2] Der Anteil der Kommandosoldaten ist nicht genau bekannt, wird jedoch mit ungefähr 400 beziffert. Das KSK wurde 1996 gegründet und ist offiziell vor allem für die Evakuierung deutscher Staatsbürger_innen in Krisengebieten, Kommandoeinsätze im feindlichen Gebiet, die Festnahme von Kriegsverbrecher_innen, Aufklärung und Militärberatung zuständig. Tatsächlich wurde es in den letzten Jahren jedoch hauptsächlich im „Krieg gegen den Terror“ eingesetzt. Terrorverdächtige werden dabei gezielt getötet – die Unschuldsvermutung gilt in diesem Fall nicht.[3] Operationen, Training, Identität und Zahl der Elitekämpfer unterliegen strengster militärischer Geheimhaltung. Die Öffentlichkeit und selbst der Bundestag werden nur unzureichend über Einsätze des KSK informiert.[4] Über Tötungen gegnerischer Kämpfer_innen oder Zivilist_innen durch das KSK und eigene Verluste gibt es keine offiziellen Angaben. Eine parlamentarische Kontrolle, wie sie eigentlich gesetzlich vorgesehen wäre, ist somit nicht möglich. Durch die Geheimhaltung gibt es auch kaum Verflechtungen zwischen KSK und den Einwohner_innen Calws. Die Kommandosoldaten, die zum Teil mit ihren Familien in Calw leben, gehen mit ihrer Tätigkeit sehr diskret um.[5]

Calw blickt auf eine lange Tradition als Militärstandort zurück. Vor der Gründung des KSK war in der Graf-Zeppelin-Kaserne ab 1961 die Luftlandebrigade 25 stationiert, die 1996 aufgelöst wurde und daraufhin teilweise im KSK aufging. Vor 1996 gab es mehr Kontakt zwischen Soldat_innen und Calwer Bürger_innen.

Bedeutung des Militärs für die lokale Wirtschaft

Sowohl Lokalpolitiker_innen und Gewerbetreibende als auch KSK-Vertreter betonten in der Vergangenheit immer wieder die wirtschaftliche Bedeutung des KSK für Calw und die Region. Inwiefern das weitgehend isolierte KSK tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft der Kleinstadt hat, ist u.a. wegen der Geheimhaltung schwer nachprüfbar. Das Militärgelände blockiert wirtschaftlich nutzbare Flächen im Osten der Stadt und ob das KSK „ein weltweiter Werbeträger für die Stadt“[6] ist, wie vom Vorsitzenden des Calwer Gewerbeverbandes behauptet, ist angesichts des eher negativen Images des KSK, das auch immer wieder durch rechtsradikale Entgleisungen auffällt,[7] zweifelhaft. Dennoch profitiert die lokale Wirtschaft vom KSK, vor allem von Neubauten auf dem Kasernengelände. Entsprechende Aufträge würden bevorzugt „an Unternehmen in der Region“ vergeben, wenn dies „zulässig und erlaubt“ sei, so der damalige KSK-Kommandeur Dag-Baehr bei der Verleihung des Calwer Löwen, einer Auszeichnung durch den Calwer Gewerbeverband im Januar 2017.[8] Die Würdigung des KSK durch die lokale Wirtschaft verdeutlicht die Verflechtungen zwischen Militär und regionalen Unternehmen, die von der Militärpräsenz profitieren. In Calw ist in Form der Kissling Elektrotechnik GmbH auch ein Unternehmen ansässig, dessen Produkte in Panzern und gepanzerten Fahrzeugen der Bundeswehr verbaut werden. Ob es eine Kooperation zwischen dem KSK und Kissling Elektrotechnik gibt, ist nicht bekannt. Es wäre jedoch durchaus möglich, da das KSK sich selbst als eine Art „Versuchslabor“ der Bundeswehr betrachtet, in dem neue Waffensysteme als erstes erprobt werden sollen.[9] In der Gesamtheit profitieren von der KSK-Präsenz jedoch vor allem einzelne Unternehmen im Bau- und Rüstungsbereich. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob das KSK darüber hinaus substanziell für nachhaltige und branchenübergreifende Gewinne in der Region sorgt.

Ausbau des Militärstandorts Calw

Der Standort Calw war neben den Standorten Donaueschingen und Stetten am kalten Markt der einzige Militärstützpunkt, der im Zuge des neuen Stationierungskonzepts 2011 eine Aufwertung erfuhr. Während der Stützpunkt Donaueschingen von 750 auf 870 Dienststellen nur geringfügig anwuchs und  sich Stetten am kalten Markt nur wegen der Verlegung von Bataillonen, die zuvor in den mittlerweile aufgegebenen Standorten Immendingen und Sigmaringen stationiert waren, vergrößerte, erfuhr Calw eine Erhöhung von 1330 auf 1540 Dienststellen, die nur auf eine allgemein gestiegene Bedeutung von Spezialkräften zurückgeführt werden kann.[10] Das KSK ist somit in Baden-Württemberg die einzige Einheit, der in ihrer Bedeutung und den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen eine tatsächliche, relevante Aufwertung zuteil wurde. Dies manifestiert sich auch in Form zahlreicher Investitionen am Standort Calw. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Fuchtel schätzt, dass „in den vergangenen 20 Jahren mehr als 100 Millionen Euro in den Standort Calw investiert worden sind“.[11] Allein im Zeitraum zwischen 2012 und 2016 seien 17,5 Millionen Euro für die Infrastruktur der Graf-Zeppelin-Kaserne ausgegeben worden, so das Verteidigungsministerium. Laufende Kosten sind hier nicht mit einberechnet.[12] Hinzu kommen nun neue Investitionen: Momentan entsteht auf dem Gelände der Graf-Zeppelin-Kaserne ein multifunktionales Trainingszentrum, das nicht nur Sporthallen und ein Hallenbad umfasst, sondern ein komplexeres Bauvorhaben ist, in das eine erhebliche Geldsumme fließt. So werden z.B. Möglichkeiten geschaffen, den Absprung aus einem Hubschrauber in ein Gewässer – auch bei hohem Wellengang – zu simulieren, wofür ein entsprechend großes und tiefes Becken, ein hoher Sprungturm und moderne Technik benötigt werden. Außerdem sind physiotherapeutische und sportmedizinische Einrichtungen Teil des neuen Trainingszentrums. Auch der Rumpf eines Flugzeugs wurde zu Trainingszwecken nach Calw gebracht. Außerdem werden momentan die Unterkünfte der Spezialeinheit ausgebaut, da diese zu klein und nicht ausreichend seien. Dieser Umbau soll bis 2023 dauern, was auf einen hohen Umfang der Baumaßnahmen hindeutet. 2018 soll ein neues, vorgelagertes Wachgebäude fertiggestellt werden, wodurch sich der umzäunte Militärbereich vergrößert. Bisher zivil genutztes Stadtgebiet wird zur militärischen Sperrzone.[13]

Die Suche nach einem neuen Übungsgelände für Fallschirmsprünge

Besonders kontrovers diskutiert werden jedoch die Planungen für ein neues Gelände, auf dem die Kommando-Soldaten den Absprung aus Flugzeugen und Helikoptern üben sollen. Bisher trainierte das KSK die Absprünge an mehreren Orten, wie in Calw selbst oder auf anderen Truppenübungsplätzen der Bundeswehr oder verbündeter Staaten, aber auch an Orten, die nicht als militärische Sperrzone gelten, so z.B. an der Nagoldtalsperre oder in Wendelsheim bei Tübingen. Offiziell wurden Absprungübungen aber vor allem auf dem Flugplatz Renningen-Malmsheim im Kreis Böblingen durchgeführt. Direkt angrenzend befindet sich jedoch das Zentrum für Forschung und Entwicklung der Firma Bosch, das rund 1700 Arbeitnehmer_innen beschäftigt. Da das Forschungszentrum ausgebaut wird, soll das KSK weichen und sucht nun nach einem neuen Absprunggelände. Dabei wird verschwiegen, dass das KSK die Absprünge bereits an zahlreichen anderen Orten trainiert und das auch zukünftig tun könnte. Auf dem neuen Absprunggelände sollen das KSK und US-Streitkräfte jeweils 60 Tage im Jahr trainieren. Bei 120 Übungstagen pro Jahr würde dort durchschnittlich jeden dritten Tag geflogen werden. Hauptsächlich sollen die großen Transportflugzeuge Transall C-160 und Hercules C-160 sowie Hubschrauber und kleinere Flugzeuge eingesetzt werden.[14] Die Lärmbelastung für die benachbarten Gemeinden wäre voraussichtlich sehr hoch, ist bisher jedoch kaum kalkulierbar.

Gemeinsam mit dem Bund machte sich das Land Baden-Württemberg auf die Suche nach einem neuen Übungsgelände und nahm dabei 38 Standorte in die engere Auswahl. Favorisiert wird der Segelflugplatz Haiterbach-Nagold, der bisher durch den Flugsportverein Haiterbach/Nagold zivil genutzt wird. An den Tagen, an denen die Bundeswehr den Flugplatz nicht durch Militärübungen blockiert, könnte der Flugsportverein ihn weiterhin nutzen. Dies wäre eine zivil-militärische Zusammenarbeit, die allerdings asymmetrisch gestaltet wäre, weil die Bundeswehr letztendlich entscheiden würde, wer wann den Flugplatz nutzen darf. Im Gegenzug würde der Flugsportverein eine besser ausgebaute Start- und Landebahn erhalten, die das KSK jedoch ohnehin benötigt.

Durch den Ausbau des Flughafens und den anschließenden Übungsbetrieb könnte es zu Umweltschäden kommen. Im Zuge des Planfeststellungsverfahrens ist eine Umweltverträglichkeitsstudie geplant. Der Obst- und Gartenverein Haiterbach (OGV), der sich in direkter Nachbarschaft zum Flugplatz befindet, lehnt das KSK-Übungsgelände aus Natur-, Arten- und Lärmschutzgründen ab. Der OGV habe selbst viele Naturschutz-Auflagen, wie einen 800 Meter breiten Pflanzenring für Brutvögel, erfüllen müssen. Der Fluglärm löse Fluchtinstinkte bei mehreren vom Aussterben bedrohten Vogelarten – vor allem Greifvögeln und Streuobstvögeln – aus. Außerdem habe sich der OGV als direkt betroffener Verein nach eigenen Angaben bei der Planung übergangen gefühlt.[15]

Das neue Absprunggelände soll eine Fläche von 55 Hektar umfassen. Hierfür müsste der bisherige Flugplatz erheblich erweitert werden. Die dafür erforderlichen Flächen befinden sich momentan im Besitz von etwa 50 verschiedenen Eigentümer_innen. Hauptsächlich handelt es sich dabei um landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Davon werden allein 39 Hektar von den drei Landwirten Gerd Walter, Rudolf Sautter und Stefan Brezing bewirtschaftet. Sie stehen vor einem existenziellen Problem. Von der Landsiedlung (einer GmbH des Landes Baden-Württemberg, die für Immobilienangelegenheiten zuständig ist), die als Verhandlungspartner fungiert, wurden zwar Ersatzflächen angeboten; diese sind jedoch weiter entfernt von den Höfen der Landwirte und wären somit durch die weiteren Wege nicht wirtschaftlich. Außerdem würde das zusammenhängende Anbaugebiet zersplittert. Sogar die Verhandlungspartner_innen der Landsiedlung, die für das Land verhandeln und somit eigentlich auf der Gegenseite stehen, halten die geforderten Gebietsabtritte für existenzgefährdend. Die drei Landwirte möchten ihre Böden, die zu den fruchtbarsten in der Region gehören, nicht verkaufen. Anfangs beteuerten Regierungsvertreter_innen, Enteignungen werde es nicht geben. Mittlerweile wird der Druck auf die Grundeigentümer_innen erhöht und Enteignung als letztes Mittel angedroht. Die Landwirte lassen sich davon jedoch bisher nicht einschüchtern.[16]

Widerstand gegen das Übungsgelände

In der ländlichen Region formiert sich Widerstand. Schon kurz nach dem Bekanntwerden des Projekts gründete sich die Bürger_inneninitiative (BI) „Kein Fluglärm über Haiterbach und für einen Bürgerentscheid“. Die Mitglieder dieser BI engagieren sich in erster Linie nicht aus antimilitaristischen Gründen gegen das Absprunggelände des KSK, sondern vielmehr wegen des zu befürchtenden Fluglärms, Bedenken bezüglich des Umweltschutzes und zur Unterstützung der von Enteignung bedrohten Landwirte. Ziel der BI ist die Verhinderung des Absprunggeländes bei Haiterbach, was bestenfalls durch einen Bürger_innenentscheid erreicht werden soll. Problematisch daran ist jedoch, dass die Entscheidung über die Realisierung des Absprunggeländes auf Bundesebene – konkret: beim Luftfahramt der Bundeswehr – getroffen wird. Im Zuge des Genehmigungsverfahrens würden externe Gutachten zu Naturschutz, Lärmschutz, Wasser- und Bodenschutz etc. erforderlich. Die betroffenen Kommunen haben ein förmliches Anhörungsrecht, verfügen jedoch über keinerlei Entscheidungskompetenzen. Das Land Baden-Württemberg habe nach eigener Aussage keine Möglichkeit, direkt Einfluss zu nehmen, wirke aber unterstützend bei der Suche nach einem Gelände mit.[17] Insofern hätte ein Bürger_innenentscheid auf Kommunalebene keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung, die letztendlich bei der Bundeswehr selbst liegt. Ein Bürger_innenentscheid auf Kommunalebene über die Positionierung des Gemeinderats, der zumindest ein Anhörungsrecht hat, wäre aber die einzige formale Möglichkeit der Einflussnahme durch die betroffenen Bürger_innen und die BI. Mit der Durchsetzung eines ebensolchen Entscheids auf Kommunalebene erreichte die BI Ende Juni einen ersten Teilerfolg.

Die Fragestellung des Entscheids, der am 24. September 2017 im Zuge der Bundestagswahl durchgeführt wurde, lautete: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Haiterbach alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreift, um zu erreichen, dass das geplante KSK-Übungsgelände mit Flugplatz beim Dürrenhardter Hof nicht realisiert wird?“ Das Ergebnis war ein klares „Nein“ zum Übungsgelände des KSK.  Bei einer Wahlbeteiligung von 70,6% stimmten 61,02% der Bürger_innen dem Antrag zu.[18] Nur etwas mehr als ein Drittel der Haiterbacher_innen steht also hinter der Militarisierung des Flugplatzes. Nun darf der Gemeinderat für drei Jahre keine Entscheidungen mehr zugunsten des Absprunggeländes treffen. Auch rechtliche Mittel gegen das Übungsgelände müssen ausgeschöpft werden. Die militärische Nutzung des Flugplatzes könnte zwar trotzdem durch die Bundeswehr erzwungen werden, möglicherweise führt eine ablehnende Haltung der Gemeinde jedoch zu einem Umdenken.

Ein Umdenken bezüglich der Wahl des Ortes für das Absprunggelände ließ sich bereits direkt nach der Bekanntgabe eines Bürger_innenentscheids beobachten: Auf dem Beteiligungsportal wurde eine Liste von alternativ infrage kommenden Standorten veröffentlicht, wobei Haiterbach/Nagold nach wie vor als Favorit dargestellt wird.[19] Die Suche nach Alternativen scheint jedoch wieder in Gang gekommen zu sein, was für die BI einen Teilerfolg darstellt. Die Inbesitznahme ziviler Flächen durch das Militär wird damit allerdings nicht grundsätzlich hinterfragt und schon gar nicht langfristig verhindert. Ob die Bundeswehr sich traut, das Absprunggelände auch gegen wachsenden Widerstand aus der Bevölkerung vor Ort durchzusetzen, wird dennoch eine spannende Frage bleiben. Eine Positionierung durch das Land Baden-Württemberg oder die Bundesbehörden erfolgte nach der Abstimmung bislang noch nicht.

Gefahren der Militarisierung

Die Bürger_innen in Haiterbach und Umgebung haben gute Gründe, sich gegen die Militarisierung des zivilen Flugplatzes zu wehren. So gibt es noch weitere Punkte, die gegen eine Mitnutzung des Flugplatzes durch die Bundeswehr sprechen, die aber bisher noch nicht in der Argumentation der Gegner_innen des Absprunggeländes auftauchen: Eine kleine Anfrage der Partei Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag ergab, dass Flugzeuge in Deutschland immer wieder Kerosin während des Fluges ablassen. Dies passiert beispielsweise, wenn ein_e Pilot_in das Flugzeug landen muss, obwohl noch Treibstoff in zu hoher Menge an Bord ist, sodass eine Landung wegen des hohen Gewichts unsicher wäre. Allein militärische Flugzeuge ließen im Zeitraum 2010-2015 mindestens 220 Tonnen Kerosin im Flug ab. Dies kann schwerwiegende Umweltschäden verursachen. Die Bundesregierung schreibt hierzu: „Flugzeugtreibstoffe sind chemische Mineralölkohlenwasserstoffe, die in hohen Konzentrationen toxisch für Mensch und Umwelt wirken. […] Flugturbinenkraftstoff wird als schwach giftig für Säugetiere und Vögel eingeschätzt. Er kann Benzol enthalten, dessen Kanzerogenität [Anmerkung des Autors: Potenzial einer Chemikalie, einen Tumor auszulösen] nachgewiesen wurde. Verunreinigungen von Grund- und Oberflächenwasser durch Flugturbinenkraftstoff können erhebliche Auswirkungen auf die Trinkwassergewinnung, den chemischen Zustand dieser Gewässer oder den ökologischen Zustand der Oberflächengewässer haben, sofern relevante Mengen ins Grundwasser gelangen. Flugturbinenkraftstoffe sind Kohlenwasserstoffgemische, die in der Hydrosphäre biochemisch nicht oder nur schwer abbaubar sind.“[20] Dieses Thema könnte die Region um Nagold zukünftig beschäftigen, wenn Militärflugzeuge dort etwa jeden dritten Tag fliegen.

Hinzu kommt, dass es beim Training der Luftwaffe immer wieder zu Unfällen kommt, die teilweise tragisch enden. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich 1988 auf einem Flugplatz bei Eggenfelden, der hauptsächlich zivil, aber auch militärisch genutzt wird. Beim Training für eine Flugshow spießte ein Kampfjet der Bundeswehr einen Hobbyflieger auf. Im Tiefstflug nahe der Schallgeschwindigkeit erfasste der „Tornado“ den zivilen Motordrachen. Dessen Pilot war sofort tot. Es konnte nicht geklärt werden, ob die Bundeswehr oder der Tower des Flugplatzes am Crash schuld waren. Klar ist jedoch, dass den Hobbyflieger keine Schuld trifft. Ein Augenzeuge hatte den Eindruck, dass die „Herren von der Luftwaffe mal zeigen wollten, was sie können“[21] – ein fahrlässiges Verhalten mit fatalen Folgen, auch für die Hinterbliebenen des Hobbypiloten.

Derartige Fälle sind zwar relativ selten, aber gerade im Falle eines Absprunggeländes für das Kommando Spezialkräfte, das für riskante, geheime Operationen bekannt ist, nicht gänzlich unwahrscheinlich. Im August dieses Jahres kam es zum Beispiel zu einem kleineren Unfall durch einen hochmodernen Hubschrauber des Kommando Spezialkräfte bei Schemmerhofen im Landkreis Biberach. Mit den Rotorblättern kappte die Militärmaschine eine Überlandleitung, woraufhin es in mehreren Gemeinden zu Stromausfällen kam. Die Ursache ist bisher nicht abschließend geklärt, es deutet jedoch einiges darauf hin, dass „der Pilot möglicherweise versuchte, in einem waghalsigen Manöver unter der Hochspannungsleitung hindurch zu fliegen. Ein solches Flug-Experiment würde den Dienstvorschriften widersprechen.“[22] Der Gemeinde Haiterbach und den umliegenden Gemeinden würden möglicherweise ähnliche Szenarien drohen.

Legitimation und Scheinbeteiligung

Mehrere Lokalpolitiker_innen – u.a. der Bürgermeister von Haiterbach – versuchen, das unbeliebte Projekt dadurch zu legitimieren, dass sie vom Bund eine Gegenleistung für die militärische Nutzung des Flugplatzes erwarten. Diese Gegenleistung könnte z.B. aus dringend nötigen Infrastrukturmaßnahmen wie neuen Straßen bestehen. Problematisch daran ist, dass der Bund oder das Land Baden-Württemberg derartige Infrastrukturprojekte beliebig gewähren oder verhindern können. Dasselbe gilt für die Auswahl des Absprunggeländes: Diese Entscheidung wird auf Bundesebene durch die Bundeswehr bzw. durch das Verteidigungsministerium selbst getroffen. Die betroffenen Kommunen haben also keine gute Verhandlungsposition. Vielmehr befinden sie sich in einer Bittstellerrolle. Außerdem wird in dieser Form der Legitimation des Absprunggeländes ausgeklammert, dass es viele gute antimilitaristische und friedenspolitische Gründe gibt, gegen das KSK zu sein (s.o.). Diese Gründe werden – selbst im Falle eines Abkommens zwischen den Kommunen und dem Land über neue Infrastruktur – keineswegs entkräftet, sondern schlicht ignoriert.

Häufig soll eine Legitimation für das Absprunggelände durch den Verweis auf die umfassende Bürger_innenbeteiligung zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Verfahrens[23] hergestellt werden. Genau genommen handelt es sich jedoch nicht um Bürger_innenbeteiligung im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine Informationsoffensive, um den politischen Kurs der Regierenden besser rechtfertigen zu können und bei den Betroffenen ein Gefühl der Beteiligung herzustellen. Im Beteiligungsverfahren sind nämlich keinerlei konkrete Möglichkeiten zur Mitbestimmung vorgesehen. Es handelt sich also vielmehr um Scheinbeteiligung. Patrizia Nanz und Miriam Fritsche, die beide zu zivilgesellschaftlicher Partizipation forschen, schreiben hierzu: „Oftmals werden partizipative Prozesse lediglich mit dem Ziel initiiert, die Beziehung zwischen Bürgerschaft auf der einen und Verwaltung und Politik auf der anderen Seite zu verbessern – ohne dass es einen echten Handlungsspielraum gibt, weil die wesentlichen Entscheidungen bereits getroffen wurden“.[24] Im Falle der Bürgerbeteiligung in Nagold und Haiterbach scheint es sich um eine solche Scheinbeteiligung zu handeln, da zu keinem Zeitpunkt zur Debatte stand, ob das KSK ein neues Übungsgelände zugeteilt bekommt. Selbst der favorisierte Standort (Haiterbach/Nagold) sollte nicht zur Debatte gestellt werden. Es gibt keinen echten Handlungsspielraum, da wesentliche Entscheidungen trotz des frühen Zeitpunkts der (Schein-)Beteiligung bereits getroffen waren. Auf dem Beteiligungsportal Baden-Württemberg wird von der Landesregierung auch mehr oder weniger offen zugegeben, dass Mitbestimmung höchstens über ein „Wie“, nicht aber über ein „Ob“ des Projekts zugelassen wird: „In Zusammenhang mit dem weiteren Verfahren ist auch wichtig, dass Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie nicht verwechselt werden dürfen. Die vom Haiterbacher Gemeinderat zur Abstimmung vorgesehene Fragestellung bezieht sich auf das ‚Ob‘ des Projekts und die Haltung der Stadt dazu. Diese Entscheidung über das Projekt liegt aber beim Bund. Das Votum wird zur Kenntnis genommen, aber Bundesbehörden entscheiden im Rahmen eines gesetzlich vorgegebenen Verfahrens. Die vom Land vorangetriebene Bürgerbeteiligung dagegen dreht sich um das ‚Wie‘ des Projekts. Sie sucht nach Planungsspielräumen, nach Verbesserungen des Projekts“.[25]

Was die betroffenen Bürger_innen jedoch zu Recht einfordern, ist keine Mitbestimmung über kleine Details des Projekts. Vielmehr wollen sie selbst entscheiden, ob sie das KSK in ihrer Nachbarschaft trainieren lassen möchten oder nicht. Als Winfried Kretschmann 2011 zum ersten grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs gewählt wurde, trat er mit dem Versprechen einer „Politik des Gehörtwerdens“[26] an. Tatsächlich handelt es sich bei seiner Politik aber lediglich um eine „Politik des Informiertwerdens“. Die Stimme der Bürger_innen wird im vorliegenden Fall zwar vielleicht gehört, aber bisher ignoriert.

Anmerkungen
[1]             Der Großteil der KSK-Soldat_innen ist männlich. Als Kommando-Soldaten wurden bisher nur Männer aufgenommen. 50 weibliche Soldatinnen sind in den Unterstützungskompanien (z.B. als technische Spezialistinnen) aktiv. Doch auch in diesem Bereich sind sie deutlich unterrepräsentiert.
Sabine Siebold: So laufen die geheimen Einsätze der deutschen Elitetruppe. Welt. 16.12. 2015.
[2]              Bundesministerium der Verteidigung: Die Stationierung der Bundeswehr in Deutschland. 2011.
[3]              Florian Rötzer: Sonderkommando KSK ist mit gezielten Tötungen in Afghanistan beschäftigt. Telepolis. 17.8. 2010.
[4]              Vgl. Thomas Mickan: Unkontrollierte Gewalt. Die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommando Spezialkräfte. IMI-Analyse 2016/36.
[5]              Ebd.
[6]              Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote. 11.1. 2017.
[7]              Alexander Kleiß: Braune Nostalgie beim KSK – keine Überraschung! IMI-Standpunkt 2017/026.
[8]              Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote. 11.1. 2017.
[9]              Alex H. Kunert: KSK als „Battle-Lab“ der Bundeswehr. Schwarzwälder Bote. 20.9. 2016.
[10]             Bundesministerium der Verteidigung: Die Stationierung der Bundeswehr in Deutschland. 2011.
[11]             Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote. 11.1. 2017.
[12]             Roland Buckenmaier: KSK-Platz: „Enteignung letztes Mittel“. Schwarzwälder Bote. 5.8. 2017.
[13]             Hans-Jürgen Hölle: Nicht nur bauliche Veränderungen beim KSK. Schwarzwälder Bote. 2.9. 2016;
Alfred Verstl: Bundeswehr investiert in KSK-Trainingszentrum. Schwarzwälder Bote. 25.8. 2014; Ralf Klormann: Beim KSK gibt es keinen Stillstand. Schwarzwälder Bote. 1.9. 2017.
[14]             Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Fragen und Antworten zum Absprunggelände.
[15]             Markus Katzmaier: Sorge um Tier- und Pflanzenwelt. Schwarzwälder Bote. 8.9. 2017.
[16]             Ebd.; Roland Buckenmaier: KSK-Absetzgelände: Für Bauern geht es um die Existenz. Schwarzwälder Bote. 13.7. 2017.
[17]             Beteiligungsportal Baden-Württemberg. Ihre Meinung.
[18]             Markus Katzmaier: Bürgerentscheid: Nein zu KSK-Absetzgelände. Schwarzwälder Bote. 25.09. 2017
[19]             Umweltprüfung erfolgt für mehrere Standorte. Schwarzwälder Bote. 28.7.2017.
[20]             Deutscher Bundestag: Drucksache 18/9917, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage […] Ablassen von Treibstoff durch Militärflugzeuge und zivile Luftfahrzeuge. 6.10. 2016.
[21]             Luftwaffe. Wir kommen. Spiegel. 27.2. 1989.
[22]             Notlandung. Bundeswehrhubschrauber durchtrennt Überlandleitung. Spiegel. 30.8. 2017.
[23]             Vgl. Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Fragen und Antworten zum Absprunggelände.
[24]             Patrizia Nanz/Miriam Fritsche: Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Bonn 2012: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 12 f.
[25]             Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Haltung und Informationen der Kommunen
[26]             Vgl. Internetpräsenz des Landes Baden-Württemberg: Politik des Gehörtwerdens ist der richtige Weg. 2015.