IMI-Analyse 2017/35

Bundesheer am Brennerpass?

Österreich als Vorreiter bei der Militarisierung der EU-Binnengrenzen

von: Sven Wachowiak | Veröffentlicht am: 11. August 2017

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Anfang Juli 2017 kündigte der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in einem Zeitungsinterview an, angesichts verstärkter Migrationsbewegungen entlang der zentralen Mittelmeerroute „sehr zeitnah“ Grenzkontrollen am Brennerpass einführen zu wollen.[1] 750 Soldaten des Bundesheeres sollten bereitgestellt werden, um die zuständigen Behörden beim managen des imaginierten Ansturms am Grenzübergang zu unterstützen. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium bereits vorsorglich vier gepanzerte Truppentransporter der Marke „Pandur-Radpanzer“ in die Grenzregion verlegen lassen. Als Italien auf diesen Affront mit der Einbestellung des österreichischen Botschafters reagierte, sah sich der Bundeskanzler schließlich genötigt, den Vorschlag zurückzuziehen. Neu war die Idee von Grenzkontrollen am Brenner allerdings nicht; bereits im April 2016 hatte Italien gedroht, die EU-Kommission einzuschalten, nachdem Österreich dort mit der Errichtung eines Grenzmanagements bestehend aus einer Registrierungsstelle und Verankerungen für einen Zaun begonnen hatte.

In deutschen Medien wurde die diesjährige Ankündigung von Grenzkontrollen pünktlich zur Hauptsaison zum Super-GAU für den Tourismus- und Transitverkehr erklärt. Relativ einig war man sich auch in der Bewertung, dass es sich hierbei im Wesentlichen um einen verfrühten Publicity-Stunt im Hinblick auf die vorgezogene Parlamentswahl im Oktober handele. Weniger kommentiert wurde in diesem Kontext die selbstangemaßte Vorreiterrolle Österreichs bei der Militarisierung der europäischen Binnengrenzen.

Dabei hat der laxe Umgang mit derartigen Heereseinsätzen im Inneren in Österreich System – und das System heißt „Assistenzeinsätze“.

Patrouillieren an der grünen Grenze hat Tradition

In die Kategorie „Assistenzeinsatz“ (abgekürzt AssE) fallen alle über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinausgehenden Hilfsleistungen des Bundesheeres zur Unterstützung des Bundes, der Gemeinden oder der Kommunen. Zweck dieser Einsätze ist nach Wehrgesetz §2(1) „der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und der demokratischen Freiheiten der Einwohner sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt“ oder „die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges.“[2]

Assistenzeinsätze des Bundesheeres zur Überwachung des Binnengrenzraums haben seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Tradition. Auf Antrag des österreichischen Innenministeriums beschloss der Ministerrat 1990 im Rahmen des sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatzes AssE/GRÜAm zunächst die Sicherung des burgenländischen Grenzabschnitts zu Tschechien und Ungarn, um „illegale Grenzgänger“ aufzugreifen und „zu einer Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung in Grenznähe beizutragen“[3]. Per Ministerratsbeschluss wurde der zunächst für maximal 10 Wochen geplante Einsatz immer wieder verlängert und sukzessive geografisch ausgedehnt, bis er schließlich eine Grenzlänge von 113 km zur Slowakei und 357 km zu Ungarn umfasste[4]. Mit Inkrafttreten des Schengener Abkommens für Österreich im Jahr 1997 wurde der Einsatz zusätzlich personell aufgestockt.

Bis zum Wegfall der Grenzkontrollen im Zuge der Schengen-Erweiterung 2007 durften die Soldaten noch sicherheitspolizeiliche Aufgaben, sprich Personenkontrollen, Durchsuchungen und Festnahmen durchführen; nach 2007 beschränkten sich ihre Befugnisse nur noch darauf, „mobile und stationäre Beobachtungen“[5] zu machen, also im Endeffekt Meldungen an die Polizei. Die Staatsbürger Tschechiens, Sloweniens, Ungarns und der Slowakei genossen von nun an schließlich das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU. Um dem Schengener Grenzkodex zu entsprechen, wurde nun auch nicht mehr die eigentliche Grenzlinie bewacht, stattdessen verlagerte sich der Einsatz, ab diesem Zeitpunkt unter dem Namen AssE/SchE, ins Hinterland.

Bemaß sich der Erfolg bis 2007 noch nach der Zahl aufgegriffener „Illegaler Grenzgänger“ (bis dato angeblich über 90.000 Personen aus 110 Staaten), so wurde ab nun mit einem diffusen „subjektiven Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung argumentiert, das es zu befriedigen gälte. Auf dieser gefühlten empirischen Grundlage, bemerkt die militärgeschichtliche Plattform Doppeladler.com, ließe sich „beispielsweise auch die Forderung für ein verpflichtendes Notfallsanitäterteam für jeden größeren Wiener Gemeindebau rechtfertigen“.[6] Selbst der österreichische Rechnungshof zog in seiner Nutzen-Evaluierung für den Einsatzzeitraum 2009 bis 2011 eine desolate Bilanz: „Nur gering“ sei der Nutzen, „nicht adäquat“ seien die Mittel.[7] Als der Assistenzeinsatz im Jahr 2011 eingestellt wurde, hatte er alles in allem, wie „Die Presse“ lakonisch bilanzierte, „statt den geplanten zehn Wochen […] dann doch 1112 Wochen“ gedauert.[8]

Mag der AssE/SchE gemessen an seiner offiziellen Begründung als weitgehend ineffektiv gewertet werden, so erscheint doch nicht unplausibel, dass sich seine Fortführung in den letzten Jahren nicht zuletzt auch als regionale Wirtschaftsfördermaßnahme für die Grenzregion bewährt und somit zumindest auf lokalpolitischer Ebene ausgezahlt haben dürfte. So bilanzierte der Nationalratsabgeordnete Josef Lettenbichler nach Beendigung des Einsatzes, „man [dürfe] auch nicht vergessen, welche Wirtschaftsimpulse in diesen ehemals strukturschwachen grenznahen Regionen gesetzt wurden.“[9]

Migrationsmanagement mit Bundesheer

Der aktuelle Assistenzeinsatz von bis zu 2200 Soldaten wurde per Ministerratsbeschluss am 14. September 2015 als Reaktion auf die von Deutschland eingeführten Grenzkontrollen ausgerufen.[10]

Im Rahmen (i.e. unter dem Vorwand) dieses Einsatzes wird seitdem eine „[neue] Rollenverteilung zwischen den österreichischen Sicherheitsapparaten“[11] vorangetrieben, mit schleichender Ausweitung der Heeresbefugnisse im Inneren und verstärkter zivil-militärischer Zusammenarbeit und Integration[12]. So unterstützt das Bundesheer die zivile Exekutive inzwischen routinemäßig beim innerstädtischen Objektschutz von Botschaften, Konsulaten und ausländischen Privatschulen und führte öffentlichkeitswirksam mindestens einen Abschiebeflug nach Bulgarien mit der Heeres-Transportmaschine Hercules durch.[13] Der Standard zitiert den Verteidigungsminister mit den Worten, bei den genannten Aufgabenbereichen „gebe [es] zwar keinen direkten, aber einen ‚mittelbaren Zusammenhang‘  [mit dem Assistenzeinsatz], denn die Polizei werde entlastet.“[14] Inzwischen setzt man sich gar dafür ein, dass der Objektschutz auch in der österreichischen Verfassung als ständige Aufgabe des Bundesheeres verankert wird.

Laut dem neuaufgelegten Arbeitsprogramm der Bundesregierung soll der Assistenzeinsatz zum Binnengrenzschutz auch in naher Zukunft weiter ausgebaut und durch folgende Maßnahmen verstärkt werden: „Intensivierung von gemischten Streifendiensten/Kontrolltätigkeiten (Polizei/ÖBH), Verstärkte Überwachung der grünen Grenze auch mit Luftfahrzeugen des ÖBH, Unterstützung der Polizei durch die Transportlogistik des ÖBH, Unterstützung bei der Registrierung von Fremden, Unterstützung bei der Zurückweisung von Fremden, Mitwirkung bei der Kontrolle von LKWs und Güterwaggons, Verstärkte Nutzung neuer Detektionstechnologie.“[15] Ein gewisses Sendungsbewusstsein durchweht gar die neue Sicherheitsdoktrin, wenn dort etwa mit der Begründung „Österreich  [verfüge] über besondere rechtliche Möglichkeiten und darauf aufbauende große praktische Erfahrungen sowie entsprechendes Know-how im Bereich der zivil-militärischen Kooperation“ geradeheraus eine „Initiative für ein ‚Europäisches Assistenzkonzept‘“ nach dem Vorbild des landeseigenen Erfolgsmodells gefordert wird.

Dass Assistenzeinsätze laut dem Verfassungsrechtler der Wiener Universität Bernd-Christian Funk ursprünglich einmal als „ultima ratio“[16] gedacht waren, scheint in diesen Milieus ohnehin lange niemanden mehr anzufechten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht, so Funk bereits 2009 gegenüber der Zeitung „Die Presse“, müsse für einen Assistenzeinsatz eine „außerordentliche und vorübergehende Gefahr“ gegeben sein, „die der inneren Ordnung“ droht. „Ein Assistenzeinsatz [dürfe] nicht dazu eingesetzt werden, um dem Heer für lange Zeit oder gar – jetzt schon auf Dauer – polizeiliche oder quasi-polizeiliche Befugnisse zu geben.“[17] Um  außerordentliche Maßnahmen zu rechtfertigen, braucht es also auch in Österreich solidere Grundlagen, als gefühlte Unsicherheit und allgemeine Katastrophenrhetorik.

Anmerkungen

[1] Alarmplan: 750 Soldaten für Grenzsicherung bereit, Kronen Zeitung, 03.07.2017
[2] Wehrgesetz 2001 § 2, Fassung vom 03.05.2017
[3] http://www.bundesheer.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=356
[4] ebd.
[5] Antrag und Beschluss v 6.11.2007, BMI-OA1300/0140-II/1/2007
[6] http://www.doppeladler.com/oebh/assistenzeinsatz.htm?assistenzeinsatz-schengen.htm
[7] Rechnungshof: Nutzen des Assistenzeinsatzes „gering“, Die Presse, 08.03.2010
[8] Assistenzeinsatz: Streifentätigkeit des Heeres endet, Die Presse, 20.11.2011
[9] Sitzung des Nationalrates am 29. März 2012 (150/NRSITZ)
[10] Flüchtlinge: Faymann schickt Bundesheer an die Grenze, wirtschaftsblatt.at, 14.09.2015
[11] Droht Österreich die Militarisierung?, Der Standard, 23. Oktober 2016
[12] Die Sicherheitsdoktrin des BMI 2017-2020, Abschnitt 4, HF 7
[13] Nur eine (!) Abschiebung mit Hercules-Maschine, heute.at, 25.09.2016
[14] Militärpolizei soll künftig Botschaften überwachen, Der Standard 03.06.2016
[15] Für Österreich – Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2017/2018, S.27
[16] Bernd-Christian Funk: Der Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Binnengrenze – eine permanente Verfassungsverletzung?, juridikum 2009/2
[17] Bundesheer: Faymann will Assistenzeinsatz verlängern, Die Presse, 26.05.2009