IMI-Aktuell 2016/382

Afghanistan soziologisch

von: 4. Juli 2016

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In mehrfachem Wortsinn viel_versprechend klingt die Rezension in der FAZ einer soziologischen Abhandlung über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr, die vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegeben und demnächst vom Rombach Verlag veröffentlicht wird, auf dessen Homepage sich auch eine Leseprobe findet. Obgleich der Untertitel des Buches von Philipp Münch „Militärische Handlungslogik in internationalen Interventionen“ lautet, geht es für den Rezensent in der FAZ, Hans-Dieter Wichter, offensichtlich v.a. um die Frage, „[w]arum … die Afghanistan-Politik von fünf Bundesregierungen, von UN und Nato gescheitert“ ist. Die Einschätzung, dass der Einsatz und die Intervention insgesamt gescheitert wären, findet sich jedenfalls in erfrischender Deutlichkeit tatsächlich auch in der Leseprobe. Darin heißt es bereits im Problemaufriss:

„Zwar konnten sich die Vertreter der seit 2001 in Afghanistan intervenierenden Staaten nie auf ein konkretes Ziel und einen dafür zu beschreitenden Weg im Rahmen einer gemeinsamen Strategie einigen. Doch lässt sich aus den Absichtserklärungen als kleinster gemeinsamer Nenner das Ziel herauslesen, dass sie eine deutlich weniger von organisierter physischer Gewalt geprägte Situation und den Aufbau eines afghanischen Staates anstrebten. Im Widerspruch zur feierlich erklärten ‚Transition‘ halten die meisten mit Afghanistan befassten Wissenschaftler und sogar Praktiker, die vor Ort in Schlüsselstellungen tätig waren, gleichwohl das selbst gesteckte Ziel der Intervention mehr als zehn Jahre nach ihrem Beginn für nicht erreicht. Gleiches zeigen die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Detailstudien über die Auswirkungen des Engagements in mehreren Provinzen.“

Die Rezension in der FAZ nennt für dieses Scheitern so vielfältige Gründe, dass einem ein wenig der Überblick verloren geht, was genau in dem Buch eigentlich im Kern untersucht wird. Was auch immer es ist, offensichtlich wird es insbesondere mit Begriffen aus dem Werkzeugkasten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu angegangen. So werden in der Rezension Unterschiede in Habitus und Feld zwischen politischer Führung und Soldaten im Einsatz skizziert, die ersteren eine deutlich geringere Risikobereitschaft unterstellen. Außerdem wird in der Rezension mehr als nur angedeutet, dass der Bundesnachrichtendienst wesentlich zum Scheitern beigetragen habe, indem er selbst keine brauchbare Aufklärung betrieben und zugleich „in Eifersucht um sein Aufklärungs-Monopol“ als Bürokratie eine bundeswehreigene Aufklärung sabotiert habe. Zugleich werden jedoch noch deutlich grundsätzlichere Gründe genannt, warum der Einsatz misslang, die in der afghanischen Geschichte und Sozialstruktur oder zumindest der Unkenntnis der intervenierenden Staaten dieser gegenüber lägen. „Hinterlassen wurde nach Münch eine auch durch beginnende ‚kapitalistische‘ Wirtschaftsstrukturen fragil gewordene Gesellschaft ohne eine tragende Ordnung und Orientierung“ so der Rezensent und weiter: „Dominierend blieben profitorientierte und gewaltbereite regionale Machthaber“, die im übrigen – zumindest in der Rezension – wiederum mit dem Habitusbegriff angegangen werden.

Sehr deutlich kommt in der Rezension zum Ausdruck, „dass die politischen Entscheidungsträger an fundierten wissenschaftlichen Expertisen überhaupt nicht interessiert“ waren und sogar „sein konnten“ da sie – nun mit Luhmann – selbstreferentiell dachten und handelten. Diese in der Rezension etwas lose nebeneinander stehenden Aspekte lassen das Buch durchaus lesenswert erscheinen auch wenn der Preis mit 48,- Euro recht üppig erscheint dafür, dass es von einem bundeswehreigenen und damit steuerfinanzierten Institut herausgegeben wurde.