IMI-Analyse 2015/025 - in: AUSDRUCK (August 2015)

Schweiz: Eine unheilige Allianz der Vernunft

Kauf neuer militärischer Transportflugzeuge vorläufig gestoppt

von: Andreas Weibel, GSoA | Veröffentlicht am: 6. August 2015

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Die Schweiz hat ein besonders Verhältnis zu ihren Militärflugzeugen. Den ersten Luftwaffenskandal produzierte das eidgenössische Verteidigungsministerium mitten im Kalten Krieg. Die Armeeplaner wollten das leistungsstärkste Flugzeug seiner Zeit erwerben. Die Absicht war, dass die französische Mirage III die Fähigkeit haben sollte, Atombomben des in jener Epoche heimlich laufenden Schweizer Nuklearwaffenprogramms bis nach Moskau zu transportieren. Bei der Beschaffung kam es jedoch zu massiven Kostenüberschreitungen. Das Parlament setzte die erste Untersuchungskommission seiner Geschichte ein, der Verteidigungsminister musste zurücktreten.

Auch spätere Beschaffungspläne stockten. Beim Kauf von F/A-18-Kampfflugzeugen kam es 1993 zu einem ersten direktdemokratischen Showdown zwischen dem Militär und der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Innerhalb eines Monats unterschrieben mehr als eine halbe Million StimmbürgerInnen eine Volksinitiative gegen das Rüstungsgeschäft – das entsprach mehr als 10 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung, ein vorher und nachher nie mehr erreichter Wert. In der Volksabstimmung gewannen schlussendlich dennoch die BefürworterInnen der Kampfjets eine knappe Mehrheit. Gut zwanzig Jahre später plante die Armeeführung, die nächste Generation Kampfflugzeuge zu kaufen. Wiederum kam es zur Volksabstimmung, dieses Mal jedoch mit anderem Ausgang: Am 15. Mai 2014 lehnten 54 Prozent der stimmberechtigten Schweizer BürgerInnen die Beschaffungswünsche der Armee ab. Seit der Einführung der direktdemokratischen Rechte Ende des 19. Jahrhunderts war dies die erste Niederlage des Militärs an der Urne.

Drei Lager

Während sich die Diskussionen um den Kauf von Kampfflugzeugen in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten jeweils auf der Bühne der direkten Demokratie abspielten und entlang des klassischen Links-Rechts-Grabens verliefen, fielen die Entscheide über Transportflugzeuge im Parlament, und die politischen Fronten lagen anders.

Die Schweiz verfügt bisher über keine größeren militärischen Lufttransportkapazitäten. Angesichts der Größe des Landes lässt sich der Kauf von Transportflugzeugen nur im Zusammenhang mit Auslandeinsätzen der Armee begründen. Gegenwärtig ist das Schweizer Militär einzig im Kosovo mit rund 200 bewaffneten Soldaten präsent. Die Armeeführung möchte zwar gerne weitere Truppen im Ausland einsetzen, findet für ihre Pläne im Parlament jedoch keine Mehrheiten. Unter anderem scheiterte die Armee mit der Idee, ein kleines Kontingent von Spezialisten für Anti-Piraten-Missionen am Horn von Afrika einzusetzen. Das Verteidigungsministerium konnte zwar glaubhaft versichern, dass sich in der Schweiz genügend Soldaten finden liessen, die auf hoher See nicht seekrank würden, grundsätzlichere Zweifel konnte es jedoch nicht zerstreuen. Der Einsatz von vier Stabsoffizieren in Afghanistan war nur von geringer Dauer. Schon nach kurzer Zeit wurden sie wieder abgezogen, nachdem das Verteidigungsministerium feststellen musste, dass es nicht einfach war, die Sicherheit der Offiziere zu gewährleisten.

Wenn es um die Armee geht, ist die Schweizer Politik in drei Lager gespalten:

  1. Die nationalkonservativen Isolationisten, die den Uno-Beitritt der Schweiz bis 2001 verhindert haben. Sie fordern zwar eine möglichst große und schlagkräftige Armee, wehren sich aber gegen jegliche militärische Zusammenarbeit mit dem Ausland.
  2. Liberale, die politische Mitte sowie ein Teil der Sozialdemokratie (SP) sehen sich als Modernisierer. Sie stehen für eine Annäherung an die Nato, mehr Auslandeinsätze und Reformen, um die in der Schweiz weiterhin geltende Wehrpflicht wirtschaftsfreundlicher zu gestalten.
  3. Die pazifistische Linke, bestehend aus den Grünen und dem anderen Teil der sozialdemokratischen ParlamentarierInnen.

 

Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind denkbar knapp. Entscheidend ist bei Fragen zu Auslandeinsätzen, ob die „unheilige Allianz“ zwischen rechten Nationalkonservativen und linken AntimilitaristInnen zustande kommt. Das Zünglein an der Waage spielen die unentschlossenen SozialdemokratInnen. Bereits 2005 gelang es der GSoA durch ihre Überzeugungsarbeit, dass genügend SP-ParlamentarierInnen gegen Transportflugzeuge für die Schweizer Luftwaffe stimmten.

Zwangsausschaffung im Transportflugzeug

Zehn Jahre später ist die Situation wieder ähnlich. Militärfreundliche christdemokratische und sozialdemokratische Abgeordnete stellten Anträge, dass die Armee Transportflugzeuge beschaffen soll. Vorgesehen waren ein bis zwei Langstreckenmaschinen. Die Forderungen spezifizierten kein genaues Modell, die Rede war jedoch unter anderem von Herkules C-130, wie sie auch Österreich einsetzt. Wieder wollte also das Verteidigungsministerium die Transportflugzeuge kaufen, wieder konnte die GSoA genügend SozialdemokratInnen überzeugen, dagegen zu stimmen.

Dieses Mal kam ein neuer Faktor hinzu: Falls die Schweiz neue Transportflugzeuge kaufen würde, bestünde die Gefahr, dass die Behörden diese Maschinen für Zwangsausschaffungen[1] verwenden. Die BefürworterInnen neuer Transportflugzeuge für die Schweizer Armee kämpften mit harten Bandagen: Vor der Nationalratsdebatte über den Kauf solcher Maschinen streuten sie das Gerücht, dass es juristisch gar nicht möglich sei, Militärmaschinen für Ausschaffungsflüge einzusetzen. Kein Land würde angeblich für solche Transporte eine Landeerlaubnis erteilen.

Fakt ist jedoch: In den letzten Jahren führte die Schweizer Luftwaffe bereits diverse Zwangsausschaffungen mit kleineren Militärflugzeugen durch.[2] Auch Verteidigungsminister Ueli Maurer sah sich im Parlament gezwungen, Klartext zu reden: „Wir sind in Kontakt mit dem Justizministerium, um allfällige Ausschaffungsflüge zu prüfen. […] Ich sehe nicht ein, weshalb wir mit ihnen nicht auch Ausschaffungsflüge machen könnten.“[3]

Vorgesehen wären die Transportflugzeuge für sogenannte Level-4-Ausschaffungen, bei denen die Auszuschaffenden gefesselt, gegebenenfalls auf einem Stuhl fixiert und von der Polizei bewacht werden. Bei dieser Art der Rückführung kommt es immer wieder zu Todesfällen.

Kosten: Zwei bis drei Milliarden Euro

Auch die finanziellen Aspekte des Geschäfts geben zu reden. In der Parlamentsdebatte musste Ueli Maurer eingestehen, dass es bei der Beschaffung um „Investitionen in der Grössenordnung von 200 bis 500 Millionen [Euro] und von jährlichen Kosten im Umfang eines hohen zweistelligen Millionenbetrags“[4] gehe. Auf die gesamte Einsatzdauer der Flugzeuge summiert sich das auf einen Betrag in der Größenordnung von zwei bis drei Milliarden Euro. In Zeiten von immer drastischeren Sparprogrammen lassen sich solche Ausgaben nur schwer rechtfertigen.

Im Herbst wird das Parlament über weitere Vorstöße für den Kauf von Transportflugzeugen beraten. Ein Teil der SP-Fraktion ist weiterhin für die Beschaffung, da sie darin einen symbolischen Kampf für mehr Auslandeinsätze sehen. Die GSoA wird auch im Herbst wieder Aufklärungsarbeit leisten, um einem genügend großen Teil der Linken klar zu machen, dass der finanzielle und menschenrechtliche Preis für dieses Symbol zu hoch ist.

Anmerkungen

[1] Schweizer Ausdruck für Abschiebungen (Anm. d. Red.).

[2] Jirát, Jan (WOZ, 4.6.2015): Ausschaffungen im Armeejet, www.woz.ch/-5f11.

[3] Amtliches Bulletin: Wortprotokolle des Nationalrats, 16. Juni 2015, Motion 14.4130, www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4919/468495/d_n_4919_468495_468812.htm.

[4] Ebenda.