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IMI-Analyse 2015/013

Militärische „Lehren“ aus Afghanistan?

Lühr Henken (09.04.2015)

Dieser Text erschien in der Broschüre „Deutschland: Wi(e)der die Großmacht“ (68 Seiten, DinA4), die zum Preis von 4 Euro unter imi@imi-online.de bestellt werden kann. Hier die PDF-Version.

 

Entgegen der weit verbreiteten Auffassung ist der westliche Kriegseinsatz in Afghanistan keineswegs beendet. Weiterhin sind dort etwa 12.000 Soldaten im Rahmen des NATO-Einsatzes „Resolute Support“ stationiert (ca. 800 davon aus Deutschland). Sie sollen nunmehr im Schwerpunkt die afghanischen Sicherheitskräfte ausbilden, ihr Mandat umfasst aber auch die Option, offensiv zu deren Unterstützung und zur Tötung tatsächlicher oder vermeintlicher Terroristen vorgehen zu können. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, welche Lehren Militärs oder dem Militär verbundene Leute aus dem bisherigen Krieg in Afghanistan ziehen. Dabei fällt einem zunächst das geflügelte Wort „Lessons learned“ ein, und wenn man nachschaut, was die Suchmaschinen dazu anbieten, dann ist das nicht nur im englischsprachigen Bereich eine ganze Menge, sondern auch auf Deutsch. Hier interessiert uns der Bereich, der mit der Entwicklung der Bundeswehr zu tun hat.

Das Endergebnis vorweggenommen: Es gibt keine zusammengefassten Erkenntnisse, weder in der Bundeswehr noch im Bundestag, die eine Evaluation des deutschen Afghanistaneinsatzes als allgemeingültig qualifizieren würden. Es gibt allerdings einen Diskurs in- und außerhalb der Bundeswehr, der bereits wichtige Aspekte benennt, die sich allesamt mit der Frage beschäftigen, wie derartige Einsätze künftig „besser“ durchgeführt werden können, anstatt sie zu unterlassen.

Ausgeblendete Hinterlassenschaft des Krieges

Ausgeblendet wird in allen Evaluationen die Hinterlassenschaft des ISAF-Einsatzes: Zerstörung als Folge der Invasion in Afghanistan. Es besteht kein Interesse daran herauszufinden, was der Krieg wirklich angerichtet hat: in Afghanistan 180.000 bis 250.000 direkte Tote auf allen Seiten[1]. In Pakistan, als direkte Folge der NATO-Intervention in Afghanistan, bisher rund 80.000 Tote. Wie wenig das Menschenleben im Gastland tatsächlich für die Invasoren wert ist, machte Amnesty International (AI) kürzlich deutlich. AI wirft der US-amerikanischen „Militärjustiz vor, die Tötung von Tausenden afghanischen Zivilisten bei Einsätzen der amerikanischen Armee nicht angemessen untersucht zu haben“, berichtet die FAZ. „Es habe sich ‚eine Kultur der Straflosigkeit‘ etabliert.“[2] Dazu passt auch folgender Skandal: Es besteht von keiner Regierungsseite eines NATO-Staates Interesse daran, die Folgen der US-Kampfdrohneneinsätze in Afghanistan zur Kenntnis zu nehmen. Allein von 2009 bis 2012 haben die USA zusammen mit Großbritannien nach eigenen Angaben 1.668 Drohnenattacken geflogen. Wie viele es davor und danach waren, wird unter Verschluss gehalten. Die Zahl der Getöteten allein in Afghanistan dürfte nur in diesem Vierjahreszeitraum bei 10.000 liegen.

Meine erste Schlussfolgerung: Da gegenüber den zerstörerischen Folgen des Militärinterventionismus Gleichgültigkeit vorherrscht, kann nicht erwartet werden, dass von dieser zerstörerischen Praxis zukünftig Abstand genommen wird. Von daher bewegen sich die Schlussfolgerungen von Militärs, Wissenschaftlern und Politikern, die dem Militär nahestehen, um die Frage, wie der Militärinterventionismus „erfolgreicher“ für Bundeswehr und NATO gestaltet werden kann. Ausgeblendet wird ganz und gar, dass der Militärinterventionismus von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist. Die deutlichen Worte des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und die einschlägigen Formulierungen in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) seit 1992 werden überdeckt vom Gerede über die angebliche Forderung an Deutschland, weltweit mehr Verantwortung zu übernehmen – militärisch versteht sich. In der jetzt gültigen Fassung der VPR von 2011 formulierte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“[3] Klartext: Bundeswehreinsätze sollen Handelswege sichern und Zugänge zu Rohstoffen ermöglichen.

Erfolg im Scheitern

Im Folgenden will ich die mir wesentlich erscheinenden Schlussfolgerungen der militärnahen Fachleute referieren. So den Aufsatz von Carlo Masala in der Zeitschrift Internationale Politik von Ende 2013, der insbesondere einen Überblick gibt über die Dinge, die sich in den mehr als 10 Jahren Afghanistaneinsatz verändert haben. Für Masala, Professor an der Bundeswehr–Uni München, war der Bundeswehreinsatz in Afghanistan ein Erfolg, „obwohl,“ wie er realistisch resümiert, „die Mission an sich als gescheitert gelten kann, das Land alles andere als stabil ist, die Gefahr eines langanhaltenden Bürgerkriegs fortbesteht und man mit einer erneuten Machtübernahme durch die Taliban rechnen muss.“[4] Die Bundeswehr habe viel gelernt, so Masala, und sich von einer „Armee der Territorialverteidigung und des robusten Peacekeeping zu einer Einsatzarmee weiterentwickelt, die heute das gesamte Spektrum militärischer Aufgaben einschließlich des Gefechts abdecken und ausüben kann.“[5] Als wichtigste Elemente nennt Masala die Änderung der „Taschenkarte“, die Entwicklung einer Counterinsurgency-Doktrin und die direkte Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Gefechtsoperationen. Im Einzelnen: Die „Taschenkarte“ legt die Regeln zum Einsatz von Schusswaffen und Gewaltmaßnahmen für den einzelnen Soldaten fest. Das zunächst restriktiv gehaltene Dokument sah anfangs nur den Gebrauch von Schusswaffen im Falle eines direkten Angriffs vor. Da sich die Sicherheitslage in Afghanistan änderte, kam es 2009 zu der Erlaubnis, auch „auf fliehende Angreifer zu schießen“ und dazu, dass „der Gebrauch von Schusswaffen nicht mehr angekündigt werden muss, wenn es die Situation nicht mehr ermöglicht.“[6] Zwar werde der Begriff der Aufstandsbekämpfung vermieden, aber das neue Schieß- und Ausbildungskonzept der Bundeswehr simuliere Einsatzbedingungen, insbesondere das Schießen aus naher Distanz, das Teil der Aufstandsbekämpfung ist. Auch die Stärkung der Infanterie sei Ausdruck der Orientierung auf Aufstandsbekämpfung, so Masala. In Afghanistan beteiligte sich die Bundeswehr neben kleineren Feuergefechten „auch an größeren militärischen Offensivoperationen.“ Masala hebt die Operation Harekate Yolo II hervor. Dabei handelt es sich „um die erste offensive Militäroperation unter deutscher Führung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Bundeswehr brachte den Taliban in den von ihnen gehaltenen zwei Provinzen eine vernichtende Niederlage“[7] bei, so Masala.

Neu geschaffen sei ansatzweise eine militärische Erinnerungskultur für den einzelnen Soldaten. Stichworte sind Ehrenhain, Trauerfeiern mit Beteiligung hochrangiger Politiker, Ehrenkreuz für Tapferkeit und die Einsatzmedaille „Gefecht“. Sie sollen die politische und gesellschaftliche Anerkennung für den Einsatz der Soldaten in Afghanistan ausdrücken. Für die Bundeswehr sei Afghanistan eine „Training-on-the-job-Erfahrung“. Der Einsatz habe eine „gewaltige Transformation“ ausgelöst, „die dazu führte, dass die Bundeswehr heute eine für alle Einsatzspektren einsetzbare, gut ausgerüstete und hochprofessionelle Armee geworden ist,“ sagt Masala. Die Bundeswehr sei nun in der Lage, „mit Alliierten und Verbündeten auf Augenhöhe in Einsätze zu gehen.“[8]

Konsequente Einsatzausrichtung

Unter der Überschrift „Die Bundeswehr nach Afghanistan – Lessons Learned“ trafen sich im Januar 2013 im Rahmen des „3. Koblenzer Forums Verteidigungspolitik“ Spitzenmilitärs. Ich möchte hier die Schlussfolgerungen des damaligen Verteidigungsministers de Maizière kurz referieren, weil sie von besonderer Relevanz sind. Er sagte laut Zusammenfassung des Bundeswehrverbandes: „Alle Zeitpläne haben sich als zu kurz erwiesen, ISAF darf nicht strukturbestimmend für die Bundeswehr sein. Die Bundeswehr trägt derzeit Lasten für andere Ressorts – vernetzte Sicherheit darf nicht auf dem Rücken der Soldaten stattfinden. […] Viele Annahmen über künftige Sicherheitsrisiken sind unklar. Daher müsse die Bw-Planung ein breites Szenario möglicher Einsätze abdecken.“[9] Der Ansatz „Breite vor Tiefe“ sei notwendig, so de Maizière, um eine Vielzahl von Optionen offen zu halten. Sein Vorredner General a.D. Egon Ramms, ehemaliger Befehlshaber des NATO-Hauptquartiers in Brunssum und Verantwortlicher für den ISAF-Einsatz, hatte sich mit „smart defence“ in der NATO und dem „pooling und sharing“ in der EU auseinandergesetzt und hervorgehoben, dass Deutschland „generell“ dabei „außen vor“ sei, „weil es nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der Wahrnehmung der NATO-Partner – mit Blick auf den Parlamentsvorbehalt – keine wirklich verlässlichen Zusagen tätigen könne“. De Maizière ging darauf ein und sagte, dass „weder in Deutschland noch in den anderen EU-Staaten eine wirkliche Bereitschaft zur Abgabe von Souveränität über Streitkräfte vorhanden sei.“ Und das Bundesverfassungsgericht „habe klar festgestellt,“ so de Maizière, „dass wirkliches ‚sharing‘ mit diesem Grundgesetz nicht zu machen sei, sondern eine komplett neue Verfassung nach Artikel 146 Grundgesetz erfordere.“[10] Das gibt zu denken.

Auch die Rede des stellvertretenden Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Peter Schelzig, vom September 2013 zum Thema „Erkenntnisse aus den Einsätzen der Bundeswehr und das künftige Fähigkeitsspektrum“ gibt Aufschlüsse. Schelzig sieht die Neuausrichtung der Bundeswehr ohne Wehrpflicht seit 2010 als Schlussfolgerung aus den Auslandseinsätzen – vor allem dem Afghanistaneinsatz. Schelzig sagt: „Denn über die Jahre hatten wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass in der Wehrpflichtarmee alter Prägung Verbände nie ganzheitlich in den Einsatz geschickt werden konnten. Stattdessen mussten Fähigkeitsverbünde stets mühsam aus Elementen verschiedener Truppenteile zusammengesetzt werden. Gemeinsames Training und Ausbildung, kohärente Ausrüstung und eine inhaltliche Geschlossenheit waren nicht gegeben. Seit 2010 ist deshalb die konsequente Einsatzausrichtung das wesentliche Paradigma dieser Reform geworden. In der Konsequenz wird uns das neue Personalstrukturmodell mit bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten erlauben, ebenso 160.000 für Grundbetrieb und Einsätze einzuplanen, wie die alte Struktur mit 245.000 Soldaten.“[11] Schelzig erwähnte nicht, dass die neue Struktur darauf angelegt ist, den Dauereinsatz der Soldaten erheblich zu erhöhen, nämlich von 7.000 auf 11.000 Soldaten. Das Grundprinzip „Breite vor Tiefe“ ermögliche es der Bundeswehr wie zwei oder drei anderen großen europäischen Staaten auch, sämtliche Kernfähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Anfragen von Staaten, sich anzudocken, würden sich heute „stapeln“, so Schelzig. Als eines von mehreren Beispielen dafür führt er an, dass die Niederlande eine ganze Brigade der deutschen „Division Luftbewegliche Operationen“ unterstelle und so die Durchhaltefähigkeit verstärke. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr habe sich durch die Einsatzerfahrungen vor allem auf der taktischen Ebene verändert. Entsprechend wurde neue Ausrüstung beschafft, wie geschützte Fahrzeuge aller Klassen, Technik für Nachtsicht- und Nachtkampffähigkeit, Anti-Sprengfallen-Technik und Feldlagerschutz, Kommunikationstechnik sowie Waffen und Munition.[12] Schelzig weist darauf hin, dass insbesondere wesentliche Erkenntnisse aus dem Einsatz der HERON-Aufklärungsdrohnen in Afghanistan künftige Drohnenfähigkeiten beeinflussen werden. Auch er hebt hervor, dass kein Szenario dem anderen gleiche. Deshalb werde eine Ausbildung benötigt, die „einen guten ausbalancierten Spagat zwischen einer Ausbildung im Grundbetrieb, die die Bandbreite möglicher Szenare abdeckt, und einer einsatzspezifischen Ausbildung nach dem Motto ‚Train as you fight‘“[13] beinhaltet.

Sehr plastisch schildert der Kommandeur des Regionalkommandos Nord, General Jörg Vollmer, die Veränderungen durch den Afghanistaneinsatz für die Bundeswehr: „Kundus steht für die Veränderung der Bundeswehr, steht für die Veränderung des Heeres, weil Kundus die mentale Veränderung war, wir müssen auch kämpfen können. Das haben wir getan. Das ist nicht nur mentalitätsmäßig so, das ist bis hin zu dem Material, das wir jetzt wieder nach Hause transportieren. Wenn Sie die Bilder vergleichen von 2002 in Kabul und auch von Kundus in 2006 und heute sehen, mit welch hochmodernem Gerät wir ausgestattet sind, was vor allem auch zum Schutz unserer Soldaten beiträgt, dann hat sich in diesen zehn Jahren unglaublich viel getan.“[14]

Raumbeherrschung: Stadt, Land, Fluss und Cyberspace

Aufschlussreich sind auch Aussagen des damaligen Befehlshabers des Heeresführungskommandos in Koblenz, Generalleutnant Wolfgang Otto, aus dem Jahr 2008. Er sagte in einem Interview unter der Überschrift „Lessons Learned – Das neue Auftragsbuch des Heeres“, dass als Schlussfolgerung aus dem Experiment „Urbane Operationen 2010“ gezogen wurde, dass das Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Letzlinger Heide zu einem Ausbildungs-und Übungszentrum für Operationen in urbanem Umfeld ausgebaut“[15] werden soll. „Damit wird die Vorbereitung der Kräfte für den Einsatz weiter optimiert werden können“, so Otto. „Gleiches gilt auch für die Weiterentwicklung unserer Ausrüstung und der Waffensysteme. Diese werden stetig an die Erfordernisse des Einsatzes im urbanen Umfeld angepasst, wie die Weiterentwicklung des Kampfpanzers Leopard und seiner Einsatzmöglichkeiten zeigt. Die Verbesserung der Führungsfähigkeit und der Wirkungsmöglichkeiten bei bestmöglichem Schutz sind die Schwerpunkte der Heeresrüstung. Die Fähigkeit zum Kampf gegen irreguläre Kräfte ist in einem Maße erforderlich geworden“, so Otto weiter, „das – abhängig von der geforderten Intensität – verfügbare Spezial- und spezialisierte Kräfte überfordert. Deshalb werden die Grundlagen zum Kampf gegen irreguläre Kräfte im Feldheer auf eine ausbildungsmäßige breite Basis gestellt werden müssen.“[16]

Dass man genauso gedenkt weiter zu machen wie bisher, nur eben besser, konsequenter, dafür steht ein Aufsatz von Hans Frank, Vizeadmiral a.D., früher Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Überschrieben mit „Lehren aus Afghanistan“[17] konstatiert Frank im November 2013 klar: „Die NATO wird Afghanistan nicht als Sieg an ihre Fahnen heften können.“ Schuld seien allerdings nicht die Militärs, sondern die Politik. Sie habe bei der Umsetzung versagt. Alles wäre zu spät gekommen oder gar nicht: Polizei aufbauen, Drogenhandel einschränken, Justiz fördern, Milizen abbauen sowie afghanische Armee ausbilden. „Vernetzte Sicherheit war es jedenfalls nicht“, resümiert Frank. Taktisch-operative Lehren müssten nicht weiter gezogen werden, die hätte man an Ort und Stelle gemacht. Aber sicherheitspolitisch käme es künftig auf Folgendes an: auf eindeutige Zielsetzung, auf ein strategisches Konzept, nationale Interessen müssten berücksichtigt werden und ein nationaler Beauftragter gehöre an den Kabinettstisch. Frank identifiziert zwei Regionen, die ihm besonders bedrohlich erscheinen: den Nahen Osten und das nördliche Afrika. Hier könnten bezüglich der Türkei und Israels seitens der NATO oder der EU Reaktionen notwendig werden, ja sogar erzwungen werden. Während es bei der Türkei eine klare NATO-Angelegenheit sei, kämen für alle anderen Fälle in der Region „Koalitionen der Willigen“ in Frage, wofür der Mali-Einsatz eine „Blaupause“ darstelle. Denn hier gebe es eine Führungsnation, der sich andere anschließen könnten. Der deutsche Ansatz biete hier einen Vorteil, denn dem Konzept „Breite vor Tiefe“ folgend, könne Deutschland aus einem breiten Spektrum an Möglichkeiten die geeigneten Maßnahmen auswählen. Frank mahnt, dass in der Bundeswehr „das oberste Spektrum des Einsatzes unter den Bedingungen des modernen Krieges nicht außer Acht gelassen werden“[18] dürfe. Dies träfe vor allem auf den Nahen Osten zu. Frank begrüßt es, dass die Bundeswehr „erstmals“ konzeptionell, die Bedeutung der Informationsüberlegenheit – neben den eingesetzten Mitteln – hervorgehoben hat und schließt mit dem Satz: „So, wie in der Vergangenheit Kriege nur im richtigen Zusammenspiel von Heer, Luftwaffe und Marine gewonnen wurden, werden wir in Zukunft Auseinandersetzungen nur dann erfolgreich bestehen, wenn es gelingt, den Informationsraum (‚Cyberspace‘, L.H.) sowohl defensiv wie offensiv zu beherrschen.“[19]

Kriegsoptimierung im Anmarsch

Die Schlussfolgerung aus all dem stellt sich mir so dar, dass für die Militärs die Orientierung auf weltweite Auslandseinätze richtig erscheint, dass jedoch das Training für den Kampf in Städten verstärkt werden muss und entsprechende Ausrüstungen zur Verfügung stehen müssen. Der intensiven Beteiligung an Pooling und Sharing steht das Bundesverfassungsgericht im Wege, so dass eine neue Verfassung her muss, die den Parlamentsvorbehalt aushebelt.

Verschwiegen wird, dass der Militärisch-Industrielle Komplex seit Anfang der 90er Jahre damit befasst ist, konkret die materielle Basis für diesen Militärinterventionismus zu schaffen. Seitdem sind in ein ausgeklügeltes Material-und Ausrüstungskonzept über 100 Milliarden Euro geflossen. Herzstück ist die strategische Verlegefähigkeit per Luft. Neue A400 M-Kampfzonentransporter werden passgenau angefertigt für nagelneue Kampf- und Transporthelikopter, für Schützenpanzer und Mannschaftstransportfahrzeuge – und Hightech-Infanteristen, die aus der Ladeluke abspringen können. Das Heer wird für die Aufstandsbekämpfung insbesondere in der Stadt optimiert, die Marine wird mit Korvetten und Fregatten ausgerüstet, mit denen weit in fremdes Land geschossen werden kann. Sämtliche Soldaten der Teilstreitkräfte werden über Drohnendaten digital vernetzt – Stichwort „Vernetzte Operationsführung“ –, um den Zeitaufwand bei Entscheidungsfindungen so sehr zu reduzieren, dass der Sieg im Krieg möglich wird. Diese Techniken werden noch in dieser Legislaturperiode zur Verfügung stehen. Der gescheiterte Kriegseinsatz von NATO und Bundeswehr in Afghanistan führt nicht etwa zur grundsätzlichen Umkehr im Denken, also zu einer Infragestellung des Militärinterventionismus, sondern im Gegenteil, zum Versuch, diesen über ein Mehr an Technik zu perfektionieren. Ich befürchte, dass die Rufe nach noch mehr kriegerischen Bundeswehreinsätzen dann zunehmen werden, sobald die in der Herstellung befindlichen Waffen und Ausrüstungen einsatzbereit sind. Das wird spürbar ab 2016 der Fall sein. Das heißt, wir werden unsere Anstrengungen gegen die Militarisierung, gegen Kriege, für Frieden und Abrüstung auf vielfältige Weise verstärken müssen.

 

Anmerkungen

[1] IPPNW (Hrsg.), „Body Count“, Opferzahlen nach 10 Jahren “Krieg gegen den Terror” Irak Afghanistan Pakistan, März 2013, 80 Seiten. Lühr Henken, Vergessene Tote, junge welt, 7.7.2014

[2] FAZ, 12.8.2014

[3] Verteidigungspolitische Richtlinien, erlassen am 18.5.2011, 20 Seiten, S. 5

[4] Carlo Masala, Partner auf Augenhöhe, Internationale Politik (IP), November/Dezember 2013, Seiten 90 bis 95, S. 90, im Weiteren: Masala

[5] Masala, S. 90

[6] Masala, S. 92

[7] Masala, S. 94

[8] Masala, S. 95

[9] 3. Koblenzer Forum Verteidigungspolitik, „Die Bundeswehr nach Afghanistan: Lessons Learned?“, 19.1.2013

[10] ebenda

[11] Generalleutnant Peter Schelzig, Erkenntnisse aus den Einsätzen der Bundeswehr und das künftige Fähigkeitsspektrum, Bad Godesberg, 25.9.2013, 8 Seiten, S.2, im Weiteren: Schelzig

[12] Schelzig, S. 5

[13] Schelzig, S. 8

[14] NDR Info Das Forum – Streitkräfte und Strategien, 5.10.13

[15] Interview mit Generalleutnant Wolfgang Otto, Befehlshaber des Heeresführungskommandos, IMS Heft Nr. 5/2008, Lessons Learned – Das neue Auftragsbuch des Heeres

[16] ebenda

[17] Hans Frank, Lehren aus Afghanistan – Überlegungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, in: Europäische Sicherheit & Technik, November 2013, S. 10 bis 12, S. 10

[18] Frank, S. 12

[19] Frank, S. 12

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