IMI-Standpunkt 2015/002 - in: AUSDRUCK (Februar 2015)

Die Bundeswehr zieht aus Sardinien ab

Lokale Proteste und linker Druck aus Deutschland haben Erfolg

von: Carsten Albrecht | Veröffentlicht am: 29. Januar 2015

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Hier als PDF

Der vollständige Artikel im AUSDRUCK-Layout als PDF: Die Bundeswehr zieht aus Sardinien ab
 
Seit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands führt die Bundeswehr Übungsmanöver auf den NATO-Stützpunkten der italienischen Insel Sardinien durch. Doch damit ist nun offenbar Schluss. Wie die sardische Tageszeitung „Sardiniapost“ am 23. Januar berichtete, wird die Bundeswehr demnächst von Sardinien abziehen und „in ein anderes Land ziehen, wo die Soldaten dauerhafter üben und ein ,einladenderes‘ Klima vorfinden können“.

Ignorierte Proteste

Dabei war es die Bundeswehr selbst, die für ein raues Klima auf der sonnigen Mittelmeerinsel gesorgt hat. Am 4. September 2014 hat die deutsche Luftwaffe bei einem Übungs-Bombardement nahe Capo Frasca 26 Hektar Buschland verbrannt. Darauf folgten Proteste. Am 13. September haben in Capo Frasca 5000 Menschen für den Abzug der NATO-Truppen aus Sardinien demonstriert. Italienweit gab es Kundgebungen.

Auch die deutsche LINKE war auf den Vorfall aufmerksam geworden. Inge Höger, abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, konfrontierte die Bundesregierung mit dem Vorfall. Die wiegelte ab: Man nutze Übungsmunition, um das Brandrisiko zu mindern. Und grundsätzlich sei das Gelände ja für solche Manöver freigegeben. Ob Standorte geschlossen werden, hänge von der italienischen Seite ab. Entschädigungen für die verursachten Zerstörungen? Fehlanzeige. Schließlich lägen keine offiziellen Forderungen vor.

Besonders den letzten Punkt haben viele Menschen auf Sardinien als den Gipfel der Ignoranz wahrgenommen: Die Bundeswehr macht das Land kaputt, aber entschädigt wird nur, was auf ordentlichem Dienstwege beantragt wurde. Das Problem ist hierbei vermutlich, dass eine offizielle Entschädigungsforderung aus Rom kommen müsste. Das könnte aber aus politischen Gründen schwierig werden. Denn die Beziehungen zwischen der italienischen Zentralregierung und der Autonomen Region Sardinien sind nicht die besten. Außerdem dürfte das Selbstbewusstsein der italienischen Regierung gegenüber Deutschland im Zuge der Euro-Krise einen Knacks bekommen haben. Man will als braver Schüler gelten und vor Frau Merkel nicht immer negativ auffallen – und schon gar nicht wegen Sardinien.

Der Vorfall von Capo Frasca war nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren erleben die Menschen auf Sardinien wie die NATO, die israelische Armee und auch private Sicherheitsunternehmen die Insel als Kriegs-Spielplatz benutzen und dabei keine Rücksicht auf Umwelt und Kulturgüter nehmen. Die Lärmbelastung ist für die Anwohner der Übungsplätze an manchen Tagen kaum zu ertragen. Internet-Videos zeigen sich bräunende Urlauber, die plötzlich von Militärjets und Bombenaufprallen überrascht werden (http://www.cagliaripad.it/videogallery.php?page_id=1187&p=1). Sardinien lebt vom Tourismus, die ständigen Militärmanöver gefährden diese wirtschaftliche Lebensader. Als in der bereits angesprochenen Anfrage versucht wurde zu erfahren, wie denn die Bundesregierung deutsche Touristen über diese Belastungen informiere, wurde dies mit einem lapidaren Verweis auf den Bürgerservice des Auswärtigen Amtes beantwortet.

Gefahr für Kulturgüter und Gesundheit

Sardinien verfügt über zahlreiche Kulturgüter, die z.T. als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt sind. Etwa 7000 „Nuraghen“, bis zu 4000 Jahre alte Kultstätten, erstrecken sich über die gesamte Insel. Auf 10km² Land befinden sich im Schnitt knapp 3 Nuraghen. Allein die NATO hat auf Sardinien 11 Stützpunkte, hinzu kommen die Plätze, die von Israel und von privaten Sicherheitsunternehmen genutzt werden. Es liegt auf der Hand, dass bei so viel Militärpräsenz auch die Kulturgüter nicht ganz ungeschoren davonkommen. Die Bundesregierung behauptet, sie wüsste nichts von etwaigen Gefährdungen. Die renommierte italienische Tageszeitung La Republicca jedoch veröffentlichte am 11. September 2014 Fotos von Nuraghen, die offensichtlich als Zielscheiben benutzt wurden. Munitionsreste zwischen 4000 Jahre alten Steinen, dazu Camouflage (http://www.repubblica.it/cronaca/2014/09/11/foto/cagliari_distrutti_i_nuraghi_di_teulada_sono_usati_come_poligoni_di_tiro-95501081/1/?ref=HRESS-1%231#1). Am 15. Januar fand hierzu ein Treffen statt zwischen Inge Höger, Roland Bernecker, dem Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission und Pitzente Bianco von der Sardischen Kulturbotschaft Berlin. Gemeinsam wurden die Möglichkeiten eines besseren Schutzes der sardischen Kulturgüter ausgelotet. Die interessierte Öffentlichkeit auf Sardinien wusste von dem Treffen – was den Druck auf die Bundeswehr vermutlich noch erhöht hat.

Lärm, Umweltzerstörung, Schändung von Kulturgütern, … Doch es kommt noch schlimmer: Die Region rund um den NATO-Standort Salto di Quirra ist seit Jahren von einer horrenden Krebsrate betroffen, auch Missbildungen bei Kindern und Tieren sind überdurchschnittlich häufig. Es verdichten sich Anzeichen dafür, dass die US-Armee dort Übungsmanöver mit radioaktiver Uranmunition abhält. Vielen Experten gilt diese Munition als Ursache für Krebs und Missbildungen. Doch selbst die Bundeswehr, die nicht über Uranwaffen verfügt, leugnet deren Gefährlichkeit.

Erfolgreicher Anfang

Der nun anstehende Abzug der Bundeswehr aus Sardinien ist hoffentlich nur der Anfang einer Entmilitarisierung dieser schönen und geschichtswürdigen Insel. Der Luftwaffenstützpunkt Decimomannu wurde bislang zur Hälfte von der Bundesregierung finanziert. Die italienische Regierung erwägt nun die Schließung des gesamten Stützpunktes, da er ihr nach dem deutschen Abzug zu teuer wird.

Der Fall zeigt, was erreicht werden kann, wenn lokale Aktionen und linke, parlamentarische Initiativen Hand in Hand arbeiten. In Deutschland hat nicht einmal die linke Presse über den Bundeswehr-Brand von Capo Frasca berichtet – ganz zu schweigen von den Mainstream-Medien. Die Menschen auf Sardinien jedoch haben die Kleine Anfrage der Linksfraktion und die weiteren Initiativen sehr genau wahrgenommen. So hat der Druck vor Ort und von der „Heimatfront“ letztlich Erfolg gehabt.