IMI-Standpunkt 2014/028

Rede von Tobias Pflüger bei der Ukraine-Demo am 31.5. in Berlin

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 1. Juni 2014

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Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin zuerst mal sehr froh, dass wir diese Demonstration organisiert haben, ich bedanke mich bei euch, dass ihr hier seid. Wir wollen ein klares Zeichen setzen, dass es endlich aufhören muss mit dieser Eskalation in der Ukraine, und dass die Bundesregierung, die NATO und die Europäische Union aufhören sollen zu zündeln. Wir wollen von hier aus ein klares Zeichen setzen. Vielen Dank, dass ihr hier seid!

Im Moment ist die Situation in der Ukraine so, dass in der Ostukraine ein sogenannter „Antiterroreinsatz“ stattfindet. Was das konkret heißt, ist, dass auch normale Bevölkerung zusammengeschossen wird, zum Beispiel in Slawjansk, und wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie endlich bei der sogenannten Regierung der Ukraine Einfluss nimmt, dass dieser „Antiterroreinsatz“ endlich beendet wird! Man kommt sich ja vor wie in einem falschen Film – Eckart Spoo hat es sehr schön beschrieben, wie die Medienberichterstattung ist: offensichtlich ist Russland an allem schuld. Nur: ich will mal ein bisschen zurückgehen in diesem Konflikt. Was war am Anfang? Am Anfang gab es den Streit, ob die Ukraine die Eurasische Zollunion, die jetzt gegründet wird, mit unterschreibt, oder ob sie das EU-Assoziationsabkommen unterschreibt.

Liebe Freundinnen und Freunde, dieses EU-Assoziationsabkommen ist nicht irgendein harmloses Abkommen zur Zusammenarbeit, sondern da geht es um wirtschaftliche Interessen. Bei diesem EU-Assoziationsabkommen wird geregelt, dass in Zukunft Freihandel geben soll zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Und das heißt – da kann ich die Neue Osnabrücker Zeitung zitieren – „Ein Assoziierungsabkommen mit der EU würde zunächst dazu führen, dass europäische Unternehmen die Ukraine mit Produkten überschütten – ein Markt von 45 Millionen Konsumenten lockt. Ukrainische Unternehmen gerieten unter mächtigen Konkurrenzdruck. Viele brächen zusammen. Die wirtschaftliche Misere würde noch schlimmer.“ Oder sagen wir es mit unseren Worten: das EU-Assoziationsabkommen wird dazu führen, dass Privatisierungen stattfinden werden, dass die Löhne ‚runter und die Preise nach oben gehen, und dass Stück für Stück die Bevölkerung verarmen wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, dieses EU-Assoziationsabkommen ist eine imperiale Geste der Europäischen Union, und die ist nicht unwesentlich für die Eskalation dieses Konfliktes verantwortlich! Wir wollen nicht, dass es diese EU-Osterweiterung in dieser Form gibt, denn das bedeutet nämlich Eskalation, und die wollen wir nicht!

Die Bundesregierung macht ja einen nach dem anderen dieser derzeitigen Regierung hoffähig. Jetzt haben sie den Herrn Jazenjuk eingeladen nach Aachen, zum Feiern des Karlspreises. Jazenjuk ist einer derjenigen, die die Menschen, die in Odessa ermordet wurden, und die jetzt in Slawjansk ermordet werden, als „Terroristen“ bezeichnet. Liebe Freundinnen und Freunde, nein, das sind auch ganz normale Menschen, und wenn Menschen zu Terroristen stigmatisiert werden, ist das immer ein Zeichen, dass gelogen wird und dass Interessen dahinter stehen, und dass Krieg gerade läuft. Und genau wenn die Bundesregierung einen Herrn Jazenjuk hoffähig macht, ist das Teil einer Eskalation. Wir wollen nicht, dass Herr Jazenjuk irgendwie in Aachen herumspringt, wir wollen, dass er gerne wieder nach Hause gehen kann, aber nicht, dass er in Aachen herumspringt.

Und, liebe Freundinnen und Freunde, jetzt fand ja dort eine Wahl statt. Andrej Hunko war als Wahlbeobachter des Europarates in Odessa, und es ist ihm nicht erlaubt worden, gemeinsam mit Offiziellen an das Gewerkschaftshaus zu gehen und dort Blumen niederzulegen. Ich kann nur sagen: dort sind Menschen, Antifaschisten umgebracht worden, und es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, mit den Menschen dort solidarisch zu sein. Es ist eine Unverschämtheit, dass man ihn nicht in seiner offiziellen Funktion diesen Kranz hat niederlegen lassen am Gewerkschaftshaus in Odessa. Ich bin froh, dass er dennoch hin ist. Und er hat berichtet von der Wahl, dass sie in weiten Teilen der Ukraine relativ ruhig abgelaufen ist, aber dass es in der Ostukraine praktisch unmöglich war, zu wählen. Klar: wenn Kriegszustand ist, wie soll man dann wählen? Und hier wird der neue Präsident, Herr Poroschenko, ein Oligarch von westlichen Gnaden, als der „legitime“ Präsident beschrieben. Ich kann nur sagen: wer während eines Krieges zum Präsidenten gewählt wird, hat nur eine eingeschränkte Legitimation. Und es ist auch klar, dass zuerst dieser Krieg beendet werden muss, und dann kann vernünftig gewählt werden.

Liebe Freundinnen und Freunde, es heißt immer, Russland sei an diesem Konflikt schuld. Ich frage mich: wenn das denn so sein soll, warum werden dann Stück für Stück immer weitere Truppen der NATO an der Grenze zu Russland stationiert? Ich fordere die Bundesregierung auf, die sechs Eurofighter, die sie in die baltischen Staaten geschickt hat, sofort zurückzuziehen! NATO-Truppen haben an der Grenze Russlands nichts zu suchen! Ich erinnere an den 2+4-Vertrag, in dem es eigentlich mal hieß, dass in dem östlichen Bereich keine NATO-Truppen stationiert werden. Liebe Freundinnen und Freunde, wir wollen, dass die NATO und die Bundeswehr sofort zurückgezogen werden aus diesem Gebiet! Und dann soll noch einer sagen, wenn die Frau von der Leyen davon redet, die NATO sei dort unbedingt notwendig für die Sicherheit – Frau von der Leyen, Sie eskalieren! Und, Frau von der Leyen:  bei den ersten sogenannten OSZE-Beobachtern, die dort festgesetzt wurden – das war einfach eine Lüge! Das waren keine OSZE-Beobachter, das waren Militärbeobachter von der Bundeswehr und von anderen Staaten, und ich frage Sie bis heute: was haben die dort zu suchen gehabt? Die haben dort nichts zu suchen gehabt! Und Sie haben uns angelogen, indem sie sie als OSZE-Beobachter bezeichnet haben! Frau von der Leyen, Sie eskalieren, und es ist eine Unverschämtheit, die Bevölkerung hier in der Bundesrepublik so hinters Licht zu führen!

Ja, an dem Punkt bin ich richtig wütend: weil es nämlich tatsächlich so ist, dass diese Bundesregierung so tut, als ob sie vermitteln würde usw.. Nein, was hier passiert ist, ist nicht Vermittlung, sondern was hier passiert von Seiten der Bundesregierung, ist Teil einer Eskalationsspirale. Und das müssen wir deutlich machen, auch, wenn es in den Medien so nicht berichtet wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, die NATO, die Europäische Union und die Bundesregierung haben sehr viele Eigeninteressen in diesem Spiel. Und es heißt immer, wir wären nicht bereit, Russland zu kritisieren. Ja, was Russland da gemacht hat mit der Krim, das war zumindest völkerrechtlich fragwürdig. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, eine Eskalation in der derzeitigen Situation wird insbesondere von der Europäischen Union und von der NATO betrieben. Da müssen wir klar benennen, und deshalb sagen wir: Keine NATO-Osterweiterung, keine EU-Osterweiterung, und ein Rückzug sämtlicher Truppen, die die NATO dort stationiert hat! Und, liebe Freundinnen und Freunde, derzeit – unser Freund und Genosse Sergej Kirichuk wird gleich reden – , derzeit ist es für Linke kaum möglich, dass sie normal in der Ukraine leben können und politisch arbeiten können. Sie werden verfolgt, und es ist selbstverständlich für uns hier als Friedensbewegung und als Linke: wir sind solidarisch mit den Antifaschisten in der Ukraine, und wir kämpfen gemeinsam mit ihnen, dass es keinen Durchbruch des Faschismus in der Ukraine gibt! Und Solidarität ist etwas sehr Konkretes: das heißt, dass man den Menschen hilft, und dass man öffentlich macht, wie die Situation derzeit in der Ukraine tatsächlich ist. Und die ist nicht so, wie sie immer wieder in den Medien beschrieben wird, sondern da findet derzeit, vor allem in der Ostukraine, ein Krieg statt. Und wir erheben – als Friedens und Antikriegsbewegung, als Linke – die zentrale Forderung: Stoppt endlich diesen Krieg in der Ostukraine! Dort werden Zivilisten umgebracht – das wollen wir nicht. Wir wollen einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen, die Waffen nieder!

Liebe Freundinnen und Freunde, das wird nur die erste Demonstration sein, die wir zu diesem Thema machen. Und ich bin sehr froh, dass wir heute hier zusammengekommen sind, und dass wir dann doch einige geworden sind. Nur: wir werden mehr werden müssen, und wir müssen mehr mobilisieren, und wir müssen immer mehr und häufiger auch in die verschiedenen Regionen der Bundesrepublik gehen. Wir müssen dort zeigen, wo der Krieg beginnt: wenn sie nämlich Truppen schicken, dann müssen wir an die Bundeswehrstandorte.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich befürchte, dass dieser Konflikt noch heftig weiter eskalieren wird, und ich fordere euch auf und bitte euch, bei den zukünftigen Antikriegs- und Friedensaktionen dabei zu sein. Wir haben heute den Anfang gemacht, wir werden weiter machen, und das ist dringend notwendig. Vielen Dank.