IMI-Analyse 2013/034 - in: AUSDRUCK (Dezember 2013)

Vorauseilender Gehorsam

Keine Strafverfolgung von Drohnenangriff durch Bundesanwaltschaft

von: Andreas Schüller, ECCHR | Veröffentlicht am: 12. Dezember 2013

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Hier als PDF

Der vollständige Artikel im AUSDRUCK-Layout als PDF: „Vorauseilender Gehorsam“

 
Mit Verfügung vom 20. Juni 2013 hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof („Bundesanwaltschaft“) das Ermittlungsverfahren wegen der Tötung des Deutschen B.E. mit der Begründung, dass kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestünde, eingestellt.[1] B.E. war am 4. Oktober 2010 in Mir Ali / Pakistan durch den Einsatz eines unbemannten bewaffneten Luftfahrzeugs („Kampfdrohne“) getötet worden. Es war der erste öffentlich bekannt gewordene Fall eines gezielten Angriffs mittels einer Kampfdrohne auf einen deutschen Staatsangehörigen in Pakistan. Dieser Vorfall löste eine Ermittlungspflicht der deutschen Strafverfolgungsbehörden aus, um dem Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat nachzugehen.

Da laut Bundesanwaltschaft die mutmaßlich tatverdächtigen Mitarbeiter des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts Central Intelligence Agency („CIA“) als Teil der amerikanischen Streitkräfte anzusehen seien, würden diese Immunität vor einer Strafverfolgung genießen, solange die Vorschriften des humanitären Völkerrechts eingehalten worden seien. B.E. sei, so die Bundesanwaltschaft, als Mitglied einer organisierten bewaffneten Gruppe keine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person gewesen, weshalb kein Kriegsverbrechen vorliege und die Tatverdächtigen durch die Einhaltung des humanitären Völkerrechts für einen tatbestandlich erfüllten Mord (§ 211 StGB) gerechtfertigt seien. Somit fehle es laut Bundesanwaltschaft an einem für eine Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Verdacht der Begehung einer Straftat.

Stellung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof

Zur Einordnung der Entscheidung ist es zunächst von Bedeutung, sich die Stellung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof zu vergegenwärtigen. Dieser ist Teil der Exekutive und gegenüber dem Bundesministerium der Justiz weisungsgebunden. Er muss „sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen grundlegenden kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung“ befinden.[2] Dies gilt nicht zuletzt auch hinsichtlich nachhaltiger Auswirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen zu anderen Staaten. Somit bleiben die Ermittlungen unter politischer Kontrolle.[3] Eine unabhängige gerichtliche Befassung mit dem Sachverhalt wird deutlich erschwert. Denn einer rechtlichen Überprüfbarkeit der Einstellungsentscheidung sind hohe formale Hürden gesetzt. Als Rechtsmittel steht einzig der Antrag auf Klageerzwingung zur Verfügung, der jedoch faktisch den Hinterbliebenen auferlegt, eigene Ermittlungen anzustrengen und gemäß § 172 Absatz 3 StPO die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, sowie die Beweismittel umfassend anzugeben. Damit soll das zuständige Gericht in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten oder sonstige Akten eine Schlüssigkeitsprüfung über die Erhebung der öffentlichen Klage vorzunehmen.[4]

Völkerrechtlich muss die Bundesanwaltschaft auf der anderen Seite dafür Sorge tragen, dass Deutschland seiner Pflicht insbesondere aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nachkommt, bei Verletzungen des Artikels 2 der EMRK (Recht auf Leben) umfassende Ermittlungen vorzunehmen.[5] Bei genauerer Analyse der Entscheidung der Bundesanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren einzustellen, werden Verstöße gegen diese umfassende Ermittlungspflicht der EMRK deutlich.[6] Ermittlungsdefizite und zweifelhafte juristische Schlussfolgerungen geben Anlass zu der Vermutung, dass es der Bundesanwaltschaft vorrangig daran gelegen war unter Missachtung der Ermittlungspflichten der EMRK einen diplomatisch schwierigen Fall so früh wie möglich zu den Akten zu legen. Dass auch gegen CIA-Tatverdächtige erfolgreich ermittelt werden kann, zeigen hingegen die dreizehn Haftbefehle des Amtsgerichts München aus dem Jahr 2008, die aufgrund der Verschleppung (sog. „extraordinary rendition“) von Khaled El Masri seinerzeit erlassen worden waren.[7]

Ist der Auslandsgeheimdienst CIA Teil der amerikanischen Streitkräfte?

Die unzureichenden Ermittlungen führen zu mehreren fragwürdigen juristischen Schlussfolgerungen. Zuvorderst zu nennen ist hier die Annahme der Bundesanwaltschaft, dass der Auslandsgeheimdienst CIA Teil der regulären amerikanischen Streitkräfte sei. Damit gewährt die Bundesanwaltschaft mutmaßlich tatverdächtigen zivilen CIA-Mitarbeitern die Berufung auf das so genannte Kombattantenprivileg, demzufolge die Angehörigen der regulären Streitkräfte im bewaffneten Konflikt berechtigt sind, Kampfhandlungen wie etwa Tötungen gegnerischer Kräfte vorzunehmen, ohne anschließend dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden zu können.[8]

Nach dem humanitären Völkerrecht gibt es durchaus die Möglichkeit, dass auch geheimdienstliche Tätigkeiten in engen Grenzen als den Streitkräften unterfallend angesehen werden können. Dazu zählen die Tätigkeiten der militärischen Geheimdienste, zu denen die CIA jedoch nicht zählt, die durch die Abschirmung von Gefahren die Gewährung der Sicherheit der Streitkräfte gewährleisten sollen. Gerade in diesem Zusammenhang ist, um die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vor den Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts zu schützen, das Unterscheidungsgebot zwischen Kombattanten und Zivilisten, eines der Grundsätze des humanitären Völkerrechts, von höchster Bedeutung. Denn nur durch eine solche Unterscheidung ist eindeutig, gegen wen sich Kampfhandlungen richten dürfen und gegen wen nicht. Hinzu kommt, dass alle am Kampf beteiligten Einheiten einem gemeinsamen Kommando unterstehen müssen, um bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht Verantwortlichkeiten feststellen und notfalls ahnden zu können. Aus diesem Grund werden alle Mitglieder der Streitkräfte auch im humanitären Völkerrecht ausgebildet. All die vorgenannten Punkte treffen jedoch nicht auf Mitarbeiter von Geheimdiensten zu, die zum einen keine Uniform oder deutlich erkennbare Zeichen offen tragen, zivilen Befehlsstrukturen unterstehen und nicht in den Regeln des humanitären Völkerrechts ausgebildet worden sind.

Der entscheidende Unterschied zwischen den Streitkräften und kämpfenden Zivilisten, zu denen auch CIA-Angehörige zählen, besteht vor allem darin, dass letztere in einem bewaffneten Konflikt nicht mehr den Schutzstatus als Zivilisten besitzen und entsprechend von der gegnerischen Partei nach den Regeln des humanitären Völkerrechts bekämpft werden dürfen, ohne sich jedoch ihrerseits bei Kampfhandlungen auf die Einhaltung dieser Regeln berufen zu dürfen. Sie sind deshalb für ihre Kampfhandlungen nach normalem Strafrecht zu verfolgen. Die einzigen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe für Zivilisten sind die auch im Alltag geltenden, wie etwa Notwehr oder Notstand, die jedoch einen gegenwärtigen Angriff bzw. eine gegenwärtige Gefahr voraussetzen.[9]

Tötung von Terrorismusverdächtigen statt Strafverfolgung

Auch hinsichtlich der Vermischung von Maßnahmen zur Abwehr terroristischer Gefahren und von Kampfhandlungen in einem bewaffneten Konflikt, die die USA mit Ausrufung des globalen Krieges gegen den Terror im Jahr 2001 eingeleitet haben, übernimmt und unterstützt die Bundesanwaltschaft diese rechtlich umstrittene Position der USA. Gerade in dieser Vermischung von Regeln, die in der Gefahrenabwehr gelten und solchen, die in einem bewaffneten Konflikt Anwendung finden, liegt ein erhebliches Gefährdungspotential für Zivilisten.

Bezeichnend für diese erhöhte Gefährdung ist die Art und Weise, wie die Bundesanwaltschaft feststellt, dass ein bewaffneter Konflikt in Pakistan vorliege und B.E. keine nach dem humanitären Völkerrecht geschützte Person sei. In der rechtlichen Bewertung unterlässt es die Bundesanwaltschaft zum einen eindeutig zu bestimmen, welche der nicht-staatlichen Gruppen den erforderlichen Organisationsgrad besitzt, Konfliktpartei zu sein. Selbst wenn eine Gruppe einen solchen Organisationsgrad besitzt, muss zudem festgestellt werden, ob die Auseinandersetzungen mit einer anderen Konfliktpartei die erforderliche Intensität erreichen. Beides wird in der Einstellungsentscheidung nur pauschal festgestellt, nicht jedoch gruppenspezifisch. Dies führt dazu, dass die USA von der Bundesanwaltschaft als Teil des innerpakistanischen Konflikts angesehen werden, obwohl unterschiedliche nicht-staatliche Akteure mit verschiedener Zielsetzung bekämpft werden. Ob die USA sich selbst mit nicht-staatlichen Akteuren in Pakistan in einem bewaffneten Konflikt befinden oder ob die Kampfdrohneneinsätze Teil von Gefahrenabwehrmaßnahmen gegen internationale terroristische Vereinigungen sind, wird nicht ermittelt.

Hinzu kommt, dass ebenfalls nicht eindeutig festgestellt wird, welcher Konfliktpartei B.E. zu welchem Zeitpunkt angehört haben soll. In der Bestimmung der Kriterien, was eine Mitgliedschaft in einer Konfliktpartei, die zum Verlust des Schutzstatus nach humanitärem Völkerrecht führt, voraussetzt, wird eine sehr niedrige Schwelle angelegt. Letztlich führt dies dazu, dass jede Person, die im Verdacht steht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, getötet werden kann, anstatt sich einem Strafverfahren etwa aufgrund der §§ 129 ff. StGB stellen zu müssen.[10] Diese niedrige Schwelle führt dazu, dass tödliche Gewalt selbst dann angewendet wird, wenn die Vorwürfe nur auf nicht überprüfbaren geheimdienstlichen Erkenntnissen beruhen, gegen die sich der Betroffene nicht zur Wehr setzen kann.

Insgesamt ist ein Positionswechsel von Staaten zu erkennen, die über Jahrzehnte die Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten abgelehnt haben. So haben die USA bis heute nicht das zweite Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention ratifiziert, das Regelungen für nicht-internationale bewaffnete Konflikte enthält, da sie es als Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten sahen und nicht-staatlichen Akteuren selbst in sehr engen Grenzen keine Völkerrechtssubjektivität zugestehen wollten. In einer Zeit, in der nicht-internationale bewaffnete Konflikte auf dem Territorium von Drittstaaten ausgetragen werden, gewinnt das humanitäre Völkerrecht jedoch an Bedeutung. Diese gefährliche Entwicklung führt dazu, dass mittlerweile anwendbare menschenrechtliche Standards umgangen und Kampfhandlungen unter Berufung auf das humanitäre Völkerrecht gerechtfertigt werden.

Dieser Aufweichung grundlegender Menschenrechte folgt auch die Bundesanwaltschaft, die zum einen ohne umfassende Prüfung einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt in Pakistan mit Beteiligung der USA annimmt und sodann mit einer (zu) weiten Interpretation des humanitären Völkerrechts Kampfhandlungen gegen Terrorismusverdächtige rechtfertigt.[11]

 

Anmerkungen


[1] Die offene Version der Einstellungsverfügung des Generalbundesanwalts vom 20.06.2013 ist abrufbar unter: www.generalbundesanwalt.de/docs/drohneneinsatz_vom_04oktober2010_mir_ali_pakistan.pdf; für eine ausführliche Stellungnahme und Bewertung siehe European Center for Constitutional and Human Rights, Gezielte Tötung durch Kampfdrohnen, Gutachterliche Stellungnahme zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, abrufbar unter: http://www.ecchr.de/index.php/drohnen.html?file=tl_files/Dokumente/Universelle%20Justiz/Drohnen%2C%20Gutachterliche%20%20Stellungnahme%2C%202013-10-23.pdf.

[2] Siehe Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Website: www.generalbundesanwalt.de/de/stellung.php.

[3] § 153d StPO, der Verfahrenseinstellungen aufgrund überwiegenden öffentlichen Interesses explizit erlaubt, ist sowohl auf Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch als auch auf Mord, für dessen Ermittlung zudem die Bundesanwaltschaft nicht zuständig ist, nicht anwendbar. Jedoch räumt § 153f StPO der Bundesanwaltschaft eine weitreichende Ermessensausübung ein, sofern es sich um Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch handelt.

[4] K.-H. Schmid in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 172, Rn. 34.

[5] Siehe z.B. EGMR, McCann et al. ./. Vereinigtes Königreich (Rs. 18984/91), Urteil v. 27. September 1995, A324, Nr. 161.

[6] Siehe European Center for Constitutional and Human Rights, Gezielte Tötung durch Kampfdrohnen, Gutachterliche Stellungnahme zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, abrufbar unter: http://www.ecchr.de/index.php/drohnen.html?file=tl_files/Dokumente/Universelle%20Justiz/Drohnen%2C%20Gutachterliche%20%20Stellungnahme%2C%202013-10-23.pdf.

[7] Siehe z.B. Süddeutsche Zeitung vom 13. Dezember 2008, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/enfuehrung-von-khaled-el-masri-haftbefehle-gegen-cia-mitarbeiter-1.798353.

[8] Siehe Art. 43 Abs. 1 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen.

[9] Siehe § 32 bzw. § 34 StGB.

[10] Siehe K. Ambos, Einstellungsverfügung GBA vom 20. 6. 2013 zum Drohneneinsatz in Mir Ali/Pakistan am 4. 10. 2010 u. Tötung des dt. Staatsangehörigen B.E – Anmerkung zur „offenen Version” vom 23. 7. 2013, NStZ 2013, S. 634.

[11] Andreas Schüller ist Referent für Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin.