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IMI-Studie 2013/06 - in: Wissenschaft & Frieden 2013-2 (Dossier Nr. 73)

China: bedenklich sicher

Zum Zusammenhang von Dissens, Innerer Sicherheit und Außenpolitik in der VR China

Andreas Seifert (15.05.2013)

Auf der ersten Sitzung des 12. Nationalen Volkskongresses 2013 (5.-17. März) wurde die neue Führung um die Partei- und Staatschefs Xi Jinping und Li Keqiang gewählt. Die neue Führung löst die Regierung von Hu Jintao und Wen Jiabao ab, die seit 2003 über das Land geherrscht hatte.

Der Nationale Volkskongress war früher einmal ein Zustimmungsgremium zu den Beschlüssen der Partei und Staatsführung; in den letzten 20 Jahren nahmen sich die Delegierten allerdings zunehmend die Freiheit, zu diskutieren und eigenständig zu denken. Dennoch bleibt der Volkskongress ein Gremium mit beschränktem Einfluss.

Die neue Führung steht vor vielen Herausforderungen, sowohl im Inland als auch im Verhältnis zum Ausland. Das internationale Engagement Chinas im Rahmen von UN-Friedensmissionen hat genauso zugenommen wie sein wirtschaftliches Engagement rund um den Globus. Längst ist China nicht mehr nur die Werkstatt der Welt, sondern es wird immer öfter aufgefordert, international eine aktive politische Rolle zu spielen. China ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt, somit beeinflusst seine Wirtschaftsentwicklung zunehmend andere Länder, u.a. in Afrika. Die Interdependenz hat zugenommen, und die Abhängigkeiten in einer »globalisierten Welt« machen vor China nicht Halt. Es ist dies auch ein Perspektivwechsel für die Führung in Beijing, die sich mit ständig neuen »Anforderungen« konfrontiert sieht, denen sie entsprechen soll.

Viele Konflikte lauern vor der Haustür. Die Spannungen zwischen den beiden Koreas, von denen man geglaubt hatte, sie mit den Sechs-Parteien-Gesprächen weitgehend in friedliche Bahnen gelenkt zu haben, befinden sich auf dem Wege zur Eskalation. Die jüngsten Drohungen Nordkoreas, einen Krieg mit dem südlichen Teil vom Zaune zu brechen und die USA mit Atomwaffen anzugreifen, sind ungewohnte Herausforderungen für die chinesische Diplomatie. Die kleineren und größeren Grenzkonflikte mit den Staaten Südostasiens oder mit Indien sind weniger präsent, aber nicht gelöst. Die Streitereien um die Inselgruppen Spratly und Paracels im Südchinesischen Meer und um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer sind weit entfernt von einer geregelten Konfliktlösung. Mehr noch: Sie entwickeln sich zu veritablen internationalen Krisenherden mit Tendenz zum gewaltsamen Konfliktaustrag.

Diese Konflikte haben Auswirkungen auf die Innenpolitik Chinas, da die Regierung sie instrumentalisiert, um inneren Dissens zu überdecken oder bestimmte Politiken als legitim durchzusetzen. Der vom Staat zu diesem Zwecke initiierte Nationalismus, so die These hier, braucht ständig neue Feindbilder, um nach innen befriedend zu wirken und soziale Konflikte zu überdecken. Innenpolitik und die Ausgestaltung von innergesellschaftlichen Dialogen entwickeln sich daher immer mehr zum gewichtigen Faktor bei der Gestaltung der Außenpolitik – bis hin zur Frage, ob China bereit ist, einen bewaffneten Konflikt mit einem seiner Nachbarländer zu führen, um dem nationalen Sediment wieder Halt zu geben.

Das W&F-Dossier geht dieser Frage nach und legt dazu die prekäre innenpolitische Situation unter dem Blickwinkel von Ordnung und Innerer Sicherheit dar. Ausgehend von einem kurzen Exkurs zu den Mechanismen chinesischer Politik sollen die Ansatzpunkte für Protest und Dissens auf einer strukturellen Ebene Erwähnung finden. In einem zweiten Schritt sollen die Mechanismen des Staates angesprochen werden, mit Dissens umzugehen, und die Instrumente, die ihm zur Repression zur Verfügung stehen. Schließlich sollen die Rückwirkungen dieser Politik auf den Staat und seine Außenpolitik in den Fokus kommen.

Es wird argumentiert, dass das chinesische »Wirtschaftswunder« durch eine umfassende Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen ermöglicht wurde. Nun wird just die Dezentralisierung zum Hemmschuh für die effektive Bearbeitung der negativen Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Entwicklung (klaffende Einkommensschere, verheerende Umweltbilanz, etc.). Beijing setzt vor diesem Hintergrund auf den Nationalismus als einigendes Element für eine auseinanderdriftende Gesellschaft. Die Führung versucht zudem, aufkeimenden Dissens mit Mitteln der Repression zu deckeln, um Zeit für überfällige administrative Reformen zu gewinnen. Damit schafft sie ein Klima der Angst und Gewalt, was weder den Umgang mit inneren Problemen noch mit äußeren Konflikten vereinfacht.

Das vollständige Dossier findet sich unter:http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?dossierID=077

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