IMI-Analyse 2013/08

Antidrogenkriege

In Mexiko und anderswo

von: Peter Clausing | Veröffentlicht am: 5. April 2013

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Dieser Beitrag entstammt der Broschüre „Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie“, die als Dokumentation des 15. Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) unter dem gleichnamigen Titel entstanden ist. Für weitere Informationen zur Broschüre, bitte hier klicken.

 

Wie bei vielen anderen Kriegen wurden und werden mit Antidrogenkriegen politische Ziele verfolgt, die zumeist deutlich verschieden von der öffentlichen Begründung sind. So wenig wie es im Irak um die Bedrohung durch Massenvernichtungsvernichtungswaffen ging, so wenig geht es bei den diversen „Antiterrorkriegen“ um die Unterbindung des Terrors.[1] Dies wird bei einem geschichtlichen Rückblick auf frühere Antidrogenkriege deutlich, wenn man die stereotype Begründung, dass Antidrogenkriege notwendig sind, um die Bevölkerung zu schützen (vor den Drogen und vor der organisierten Kriminalität) mit der Realität vergleicht. Am Beispiel des Antidrogenkriegs in Mexiko wird illustriert, wie die deutsche Politik dabei auftretende Menschenrechtsverletzungen ignoriert, um ungestört wirtschaftliche Ziele verfolgen zu können. Der Bezug auf „Menschenrechte“ stellt für die deutsche Außenpolitik ein Instrument dar, das dann hervor geholt wird, wenn es ins politische Konzept passt oder – wie im Fall von Mexiko – in der Schublade bleibt, wenn es den Bedürfnissen der Mächtigen im Wege steht.

(Anti)drogenkriege – ein Rückblick

Wenngleich US-Präsident Nixon den Begriff „War on Drugs“ erst im Jahr 1971 prägte, gab es den ersten „Drogenkrieg“ schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen: Die Opiumkriege, mit denen Großbritannien das Kaiserreich China überzog (der erste von1839 bis 1842, der zweite – unter Beteiligung Frankreichs – von 1856 bis 1860), dienten dazu, die Möglichkeit des Verkaufs von Opium zu erzwingen. Somit offenbaren die Opiumkriege des 19. Jahrhunderts die Doppelzüngigkeit der westlichen Drogenpolitik. Man könnte die Ereignisse als verjährt bezeichnen, hätte es nicht 140 Jahre später im Kontext der Iran-Contra-Affäre eine Parallele gegeben, deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit zu spüren sind. Sowohl bei den Opiumkriegen und als auch bei der Iran-Contra-Affäre (siehe unten) war ein wichtiges Thema die Beschaffung von Geld. Bei den Opiumkriegen ging es, genauer gesagt, um zwei Dinge: Die Beschaffung von Geld für den englischen Staatshaushalt, samt Ausgleich der englischen Außenhandelsbilanz gegenüber China und mittelfristig die Öffnung von China als Markt für englische Erzeugnisse.

Während Opium in China seit vielen Jahrhunderten bekannt war und für medizinische Zwecke genutzt wurde, kam das Opiumrauchen erst durch den Einfluss der westeuropäischen Seemächte in Mode. China befand sich bis ins 19. Jahrhundert hinein in einer weit gehenden, selbst verordneten wirtschaftlichen Isolation. Tee und Seide wurden in größerem Umfang exportiert, ohne dass es vonseiten Chinas einen nennenswerten Bedarf für Importe gab, was in Europa aufgrund der Devisenabflüsse nach China zu einer spürbaren Silberverknappung führte. Zum Ausgleich der Handelsbilanz verstärkte die britische East India Company systematisch den Schmuggel von in Bengalen produziertem Opium nach China und avancierte „zwischen 1830 und 1840 … zu einem der größten Drogenkartelle, das die Welt je gesehen hatte“.[2] Zwischen 1820 und 1839, also noch vor dem ersten Opiumkrieg, hatte sich die Zahl der nach China geschmuggelten Kisten auf über 30.000 versechsfacht, d.h. auf etwa 2.000 Tonnen (eine „Kiste“ entsprach ca. 65 kg). Die Versuche des chinesischen Kaisers, den Opiumhandel einzudämmen, führte dazu, dass England den „freien Opiumhandel“ schließlich mit Waffengewalt durchsetzte. Die Bedeutung des Opiumhandels für den britischen Staatshaushalt wird in der Monografie von Runhild Böhm unter Bezugnahme auf Karl Marx unterstrichen: Im Jahr 1856, zu Beginn des zweiten Opiumkrieges bezog „die englisch-indische Regierung … Einkünfte in Höhe von 25 Millionen Dollar, genau den sechsten Teil ihres gesamten Staatseinkommens, aus dem Opiummonopol“.[3] Zugleich war die Überschwemmung Chinas mit Opium für das Land und seine Menschen so verhängnisvoll, dass der Geograf Albrecht Haushofer die Opiumkriege mit dem Überfall von Cortez und Pizarro auf die indianischen Hochkulturen in Amerika verglich.[4]

Das US-amerikanische Gegenstück zu Englands Opiumkriegen war ebenfalls eine Kombination aus illegaler Geldbeschaffung und Krieg, wobei dieser primär gegen die eigene Bevölkerung gerichtet war. Präsident Nixon erklärte im Jahr 1971 den „War on Drugs“. Seitdem landeten kleine Dealer_innen und Konsument_innen reihenweise in den amerikanischen Gefängnissen, sodass in den USA heute die Zahl der Gefängnisinsassen viermal so groß ist wie 1971. Diese Entwicklung wurde in der ersten Hälfte der 1980er Jahre dadurch verstärkt, dass die nordamerikanischen Großstädte unter Aufsicht und Mitwirkung der CIA mit Crack und anderen Kokainprodukten überflutet wurden. Durch diese Operation wurde Kokain, ehemals eine Luxusdroge für reiche Eliten, zur Massenware. Während sich die Kokaproduktion von 1981-1988 verdreifachte und die Großmarktpreise für Kokain in den USA von 60.000 auf 12.000 Dollar pro Kilo fielen, stieg die Zahl der amerikanischen Kokainverbraucher_innen von 12 Millionen im Jahr 1985 auf 25 Millionen im Jahr 1988.[5] Auch wenn die Kombination aus Aufstandsbekämpfung, Waffen- und Drogenschmuggel durch die CIA bereits Tradition hatte, stellten die Vorgänge Anfang der 1980er insofern eine neue Qualität dar, als sich der CIA-gesponsorte Drogenhandel nun auf heimatlichem Territorium abspielte. Schmutzige Transaktionen dieser Art gab es bereits zuvor in Südostasien: Während des Vietnamkriegs kam es zu einem sprunghaften Anstieg des Heroinkonsums. Die CIA nutzte die Gelder aus diesen Geschäften zur Finanzierung verbündeter Geheimarmeen, z. B. der antikommunistischen Hmong-Armee in Laos.[6]

Der Enthüllungsjournalist und Pulitzer-Preisträger Gary Webb machte in seiner Artikelserie „Dark Alliance“ viele Details zum Nikaragua-Kokain-Deal öffentlich.[7] Ein Netzwerk aus kolumbianischen Kokainkartellen, nikaraguanischen Konterrevolutionären (organisiert in der „Fuerza Democratica Nicaraguense“, FDN ) und der CIA organisierten eine „Pipeline“, aus der sich Kokain vor allem in die Black Communities von Los Angeles und weiterer US-amerikanischer Großstädte ergoss. Die 5.000 Mann starke FDN wurde von der CIA Mitte 1981 gegründet, indem sie verschiedene antisandinistische Exilgruppen zusammenfasste. Oscar Danilo Blandon Reyes, Drogendealer und FDN-Funktionär, sagte später aus, dass bereits 1981 fast eine Tonne Kokain (damals im Wert von 54 Millionen Dollar) in den USA verkauft wurde. Auch wenn genaue Angaben darüber fehlen, wie hoch der Anteil des Drogenprofits war, der in die Kassen der CIA zurückfloss, so war es doch eine wichtige Finanzierungsquelle für die Contras, denn der Geheimfonds von 19,9 Millionen US-Dollar, den Ronald Reagan am 1. Dezember 1981 freigab, wurde von der CIA als völlig unzureichend für die Operation in Nikaragua einschätzt. Von 1982 bis 1986 wurden Jahr für Jahr mehrere Tonnen Kokain in den USA verkauft. Der Transport erfolgte dem Vernehmen nach teilweise durch Flugzeuge aus El Salvador, die auf einem Luftwaffenstützpunkt in Texas landeten. Diese etwas vage Aussage von Gary Webb wird von der offiziellen Bestätigung erhärtet, dass die Luftwaffe von El Salvador an der Unterstützung der nikaraguanischen Contras beteiligt war. Die Einbindung der nikaraguanischen Drogendealer in die CIA-Operation war zugleich ein wichtiger Schutz für sie: Als der amerikanische Kongress 1986 wieder Mittel zur Unterstützung der Contras bewilligte und das FDN-CIA-Kokainkomplott überflüssig wurde, kam Blandon zwar für kurze Zeit hinter Gitter, wurde danach aber ein gut bezahlter Mitarbeiter der US-Drogenbehörde (Drug Inforcement Agency, DEA). Sein in San Francisco lebende Chef, Juan Norwin Meneses Cantarero, ein den US-Behörden seit 1974 einschlägig bekannter Dealer, verbrachte keinen einzigen Tag in einem US-Gefängnis. So hatten die Kartelle in Kolumbien in den 1980er Jahre Hochkonjunktur, und als 1986 die Beschaffung von Geldern für geheime Waffenkäufe aufgrund der Aufhebung des Embargos gegen die Contras nicht mehr notwendig war, hatte sich das Kokaingeschäft längst zum Selbstläufer entwickelt. Ein neue Ära brach an: Seither werden nicht mehr Pro-Drogenkriege, sondern Antidrogenkriege geführt. Vorzugsweise dann, wenn sie als Vorwand für die Erreichung anderer Ziele instrumentalisiert werden können. Verlierer in den Antidrogenkriegen war bislang immer die Bevölkerung des betroffenen Landes.

Der erste „richtige“ Antidrogenkrieg, die Operation „Just Cause“, begann am 20. Dezember 1989 in Panama – mit 26.000 Soldaten die größte US-Militäroperation seit dem Ende des Vietnamkriegs. Einer der öffentlich erklärten Gründe für die von George Bush senior angeordnete Invasion war die Entmachtung und Festnahme von Manuel Noriega, des Drogenhandels beschuldigter Staatschef von Panama. Noriega, Absolvent der „School of the Americas“,[8] war wegen zunehmender Widerspenstigkeit in Ungnade gefallen, nachdem er jahrelang auf den Gehaltslisten der CIA stand, enge Beziehungen zur DEA hatte und mit seinen Drogen-Aktivitäten an der Finanzierung der nikaraguanischen Contras beteiligt war. Im Jahr 1988 wurde er in den USA in Abwesenheit wegen Drogenverbrechen angeklagt und im Juni 1992 von einem Gericht in Florida verurteilt. Während des Gerichtsprozesses gegen Noriega musste die DEA einräumen, dass nach der Invasion der Drogenhandel in Panama zugenommen hatte – ein erstes Indiz für die „Wirksamkeit“ von Antidrogenkriegen. Während der Invasion verloren über 4.000 Menschen ihr Leben, unter anderem aufgrund der wahllosen Bombardierung dicht besiedelter Wohnviertel. In einem Bericht der in Costa Rica ansässigen Kommission zur Verteidigung der Menschenrechte in Mittelamerika (CODEHUCA) wurden den US-Truppen extralegale Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, die Verwendung verbotener Waffen und Massengräber angelastet.[9] Sanders nennt als wahre Gründe für den US-amerikanischen Überfall den Versuch, den Carter-Torrijos-Vertrag zu revidieren (auf dessen Grundlage Panama am 1.1.2000 Eigentümer des Panama-Kanals wurde), die Testung neuer Waffensysteme wie den B-2 Bomber und ein Säbelrasseln der USA gegenüber Nikaragua, wo wenige Monate später Wahlen stattfanden. Außerdem korrigierte der Überfall auf Panama, für den es keine offizielle Kriegserklärung gab, das Image von Bush senior, dem in konservativen Kreisen außenpolitische Schwäche angelastet wurde. Nach Einsetzung einer US-genehmen Regierung wurden den Ministerien US-amerikanische Aufsichtspersonen „zur Seite gestellt“,[10] eine Praxis, die später im Irak ihre Wiederholung fand.

Zehn Jahre nach dem Überfall auf Panama, im Jahr 1999, begann unter der Bezeichnung Plan Colombia der nächste Antidrogenkrieg. Dieser Plan, ein Doppelpack aus Antidrogenkrieg und Aufstandsbekämpfung gegen die FARC und die ELN (die beiden Guerillaarmeen Kolumbiens), verschlang bis zum Jahr 2009 amerikanische Steuergelder in Höhe von 4,4 Milliarden Dollar, die für militärische Zwecke ausgegeben wurden sowie für ein Herbizid-Sprühprogramm, das nur von dem Agent-Orange Programms während des Vietnam-Krieges übertroffen wurde. . Am Ende waren in Kolumbien fünf Millionen intern Vertriebene (über 10% der Bevölkerung) und hunderttausende Tote zu beklagen. Der eigentliche Erfolg des Unterfangens (denn die Guerilla wurde nicht aufgerieben und sitzt heute in Norwegen mit der kolumbianischen Regierung zu Friedensverhandlungen am Tisch), war der im Oktober 2009 zwischen Kolumbien und den USA unterzeichnete Vertrag zu verbuchen, mit dem sich die USA die Nutzung von sieben Militärbasen auf kolumbianischem Territorium sicherten – Teil des neuen strategischen Konzepts der USA für Südamerika. In der Tat hat der Plan Colombia zwar die kolumbianischen Kartelle geschwächt, nicht aber den globalen Kokainumsatz. Ähnlich wie in den 1970er Jahren, als die weit gehende Unterbindung von Mohnanbau und Heroinproduktion in der Türkei lediglich eine Verlagerung dieser Aktivitäten in das „Goldene Dreieck“ und später nach Afghanistan bewirkte, kam es im Fall des Kokains zu einer Verlagerung des Anbaus in andere südamerikanische Länder und zu einem Erstarken der mexikanischen Drogenkartelle, die früher nur Dienstleister für das Medellin- bzw. Cali-Kartell waren. Grund genug, um den nächsten Antidrogenkrieg auszurufen, der nun seit Anfang 2007 in Mexiko tobt und inzwischen über 60.000 Todesopfer und Hunderttausende intern Vertriebene zur Folge hat.

Ähnlich wie beim Plan Colombia wurde der Antidrogenkrieg in Mexiko von den USA initiiert. Im Rahmen der zwischen George W. Bush und dem damaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón vereinbarten Mérida-Initiative flossen zwischen 2007 und 2010 1,6 Milliarden Dollar nach Mexiko, wiederum fast ausschließlich zur Aufrüstung und logistischen Unterstützung von Polizei und Militär.

Antidrogenkriege – eine „Fehlplanung“?

In einem kürzlich publizierten Beitrag beklagt Mathea Falco die Unwirksamkeit der bisherigen Antidrogenkriege und fordert in Gutmenschen-Manier, „die Amerikaner“ dazu auf, die Lösung des Drogenproblems nicht in anderen Ländern, sondern zu Hause zu suchen.[11] Er unterstellt damit, dass es eine politische Absicht gibt, das Drogenproblem als solches zu lösen, was jedoch angesichts des jahrzehntelangen Beharrens auf einem offensichtlich wirkungslosen Konzept bezweifelt werden darf. Trotz kontinuierlicher Steigerung der zur Drogenbekämpfung in den Herkunftsländern eingesetzten Ressourcen fehlt seit 40 Jahren der Beweis, dass diese Strategie wirkt. Der Drogenmarkt wächst in gleichem Maße wie die Mittel zu seiner vermeintlichen Eindämmung. Zwischen 1981 und 1986, unter der Reagan-Administration, verdoppelte sich das Budget für die militärisch-polizeiliche Bekämpfung der Drogenkriminalität (von 800 Millionen auf 1,9 Milliarden Dollar), bei gleichzeitiger Verdreifachung des Kokainanbaus.[12] Danach, zwischen 1988 und 1992 stieg das Budget der USA allein für internationale Drogenkontrollprogramme von einer auf drei Milliarden Dollar, was nicht von einer Reduzierung sondern von einer Steigerung der Zahl von Drogenabhängigen begleitet war. Das verwundert eigentlich nicht, denn die Ausgaben für Drogenaufklärung, Vorbeugung und Behandlung wurden zur Reagan-Zeit von 404 auf 340 Millionen Dollar reduziert. Auch später stagnierte dieser Anteil bei weniger als 30 % der Gesamtsausgaben für die Drogenproblematik. In einer im Februar 1990 gehaltenen Rede ließ Bush Senior die Maske fallen, indem er sagte, dass es sich bei den Narcogangstern um „neue Bedrohungen jenseits des traditionellen Ost-West-Konflikts“ handelt, „die uns allen Sorge bereitet“ und denen „durch unser Militär zu Lande, zu Wasser und in der Luft begegnet“ werden müsse.[13] Die Zeichnung des Bedrohungsszenarios „Terrorismus“ als Ersatz für den abhanden gekommenen Feind im Osten war damals noch nicht so richtig in Mode.

Die Aussichtslosigkeit, den Drogenkonsum durch Maßnahmen auf der Seite der Drogenproduzent_innen zu reduzieren, wird auch durch die Preisunterschiede bei den Produzenten im Vergleich zu den Endverbrauchern unterstrichen, was einer 90-95%-igen Profitrate entspricht (Abbildungen und Tabellen nur im pdf). Hinzu kommt das zur eigentlichen Deckung des Drogenbedarfs relativ kleine Flächen bzw. Volumen ausreichen. Eine Schlafmohn-Fläche von 5.000 Hektar bzw. vier Boeing 747 Transportflugzeuge voll Kokain genügen, um den Jahresbedarf der USA abzudecken.[14] Weitere Indizien dafür, dass es den politisch Verantwortlichen um Antidrogenkriege und nicht um eine Lösung des Drogenproblems geht, sind:

* die erwähnte Vernachlässigung von Drogenaufklärung bzw. -behandlung,
* die chronische Unterbesetzung der Einheiten zur Bekämpfung von Geldwäsche in den Rauschgiftdezernaten, auch in Deutschland[15]
* die Unwilligkeit, ernsthaft darüber nachzudenken, wie man durch eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums den Kartellen den Wind aus den Segeln nehmen könnte.

Mexiko ersucht Deutschland um Hilfe beim Antidrogenkrieg

Am 2. Mai 2011, anlässlich seines Staatsbesuchs in Mexiko, überraschte der damalige Bundespräsident Wulff die Öffentlichkeit und die Nichtregierungsorganisationen in Mexiko mit der Bekanntgabe eines in Verhandlung befindlichen Abkommens zur Sicherheitszusammenarbeit. Diese Absicht wurde von Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch in Mexiko Mitte Juli 2011 noch einmal bekräftigt: „Wir wissen, dass Mexiko den Kampf gegen die großen Drogenkartelle mit rechtsstaatlichen Mitteln gewinnen will“, zitierte ihn das Handelsblatt vom 15. Juli 2011.[16] Bei dem geplanten Abkommen mit Mexiko geht es unter anderem um „operative Zusammenarbeit (…) gegebenenfalls mithilfe personeller/materieller Unterstützung“.[17] Inzwischen ist bekannt, dass es die mexikanische Regierung war, die im Dezember 2010 um den Abschluss eines solchen Abkommens ersucht hatte.[18]

Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (DMRK), ein Zusammenschluss von 16 deutschen Gruppen und NGOs (www.mexiko-koordination.de), befürchtet, dass es der mexikanischen Regierung bei diesem Abkommen vor allem darum geht, einen weiteren Beleg für ihre Glaubwürdigkeit als rechtsstaatlicher Partner zu präsentieren. Zwar wird selbst vom Auswärtigen Amt eingeräumt, dass der Einsatz der mexikanischen Sicherheitskräfte im Antidrogenkrieg mit gravierenden Menschenrechtsproblemen behaftet ist, doch verweist die deutsche Politik darauf, dass der mexikanischen Regierung der „benefit of the doubt“ (Unschuldsvermutung) gewährt werden sollte. Die deutsche Regierung verschanzt sich in diesem Zusammenhang hinter verbalen Zusicherungen der mexikanischen Seite, dass an der Verbesserung der Menschenrechtssituation gearbeitet werde. Dieses Argument wird von offizieller deutscher Seite seit Jahren vorgebracht, unter Missachtung der Tatsache, dass es für die betroffenen Bevölkerungsteile bzw. Personengruppen zu keinen spürbaren Verbesserungen gekommen ist. Als Beweis werden hart und zeitaufwändig erkämpfte Einzelerfolge, die unter Einbeziehung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs erzielt wurden, oder auch neue wohl klingende Gesetze angeführt, deren praktische Anwendung bis heute aussteht.

Die DMRK lehnt deshalb ein Abkommen zur Sicherheitszusammenarbeit ab und fordert, dass Mexiko zuerst den Anforderungen an einen Rechtsstaat – insbesondere im Bereich der Menschenrechte – nachkommt und in den Alltag umsetzt. Sie schätzt ein, dass die normierten Ansprüche und deren Umsetzung bislang weit auseinander klaffen.[19]

Die Bedenken der DMRK beziehen sich auf:

* die zahlreichen, systematischen Menschenrechtsverletzungen durch alle in Mexiko existierenden Polizeistrukturen, von der lokalen bis zur Bundesebene;
* die grassierende Korruption innerhalb der mexikanischen Polizei und
* den Einsatz des Militärs im Inneren, wobei aufgrund der gemischten Kommandos von Polizei und Militär Menschenrechtsverletzungen, die durch solche Einheiten verübt werden, hinsichtlich ihrer Verursacher (Polizei oder Militär) nicht unterscheidbar sind.
* Die nahezu vollständige Straffreiheit für Polizei- und Militärangehörige bei Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Entführungen, Folter und extralegale Tötungen (Abb. 2 – Abbildungen und Tabellen nur im pdf).

Auch Irene Khan, damals Generalsekretärin von Amnesty International, kam nach ihrem Besuch im August 2007 zu der Auffassung, dass Mexiko eine zweigleisige Annäherung an das Thema Menschenrechte gewählt habe. „Auf internationaler Ebene glänzt es, während es im eigenen Land bei der wirksamen Durchsetzung der Menschenrechte für alle Mexikaner scheitert.“[20] Die Zahl mexikanischer Bundesstaaten, für die von Amnesty International Eilaktionen herausgegeben wurden, hat sich während der Amtszeit von Calderón mehr als verdoppelt (Abb. 3 – Abbildungen und Tabellen nur im pdf).Während der im Dezember 2012 aus dem Amt geschiedene Präsident Calderón behauptete, dass nur ein Prozent der über 60.000 im Antidrogenkrieg getöteten Menschen unschuldige zivile Opfer gewesen seien, bezeichneten zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure dies als zynische Untertreibung. Nach Einschätzung eines Berichts von ­Human Rights Watch werden in den meisten Fällen Tötungen durch Sicherheitskräfte gar nicht untersucht.[21] Darüber hinaus existieren gut dokumentierte Belege für zahlreiche willkürliche Tötungen von Menschen durch Polizei und Militär sowie eine ständig wachsende Zahl von Journalist_innen und Aktivist_innen politischer und sozialer Bewegungen, die ermordet, entführt oder bedroht werden. Während von offizieller mexikanischer Seite die Komplizenschaft zwischen einem Teil der Sicherheitskräfte und der organisierten Kriminalität kaschiert wird, werden Menschenrechtsverteidiger_innen in diffamierender Weise von Regierungsvertreter_innen der Zusammenarbeit mit den Drogenkartellen beschuldigt.[22] Dabei herrscht in Mexiko ein starker institutionalisierter Anreiz zur Korruption, zugleich das Fundament für die herrschende Straflosigkeit bei den Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei.[23]

Mexikanischer Krieg und deutsche Interessen

Es drängt sich die Frage auf, warum die deutsche Politik die gravierende Menschenrechtssituation in Mexiko ignoriert bzw. schön redet. Ein Blick auf die Homepage des Bundeswirtschaftsministeriums (­BMWi) gibt Auskunft. Unter den europäischen Ländern war Deutschland im Jahr 2010 mit einem Exportvolumen von 7,1 Milliarden Dollar der wichtigste Handelspartner Mexikos. Im Weltmaßstab befindet sich Deutschland regelmäßig auf Rang 4 der mexikanischen Handelspartner. Mehr als 1.200 deutsche Unternehmen sind in Mexiko vertreten. Das ­BMWi betont die »guten bilateralen Beziehungen«, zu deren Festigung die zirka 120.000 Mitarbeiter_innen deutscher Firmen beitragen würden. Doch damit nicht genug. Mexiko gehört zu den sechs Ländern der Initiative »Neue Zielmärkte« des BMWi. Von 2005 bis 2010 wuchsen die deutschen Exporte in das lateinamerikanische Land um jährlich zwölf Prozent. Da kann man bei Folter, Mord und Rechtsbrüchen schon mal ein Auge zudrücken, zumal Mexiko als Mitglied des Freihandelsabkommens NAFTA „für die Positionierung deutscher und europäischer Unternehmen auf den Märkten des amerikanischen Kontinents von strategischer Bedeutung (ist)“.[24] Für die „neuen Zielmärkte“ ist festgelegt, dass die deutschen Exporteure „in besonderem Maße“ politisch flankiert werden sollen.

Zwar wird die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie in dem BMWi-Dokument zu den neuen Zielmärkten nicht explizit erwähnt. Aber in diesem Bereich entfaltet sich derzeit eine bemerkenswerte handelspolitische Offensive. Der Export von Kriegswaffen (d.h. Schusswaffen und deren Zubehör) von Deutschland nach Mexiko war im Jahr 2010 eingebrochen (Abb. 4), offenbar aufgrund des Auslaufens eines Vertrages zwischen dem mexikanischen Verteidigungsministerium und der Firma Heckler & Koch (unbeschadet der gegen diese Firma laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen)[25]. Doch von deutscher Seite bemüht man sich intensiv um die Herbeiführung einer Trendwende. Am 15. und 16. Februar 2012 präsentierten 21 Unternehmen in einer von der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (CAMEXA) und der deutschen Botschaft organisierten Veranstaltung „deutsche Sicherheitstechnik“ (Siehe Tabelle 1 – Abbildungen und Tabellen nur im pdf). Über 40 Vertreter des mexikanischen Verteidigungs- und Marineministeriums „zeigten sich beeindruckt von dem deutschen Angebot“.[26]
Die Anbahnung von Geschäften fand am 13.11.2012 ihre Fortsetzung.[27] In der Landesbank Baden-Württemberg in Stuttgart trafen sich rund 20 Personen zur Informationsveranstaltung „Zivile Sicherheitstechnologie und Sicherheitsdienstleistungen, Zielland Mexiko“. Interessanterweise erläuterte der Verteidigungsattaché der Deutschen Botschaft in Mexiko, Dirk Kraus, ausführlich die Struktur und Funktionsweise der mexikanischen Streitkräfte und machte explizite Hinweise auf Chancen, mit dem mexikanischen Militär Geschäfte zu machen.[28] Selbstverständlich erhöht die durch den Antidrogenkrieg bedingte Sicherheitslage auch die Nachfrage nach Sicherheitstechnologie und -dienstleistungen im privaten Bereich – mit anderen Worten, dieser Wirtschaftsbereich profitiert ganz erheblich von der Unsicherheit, unter der die Bürger Mexikos leben. Aber sich auf „zivile Sicherheit“ zu beschränken, hieße, Marktchancen zu verpassen, auch wenn das Marktvolumen für private Sicherheitsdienstleistungen in Mexiko derzeit auf cirka 8 Milliarden Dollar beziffert wird.[29] Angesichts der europäischen Wirtschaftskrise wurde von Politik und Medien die Bedeutung der außereuropäischen Märkte für Deutschland wiederholt betont. Der deutschen Rüstungs- und Sicherheitsindustrie kommt der Antidrogenkrieg in Mexiko sehr entgegen.

Somit profitiert Deutschland von diesem blutigen Krieg, der nicht einmal erklärt wurde und von dem nicht absehbar ist, wann und ob er je beendet sein wird – denn wie hier ausgeführt, hat keiner der zahlreichen Antidrogenkriege bisher dazu geführt, dass die Produktion, der Handel und der Konsum von Drogen zurückgegangen wäre.

Anmerkungen

[1] vgl. auch Sanders, R.: How to start a war: The American use of war pretext incidents. Global Research, 9.1.2012, ursprünglich veröffentlicht im Mai 2002. http://www.deqebat.com/pdf006/HOWTOSTAR_WAR_09_12_2012.pdf

[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Opiumkrieg

[3] Böhm, R.: Englands Opiumkriege in China. Arbeitstexte Tübingen, Selbstverlag 2000, S.8;

http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2004/1232/pdf/Opium.pdf

[4] Böhm, a.a.O., S. 13

[5] Falco, M.: Foreign drugs, foreign wars. Daedalus 121(1992): S. 14.

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Dreieck; Cockburn, A. und St. Clair, J.: Whiteout. The CIA, Drugs and the Press. Verso Books London, New York,1999, S. 235 ff.

[7] Webb, G.: Dark alliance. http://www.narconews.com/darkalliance/drugs/start.htm

[8] http://www.soaw.org/

[9] vgl. Sanders, a.a.O.; The World Guide. New Internationalist Ltd., Oxford, 2005, S.438

[10] The World Guide, a.a.O., S.438

[11] Falco, a.a.O., S.13

[12] Falco, a.a.O., S.3-4

[13] Vgl. Falco, a.a.O., S. 5

[14] Vgl. Falco, a.a.O., S. 8

[15] Buscaglia, E.: Das Paradox der Repression, in: Huffschmid, A. u.a. (Hrsg.): NarcoZones. Entgrenzte Märkte und Gewalt in Lateinamerika. Assoziation A, Berlin und Hamburg 2012, S.29

[16] Westerwelle sichert Hilfe im Drogenkrieg zu. Handelsblatt v. 15.7.2011

www.handelsblatt.com/politik/deutschland/westerwelle-sichert-hilfe-im-drogenkrieg-zu/4400378.html

[17] Drucksache 17/5733, Frage 48, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/057/1705733.pdf

[18] Bundesregierung: Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu Sicherheits- und Rüstungskooperation mit Mexiko, 2011. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/082/1708275.pdf

[19] Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko: Polizeizusammenarbeit mit Mexiko – eine kritische Analyse. 2011. http://www.mexiko-koordination.de/component/docman/doc_view/120-positionspapier-polizeizusammenarbeit.html?Itemid=53

[20] Mexico: Amnesty International completes High Level Mission – President Calderon commits to human rights. News Service No 152, 7 August 2007 (AI Index AMR 41/048/2007 – Public).

[21] Human Rights Watch: Neither Rights Nor Security. Killings, Torture, and Disappearances in Mexico’s “War on Drugs, 2011.

http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/mexico1111webwcover_0.pdf

[22] So zum Beispiel entsprechende Äußerungen des mexikanischen Marineministers Mariano Francisco Saynez Mendoza im Beisein von Präsident Calderón im Juli 2011, siehe „Delincuentes usan como bandera los derechos humanos“ in der Zeitschrift Milenio Vom 26.7.2011, www.milenio.com/cdb/doc/noticias2011/2e84e5d70f325a7d529744fdab9574fd

[23] Uildriks, N.: Mexico’s unrule of law: implementing human rights in police and judicial reform under democratization. Lexington Books, Plymoth, UK, 2010, S. 147-157.

[24] Neue Zielmärkte – Neue Wachstumschancen, Monatsbericht 02-2012. http://www.bmwi.de/Dateien/BMWi/PDF/Monatsbericht/Auszuege/02-2012-I-3,property=pdf,bereich=bmwi,%20sprache=de,%20rwb=true.pdf

[25] Vgl. Vogel, W.D.: Zielsicher in die Krisenregion. taz vom 21.11.2012, http://www.taz.de/Deutsche-Waffen-in-Mexiko/!105969/

[26] CAMEXA: Experten präsentierten Militärs deutsche Sicherheitstechnik, Pressemitteilung vom 21.2.2012; mexiko.ahk.de/news/news-einzelansicht/artikel/presentacion-de-alta-tecnologia-alemana-de-seguridad/?cHash=28dcf7407a0344e831a2af97a61651b2

[27] http://mexiko.ahk.de/events/exportinitiative-sicherheit/

[28]http://mexiko.ahk.de/fileadmin/ahk_mexiko/Eventos/20121113_Marktumfeld___Chancen_Deutsche_Sicherheitstechnologie_Mexiko.pps

[29] CAMEXA (2012): Zivile Sicherheitstechnik und Sicherheitsdienstleistungen in Mexiko – ein Markt im Aufschwung. http://mexiko.ahk.de/fileadmin/ahk_mexiko/Eventos/Factsheet_Sicherheit.pdf