Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2012/011 - gekürzt in: ak (analyse&kritik) 573

Im Interesse des Nordens

Die Atalanta-Mission führt zur Ausweitung des Kriegs am Horn von Afrika

Jonna Schürkes: AUSDRUCK (August 2012) (20.06.2012)

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Die Piratenangriffe auf Schiffe haben sich verdoppelt, die Piraten sind besser ausgestattet, haben schwerere Waffen und agieren in einem zehnmal so großen Gebiet: Das sind die Erfolge von fünf Jahren militärischer Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika.[1] Dennoch zeichnet sich keine Abkehr von dieser Strategie ab, im Gegenteil: Die EU-Mission EUNAVFOR Atalanta – eine der zahlreichen Marinemissionen vor Somalia – geht seit 2008 mit Kriegsschiffen gegen die Piraterie vor. Ihr Mandat wurde immer wieder verlängert, das Einsatzgebiet ausgeweitet. Mit dem neuesten Mandat, das der Bundestag am 10. Mai 2012 beschloss, sollen die Einheiten der Atalanta auch am somalischen Festland gegen Piraten vorgehen. Zukünftig soll ihre Infrastruktur an Land von Hubschraubern und Kriegsschiffen aus beschossen und zerstört werden.

Warum die deutsche Regierung diese Erweiterung empfahl, erklärte Außenminister Westerwelle im Bundestag: „Natürlich behauptet niemand […]dass damit die Piraterie so bekämpft ist, dass alles vorbei ist. […] Aber eines muss man unseren Soldaten doch einmal sagen: Dass sie die Piraterie – deren Waffen und Logistik – zwar auf See bekämpfen dürfen – da dürfen Terror und Gewalt unschädlich gemacht werden –, sobald die Piraten aber mit ihren Waffen den Strand betreten haben, dabei zusehen müssen und nichts machen dürfen, das ist absolut unvernünftig. Es ist richtig, den Piraten den Ein­satz von Waffen und Gewalt so weit es geht zu erschweren.“[2]

Kaum war das neue Mandat verabschiedet, meldete Atalanta „Erfolg“: Am 15.Mai sei eine Piratenbasis in der Nähe der Ortschaft Haradhere von einem Hubschrauber aus beschossen worden. Schiffe und andere Ausrüstung der Piraten seien zerstört worden, Menschen seien nicht zu Schaden gekommen. Man wollte damit wohl zeigen, dass die Bedenken der Kritiker des neuen Mandats unbegründet seien.

Gefahr der weiteren Eskalation

Die Kritiker beziehen sich vor allem auf praktische Probleme der Umsetzung des Mandats und eine Reihe ungeklärter Fragen. Eine Piratenbasis ist von einem Ort, an dem sich Fischer aufhalten, nicht eindeutig zu unterscheiden: ebenso wie auf See gelten Leitern, Waffen und schnelle Boote als Hinweis darauf, dass es sich um Piraten handelt. Allerdings wurden auch schon auf dem Meer häufiger Fischer- und Flüchtlingsboote angegriffen und Menschen getötet, da sich die Besatzung der Kriegsschiffe irrte.[3] Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Piraten auf die Gefahr von Angriffen an Land zu reagieren wissen. Im Mandat ist das Vorgehen gegen die Infrastruktur der Piraten nur bis zu zwei Kilometer ins Landesinnere erlaubt, die Piraten können ihrer Ausrüstung hinter diese Linie verlagern und somit deren Zerstörung verhindern. Es muss zudem befürchtet werden, dass sie die Nähe von Ortschaften suchen und somit provozieren, dass Menschen bei Angriffen durch Atalanta zu Schaden kommen oder getötet werden. Dadurch wird die Unterstützung der lokalen Bevölkerung für die Piraten und den Widerstand gegen ausländische Truppen eher wachsen, vor allem wenn es zum Einsatz von Bodentruppen kommen sollte. Auch wenn dies im derzeitigen Mandat ausgeschlossen ist, so müssen Bodentruppen eingesetzt werden, für den Fall, dass Hubschrauber abgeschossen werden und deren Besatzung gerettet oder geborgen werden muss. Angesichts der Aufrüstung der Piraten in den letzten Jahren, ist ein solches Szenario keinesfalls ausgeschlossen.

Inwieweit Atalanta die neuen Befugnisse umfangreich nutzen wird, ist ungewiss, zumal sich die Frage stellt, welche Einheiten zu einem solchen Vorgehen überhaupt in der Lage sein werden. Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“, der vor einigen Monaten die Fregatte „Lübeck“ ablöste, ist einer der wenigen im Einsatz vor Somalia, der Hubschrauber an Bord hat.[4]

Die Erweiterung ist dennoch von großer Bedeutung, zeigt sie doch, dass die EU – in Zusammenarbeit mit der NATO und den USA – bestrebt ist, unterschiedliche Instrumente einzusetzen, die dazu geeignet sind, den Konflikt in Somalia und weit darüber hinaus zu eskalieren und die Region um das Horn von Afrika weiter zu militarisieren.

Derzeit sind drei (zivil-)militärische Missionen in die Region entsandt, die direkt oder indirekt die Piraterie bekämpfen sollen. Die jüngste Mission (EUCAP NESTOR) wurde Ende 2011 beschlossen und soll in den kommenden Wochen beginnen. Die Mission besteht aus verschiedenen Komponenten: Zum einen sollen die Küstenwachen Dschibutis, Kenias, Tansanias, der Seychellen und der faktisch autonomen somalischen Regionen Somalilands, Puntlands und Galmudug ausgebildet und ausgerüstet werden. Dazu „sollen u.a. auch europäische ‚Trainings- und Unterstützungsteams‘ zum Einsatz kommen, um die Sicherheitskräfte aller beteiligten Länder ‚bei der Arbeit‘ (training-on-the-job) und ‚vor Ort‘ (training-on-location) auszubilden und zu unterstützen“.[5]

Zum anderen sollen die Staaten der Region dazu „befähigt“ werden, Piraten, die von europäischen Soldaten und Polizisten festgesetzt wurden, „selber“ inhaftieren und verurteilen zu können. Damit sollen Prozesse wie der in Hamburg (s. AK vom 18.05.2012) zukünftig vermieden werden. Abkommen zur Auslieferung von Piraterieverdächtigen schloss die EU bereits mit Kenia, den Seychellen und Mauritius. Kenia hatte das Abkommen 2010 mit dem Hinweis auf überfüllte Gefängnisse und einen überlasteten Justizsektor wieder gekündigt.

Militarisierung der Region

Angesichts der Tatsache, dass das Piratenproblem weniger auf die Verarmung der somalischen Bevölkerung in Folge einer europäischen Fischerei- und Wirtschaftspolitik, sondern auf ein genuin somalisches Problem des „gescheiterten somalischen Staates“ zurückgeführt wird, bildet die EU im Rahmen der Mission EUTM in Uganda seit 2010 jährlich 2000 Soldaten für die somalische Übergangsregierung (TFG) aus. Diese sollen dann gemeinsam mit den Soldaten der Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) – die wiederum vor allem von der EU finanziert wird – die TFG dazu befähigen, das Territorium und die Bevölkerung Somalias zu kontrollieren.

Die EU setzt somit vor allem auf repressive Mittel, das Piratenproblem unter Kontrolle zu bringen, was inzwischen sogar in der militärnahen Zeitschrift „Europäische Sicherheit und Technik“ kritisiert wird.[6] Die Ursachen für Piraterie – die Ausbeutung der Fischgründe auch durch europäische Fangflotten vor der Küste Somalias, ein Weltwirtschaftssystem mit verheerenden Auswirkungen vor allem auf die Gesellschaften des Südens und eine „Internationale Gemeinschaft“, die mehr daran interessiert ist, dass Territorien kontrolliert werden, als dass es Gesellschaften gibt, an denen Menschen ökonomisch und politisch teilhaben können – werden nicht angegangen. Vielmehr wird versucht, mit militärischer Gewalt eine der wichtigsten Wasserstraßen offen zu halten, so dass der Wohlstand im Norden erhalten bleibt.

Die Anwendung verschiedener Instrumente des Krisenmanagements am Horn von Afrika zeigt aber auch auf erschreckende Art und Weise, wie flexibel die EU bei der Anerkennung von Regierungen ist. Während die TFG immer dann als „legitime“ Vertretung der somalischen Bevölkerung herhalten muss, wenn es um das Abtreten von Souveränitätsrechten an die „Internationale Gemeinschaft“ oder auch die EU geht, werden lokale Autoritäten dann zu Regierungen, wenn es um die Schaffung lokaler Repressionsorgane geht. So wurde von den Regierungen der autonomen Regionen Somaliland, Puntland und Galmudug, an deren Küsten sich die meisten Piratenbasen befinden, nicht die Erlaubnis eingeholt, sie zukünftig aus der Luft zu beschießen. Dies wurde lediglich mit der TFG verhandelt.[7] Gleichzeitig sollen eben jenen autonomen Regionen eigene Küstenwachen aufgebaut werden, was ihre Autonomie gegenüber der TFG wiederum stärken wird.

Anmerkungen

[1] Currun Singh/ Arjun Singh Bedi: ‚War on Piracy‘: the Conflation of Somali Piracy with Terrorism in Discourse, Tactic and Law, Working Paper No. 543, Institute of Social Studies, The Hague, Mai 2012.

[2] Plenarprotokoll vom 10.Mai 2012, 17/178.

[3] James Bridger: The EU’s Misguided Move to Fight Pirates Onshore, piracy studies, 11.05.2012.

[4] Matthias Gebauer: Somalia Mission Expands – EU to target pirates up to two kilometers inland, Spiegel Online, 27.03.2012.

[5] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“: Geplante GSVP-Mission zur maritimen Aufrüstung am Horn von Afrika und im indischen Ozean, BT-Drs. 17/8421, 06.02.2012.

[6] Dieter Stockfisch: Piraterie – ein ungelöstes Problem, Europäische Sicherheit und Technik, Februar 2012.

[7] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“: Ausweitung von ATALANTA auf das somalische Landgebiet, BT-Drs.: 17/9362, 18.04.2012.

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