[0364] Konversion / Spendenaufruf

von: 19. Dezember 2011

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0364 ………. 15. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser letzten IMI-List in diesem Jahr findet sich ein Artikel zur Konversion der Bundeswehrstandorte.

Zuvor aber noch ein Hinweis in eigener Sache:

Die IMI finanziert sich fast ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Wer also zum Jahresabschluss noch ein wenig Geld übrig hat, wir freuen uns über jede Unterstützung.

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Ansonsten bleibt uns nur allen Freundinnnen und Freunden der IMI ein gutes neues und hoffentlich friedlicheres neues Jahr zu wünschen!

IMI-Standpunkt 2011/057 – in: AUSDRUCK (Dezember 2011)
Konversion: Was kommt nach der Bundeswehr?
https://www.imi-online.de/2011/12/12/konversion-was-kommt-nach-der-bundeswehr/#_ftn2
12. Dezember 2011, Claudia Haydt

Die Bundeswehr zieht sich aus der Fläche zurück, sie verringert ihr Militärpersonal um etwa 60.000 auf 185.000, das Zivilpersonal wird auf 55.000 gekürzt und seit Ende Oktober ist klar, dass sie insgesamt 64 Standorte auflöst. Aus 31 davon zieht sie komplett ab, andere Standorte werden auf eine Personalstärke unter 15 reduziert und zukünftig formal nicht mehr als Standort gewertet. Meist bedeutet dies, dass, wie etwa in Ravensburg oder Herford, nur noch sechs “Karriereberater” der Bundeswehr vor Ort bleiben. Deren Aufgabe ist es, Nachwuchs für die zukünftigen Kriegs- und Besatzungseinsätze der Bundeswehr zu rekrutieren. Die verbleibenden Standorte sind nahezu vollständig nach ihrer Bedeutung für Auslandseinsätze ausgewählt worden und werden teilweise dafür noch weiter ausgebaut. Letzteres trifft zum Beispiel auf die Standorte in Calw (Kommando Spezialkräfte) oder Stetten am Kalten Mark zu, deren Kapazitäten in den nächsten Jahren noch deutlich ausgebaut werden. Gleichzeitig stellt sich die Frage, was zukünftig mit den Standorten geschieht, aus denen die Bundeswehr ganz oder teilweise abzieht. Zusätzlich werden in den nächsten Jahren sämtliche britischen Truppen und weitere US-amerikanische Soldaten aus Deutschland abgezogen werden. In vielen Kommunen herrscht angesichts des bevorstehenden Abzugs Weltuntergangsstimmung und Bürgermeister, Landräte und Ministerpräsidenten kämpfen für den Erhalt „ihrer“ Standorte. Gleichzeitig setzen sich in vielen Regionen Bürgerinitiativen zum Teil schon seit Jahren für die Schließung militärischer Übungsplätze, gegen militärischen Lärm, gegen Umweltverschmutzung und für eine zivile Nutzung von Militärgelände ein. Angesichts dieser widersprüchlichen Aktivitäten und der zunehmenden Dringlichkeit des Themas, lohnt es sich zurückzublicken, welche Erfahrungen in den letzten zwanzig Jahren bei der Liegenschaftskonversion gemacht wurden.

Zwanzig Jahre Erfahrung mit erfolgreicher Konversion

Bei der Frage von Konversion militärischer Liegenschaften in zivile Nutzung betritt man in Deutschland kein Neuland. So gab es in der ehemaligen DDR zur Zeit der Wende circa 1.100 militärische Liegenschaften der NVA, heute werden, verteilt auf 75 Standorte, weniger als 500 davon von der Bundeswehr genutzt. Zudem wurden bis 1994 alle sowjetischen Truppen aus den neuen Bundesländern komplett abgezogen. Auch in den alten Bundesländern gibt es Erfahrungen mit solch grundlegenden Veränderungen der Nutzungsstruktur. Die französischen Truppen sind nahezu vollständig abgezogen, auch die kanadische, belgische und niederländische Militärinfrastruktur steht seit einigen Jahren für zivile Nutzung zur Verfügung. US-Truppen wurden in der Vergangenheit bereits stark reduziert. Das relativ strukturschwache Land Rheinland-Pfalz[1] galt lange Zeit wegen der starken Präsenz von US-Army und Airforce als “Flugzeugträger der USA”. Durch deren großflächigen Abzug seit Anfang der 1990er Jahre wurden 600 Liegenschaften auf 13.000 Hektar frei. Beinahe zwanzig Jahre später sind anstelle der 26.000 zivilen Arbeitsplätze, die durch den Abzug kurzfristig verloren gingen, über 50.000 (z.T. deutlich höher qualifizierte) Arbeitsmöglichkeiten neu entstanden. Diese erfolgreiche Umstrukturierung der Region war unter anderem möglich durch etwa 2 Milliarden Euro Konversionszuschüsse aus verschiedenen Töpfen (vor allem EU-, Bundes und Landesmittel).

Für die Beurteilung der Chancen einer erfolgreichen Konversion lohnt sich auch ein Blick auf einen etwas späteren Zeitraum (2003-2007). Damals waren die makroökonomischen Rahmenbedingungen für Unternehmensneugründungen und andere Nachnutzung ungünstiger als in den 1990er Jahren. Zudem standen viele Konversionsmittel bereits nicht mehr zu Verfügung. Dennoch kommt eine Untersuchung[2] von über 100 Regionen, in denen Bundeswehrstandorte geschlossen wurden, zu sehr ermutigenden Ergebnissen. Es wurden vor allem kurzfristige Effekte auf die Regionen betrachtet, wie z.B. Entwicklung der Arbeitslosigkeit, der Einkommens- und Mehrwertsteuer, der Gewerbesteuer und der Haushaltseinkommen. Nahezu überall gab es Strukturveränderungen, aber im Gesamtblick stellt die Studie fest: „Negative Auswirkungen der Standortschließungen existieren nicht.”[3] Das Ausbleiben selbst kurzfristiger negativer Auswirkungen wird von den Forschern in den “Ruhr Economic Papers” wie folgt erklärt: „Die Ressourcenallokation [bei militärischer Nutzung] ist suboptimal und die Schließung von Militärbasen sorgt für produktivere Nutzung von Kapital und Arbeit.“[4] Tatsächlich sind die meisten Bundeswehrstandorte ökonomisch relativ schwach mit ihrer Umgebung verzahnt. Sie versorgen sich weitgehend selbst. Seit 2002 wird etwa die Verpflegung der SoldatInnen durch das Verpflegungsamt Oldenburg zentral organisiert. Größere Infrastrukturarbeiten werden ebenfalls zentral durch die „Territoriale Wehrverwaltung“ vergeben, sodass auch für das lokale Handwerk relativ wenig positive Impulse gesetzt werden. Die zivile Nachnutzung ist ökonomisch häufig besser regional eingebunden und während die Bundeswehr keine Steuern zahlt, sorgen gewerbliche Nachnutzungen meist für mehr Steuereinnahmen

Zivile Wiederaneignung militärischer Räume – Konkrete Beispiele

Neben solchen eher allgemeinen Erhebungen über die Entwicklung der Regionen nach dem Abzug von Militär, gibt es eine ganze Reihe konkreter Beispiele dafür, wie ein Truppenabzug für Regionen wichtige Entwicklungsimpulse herbeiführen kann. Aus dem ehemaligen US-Atomwaffenstützpunkt Eberhard-Finckh-Kaserne zogen die Soldaten 1993 ab. In dieser strukturschwachen Region (Schwäbische Alb / Großengstingen) war es für die erfolgreiche Nachnutzung wichtig, dass die Planungen schon begannen, während die Militärs noch vor Ort waren. Die umliegenden Gemeinden gründeten dafür bereits 1992 einen Zweckverband, um die Liegenschaften der Bundesvermögensverwaltung (heute BIMA; Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) abzukaufen. Zwischennutzungen wurden schnell gefunden, wegen der starken Munitionsbelastung zog sich der Abschluss des Kaufvertrags mit dem Bund jedoch bis 1995 hin. Heute ist das Gesamtareal von rund 100 Hektar ein ökonomischer Motor für die Region. Handwerkliche Nutzung, Solar- und Biogasstromerzeugung existieren auf dem Gelände neben touristischen Einrichtungen und Reha-Angeboten. Wegen der guten Verkehrsanbietung dieses (sowie der meisten) Militärstandorte war diese Entwicklung relativ einfach, sie wurde zudem durch Landesfördermittel (Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR)) unterstützt.

Doch es gibt auch Negativbeispiele, denn die Nachnutzung stadtnaher Liegenschaften stellt Stadtplaner vor besondere Herausforderungen. Die Militärflächen können durch BürgerInnen nicht betreten werden (außer evtl. bei einem Tag der offenen Tür). Die Orte werden folglich nicht als Teil der Stadt erlebt und haben häufig einen schlechten Ruf. Wenn dann noch als erste Nachnutzung Personengruppen, die ohnehin häufig in Städten nicht gerne gesehen sind (Obdachlose, AsylbewerberInnen etc.), dorthin “abgeschoben” werden, dann bleiben die anderen BewohnerInnen der Städte häufig weiterhin diesem Viertel fern und es können leicht neue “Problembezirke” entstehen. Besonders drastische Auswirkungen hatte dies in der süddeutschen Stadt Lahr, wo nach Abzug der kanadischen Streitkräfte in den 1990er Jahren die freigewordenen Wohnungen der Armeeangehörigen mit 8.000 AussiedlerInnen „aufgefüllt“ wurden. Bei einer besseren Nutzungsmischung wären der Stadt Lahr, aber vor allem den AussiedlerInnen wahrscheinlich viele der bis heute andauernden Probleme in den neuen Stadtteilen erspart geblieben. Deswegen ist es sinnvoll, sehr frühzeitig auch für die Bürger die neuen Stadtteile als Teil ihrer Stadt erfahrbar zu machen. Die wenigen Beispiele für gescheiterte Konversion, die es leider auch gibt, sind überwiegend darauf zurückzuführen, dass die Entwicklung der Liegenschaften Großinvestoren überlassen wurde und diese sich verspekuliert haben. Deswegen ist eine Entwicklung und Planung “von unten” durch Bürgerinitiativen und Kommunen demokratisch und ökonomisch sinnvoll.

Ein gelungenes Beispiel für umfangreiche Bürgerbeteiligung ist das so genannte Französische Viertel in Tübingen. BürgerInnen, Familien einschließlich der Kinder wurden in zahlreichen Anhörungen und Workshops in die Nachnutzung einbezogen. Auch in Tübingen wurden in den ersten Jahren Asylbewerber in den freien Gebäuden untergebracht, allerdings nur in begrenztem Umfang und parallel zu anderer Nutzung wie Volkshochschule, Gastronomie, Werkstätten und zahlreichen Wohnungen für StudentInnen,  sodass das Viertel selbst in der Zwischennutzungsphase von vielen BürgerInnen besucht wurde. Da von Anfang an klar war, dass in den neuen Stadtteilen zusätzliche Infrastruktur (Kinderhorte, Schulen, Spielplätze, Sporthallen etc.) notwendig sein würde, wählte die Kommune die in §165ff des Baugesetzbuches vorgesehene Möglichkeit einer „Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“. Dabei kauft die Kommune die Militärflächen zu einem niedrigen Preis (für unentwickelte Flächen), verkauft anschließend die Grundstücke an die EndnutzerInnen zu einem höheren Preis und investiert die Bilanz in die soziale Infrastruktur des neuen Viertels. Die Preise für die Baugrundstücke waren so gestaltet, dass auch junge Familien mit niedrigeren Einkommen und Existenzgründer sich die Miete oder den Kauf von Wohnraum und Gewerbeflächen leisten konnten. Der Vergabeprozesse der Grundstücke fand in transparenter und demokratischer Weise statt und wurde über einen Gemeinderatsausschuss abgewickelt (den so genannten Südstadtausschuss). Der gesamte Konversionsprozess zog sich über 15 Jahre hin und wurde finanziell über einen Sonderhaushalt abgewickelt, was gerade für arme Kommunen wie Tübingen ein wichtiges Instrument ist, um trotz leerer Kassen noch handlungsfähig zu bleiben und die Entwicklung der eigenen Stadt nicht allein Investoren überlassen zu müssen. Heute gibt es auf dem Gelände circa 6.000 neue Wohnungen und etwa 2.500 Arbeitsplätze.

Fazit

Festzuhalten bleibt, dass sich für Kommunen, wenn sie frühzeitig ihre Planungshoheit ernst nehmen, wenn BürgerInnen mit einbezogen werden und die Prozesse transparent ablaufen, durch den Abzug von Militär in jedem Fall eine einmalige Chance für eine erfolgreiche zivile Nachnutzung bietet. Bereits die letzten zwanzig Jahre Konversionsgeschichte haben gezeigt: etwas Besseres als das Militär findet sich in jedem Fall. Wenn auch die nächste Etappe der zivilen Wiederaneignung gelingt, dann könnte dies helfen den Druck zu vergrößern, dass die Bundeswehr überall und vollständig abzieht – im Inland und im Ausland.

Anmerkungen:

[1] Landesregierung Rheinland-Pfalz: WIR MACHEN`S EINFACH, 20 Jahre Konversion in Rheinland-Pfalz, 2010.
[2] Ruhr Economic Papers #181, A. Paloyo u.a.: The Regional Economic Effects of Military Base Realignments and Closures in Germany, 2010.
[3] ebenda, Übersetzung aus dem Englischen und Erläuterungen C.H.
[4] ebenda, Übersetzung C.H.