IMI-Standpunkt 2011/049 in: AUSDRUCK (Oktober 2011)

BW-Musix abblasen


von: Jonna Schürkes | Veröffentlicht am: 12. Oktober 2011

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BW-Musix abblasen!

In Balingen, einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb, findet bereits zum dritten Mal in Folge das sogenannte „BW-Musix“ statt. Dieser Wettbewerb von Jugendblasorchestern wird von der Bundeswehr organisiert, die Stadt Balingen und der Musikinstrumente-Hersteller Yamaha sind die Veranstalter. Seit zwei Jahren gibt es das Bündnis „BW-Musix abblasen!“, das auch in diesem Jahr eine Demo gegen das Spektakel organisiert hat.

Nachwuchsgewinnung und Akzeptanzschaffung

Es wäre absurd zu glauben, die Bundeswehr würde diesen Wettbewerb aus lauter Liebe zur Blasmusik veranstalten. Dahinter steht vielmehr das Bedürfnis, die Bundeswehr als einen positiven Teil der Gesellschaft darzustellen und dafür sind die Musik und die „Unterstützung“ von jugendlichen Blasmusikern hervorragend geeignet. Die Funktion von Militärmusik ist unter anderem eben jene, das Militär der Bevölkerung näher zu bringen, oder wie es auf der Homepage der Militärmusik heißt: „In vielfältigen konzertanten Veranstaltungen, besonders den bei einem breiten Publikum so beliebten Wohltätigkeitskonzerten, macht die Militärmusik Bundeswehr in sympathischer für jedermann leicht nachzuvollziehenden Form erfahrbar“.[1] Mit der Wiederbewaffnung Deutschlands 1955, die von einem Großteil der Bevölkerung in Deutschland abgelehnt wurde, forderte der damalige Bundeskanzler Adenauer eine schnelle Aufstellung von Musikkorps. Sie sollten vor allem für eine positive Stimmung der Bevölkerung gegenüber der Bundeswehr sorgen.[2] Genau diese Funktion übernimmt die Militärmusik auch heute noch, nur geht es nicht mehr darum, der Bevölkerung die Wiederbewaffnung zu verkaufen. Angesicht der zunehmenden Ablehnung von Auslandseinsätzen (jüngsten Umfragen zufolge sind bspw. 66% der Bevölkerung in Deutschland gegen den Afghanistankrieg[3]) dient die Charmeoffensive der Bundeswehr in erster Linie dazu, die militarisierte Außen- und Sicherheitspolitik zu legitimieren, allerdings weniger mit Argumenten als mit Emotionen. In dem „Veranstaltungs- und Organisationshandbuch für den Tag der Reservisten 2008“ heißt es: „Musik geht unter Umgehung des Verstandes direkt ins Gemüt und schafft ein positives Klima für […] Gespräche mit den Bürgern“.[4]

Das BW-Musix ist aber nicht bloß ein Konzert mit Militärmusikern, es ist ein Wettbewerb, bei dem Jugendliche und Kinder von Offizieren in Uniform für ihre musikalischen Leistungen bewertet werden. Auch ihnen soll das Militär positiv vermittelt werden. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr unter massiven Nachwuchssorgen leidet und sich diese Situation seit der Aussetzung der Wehrpflicht – auch für den Militärmusikdienst[5] – deutlich verschärft hat. Daher nimmt das Militär jede Möglichkeit wahr, um Jugendliche dazu zu bringen, Soldat zu werden.

In den ersten Jahren von BW-Musix machte die Bundeswehr auch keinen Hehl daraus: die Ansprechperson bei der Bundeswehr saß im „Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost“ und in der Lokalzeitung „Schwarzwälder Bote“ erklärte Hauptmann Johannes Langendorf vom Zentrum Militärmusik, die Bundeswehr wolle sich bei den jugendlichen Musikern auch als Arbeitgeber präsentieren.[6] Unter Ausnutzung der Musikbegeisterung dieser Kinder und Jugendlichen und wohlwissend, dass es sehr schwierig ist, die Musik zum Beruf zu machen, erklärte Langendorf kürzlich: „Wo sonst hat man die Möglichkeit für einen Zeitraum von einem bis zu maximal vier Jahren in ein Musikkorps und damit in die Welt der Berufsmusiker hineinzuschnuppern?“[7] Dass diese Möglichkeit bedeutet, Soldat werden zu müssen und im Zweifelsfall auch in Kriegseinsätzen der Bundeswehr (zumindest als Sanitäter) eingesetzt zu werden, wird natürlich nicht erwähnt.

Von Bläserklassen und Bastelstunden

Doch der Bundeswehr reichen die Jugendlichen, die sich im Wettbewerb messen und die zur „Musikerparty“ kommen, nicht aus – sie drängt auch an die Balinger Schulen. Im letzten Jahr bastelte Hauptmann Langendorf einige Tage vor dem Wettbewerb in einer Grundschule Dinosauriercollagen aus Bildern von Blechblasinstrumenten. Die Drittklässler konnten ihre – gemeinsam mit dem Offizier erstellten – Kunstwerke dann bei einer Ausstellung im Rahmen von BW-Musix bewundern.[8]

In diesem Jahr werden der Bundeswehr dann ganze Schulklassen – sogenannte Bläserklassen – zugeführt. Bläserklassen bekommen über einen Zeitraum von mehreren Jahren Blasinstrumente – unter anderem von der Firma Yamaha, die BW-Musix mitveranstaltet – zur Verfügung gestellt, um gemeinsam musizieren zu können. Dieses Angebot gilt für alle Stufen der weiterführenden Schulen. Das bedeutet, dass an diesem Bläserwettbewerb im Rahmen von BW-Musix schon ganze Schulklassen mit Kindern ab ca. 10 Jahren teilnehmen werden. „In diesem Jahr lassen wir auch die ganz jungen Nachwuchsmusiker erstmalig Wettbewerbsluft schnuppern. Im Rahmen eines neuen Bläserklassenwettbewerbes präsentieren die allerjüngsten Instrumentalisten ihre jeweiligen Ensembleleistungen. Eine fachkundige Jury aus Musikoffizieren und Vertretern der zivilen Bläserklassenpädagogik, möchte mit diesem außergewöhnlichen Wettbewerb junge Instrumentalisten nachhaltig motivieren und gleichzeitig mit wertvollen Tipps zur Seite stehen“, heißt es im Werbeflyer für das Spektakel. Dass die Schulen, die Eltern und die Stadt Balingen es zulassen, dass schon Drittklässler der Propaganda des Militärs ausgesetzt werden, ist vollkommen unbegreiflich. Das Thema hat inzwischen auch Kinderrechtsorganisationen auf den Plan gerufen.

Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten widmete sich in seinem „Schattenbericht Kindersoldaten 2011“, der im Auftrag u.a. von terre des hommes und Unicef erstellt wird, der Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr und der auf Minderjährige zugeschnittenen Öffentlichkeitsarbeit sowie Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Darin kritisieren sie aufs Schärfste die Praxis in Deutschland, der Bundeswehr den Zugang zu Schulen zu ermöglichen.[9]

Die Kritiker werden kriminalisiert

Trotz allen Jubelns über die Tatsache, dass die Kleinstadt Balingen ein „Musikeventwochenende mit Spaßgarantie“[10] zum wiederholten Male an Land ziehen konnte, scheint der Stadtverwaltung es lieber zu sein, nicht zu erwähnen, wer das „Event“ ausrichtet. In der Ankündigung der Veranstaltung auf der Homepage der Stadt Balingen taucht die Bundeswehr als Organisator überhaupt nicht mehr auf. Gleichzeitig weist sie jede Kritik an der Veranstaltung weit von sich und kriminalisiert die Demonstranten gegen das BW-Musix. Dem Anmelder der Demo von 2010 wurde aufgrund der Befürchtung, die Demonstranten könnten „die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden“, absurde Auflagen erteilt. So sollte er dafür sorgen, dass Getränke nur „in Plastikflaschen oder Tetrapackbehältnissen“ mitgeführt würden, Hunde seien bei der Demo verboten. Für die Erstellung der Auflagen sollte der Anmelder 98,- Euro bezahlen, wogegen inzwischen Klage eingereicht wurde. Wir lassen nicht zu, dass mit fadenscheinigen Argumenten unser Demonstrationsrecht eingeschränkt und den Kritikern der Mund verboten wird. Wir werden auch in diesem Jahr gegen BW-Musix und die Nachwuchswerbung und Akzeptanzschaffung der Bundeswehr protestieren!

Anmerkungen

[1] Militärmusik – klingender Ausdruck des Selbstverständnisses der Streitkräfte; http://www.militaermusik.bundeswehr.de

[2] Bei der Bundeswehr wird auch Musik gespielt, Fluter, 08.02.2011.

[3] Bürger fordern: Raus aus Afghanistan – schnell!, Stern, 08.07.2011.

[4] Zit. nach: Schulze von Glaßer, M: Die Rattenfänger von Balingen, IMI-Analyse 2009/041.

[5] Ende der Wehrpflicht – Ende der Musik?, Bayrischer Rundfunk, 06.07.2011.

[6] Schulze von Glaßer, M: Die Rattenfänger von Balingen, IMI-Analyse 2009/041.

[7] Ende der Wehrpflicht – Ende der Musik?, Bayrischer Rundfunk, 06.07.2011.

[8] BW-Musix in der Grundschule – Wie aus Trompete, Tuba und Posaune lustige Dinos gebastelt werden können, Zollern-Alb-Kurier, 22.10.2010.

[9] Deutsches Bündnis Kindersoldaten: Schattenbericht Kindersoldaten 2011, Februar 2011.

[10] Ankündigung zu BW-Musix 2011 der Blasmusikverbandes Baden-Württemberg; http://www.bvbw-online.de.