Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2011/049 - in: Graswurzelrevolution 361 (September 2011)

Etikettenschwindel Sparvorgabe

Der Bundeswehr-Umbau soll die Truppe effizienter, nicht billiger machen

Jürgen Wagner (01.09.2011)

Angeblich erfolge der gegenwärtig in der Feinausplanung befindliche Generalumbau der Bundeswehr vor allem aus einem Grund: um Kosten einzusparen und den Rüstungshaushalt dauerhaft massiv abzusenken – so hieß es jedenfalls von offizieller Seite.

Doch inzwischen will man davon immer weniger wissen, was angesichts der Überlegungen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière, welche Aufgaben der Truppe künftig zukommen sollen, auch nicht weiter verwunderlich ist.

Spätestens mit den am 18. Mai zeitgleich veröffentlichten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) und den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ ist klar, dass die Sparvorgabe nicht eingehalten werden kann.

Schließlich zielt der gesamte Umbau der Bundeswehr vorrangig darauf ab, die Truppe effizienter und nicht notgedrungen billiger zu machen. Aus diesem Grund haben sich Thomas de Maizière und Finanzminister Wolfgang Schäuble mittlerweile auf zahlreiche Tricks verständigt, die zusammengenommen darauf hinauslaufen, dass der Rüstungsetat im Jahr 2015 sogar noch über dem heutigen Niveau liegen dürfte.

Krieg (nicht nur) für Interessen

Vor dem Hintergrund des gegenwärtig auf den Weg gebrachten Umbaus der Bundeswehr ist es geradezu atemberaubend, wie sich die Debatte, zu welchen Zwecken die Truppe in Auslandseinsätze geschickt werden müsse bzw. dürfe, in jüngster Zeit verschoben hat. Noch Ende Mai 2010 hatte der damalige Bundespräsident Horst Köhler seinen Hut nehmen müssen, weil er die Auffassung vertrat, dass ein „militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.

Wenige Monate später, im November 2010, fragte sich der seinerzeitige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, „was so verwegen an dieser Aussage war“, und forderte, „offen und ohne Verklemmung“ über Militäreinsätze zugunsten wirtschaftlicher Interessen zu diskutieren. Der zu erwartende Aufschrei der Entrüstung blieb jedoch aus, bekanntlich musste zu Guttenberg aus anderen Gründen abtreten.

Sein Nachfolger, Thomas de Maizière, leitete nun eine nochmalige Verschärfung ein.

In den von ihm am 18. Mai 2011 erlassenen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ wird wie selbstverständlich erklärt: „Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können konfliktauslösend wirken. Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, z.B. durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar. Deshalb werden Transport- und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen.“ (S. 4f.)

Schon im Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 (und auch in früheren Dokumenten) fanden sich ähnliche Passagen, allerdings doch in deutlich verklausulierterer Form. Genau deshalb wurden diese Formulierungen auf Zeit Online (18. Mai 2011) in einem Kommentar von Jörg Lau mit folgenden Worten explizit begrüßt: „Das ist eine deutliche Akzentverschiebung. […] Das ist kurz und knapp genau das, was Köhler angedeutet hat. De Maizière in seiner besonnen, ruhigen Art, nimmt man ab, was einen Köhler den Kopf kostet.“
Damit aber nicht genug

In seiner ebenfalls am 18. Mai gehaltenen Rede zur Neuausrichtung der Bundeswehr betonte de Maizière, Deutschland solle Kriege nicht nur für allzu eng verstandene Interessen führen. Der „Einsatz von Soldaten“ könne auch dann erforderlich sein, „wenn keine unmittelbaren Interessen Deutschlands erkennbar sind. Für andere demokratische Nationen ist so etwas längst als Teil internationaler Verantwortung selbstverständlich. Wohlstand erfordert Verantwortung.“

Diese Passage ist als klare Ansage an diejenigen, vor allem an Außenminister Guido Westerwelle, zu verstehen, die eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Libyen abgelehnt hatten: „De Maizière sagt kein einziges Wort zu der Libyen-Entscheidung, aber die Richtlinien und seine Rede sind nach meinem Eindruck eine scharfe Kurskorrektur – oder sagen wir: der Versuch deutlich zu machen, dass Deutschland sich nicht dauerhaft auf den Kurs des Raushaltens um jeden Preis festlegt, für den der Außenminister steht“, so der Kommentar von Jörg Lau.

Doch das Spiderman-Motto „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“ ist, was Bundeswehr-Einsätze anbelangt, keineswegs so altruistisch, wie man gerne glauben machen will. So schreibt etwa Gunther Hellmann in einem Beitrag für die Internationale Politik, nach eigenem Bekunden „Deutschlands führende außenpolitische Zeitschrift“, über die machtpolitischen Hintergründe dieser Verantwortungsrhetorik: „Deutschland, so heißt es, hat ‚Führungsverantwortung‘ zu übernehmen. Eine ‚Kultur der Zurückhaltung‘, wie sie in Bonner Zeiten verstanden wurde, ist mit einer derart gewachsenen außenpolitischen ‚Verantwortung‘ nicht mehr vereinbar, sei es im Kontext der EU oder in Afghanistan. […] Berlin sagt ‚Verantwortung übernehmen‘, meint aber ‚Macht ausüben‘.“

Ganz in diesem Sinne verdeutlichte CDU-Vordenker Karl Lamers schon Anfang der 1990er: „[Die] Teilnahme an internationalen Militäraktionen [ist] eine notwendige Voraussetzung für deutschen Einfluss in der Weltpolitik.“ Die Sichtweise, dass militärische Macht und die Bereitschaft, sie auch einzusetzen, eine Art internationaler Leitwährung darstellen, die gegen Einfluss in sämtlichen anderen wichtigen Bereichen der Weltpolitik eingetauscht werden kann, hat sich in die Köpfe deutscher EntscheidungsträgerInnen tief eingefressen.

Um nur ein weiteres Beispiel für diese Position zu nennen, antwortete etwa der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold auf die Frage, weshalb die Bundeswehr in Afghanistan kämpfe, folgendermaßen: „Wir wollen in den internationalen Gremien mitreden und das bringt Verpflichtungen mit sich. Friedenssicherung, Stabilität und Wahrung von Menschenrechten gehört in unseren Verantwortungsbereich.“

Bündig zusammengefasst: Wer nicht mitkämpft, hat auf der Weltbühne auch nichts mitzureden!

Brandbrief aus dem BMVg

Einsparungen sollten gemäß den offiziell angestellten Überlegungen vor allem über die Reduzierung des Bundeswehr-Personals von gegenwärtig 252.000 SoldatInnen erreicht werden. Hierfür kursierten zwischenzeitlich zahlreiche Modelle, die Endgrößen zwischen 145.000 und 185.000 vorsahen. Vor diesem Hintergrund wurde im April 2010 eine interne Bundeswehr-Studie der Bildzeitung zugespielt, in der mit drastischen Worten gewarnt wurde, die Sparvorgabe erlaube lediglich eine Truppengröße von 158.000 SoldatInnen. Dadurch gehe aber die „Bündnis- und Einsatzfähigkeit absehbar verloren“.

Die Kürzungen würden die Bundeswehr fundamental gefährden, so das BMVg-Papier: „Die ins Auge gefassten Einschnitte werden die Fähigkeiten Deutschlands, mit militärischen Mitteln zur nationalen und internationalen Sicherheitsvorsorge beizutragen, erheblich einschränken. Der deutsche Militärbeitrag wird weder der Rolle Deutschlands im Bündnis entsprechen noch den nationalen Sicherheitsinteressen genügen. Diese Einschränkungen werden auf mittlere Sicht nicht reversibel sein.“

Im Ergebnis könne unter diesen Umständen die Kernaufgabe der Bundeswehr, an mehreren Orten Krieg für deutsche Interessen führen zu können, nicht mehr gewährleistet werden: „Bei den vorgesehenen Eingriffen ins Fähigkeitsprofil […] wird die Unterstützung nur noch in einem Einsatzgebiet durchhaltefähig möglich sein.“

Da die Bundeswehr erklärter weise aber „Verantwortung“ in zahlreichen Kriegen übernehmen soll, ist spätestens seit Veröffentlichung dieser internen Studie von drastischen Einsparungen bei der Bundeswehr keine Rede mehr.

Stattdessen wird in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ betont: „Die Bundeswehr muss die notwendigen finanziellen Mittel erhalten, um einsatzbereite und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem Stellenwert Deutschlands entsprechen.“ (S. 10)

Realsatire Sparzwang

In den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ vom 18. Mai 2001 werden keine Kürzungen im investitiven Bereich angekündigt.

Auch künftig sollen jährlich etwa 5 Milliarden Euro für neue Rüstungsgüter ausgegeben werden. Doch auch bei der Reduzierung des Bundeswehr-Umfangs bewegen sich die Planungen nunmehr am obersten Ende der bislang diskutierten Vorschläge. Laut den „Eckpunkten“ wird „der zukünftige Bundeswehrumfang aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen“.

Gleichzeitig will man die Zahl von gegenwärtig 7.000 gleichzeitig im Ausland einsetzbaren Soldaten erhöhen, worin wohl das wesentliche Ziel der gegenwärtigen Umbaupläne besteht, durch die Hindernisse hierfür beseitigt werden sollen: „Es werden rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten zeitgleich durchhaltefähig für Einsätze verfügbar sein.“

Bedenkt man nun, dass allein schon durch die Aussetzung der Wehrpflicht 30.000 Soldaten wegfallen, sind die Reduzierungspläne alles andere als ambitioniert. Mehr noch: Sie sind absolut unvereinbar mit den Sparvorgaben, da das oben zitierte interne BMVg-Papier ja angibt, hierfür müsste der Truppenumfang auf 158.000 SoldatInnen reduziert werden. Dies ist selbstverständlich auch allen Verantwortlichen wohl bewusst, weshalb sich de Maizière und Schäuble bereits auf diverse Buchungstricks verständigt haben, wie der Tagesspiegel am 6. Juli 2011 berichtete.

Zur Erinnerung: Zu den 81,6 Milliarden Euro, die die Bundesregierung bis 2014 einsparen will, sollte die Bundeswehr laut Beschluss vom Juni 2010 eigentlich 8,3 Milliarden beitragen. Ein erstes Präsent wurde der Truppe noch unter Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg überreicht, indem ihr eine „Fristverlängerung“ bis 2015 genehmigt wurde. „Das klingt nach wenig, führt aber dazu, dass der Verteidigungshaushalt von heute nominal 31,5 Milliarden Euro bis 2015 nur auf 30,4 Milliarden sinkt – die alte Zielmarke 2014 hätte zu nominal 27,6 Milliarden Euro geführt“, so der Tagesspiegel. Allein damit wird der Etat jedoch um 2,6 Milliarden über dem Haushalt von 2006 liegen. Hier von drastischen Einsparungen zu reden, ist, vorsichtig formuliert, gewagt.

Doch es kommt noch besser! Da die Bundeswehr ja durchaus etwas schrumpfen soll, man diese Mitarbeiter aber nicht einfach feuern kann, entstehen hier weitere Kosten. Sie sollen aber nun nicht dem Militärbudget, sondern dem Bundeshaushalt angelastet werden, wie der Tagesspiegel weiter berichtet: „[Schäuble] überweist de Maizière bis 2015 jährlich eine Milliarde. Die Summe schrumpft mit jedem Zivilen, der einen Job im öffentlichen Dienst außerhalb der Bundeswehr findet.

Schäuble hat deshalb im Kabinett eine Regelung durchgesetzt, nach der jedes Bundesressort, das eine neue Stelle schafft, erst einmal im Bundeswehr-‚Überhang‘ nach einem geeigneten Kandidaten suchen muss.“

Wer sich jetzt noch nicht vom Spareifer der Bundeswehr veräppelt fühlt, für den gibt es abschließend noch ein besonderes Schmankerl. Die „Eckpunkte“ legen, wie erwähnt, eine Bundeswehr-Zielgröße von bis zu 185.000 SoldatInnen fest. Diese Zahl setzt sich aus 170.000 Zeit- und Berufssoldaten plus – je nach Erfolg der Rekrutierungsanstrengungen – 5.000 bis 15.000 Freiwilligen zusammen.

Nach Angaben des Tagesspiegels soll der Bundeshaushalt augenscheinlich künftig sogar für die Gehälter aller angeworbenen Freiwilligen aufkommen, die über der Untergrenze liegen: „Diesen Überfluss zahlt ebenfalls Schäuble aus dem allgemeinen Haushalt – rund 2500 Euro im Monat pro Mann oder Frau.“ Eine kurze Nebenrechnung (10.000*2.500*12) ergibt für dieses Geschenk jährliche Kosten von noch einmal 300 Mio. Euro, sollte es der Bundeswehr gelingen, die Maximalzahl an Freiwilligen zu werben. Je erfolgreicher die Bundeswehr demzufolge rekrutiert und dabei größer wird, desto stärker entlastet sie ihren Haushalt, absurder geht es wohl kaum mehr.

Abschließend das Spardrama in Zahlen:

Der Etat der Bundeswehr, der angeblich ein finanzieller Kahlschlag ungeahnten Ausmaßes verordnet wurde, wird sich im Jahr 2015 im Extremfall real auf 31,7 Milliarden Euro belaufen, mehr als heute und fast vier Milliarden über dem Haushalt des Jahres 2006!

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