IMI-Analyse 2011/030 - in: AUSDRUCK (August 2011)

Kostspielige Verantwortungsrhetorik: Der Bundeswehr-Umbau führt zu einer Erhöhung des Rüstungshaushaltes


von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 8. August 2011

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Angeblich erfolge der gegenwärtig in der Feinausplanung befindliche Generealumbau der Bundeswehr vor allem aus einem Grund: um Kosten einzusparen und den Rüstungshaushalt dauerhaft massiv abzusenken – so hieß es jedenfalls von offizieller Seite stets. Doch inzwischen will man davon immer weniger wissen, was angesichts der Überlegungen von Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, welche Aufgaben der Truppe künftig zukommen sollen, auch nicht weiter verwunderlich ist. Spätestens mit den am 18. Mai 2011zeitgleich veröffentlichten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) und den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ ist klar, dass die Sparvorgabe nicht eingehalten werden kann. Schließlich zielt der gesamte Umbau der Bundeswehr vorrangig darauf ab, die Truppe effizienter und nicht notgedrungen billiger zu machen. Aus diesem Grund haben sich Thomas de Maiziere und Finanzminister Wolfgang Schäuble mittlerweile auf zahlreiche Tricks verständigt, die zusammengenommen darauf hinauslaufen, dass der Rüstungsetat im Jahr 2015 sogar noch über dem heutigen Niveau liegen dürfte.

Krieg (nicht nur) für Interessen

Vor dem Hintergrund des gegenwärtig auf den Weg gebrachten Umbaus der Bundeswehr ist es geradezu atemberaubend, wie sich die Debatte, zu welchem Zweck die Truppe in Auslandseinsätze geschickt werden müsse bzw. dürfe, in jüngster Zeit verschoben hat. Noch Ende Mai 2010 hatte der damalige Bundespräsident Horst Köhler seinen Hut nehmen müssen, weil er die Auffassung vertrat, dass ein „militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege.“[1] Wenige Monate später, im November 2010, fragte sich der seinerzeitige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, „was so verwegen an dieser Aussage war“ und forderte „offen und ohne Verklemmung“ über Militäreinsätze zugunsten wirtschaftlicher Interessen zu diskutieren. Der zu erwartende Aufschrei der Entrüstung blieb jedoch aus, bekanntlich musste zu Guttenberg aus anderen Gründen abtreten.[2]

Sein Nachfolger, Thomas de Maiziere, leitete nun eine nochmalige Verschärfung ein. In den von ihm am 18. Mai 2011 erlassenen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ wird wie selbstverständlich erklärt, eine wesentliche Aufgabe sei es, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“[3] Schon im Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 (und auch in früheren Dokumenten) fanden sich ähnliche Passagen, allerdings damals noch deutlich verklausulierter. Genau deshalb wurden diese Formulierungen auf Zeit-Online in einem Kommentar von Jörg Lau mit folgenden Worten explizit begrüßt: „Das ist eine deutliche Akzentverschiebung. […] Das ist kurz und knapp genau das, was Köhler angedeutet hat. De Maizière in seiner besonnenen, ruhigen Art, nimmt man ab, was einen Köhler den Kopf kostet.“[4]

Damit aber nicht genug: In seiner ebenfalls am 18. Mai 2011gehaltenen Rede zur Neuausrichtung der Bundeswehr betonte de Maizière, Deutschland solle Kriege nicht nur für allzu eng verstandene Interessen führen. Der „Einsatz von Soldaten“ könne auch dann erforderlich sein, „wenn keine unmittelbaren Interessen Deutschlands erkennbar sind. Für andere demokratische Nationen ist so etwas längst als Teil internationaler Verantwortung selbstverständlich. Wohlstand erfordert Verantwortung.“[5] Diese Passage ist eine klare Ansage an diejenigen – vor allem an Außenminister Guido Westerwelle -, die eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Libyen abgelehnt hatten: „De Maizière sagt kein einziges Wort zu der Libyen-Entscheidung, aber die Richtlinien und seine Rede sind nach meinem Eindruck eine scharfe Kurskorrektur – oder sagen wir: der Versuch deutlich zu machen, dass Deutschland sich nicht dauerhaft auf den Kurs des Raushaltens um jeden Preis festlegt, für den der Außenminister steht“, so der Kommentar von Jörg Lau.[6]

Doch das Spider-Man-Motto „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“ ist was Bundeswehr-Einsätze anbelangt keineswegs so altruistisch, wie man gerne glauben machen will. So schreibt etwa Gunther Hellmann in einem Beitrag für die Internationale Politik, nach eigenem Bekunden „Deutschlands führende außenpolitische Zeitschrift“, über die machtpolitischen Hintergründe dieser Verantwortungsrhetorik: „Deutschland, so heißt es, hat ‚Führungsverantwortung‘ zu übernehmen. Eine ‚Kultur der Zurückhaltung‘, wie sie in Bonner Zeiten verstanden wurde, ist mit einer derart gewachsenen außenpolitischen ‚Verantwortung‘ nicht mehr vereinbar, sei es im Kontext der EU oder in Afghanistan. […] Berlin sagt ‚Verantwortung übernehmen‘, meint aber ‚Macht ausüben‘.“[7] Ganz in diesem Sinne verdeutlichte CDU-Vordenker Karl Lamers schon Anfang der 1990er: „[Die] Teilnahme an internationalen Militäraktionen [ist] eine notwendige Voraussetzung für deutschen Einfluss in der Weltpolitik.“[8] Die Sichtweise, dass militärische Macht und die Bereitschaft, sie auch einzusetzen, eine Art internationale Leitwährung darstellen, die gegen Einfluss in sämtlichen anderen wichtigen Bereichen der Weltpolitik eingetauscht werden kann, hat sich in die Köpfe deutscher Entscheidungsträger tief eingefressen. Um nur ein weiteres Beispiel für diese Position zu nennen, antwortete etwa der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold auf die Frage, weshalb die Bundeswehr in Afghanistan kämpfe, folgendermaßen: „Wir wollen in den internationalen Gremien mitreden und das bringt Verpflichtungen mit sich. Friedenssicherung, Stabilität und Wahrung von Menschenrechten gehört in unseren Verantwortungsbereich.“[9]

Bündig zusammengefasst: Wer nicht mitkämpft, hat auf der Weltbühne auch nichts mitzureden!

Realsatire Sparzwang

In den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ vom 18. Mai 2011 werden keine Kürzungen im investitiven Bereich angekündigt. Auch künftig sollen jährlich etwa 5 Mrd. Euro für neue Rüstungsgüter ausgegeben werden. Doch auch bei der Reduzierung des Bundeswehr-Umfangs bewegen sich die Planungen nunmehr am obersten Ende der bislang diskutierten Vorschläge, und zwar wohl nicht zuletzt deshalb, weil im April 2010 eine „geheime“ Bundeswehr-Studie an die Öffentlichkeit gelangte. Sie stellte fest, eine Einhaltung der Sparvorgabe würde eine Reduzierung des Truppenumfangs von gegenwärtig 252.000 auf 158.000 Soldaten erfordern und warnte, hierdurch gehe jedoch die „Einsatzfähigkeit absehbar verloren.“[10] Laut den „Eckpunkten“ wird deshalb „der zukünftige Bundeswehrumfang aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen.“ Gleichzeitig will man die Zahl von gegenwärtig 7.000 gleichzeitig im Ausland einsetzbaren Soldaten erhöhen, worin wohl das wesentliche Ziel der gegenwärtigen Umbaupläne besteht, durch die Hindernisse hierfür beseitigt werden sollen: „Es werden rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten zeitgleich durchhaltefähig für Einsätze verfügbar sein.“[11]

Bedenkt man nun, dass allein schon durch die Aussetzung der Wehrpflicht 30.000 Soldaten wegfallen, sind die Reduzierungspläne alles andere als ambitioniert. Mehr noch: sie sind absolut unvereinbar mit den Sparvorgaben, da das oben erwähnte interne BMVg-Papier ja angibt, hierfür müsste der Truppenumfang auf 158.000 Soldaten reduziert werden. Dies ist selbstverständlich auch allen Verantwortlichen wohl bewusst, weshalb sich de Maiziere und Wolfgang Schäuble bereits auf diverse Buchungstricks verständigt haben, wie der Tagesspiegel am 6. Juli 2011 berichtete.

Zur Erinnerung: zu den 81,6 Mrd. Euro, die die Bundesregierung bis 2014 einsparen will, sollte die Bundeswehr laut Beschluss vom Juni 2010 eigentlich 8,3 Mrd. beitragen. Ein erstes Präsent wurde der Truppe noch unter Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg überreicht, indem ihr eine „Fristverlängerung“ bis 2015 genehmigt wurde. „Das klingt nach wenig, führt aber dazu, dass der Verteidigungshaushalt von heute nominal 31,5 Milliarden Euro bis 2015 nur auf 30,4 Milliarden sinkt – die alte Zielmarke 2014 hätte zu nominal 27,6 Milliarden Euro geführt“, so der Tagesspiegel.[12] Allein damit wird der Etat jedoch um 2,6 Milliarden über dem Haushalt von 2006 liegen. Hier von drastischen Einsparungen zu reden, ist, vorsichtig formuliert, gewagt.

Doch es kommt noch besser! Da die Bundeswehr ja durchaus etwas schrumpfen soll, man diese Mitarbeiter aber nicht einfach feuern kann, entstehen hier weitere Kosten. Sie sollen aber nun nicht dem Militärbudget, sondern dem Bundeshaushalt angelastet werden, wie der Tagesspiegel weiter berichtet: „[Schäuble] überweist de Maizière bis 2015 jährlich eine Milliarde. Die Summe schrumpft mit jedem Zivilen, der einen Job im öffentlichen Dienst außerhalb der Bundeswehr findet. Schäuble hat deshalb im Kabinett eine Regelung durchgesetzt, nach der jedes Bundesressort, das eine neue Stelle schafft, erst einmal im Bundeswehr-‚Überhang‘ nach einem geeigneten Kandidaten suchen muss.“[13]

Wer sich jetzt noch nicht vom Spareifer der Bundeswehr veräppelt fühlt, für den gibt es abschließend noch ein besonderes Schmankerl. Die „Eckpunkte“ legen, wie erwähnt, eine Bundeswehr-Zielgröße von bis zu 185.000 Soldaten fest. Diese Zahl setzt sich aus 170.000 Zeit- und Berufssoldaten plus – je nach Erfolg der Rekrutierungsanstrengungen – 5.000 bis 15.000 Freiwilligen zusammen. Nach Angaben des Tagesspiegel soll der Bundeshaushalt augenscheinlich künftig sogar für die Gehälter aller angeworbenen Freiwilligen aufkommen, die über der Untergrenze liegen: „Diesen Überfluss zahlt ebenfalls Schäuble aus dem allgemeinen Haushalt – rund 2500 Euro im Monat pro Mann oder Frau.“[14] Eine kurze Nebenrechnung (10.000x2500x12) ergibt für dieses Geschenk jährliche Kosten von noch einmal 300 Mio. Euro, sollte es der Bundeswehr gelingen, die Maximalzahl an Freiwilligen zu werben. Je erfolgreicher die Bundeswehr demzufolge rekrutiert und dabei größer wird, desto stärker entlastet sie ihren Haushalt, absurder geht es wohl kaum mehr.

Abschließend das Spardrama in Zahlen: Der Etat der Bundeswehr, der angeblich ein finanzieller Kahlschlag ungeahnten Ausmaßes verordnet wurde, wird sich im Jahr 2015 im Extremfall real auf 31,7 Milliarden Euro belaufen, mehr als heute und fast 4 Mrd. über dem Haushalt des Jahres 2006!

Anmerkungen:

[1] Horst Köhler im Gespräch mit Christopher Ricke, Deutschlandradio Kultur, 22.05.2010.

[2] Guttenberg stützt umstrittene Köhler-These, Focus Online, 09.11.2010.

[3] Verteidigungspolitische Richtlinien: Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin, den 18. Mai 2011, S. 4f.

[4] Lau, Jörg: De Maizières Bundeswehrreform und die deutschen Interessen, Zeit Online, 18.05.2011.

[5] „Neuausrichtung der Bundeswehr“: Rede von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, 18.05.2011.

[6] Zeit Online, 18.05.2011.

[7] Hellmann, Gunther: Normativ nachrüsten. Deutschlands neue Rolle in der Welt und wie sie zu gestalten wäre, Internationale Politik (Online), Oktober 2010.

[8] Theiler, Olaf: Die NATO im Umbruch, Baden Baden 2003, S. 284.

[9] Gierlichs, Sylvia: Täglich sterben zehn afghanische Polizisten, Nürtinger-Zeitung, 12.06.2008.

[10] Wagner, Jürgen: Krieg trotz Kassenlage: De Maizieres „Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr“, in: AUSDRUCK (Juni 2011), S. 1-3.

[11] BMVg: Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 18.05.2011.

[12] Ein Buchungstrick, der keiner ist, Tagesspiegel, 06.07.2011: http://www.tagesspiegel.de/politik/ein-buchungstrick-der-keiner-ist/4365820.html

[13] Ebd.

[14] Ebd.