Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2011/039 - in: AUSDRUCK (August 2011)

Brüder im Geiste

Die Sicherheitszusammenarbeit mit dem mexikanischen Folterstaat basiert auf gemeinsamen „Werten“

Peter Clausing (23.07.2011)

https://www.imi-online.de/download/02aug2011_clausing.pdf

Nicht nur in Afrika[1] erweitert die Bundesregierung ihr Engagement in Bezug auf Waffenexporte und Sicherheitszusammenarbeit. Der Export von Rüstungsgütern nach Mexiko explodierte seit der Amtsübernahme des mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón. Laut den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung pendelt das Volumen, das sich zuvor nur im unteren sechsstelligen Euro-Bereich bewegte, seit 2007 zwischen 2,5 und 4,1 Millionen Euro. Dabei ist die vereinbarte Lieferung von zwölf Militärhubschraubern durch den Rüstungsexportbericht nicht einmal erfasst. Ferner geht es um eine verstärkte Zusammenarbeit im Hinblick auf organisierte Kriminalität und Terrorismus. In diesem Rahmen stehen auch Ausbildungs- und Ausstattungshilfen für die Polizei zur Debatte, mit denen bewusst Folter in Kauf genommen, ja unterstützt wird, was kein Zufall ist, wie hier ausgeführt werden soll.

Folterstaat Mexiko: „Perfekte Diktatur“

Im Gegensatz zu offen repressiven Systemen wie Saudi-Arabien und Senegal, wo Deutschland ebenfalls Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für die Polizei zur Verfügung stellt[2], arbeitet die „perfekte Diktatur“, als die Mexiko von dem Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa einst bezeichnet wurde, intensiv und kontinuierlich daran, sich ein demokratisches Image zu geben. Mexiko gehört oftmals zu den ersten Staaten, die ein internationales Abkommen ratifizieren, nur um dieses dann mit jahrzehntelanger Verzögerung und dann nur scheibchenweise umzusetzen. Im vorliegenden Kontext betrifft das die seit 1987 gültige Internationale Konvention gegen Folter, die von Mexiko bereits im Jahr 1986 ratifiziert wurde. An der Realität des mexikanischen „Sicherheitsalltags“ änderte sich deshalb nichts.

Navi Pillay, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, drückte auf einer Pressekonferenz am 8. Juli 2011 ihre Besorgnis über die steigende Zahl von Menschenrechtsverletzungen durch mexikanische Sicherheitskräfte aus.[3] Sie forderte ein Ende der Folter. Sara Méndez von der auf die Betreuung von Folteropfern spezialisierten Menschenrechtsorganisation Codigo DH verwies erst kürzlich auf die von regionalen und internationalen Organisationen dokumentierte systematische grausame Praxis mexikanischer Sicherheitskräfte. Allein im Bundesstaat Oaxaca ist eine Klage von 30 Folterüberlebenden gegen die Behörden anhängig, die seit fast fünf Jahren verschleppt wird.[4] Die Diskrepanz, die sich aus dieser Zustandsbeschreibung und dem Eingeständnis der mexikanischen Außenministerin, Patricia Espinosa, ergibt, dass es in Einzelfällen Folter durch mexikanische Sicherheitskräfte gäbe[5], ist die eine Seite. Doch dieses Statement wird von der Tatsache Lügen gestraft, dass unter Folter erzwungene Geständnisse von mexikanischen Gerichten nach wie vor als Beweismittel anerkannt werden. Eine weitere Veranschaulichung der Verfasstheit des mexikanischen Staates in Bezug auf die Menschenrechte ist das öffentliche Bekenntnis des Ex-Brigadegenerals Carlos Villa Castillo, jetzt „Sicherheitschef des Bundesstaates Quintana Roo“, zur Durchführung extralegaler Hinrichtungen[6], ohne dass daraus juristische Konsequenzen für ihn erwuchsen.

Folgerichtig bezeichnete die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, ein Netzwerk von 14 Organisationen, in ihrem Brief an den deutschen Außenminister vom 1. Juli 2011 es als „völlig unangebracht“, dass Mexiko ein Sicherheitsabkommen angeboten wird.[7] Es sei verfehlt, die aktuelle Verbrechensbekämpfungsstrategie der mexikanischen Regierung zu unterstützen und eine Polizei zu stärken, die bekanntermaßen korrupt und zu erheblichen Teilen im Sold der Drogenkartelle stehe. Nach Auskunft des Parlamentarischen Staatssekretärs Ole Schröder geht es aber um mehr als nur Ausbildungshilfe für mexikanische Polizisten. Auf der Basis des „mit Mexiko geteilten Werteverständnisses“ ist der Austausch von Informationen und die operative Zusammenarbeit mit Hilfe personeller und materieller Unterstützung vorgesehen. Ferner ist ein Austausch von Fachleuten zur gegenseitigen Information über Techniken und Methoden der Kriminalitätsbekämpfung beabsichtigt.[8]

Folter: Deutscher Rechtferigungsdiskurs

Eingedenk der in Mexiko herrschenden Zustände und der Bezugnahme auf ein gemeinsames Werteverständnis erscheint es wichtig, die gelegentlich durchschimmernden Wertvorstellungen von deutschen Politikern, Beamten und ihren Vordenkern näher unter die Lupe zu nehmen. Zu den Vordenkern gehören Straf- und Staatsrechtsprofessoren wie Winfried Brugger, Otto Depenheuer, Günther Jakobs und Reinhard Merkel.[9] Von diesen wurden präventive Sicherheitsverwahrung und „rechtsstaatlich domestizierte“ Folter propagiert (Depenheuer), der Euphemismus „Rettungsfolter“ geprägt (Merkel), ein spezielles „Feindstrafrecht“ erdacht (Jakobs) oder mit fiktiven Horrorszenarien die Überschreitung rechtsstaatlicher Normen salonfähig gemacht (Brugger). Folter wurde schon früher angewendet und nach Bekanntwerden gerechtfertigt, vor allem in Bezug auf die RAF und die Bewegung 2. Juni. Der aktuelle Folterdiskurs ist jedoch durch einen wesentlichen Unterschied charakterisiert: „Seit dem 11. September und dem ‚Fall Daschner’ wird Folter immer öfter offensiv begründet und gerechtfertigt. Und sie wurde durch die Bilder von Guantanamo und Abu Ghraib vor aller Augen in Szene gesetzt. In dieser Normalisierung von Folter und Krieg sehen wir eine grundlegende Verschiebung im Koordinatensystem der bürgerlich-imperialistischen Demokratie“, heißt es in einer Erklärung von Libertad![10] In seinem Buch „Selbstbehauptung des Rechtsstaates landet Depenheuer „prompt bei Carl Schmitt, dem autoritären Juristen, der die Weimarer Republik mit hinüberargumentierte ins ‚Dritte Reich’“.[11]

Wenn dies nur die akademischen Hirngespinste rechtsextremer Akademiker wären, könnte man dies vielleicht als Marginalie abtun. Das ändert sich schlagartig, wenn sich solcher Art Gedankengut als Referenzpunkt für deutsche Spitzenpolitiker erweist. In einem Interview mit der ZEIT verweigerte Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, im Juli 2007 eine direkte Antwort auf die Frage, ob der Rechtsstaat im Kampf gegen den Terrorismus gegebenenfalls über seine Grenzen hinausgehen müsse. Stattdessen riet er zur Lektüre des Schmitt-Apologeten Depenheuer.[12] Dabei lesen sich Depenheuers Betrachtungen wie eine maßgeschneiderte Rechtfertigung für die in Calderóns „Krieg gegen den Drogenhandel“ stattfindenden Menschenrechtsverletzungen, der inzwischen über 40.000 Menschenleben gekostet hat: „Normalität ist die Bedingung jeder Rechtsgeltung – die Ausnahme als partielle Durchbrechung der Normalität entzieht der Rechtsgeltung ihre normale Grundlage.“[13]

Doch die Indizien für eine institutionelle Sinnverwandtschaft zwischen Deutschland und Mexiko reichen noch weiter. Eingangs war die Rede davon, dass Mexiko schnell dabei ist, internationale Abkommen zu ratifizieren, sie dann aber nicht oder bestenfalls kosmetisch zu implementieren. Eine bemerkenswerte Parallele ist für Deutschland genau in dem Bereich zu verzeichnen, in dem es Mexiko „demokratisch“ auf die Sprünge helfen will. Einem im Juli 2010 veröffentlichten Bericht von Amnesty International ist zu entnehmen, dass Deutschland 2008 zwar das Fakultativprotokoll zur Antifolter-Konvention unterzeichnet hat, die laut Artikel 19 geforderte Einführung eines nationalen Präventivmechanismus jedoch praktisch unterläuft: Für die im Rahmen dieses Präventivmechanismus geforderte Überprüfung sämtlicher bundesdeutscher Haftanstalten und Polizeigefängnisse stehen eine einzige hauptamtliche und fünf ehrenamtlich tätige MitarbeiterInnen zur Verfügung. „Dieser Mechanismus ist offensichtlich nicht geeignet, eine landesweite Überprüfung aller Orte der Freiheitsentziehung zu gewährleisten. Die Umsetzung des Fakultativprotokolls zur Antifolterkonvention (OPCAT) ist in dieser Form kontraproduktiv, weil das Problem von Folter und Misshandlung in Gewahrsam so nicht ernst genommen und anderen Staaten damit ein schlechtes Beispiel geliefert wird“, schlussfolgert der UN-Sonderberichterstatter für Folter.[14]

Was ist also zu erwarten von dieser zwischen Deutschland und Mexiko angestrebten „operative[n] Zusammenarbeit durch aufeinander abgestimmte polizeiliche Maßnahmen, … gegebenenfalls mithilfe personeller/materieller Unterstützung“ und der „Entsendung und Austausch von Fachleuten zur gegenseitigen Information über Techniken und Methoden der Kriminalitätsbekämpfung…“?[15] Im harmlosesten Fall stellt eine solche Zusammenarbeit die außenpolitische Legitimierung gravierender Menschenrechtsverletzungen durch mexikanische Sicherheitskräfte dar, im schlimmeren Fall eine Komplizenschaft mit diesen. Auf jeden Fall sind diese Bemühungen Teil eines globalen Konzepts, gesellschaftliche Krisen mit repressiven Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen, anstatt sie einer kausalen Lösung zuzuführen.

Anmerkungen:

[1] Marischka, C.: „Peacekeeping“ – Vorwand zur Aufrüstung Afrikas. IMI-Analyse 2011/028; https://www.imi-online.de/2011.php?id=2322

[2] Weller, M. und Poggendorf, S.: Heikles Know-How aus Deutschland für Saudi-Arabien (ARD-Sendung vom 30.5.2011); www.mdr.de/fakt/download2808-download.pdf

[3] Press Conference by UN High Commissioner for Human Rights, Navi Pillay Mexico City, 8. Juli 2011; reliefweb.int/node/424876/pdf

[4] Gerber, P.: Persönliche Mitteilung.

[5] Botschaft Mexiko-Stadt, 19. Juli 2011; http://www.mexiko.diplo.de/contentblob/2463298/Daten/1460791

[6] Martínez, S.: Si agarro a un zeta lo mato; ¿para qué interrogarlo?: jefe policiaco; La Jornada v. 13.3.2011; http://www.jornada.unam.mx/2011/03/13/index.php?section=politica&article=007n1pol

[7] Offener Brief der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko an Bundesaußenminister Westerwelle, 1. Juli 2011; http://www.mexiko-koordination.de/de/ressourcen/doc_view/104-briefwesterwelle-.raw?tmpl=component

[8] Drucksache 17/5733, Frage 48; http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17107.pdf

[9] Denn sie wissen, was sie tun. Junge Welt v. 26.10.2010; http://www.jungewelt.de/2010/10-26/016.php

[10] Denn sie wissen, was sie tun, a.a.O.

[11] Hofmann, G.: Schäubles Nachtlektüre. ZEIT Online v. 09.08.2007; http://www.zeit.de/2007/33/Schaeubles_Nachtlektuere

[12] DIE ZEIT Nr.30 vom 19.07.2007; http://www.zeit.de/2007/30/Das_Klima_ist_nervoeser

[13] Hofmann, a.a.O.

[14] Amnesty International: Täter unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland, S. 13-14. Juli 2010; http://www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Polizeibericht-internet.pdf

[15] Drucksache 17/5733, Frage 48, a.a.O.

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