Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2011/026 - in: Telepolis, 4.7.2011

Deutsche Beteiligung an zweifelhaften EU-Missionen in der Demokratischen Republik Kongo

Interessen Frankreichs und des Nuklearkonzerns Areva haben im Kongo und in Niger Vorrang

Christoph Marischka (06.07.2011)

Seit Mai 2005 führt die Europäische Union mit deutscher Beteiligung in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) zwei Missionen zur „Reform des Sicherheitssektors“ durch. Zu den Aufgaben der Mission EUPOL RDC[1] gehört u.a. die Ausbildung und Ausstattung kongolesischer Polizeieinheiten. Bevor diese Mission zuletzt im September 2010 vom Rat der Europäischen Union um ein Jahr verlängert wurde, legte der Ausschuss für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) einen Operationsplan vor, der zu großen Teilen der Geheimhaltung unterliegt.

In den öffentlich einsehbaren Teilen des Dokuments findet sich jedoch die Feststellung[2], dass „die Tatsache weiterhin allgemein anerkannt wird, dass die Armee und in geringerem Ausmaß auch die Polizei für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind“.

Zu einem ähnlich vernichtenden Urteil kam auch das Europäische Parlament (EP) in einer Entschließung[3] vom Oktober 2010 „zum Versagen bei der Verteidigung der Menschenrechte und der Gerechtigkeit in der Demokratischen Republik Kongo“. Darin heißt es u.a., „dass die systematischen Vergewaltigungen … auch von der regulären Armee der Demokratischen Republik Kongo im Rahmen der taktischen Kriegsführung eingesetzt werden, um Schrecken zu verbreiten und ihre militärischen und wirtschaftlichen Ziele durchzusetzen“ und „im vergangenen Jahr eine zunehmende Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionsführern, Opfern und Zeugen in der Demokratischen Republik Kongo einschließlich Tötungen, rechtswidriger Verhaftungen, Verfolgungen, Drohanrufen und wiederholten Vorladens bei den Geheimdienststellen“ zu beobachten sei.

Angesichts dieser Bilanz überraschen jedoch die Schlussfolgerungen des EP, wonach „die kongolesische Armee noch immer nicht über ausreichende personelle, technische und finanzielle Mittel verfügt, um ihre Aufgaben in den östlichen Provinzen der Demokratischen Republik Kongo zu erfüllen“ und deshalb die „Wirksamkeit“ der EU-Missionen im Land verbessert werden müsste.

Eine ähnliche Strategie, einfach so weiterzumachen, wie bisher, obwohl alles schief läuft, vertreten auch die im Bundestag vertretenen Parteien von Schwarz bis Grün, die sich bisher stets für eine Verlängerung beider Missionen ausgesprochen haben – obwohl davon auszugehen ist, dass sie nicht wirklich wissen, was die deutschen Soldaten und Polizisten in dem riesigen zentralafrikanischen Land überhaupt genau machen.

Die Fraktion der Linken hingegen ist hinsichtlich der Polizei- und Militärhilfe für autoritäre Regime insbesondere nach den Erfahrungen in Nordafrika skeptisch und hat einer Reihe parlamentarischer Anfragen eingebracht. In ihren Antworten hält sich die Bundesregierung zwar bedeckt und scheint sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. immerhin wurde so jedoch öffentlich, dass im Rahmen der EU-Missionen auch Waffen geliefert wurden – die fortgesetzte Rekrutierung von Kindersoldaten durch die Streitkräfte der Regierung konnte jedoch offensichtlich nicht unterbunden werden.

Militärhilfe

Die Mission EUSEC[4], in deren Rahmen europäische Militärs den Entscheidungsträgern innerhalb der kongolesischen Streitkräfte beratend zur Seite stehen, wird von der Bundesregierung v.a. dafür gelobt[5], dass sie „seit Juni 2005 erfolgreich zu einer Verwaltungsreform, insbesondere zur Sicherung regelmäßiger Soldzahlungen an Armeeangehörige und zur Einführung eines biometrischen Zensus“ beigetragen hätte.

Dies soll nach Auskunft der Bundesregierung vom September 2010 u.a. dazu beigetragen haben, dass durch die kongolesische Armee keine Kindersoldaten rekrutiert würden. Dies entspricht offensichtlich nicht der Wahrheit, denn in der nahezu gleichzeitig verabschiedeten Entschließung des EP wurde festgestellt, „dass es im Osten der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor Vergewaltigungen, Zwangsrekrutierungen von Zivilpersonen und Kindersoldaten“ auch durch die „kongolesischen Armee selbst gibt“. Im Dezember 2010 meldete[6] Human Rights Watch sogar eine dramatische Zunahme der Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten unter dem General Bosco Ntaganda, der in den kongolesischen Streitkräften eine führende Rolle spielt, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt.

Auch die vermeintlichen Erfolge bei der Besoldung müssen in Frage gestellt werden. So berichtete[7] etwa die Hans-Seidel-Stiftung in ihrem Quartalsbericht April bis Juni 2010 über die DRC, dass die Nationale Polizei und die Armee „seit Monaten nicht mehr bezahlt“ wurden. Dies berge „ein großes Sicherheitsrisiko für die lokale Bevölkerung… vor allem auch vor dem Hintergrund, dass … in der Stadt Kinshasa …. vermehrt mit neuen Waffen ausgestattete Soldaten und Polizisten unterwegs sind“.

Rüsten für die Wahlen

Diese neuen Waffen wurden der kongolesischen Polizei u.a. im Rahmen der EUPOL-Mission von der EU zur Verfügung gestellt. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hin räumte[8] die Bundesregierung ein, dass die „integrierte Polizeieinheit, die zwischen 2005 und 2007 von der Mission EUPOL Kinshasa ausgebildet wurde, … aus Mitteln … der EU-Kommission eine individuelle Ausrüstung zur Bekämpfung von Ausschreitungen bestehend aus Schutzschilden, Helmen, Schlagstöcken und Tränengas sowie Maschinenpistolen der Marke UZI“ erhalten habe.

Diese integrierten Polizeieinheiten seien mittlerweile aufgelöst worden und in die „schnelle Eingreiftruppe der Polizei“ (Police d’Intervention Rapide“, PIR) aufgegangen, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine erneute Anfrage der Linksfraktion. Der Ausbau dieser Art von Polizei scheint gegenwärtig im Mittelpunkt der EUPOL-Aktivitäten zu stehen. Denn auch die Bundesregierung sieht angesichts der für November geplanten Wahlen einen „gesteigerten Bedarf an Ausbildung und Ausrüstung“ der Polizei, da es insbesondere in der Hauptstadt Kinshasa und im Osten des Landes zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen könnte und „die kongolesische Polizei … häufig schlecht ausgebildet und ausgerüstet [ist], gerade im Umgang mit Menschenansammlungen und Demonstrationen“.

Deshalb hat die EU auf eine Bitte des Generalinspekteurs der kongolesischen Nationalpolizei reagiert und 2 Millionen Euro aus dem „Europäischen Instrument für Stabilität“ bereitgestellt, um die PIR mit Funkgeräten auszustatten. Zudem war EUPOL an der „Erstellung einer Lageanalyse und der Projekterarbeitung sowie -durchführung“ einer französischen Initiative zur Ausbildung und Ausrüstung der PIR beteiligt. Auch die Ausbildung von sechs Polizeieinheiten der PIR durch die UN-Mission MONUSCO wird von EUPOL unterstützt.

Beide Projekte stehen auch nach offiziellen Angaben in unmittelbarem Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen und haben ihre Schwerpunkte dort, wo am ehesten mit Ausschreitungen gerechnet wird – d.h. dort, wo eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Kabila, die nach einer von ihm durchgesetzten Verfassungsänderung so gut wie sicher ist, Proteste auslösen könnte.

Menschenrechte und Investitionsbedingungen

Bemerkenswert an der jüngsten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zur DRC ist deren Begründung für die anhaltende Unterstützung der kongolesischen „Sicherheitskräfte“: Die Menschenrechtslage sei „schlecht“, die Menschenrechtsbilanz der Polizei ließe „Raum für Verbesserungen“. Deshalb lege die EUPOL-Mission bei ihrer Beratungstätigkeit „einen Schwerpunkt auf verhältnismäßigen Mitteleinsatz“. Dies solle „den nicht erforderlichen Gebrauch von Schusswaffen durch kongolesische Sicherheitskräfte eindämmen“:

Die kongolesischen Sicherheitskräfte sich selbst zu überlassen, erscheint der Bundesregierung in der gegenwärtigen Lage nicht als taugliches Mittel, um die Lage zu verbessern.

Dass die paradoxe Strategie, diejenigen mit Waffen auszurüsten, die für die meisten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, um die Menschenrechtslage zu verbessern, nicht aufgeht, sollte kaum verwundern. Das Perfide daran ist jedoch, dass das eigene Scheitern stets als Begründung für das Weitermachen herhalten kann: je schlechter die Menschenrechtslage, desto höher der Bedarf an „Unterstützung“.

Dabei versuchen sich Bundesregierung und EU zunehmend gegen Kritik zu immunisieren. Hat die EU zu Beginn der Missionen im Kongo noch selbst Schusswaffen geliefert, so beschränkt sie sich heute auf Ausbildung und Ausrüstung mit weniger letalen Waffen, die Erstellung von Lageanalysen und die Koordination bilateraler Projekte. So werden die PIR direkt von Frankreich, die kongolesische Armee vorwiegend von Belgien mit Waffen ausgestattet – stets aber in Absprache mit den EU-Missionen.

Wenn dann die so ausgerüsteten Soldaten und Polizisten wieder Massaker anrichten, kann man sich auf die lediglich „beratende“ Funktion und die fehlenden „direkten Eingriffsbefugnisse“ berufen. So behauptet etwa die Bundesregierung, „keine detaillierten Erkenntnisse“, auch nicht über mögliche Todesopfer, über einen massiven Polizeieinsatz gegen die Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Vital Kamerhe bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2010 in Goma zu haben. Angehörige der ebenfalls in Goma stationierten EUPOL seien nicht anwesend gewesen und man wüsste auch nicht, ob von EUPOL ausgebildete Polizeieinheiten beteiligt gewesen seien, so lautete seinerzeit die lapidare Antwort[9] der Bundesregierung auf eine Mündliche Frage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen.

Das schürt natürlich weiter den Verdacht, dass es bei den EU-Missionen mitnichten um – wenn auch verfehlte – Bemühungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage geht, sondern dass die Menschenrechte auch am Kongo nur als Vorwand genutzt werden, um autoritäre Regime an sich zu binden und für gute Geschäftsbeziehungen zu sorgen.

Auch hierauf findet sich ein Hinweis in der Antwort der Bundesregierung auf die jüngste Kleine Anfrage, wonach „[d]ie Verbesserung von Rechtstaatlichkeit und Investitionsbedingungen, der Aufbau staatlicher Fähigkeiten zur Bereitstellung grundlegender staatlicher Leistungen … wichtige Grundlagen für eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland“ seien. Entsprechen weist die Bundesregierung auch Vorschläge zurück, etwa nach US-amerikanischem Vorbild die militärische Unterstützung ausländischer Armeen, in denen Minderjährige in Regierungsstreitkräften dienen, gesetzlich auszuschließen oder den Export von Waffen und Polizeiausrüstung in die DRC effektiv zu unterbinden. Beide Maßnahmen erscheinen der Bundesregierung „nicht geeignet“ – um die Menschenrechtslage zu verbessern, oder die Investitionsbedingungen?

Uran-Deal

Allerdings bleibt zweifelhaft, ob Deutschland mit seiner Beteiligung an den EU-Missionen seiner Wirtschaft einen ernsthaften Gefallen tut. Denn, wie gesagt, wird ein Großteil der Waffen bilateral, insbesondere von Frankreich und Belgien, geliefert und die Europäische Union – wie in vielen anderen afrikanischen Ländern auch – zunehmend als verlängerter Arm der französischen Außenpolitik wahrgenommen, die auch tatsächlich die treibende Kraft hinter dem europäischen Engagement am Kongo war und ist.

Den einzigen erkennbaren Profit konnte bislang auch der französische Konzern Areva, Weltmarktführer für Nukleartechnik und fast vollständig im Besitz des französischen Staates, aus der Unterstützung für den kongolesischen Autokraten Kabila ziehen. Dessen ehemalige Vorstandsvorsitzende Anne Lauvergeon, vom Forbes Magazine als eine der zehn „mächtigsten Frauen der Welt“ geführt, hatte den französischen Staatspräsidenten Sarkozy 2009 bei einem Staatsbesuch in der DRC begleitet und umfangreiche Kooperationsverträge unterzeichnet.

Nach Angaben[10] des Ökumenische Netz Zentralafrika (ÖNZ) steht der Konzern seitdem „mit dem kongolesischen Minenminister Martin Kabwelu in direkten Verhandlungen über die Sichtung und Gewinnung“ von Uranbeständen in der Region. Dass Uran – obwohl fast überall auf dem Globus vorhanden – v.a. in Konfliktgebieten und so genannten „indigenen Siedlungsgebieten“ abgebaut wird, hat durchaus seine Gründe, denn Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtliche Standards lassen sich bei der Gewinnung des gefährlichen Rohstoffs schlicht nicht einhalten, jedenfalls nicht bei der profitablen Gewinnung.

Arevas enge Verbindungen zur französischen Außenpolitik haben sich deshalb bereits in der Vergangenheit bewährt. Einen Großteil des vom Konzern vertriebenen Urans gewinnt dieser bislang im nördlichen Niger (Schmutziges Uran[11]). Auch hier war die französische Armee zur Stelle, um die Interessen Arevas abzusichern. Sie unterstützt den Aufbau der nigrinischen Sicherheitskräfte und führt auch gelegentlich selbst Luftschläge gegen mutmaßliche „Lager von Aufständischen“ oder „Terroristencamps“ durch (Al-Qaida und der Uran-Boom in Afrika[12]).

Gegenwärtig wird von der EU zudem im Rahmen ihrer „Sahel-Strategie“ ein weiteres, fast 1 Milliarde Euro umfassendes Paket[13] geschnürt, mit dem v.a. der „Kapazitätsaufbau“ zur „Bereitstellung von Sicherheit“ im Niger und dessen Nachbarstaaten „unterstützt“ werden soll (). Bereits heute jedoch ist die Region umfassend militarisiert, wie der Sicherheitsbeauftragte von AREVA, Benoît de Rambures, gegenüber dem Deutschlandfunk bereitwillig zum Ausdruck bringt[14]:

Die Armee von Niger hat den Norden des Landes völlig unter Kontrolle. Und nördlich davon kontrolliert Algerien. Die Armee unseres Nachbarlandes geht dabei sehr konsequent vor. Im Norden von Niger ist die Militärpräsenz ausgesprochen stark. Das ist eine Folge des Tuareg-Aufstandes: Die Truppen, die hier zusätzlich zusammengezogen worden waren, sind noch immer vor Ort. Wir befinden uns also in einem sehr gut gesicherten Gebiet.

Auf Kleine Anfragen der Grünen und Linken, woher Deutschland das für die Atomkraftwerke benötigte Uran beziehe, erklärte[15] die Bundesregierung, es käme überwiegend aus Frankreich und Großbritannien, woher diese Länder das Uran beziehen, wisse man nicht und brauche man auch nicht zu wissen.

Anhang

Links
[1] http://www.eupol-rdc.eu/
[2] http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/10/st13/st13159-ex01.en10.pdf
[3] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2010-0350&language=DE&ring=P7-RC-2010-0524
[4] http://www.consilium.europa.eu/showpage.aspx?id=909è=EN
[5] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/028/1702894.pdf
[6] http://www.hrw.org/en/news/2010/12/20/dr-congo-rogue-leaders-rebels-forcibly-recruit-youth
[7] http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Kongo_QB_2010-II.pdf
[8] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/028/1702894.pdf
[9] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/045/1704587.pdf
[10] http://www.oenz.de/fileadmin/users/oenz/PDF/Newsletter/Newsletter_2010/newsletter_04_2010_final.pdf
[11] http://www.heise.de/tp/artikel/33/33350/1.html
[12] http://www.heise.de/tp/artikel/33/33379/1.html
[13] http://www.euo.dk/upload/application/pdf/f180e1ed/SEC(2011)331.pdf
[14] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1311349/
[15] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/060/1706037.pdf

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