IMI-Standpunkt 2011/020 - in: AUSDRUCK (April 2011)

Eigene, zivil-militärische Katastrophenabwehr der EU


von: Matthias Monroy | Veröffentlicht am: 8. April 2011

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Am 26. Oktober 2010 gab die Europäische Kommission die Mitteilung „Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr: die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe“ heraus, die als ein „erster Baustein in den umfassenden Bemühungen um eine verstärkte EU-Katastrophenabwehr“ präsentiert wurde. Bereits 2007 wurde eine Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz verabschiedet. Laut Kommission seien andere Maßnahmen „sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU“ längst angelaufen.

Im Kern geht es in der aktuellen Mitteilung um Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten und der Kommission, die als „Mehrwert“ gegenüber nationalen Instrumenten bezeichnet werden und sich in verschiedenen Einsätzen 2010 bewährt hätten.
Da die Häufigkeit von Katastrophen zunehme, müssten erweiterte „Katastrophenabwehrkapazitäten“ der EU künftig stärker beansprucht werden. Diese sollen demnach „leistungsfähiger, kohärenter und stärker integriert“ sein.
Als Ziel wird ausgegeben, zur Handhabung von Katastrophen die „am besten geeigneten Instrumente zu ermitteln und einzusetzen“. Zwar soll auf den vorhandenen Infrastrukturen und Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten aufgebaut werden. Nebulös wird jedoch formuliert, dass „kritischen ‚Lücken‘ und Engpässen Rechnung getragen“ würde – die EU also womöglich eigene Kapazitäten entwickelt, um die „Lücken“ zu füllen.
Sofern es sich um Katastrophen innerhalb der EU handelt, werden sie von der Kommission als einer von fünf Schwerpunkten der 2010 verabschiedeten „EU-Strategie der inneren Sicherheit“ mit insgesamt 41 Maßnahmen betrachtet.
Bereits die ersten beiden Seiten des Kommissionspapiers illustrieren die Brisanz der neuen Offensive: Die Ineinssetzung von „Krisen“ und „Katastrophen“, die vom gleichen neuen Instrument gehandhabt werden sollen und mithin einen weiteren Schritt in Richtung zivil-militärischer Zusammenarbeit darstellen. Die Initiative zur „verstärkten europäischen Katastrophenabwehr“ geht zurück auf einen Bericht des damaligen Sonderbeauftragten von Kommissionspräsident Barroso und heutigen Kommissars für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Michel Barnier. Die 2006 erstellte Studie „Für eine europäische Katastrophenschutztruppe“ plädiert für die Schaffung einer neuen EU-Einheit zur Krisenbewältigung. Barnier, ehemaliger französischer Außenminister, verfolgt einen „integrierten“ Ansatz: „Die Vorbereitung von Reaktionen auf eine Krise betrifft alle Arten von Krisen, ob es sich um Reaktionen auf Naturkatastrophen oder um Krisenprävention handelt; dabei kommen eine Reihe von horizontalen und sektoralen Maßnahmen zum Einsatz.“
Ein Konflikt liegt demnach vor, wenn „ von mindestens einer Konfliktpartei sporadisch Gewalt eingesetzt wird“. Vorgesehen ist die enge Verzahnung mit den militärischen Kapazitäten der EU: „In den Krisenszenarien und Protokollen ist auch die Ergänzung durch militärische Hilfsmittel systematisch zu prüfen“. Die Kommissionsmitteilung nimmt hierzu jedoch die Einschränkung „Naturkatastrophen und von Menschen verursachte Katastrophen außer bewaffneten Konflikten“ vor.
Hintergrund der neuen Offensive ist der Lissabonner Vertrag, der in der Interpretation der Kommission die Möglichkeit zum „Aufbau leistungsfähigerer, umfassenderer und effizienterer Krisenabwehrkapazitäten“ vorsieht. Hierzu entwickelte zukünftige Instrumente sollen dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) angegliedert werden. Damit würden die „Kohärenz zwischen der Katastrophenabwehr einerseits und möglichen politischen und sicherheitspolitischen Elementen der allgemeinen Krisenreaktion der EU andererseits“ bestens berücksichtigt. Auch hier wird der militärische Charakter deutlich, wenn Katastrophenhilfe unter außen- und sicherheitspolitischen Interessen ausgestaltet werden soll.
Die „Mitteilung zur verstärkten europäischen Katastrophenabwehr“ berührt den sensiblen Bereich der „Solidaritätsklausel“ (Artikel 222 AEV), dessen praktische Bedeutung bzw. Auslegung immer noch nicht abschließend geklärt ist und bald geregelt werden soll. Zur Debatte stehen auch militärische„Hilfeleistungen“ gegen „terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten“ inklusive des Schutzes ihrer „demokratischen Institutionen und [der] Zivilbevölkerung“. Soweit möglich, setzt dies ein Ersuchen der noch vorhandenen „politischen Organe“ voraus.
Die Kommission und die Hohe Vertreterin wollen für die Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“ dieses Jahr einen „Vorschlag für die Modalitäten zur Umsetzung der Solidaritätsklausel“ vorlegen. Fraglich ist bislang etwa, welche Kompetenzen sich hieraus für die EU bzw. ihre Mitgliedsstaaten ergeben, wo eine etwaige Entscheidung zur innereuropäischen Intervention getroffen wird und was unter „alle[n] ihr zur Verfügung stehenden Mitteln“ zu verstehen ist.
In der Mitteilung der Kommission wird angeregt, die Lagezentren der Krisenstellen für humanitäre Hilfe (ECHO) und des Beobachtungs- und Informationszentrums (MIC) zu einem „Notfallabwehrzentrum“ zusammenzulegen und dem neuen Gebilde die „Koordinierung der zivilen EU-Katastrophenabwehr“ zu übertragen. Das MIC übernimmt bislang für Hilfseinsätze von Katastrophenschutzkräften im Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens die Rolle einer Koordinierungszentrale. Zu den neuen zentralen Aufgaben des „Notfallabwehrzentrums“ sollen die Gefahrenüberwachung und Frühwarnung, aber auch die Koordinierung der zivilen Katastrophenabwehr der EU gehören. Anvisiert wird eine „Stärkung der Widerstandskraft Europas gegenüber Katastrophen“. Hierzu soll eine „integrierte Überwachungskapazität“ aufgebaut werden, die sich unter anderem auf Satellitenaufklärung stützt.

Informationen und Analysen werden sowohl mit dem Europäischen Auswärtigen Diensts wie auch dem geheimdienstlichen Lagezentrum (SitCen) in Brüssel getauscht. Sofern ein Einsatz militärischer EU-Mittel „erwogen wird“, soll mit den „Krisenbewältigungsstrukturen“ des EAD zusammengearbeitet werden. Auch in ruhigeren Zeiten soll das Zentrum als Verbindungsstelle zu „relevanten Teilen“ des EAD fungieren, „insbesondere bei GASP oder ESVP-Missionen in Drittländern“.