IMI-Standpunkt 2010/045 - in: Neues Deutschland, 10.11.2010

Propaganda für die Streitkräfte

Mit dem Strategiespiel POL&IS versucht die Bundeswehr, Nachwuchs zu werben

von: Markus Pflüger | Veröffentlicht am: 10. November 2010

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Das Simulationsspiel POL&IS (= Politik & Internationale Sicherheit), das
Jugendoffiziere der Bundeswehr vor allem mit Schülern spielen, wird von
Friedensgruppen stark kritisiert. Im Oktober stellte sich die Bundeswehr
damit zum ersten Mal seinen Kritikern: 31 Friedensaktivisten fuhren in
die Bundeswehr-Seminarstätte im sauerländischen Winterberg, um mit
Jugendoffizieren POL&IS zu spielen. Ein Erfahrungsbericht.

Es war eine ziemlich bunte Gruppe aus der Friedensbewegung, die ins
Sauerland fuhr: Mitglieder unabhängiger Friedensorganisationen wie der
Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und der Informationsstelle
Militarisierung (IMI), Personen aus Friedensdiensten, kirchliche
Friedensaktivisten, Schüler- und Gewerkschaftsvertreter. In den drei
Tagen, die so ein Spiel dauert, wurden sie Regierungschefs,
Wirtschaftsminister, UN-Generalsekretärin, die Weltpresse oder
Nichtregierungsorganisationen. Wir fuhren in der Hoffnung, durch unsere
Teilnahme neue Erkenntnisse für unser friedenspolitisches und
pädagogisches Engagement zu bekommen.

»Polis heißt: Realitätsnah ein paar Tage Weltpolitik zu spielen«, sagt
ein Jugendoffizier. Schon bei der Rollenverteilung war diese Aussage
zweifelhaft: Denn die Opposition wurde nicht besetzt. Dafür seien
größere Gruppen notwendig, erklärte der Jugendoffizier. Laut
Spielvorgabe ist die Opposition in Europa sowieso nur »konservativ« oder
»liberal« – grundsätzliche Fragen und linke Perspektiven hätte sie also
nicht eingefordert. Aber sie fiel ja eh aus.

Hungersnöte, Streiks oder Aufstände drohen

Die Jugendoffiziere sind die einflussreichen Spielleiter. Sie können
Streiks, Aufstände und Guerillas einwerfen und bewerten die Programme
der einzelnen Akteure nach Gutdünken, sprich: aus Militärsicht. Damit
beeinflussen sie den Lerneffekt entscheidend – nach ihren Interessen und
ihrer Ethik.

Zu Beginn wurden unsere wirtschaftlichen und militärischen Grundlagen
berechnet. Wir mussten »politische Programme« für unsere jeweiligen
Länder erstellen und Reden vor der UN-Versammlung vortragen. Die
Wirtschaftsminister handelten parallel mit Gütern, um den jeweiligen
Bedarf sicherzustellen. Es ging nicht für alle Länder gut aus. Der
Jugendoffizier meinte dazu: »Generell haben wir in der Polis-Welt keine
Versorgungsprobleme, sondern ein Verteilungsproblem, wie in der
wirklichen Welt auch.« Die strukturelle Ungerechtigkeit ist zwar
teilweise erkennbar, aber sie kann in diesem System nicht überwunden
werden. »Wir können nur an der Oberfläche kratzen, mehr geht leider
nicht«, hieß es.

Teilweise drohten auch Hungersnöte und damit Aufstände oder Streiks, die
von den Spielleitern initiiert werden. »Soziale Bewegungen«, die es
direkt nicht gibt, erscheinen also wie ein schädliches Ereignis, nicht
wie eine Chance auf Umverteilung oder demokratische Teilhabe von unten.
Erstes Zwischenfazit: Polis versucht die Realität abzubilden, und dazu
scheint zu gehören, dass sie nicht grundsätzlich geändert werden kann.

Einige Ländervertreter rüsteten auf – quantitative Abrüstung bei
qualitativer Aufrüstung inklusive mehr Entwicklungshilfe galt als gutes
Sicherheitskonzept. Wer in dem Spiel abrüstete, musste mit
wirtschaftlichen Nachteilen klarkommen. Viele schlossen Handels- und
Friedensverträge, manche versuchten auch Druck auf andere Länder
auszuüben, um ihre Ziele zu erreichen. Zwischenfazit zwei: Versuche,
andere als bisher bekannte Wege zur Lösung politischer Krisen oder zur
Gestaltung der Welt zu gehen, sind unrealistisch. Wer darauf setzt, hat
Nachteile. Eindeutiger Lerneffekt.

Der Schwerpunkt des Bundeswehr-Spiels liegt auf Wirtschaftsfragen, nicht
auf Militäreinsätzen. Es zeigt ausführlich wirtschaftliche Zusammenhänge
und Abhängigkeiten auf – allerdings in einem festen Weltgefüge mit einem
eher herrschaftsorientierten Menschenbild. Die Bevölkerung kommt nicht
vor, nur Politiker. Auch das Parlament spielt in demokratischen Staaten
der Polis-Welt keine Rolle – da gebe es nur Repräsentanten, so die
Antwort auf unsere verwunderte Nachfrage. So kann Europa inklusive
Deutschland also in der Polis-Welt ohne Parlament Kriegseinsätze starten.

Die drei beteiligten Jugendoffiziere helfen den Spielern geduldig bei
ihren Berechnungen und Maßnahmen. Sie sind »Freund und Helfer« im
simulierten Weltgeschehen. Eine dankbare Rolle. Allein ihre Präsenz als
Spielleiter sorgt dafür, dass Militär selbstverständlich und
unentbehrlich ist. »Militär ist ein politisches Mittel, das leider hier
und da in der Welt eingesetzt werden muss«, so die klare Ansage an die
friedensbewegte Polis-Versammlung.

Noch haben die meisten Teilnehmer ihre Auswertungen des Spiels nicht
abgeschlossen. Ausführliche Analysen werden also noch folgen, die
genauer beispielsweise auf gesellschaftspolitische, sozialpsychologische
oder völkerrechtliche Fragen eingehen. Klar ist: Die kapitalistischen
Rahmenbedingungen, zivil-militärische Zusammenarbeit und eine
herrschaftsorientierte Politiksicht sind im Spiel vorgegeben.

Mehrere Waffen im Polis-Werkzeugkasten

Überraschend fand ich, dass das Spiel nicht hauptsächlich und direkt
Militärinterventionen zeigt oder propagiert, sondern diese als
selbstverständlichen und manchmal notwendigen Bestandteil der Polis-Welt
darstellt. Der Polis-Werkzeugkasten bietet verschiedene Waffen
nebeneinander an: Diplomaten, Entwicklungshelfer, Handelsverträge,
Streitkräfte sowie atomare oder chemische Waffen.

Das Spiel ist hochkomplex und in seiner Weltsicht trotzdem verkürzt.
Polis ist nicht grundsätzlich anders als andere Strategiespiele, der
Werbeeffekt für die Notwendigkeit von Waffen läuft eher subtil und
indirekt. Für Schüler schwer zu durchschauen. Ein entscheidender Effekt
hat mit der »positiven« Rolle der Jugendoffiziere in diesem Spiel zu
tun. Zudem müssen sich die Jugendlichen in diesem Spiel in die
Weltenlenker hineinversetzen, haben damit das Gefühl, die Richtung
selbst zu gestalten und zu entscheiden. Sie lernen Zwänge der
Herrschenden und Folgen kennen, mit denen »unsere Staatenlenker«
alltäglich zu tun haben.

Tatsächliche politische Machtverhältnisse und Lobbygruppen –
beispielsweise Korruption oder von Konzernen und Eigeninteressen
gesteuerte Politik – werden in Polis weder thematisiert noch in Frage
gestellt. Der Einfluss der Konzerne auf Politik, Waffenhandel, Landnahme
oder Meinungsbildung wird einfach ausgeblendet. Die Funktion des
Militärs wird so nebenbei als selbstverständlich dargestellt – der
militärische Einsatz für wirtschaftliche Interessen damit normalisiert.
Eine geschickte Militarisierung des Zivilen.

POL&IS im Kurzüberblick

Zielgruppe sind vor allem SchülerInnen der 10. bis 13. Klasse, aber auch
Lehrer und Studierende, 30 bis 45 Teilnehmer, Dauer drei Tage, Anleitung
durch zwei Jugendoffiziere. Die Polis-Welt ist in dreizehn Regionen
aufgeteilt, in denen die Rollen des Regierungschefs, Staatsministers
(Militär), Wirtschaftsministers und Umweltministers von Spielern
übernommen werden (die Opposition spielt, soweit ersichtlich, eher eine
untergeordnete Rolle). Darüber hinaus sind auch Nichtstaatliche
Organisation wie zum Beispiel Greenpeace oder Amnesty International
sowie die Weltbank, die Weltpresse und die Vereinten Nationen (in Form
des Generalsekretärs) eingebunden. Es gibt je einen Umwelt-,
Wirtschafts-, und Militärbereich. Im Zentrum des Wirtschaftsbausteins
steht die Versorgung der eigenen Bevölkerung, wofür die Produktion in
den Sektoren Energie, Rohstoffe, Industrie und Agrar gesteigert werden
muss. Unterversorgung muss über den Weltmarkt ausgeglichen werden.
Wirtschaftswachstum erzeugt wiederum Verschmutzung, die durch
Investitionen in Umweltmaßnahmen abgeschwächt werden muss – oder man
verschifft den Müll in eine der ärmeren Regionen.

Der Militärbereich spielt insgesamt eine eher untergeordnete Rolle, da
zwischenstaatliche Kriege gemäß der Spielmechanik äußerst kostspielig
sind und sanktioniert werden. Innerstaatliche sowie nichtstaatliche
internationale Konflikte hingegen konnten (bei etwa gleichen »Kosten«)
sowohl militärisch als auch zivil bearbeitet werden.

Während Militär, Ökologie und Ökonomie nach festen Regeln funktionieren,
werden im politischen Bereich Programme entworfen, die Maßnahmen in
nahezu jedem Politikbereich beinhalten können. Die Bewertung dieser
Programme in Form eines Bonus oder einer Sanktion obliegt den leitenden
Jugendoffizieren, die hierüber einen massiven Gestaltungsspielraum
haben, indem sie Anreize für aus ihrer Sicht »richtige« Maßnahmen geben
können.