IMI-Standpunkt 2010/020 - in: AUSDRUCK (Juni 2010)

„Shoot-to-kill“

Südafrika rüstet sich für die WM

von: Tim Schumacher | Veröffentlicht am: 14. Juni 2010

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Zwei Wochen vor der Fußball-WM der Männer werden Feiern und Helfen zum Synonym. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat am 28. Mai 2010 den Startschuss für die Kampagne „Gemeinsam für Afrika“ gegeben. Ironischerweise wurde mit aus Müll selbst gebastelten Fußbällen und Toren gekickt. Die Botschaft für Jung und Alt war klar: „Feiern Sie in Deutschland und helfen Sie in Afrika!“[1] Die Fußball-Weltmeisterschaft als großes Hilfspaket (gleich für den ganzen Kontinent) – Helfen leicht gemacht. Während man sich in Deutschland – vorgeblich – für die Armutsbekämpfung stark macht, rüstet sich Südafrika jedoch für die Bekämpfung der Armen.

Sicher – Sicherer – Südafrika?

Anfang des Jahres wusste es FC-Bayern-Chef Uli Hoeneß schon genau: WM in Südafrika? Große Fehlentscheidung. Warum? Unsicher. Hinfahren will er deshalb auch nicht. Das Thema Sicherheit bestimmt seither die Berichterstattung über Südafrika. Vor diesem Hintergrund erscheinen die südafrikanischen Maßnahmen zur Schaffung öffentlicher Sicherheit, die seit Jahren verschärft werden, als notwendige Folge.

Mit den umliegenden Ländern hat Südafrika bereits vereinbart, gemeinsam verstärkt gegen „illegale Migration“ vorzugehen. Um sicher zu gehen, wurde auch über die WM-Zeit hinaus für die nächsten sechs Monate eine Spezialeinheit des Militärs an der Grenze zu Simbabwe stationiert. „Das ist ein Kampf um Menschen daran zu hindern, illegal die Grenze zu übertreten,“ sagte der Kommandeur der South African National Defense Force.[2]

Zusätzlich zu den bisherigen Überwachungskameras wurden für die WM allein in Kapstadt 223 neue Kameras in der Innenstadt installiert. „Wir werden die Sicherheitsstufe erhöhen und das Polizeiaufgebot vergrößern,“ gab Dan Plato, Bürgermeister der Stadt, bekannt. Die Zahl der südafrikanischen Polizeikräfte stieg in den letzten zehn Jahren von 120.000 auf 193.000. 1,3 Milliarden Rand, umgerechnet rund 140 Millionen Euro, investierte die Regierung vor der WM in neue Hubschrauber, Ausrüstung und zusätzliche Einsatzkräfte.[3] Allein für den Einsatz bei der Fußballweltmeisterschaft stehen 40.000 speziell ausgebildete Polizeikräfte zur Verfügung.[4] Im September letzten Jahres wurde von PolitikerInnen dem Vorschlag des Polizeichefs Bheki Cele zugestimmt, die Kompetenzen der Polizei auszuweiten. „Shoot-to-kill“ heißt das neue Motto – schießen, um zu töten. Bisher durften die BeamtInnen nur im Falle einer direkten Bedrohung von ihrer Waffe Gebrauch machen. Das wurde nun scheinbar erheblich gelockert.

Wie aus einem Bericht der südafrikanischen Polizei hervorgeht, geht die Verbrechensrate in Südafrika seit Jahren zurück.[5] Zudem werden 80% der Gewaltverbrechen im Familien- und Bekanntenkreis in den Townships außerhalb der Städte begangen, wo die Armut am größten ist.[6] Die Aufstockung des Sicherheitsapparats hat hier so gut wie keine Wirkung. Die Kameras und Extrakontingente der Polizei sind auf die Innenstädte und die großen Transportrouten gerichtet. Genau die Orte, an denen die WM stattfinden wird und sich der Großteil der TouristInnen aufhalten werden – vor allem auch die Orte, die von wirtschaftlichem Interesse sind und an denen Menschen mit Streiks, Demos und Blockaden für ihre Rechte kämpfen.

Organisierung von Arbeitskämpfen

Besonders die arme Bevölkerung, deren Anteil trotz jahrelangem Wirtschaftsaufschwung extrem hoch ist, wurde von der weltweiten Verteuerung der Grundnahrungsmittel in den Jahren 2007 und 2008 hart getroffen. Gepaart mit der massiven Teuerung öffentlicher Güter wie Wasser und Strom kam es seitdem in Südafrika zu einer neuen Verarmungswelle. Diese wurde von zahlreichen Protesten begleitet.

„Wir werden den öffentlichen Sektor komplett lahm legen“, drohte der Gewerkschaftssprecher Fundiswa Qongqo.[7] Nach Angaben des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU verließen am 1. Juni 2007 über eine halbe Million Angestellte des öffentlichen Dienstes ihren Arbeitsplatz und gingen in über 40 Städten auf die Straße.[8] Das war damit der größte Streik nach dem Ende der Apartheid. In Soweto, einem Township Johannesburgs, ziehen sich seit Jahren die Auseinandersetzungen um die Schaffung minimaler Lebensstandards hin. 2008 wurde damit begonnen, Menschen umzusiedeln, um große Geschäftsprojekte zu realisieren.[9] Die Polizei versuchte immer wieder, den Protest dagegen einzuschüchtern. Auch im Zuge der WM-Vorbereitungen kam es vermehrt zu Zwangumsiedelungen von Menschen, die den Großprojekten oder ihrem Umfeld weichen mussten. In Kapstadt wurden von der Stadt Blechhüttensiedlungen errichtet, die zur scheinbar vorrübergehenden Umsiedlung einiger Townships dienen sollten, die sich zu nah am Flughafen oder am Stadion befinden. Die Siedlungen sind kilometerweit entfernt von den ursprünglichen Wohnorten der Menschen, sind polizeilich bewacht und eingezäunt. Die Vertreibungen werden meist von der Polizei unter Androhung von physischer Gewalt oder Gefängnisstrafen durchgeführt. Schön sauber soll es sein für die Weltöffentlichkeit.

Der bevorstehende Auftakt des Fußballgroßereignisses wird von Arbeitskämpfen flankiert. Über 70.000 ArbeiterInnen der WM-Projekte sind in der Zeit des Baus in den Streik getreten, um sich gegen die extrem schlechten Arbeitsbedingungen und den niedrigen Lohn zu wehren. In den letzten drei Jahren kam es beim Bau der Stadien zu insgesamt 26 Streiks, bei denen 12% mehr Lohn erkämpft werden konnte, was unter Anbetracht der hohen Inflationsrate Südafrikas eher gering erscheint.[10] Auch der Streik der Gewerkschaft des Transportsektors geht unvermindert weiter. Die Beschäftigten fordern 15% mehr Lohn. Seit dem 10. Mai 2010 wurden Häfen und der Frachtverkehr auf Schienen und Straßen bestreikt und teilweise lahm gelegt. Der Gewerkschaftsverbund COSATU und die Angestellten des Energiekonzerns Eskom drohten mit landesweiten Streiks während der WM gegen die geplante Strompreiserhöhung um 25 %. Bereits im Jahr 2009 erhöhte Eskom die Preise um 31%.[11]

Doch Streiks seien das falsche Signal, verkündete der heutige südafrikanische Präsident Jacob Zuma schon 2007 der Nachrichtenagentur AFP. „Ich glaube nicht, dass es irgendetwas Gutes für das Land bringt“.[12] In Anbetracht der WM 2010 würde das nur zu Irritationen über die Sicherheitslage im Land führen, so Zuma weiter.

WM in Südafrika – wessen Interesse?

Am 1. April diesen Jahres besuchte eine parteiübergreifende deutsche Delegation des Innenausschusses den Ort des Geschehens. Vornehmliches Ziel des Besuchs war der Austausch im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Speziell ging es um die Zusammenarbeit deutscher Polizeikräfte mit den für die innere Sicherheit zuständigen südafrikanischen Institutionen.[13]

Seit Jahren ist die deutsch-südafrikanische Kooperation sehr ausgeprägt: Bereits ein Jahr nachdem die Weltmeisterschaft in Deutschland stattfand, begann die deutsche Polizei damit, die südafrikanischen Sicherheitskräfte auf das Großevent vorzubereiten. Auch die Luftwaffe ist daran beteiligt, die Erfahrungen der WM 2006 an südafrikanische Kräfte weiterzuvermitteln. Das Bild wird durch die Bundesmarine abgerundet, die eine enge Partnerschaft mit den südafrikanischen Streitkräften unterhält.[14] Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass generell die Handelsbeziehungen sicher verlaufen, etwa 600 deutsche Unternehmen sind in dem Land aktiv: „Südafrika ist für Deutschland das mit Abstand wichtigste Land in Afrika südlich der Sahara. Es ist dort größter Handelspartner und bedeutendstes Zielland für deutsche Direktinvestitionen. Die deutsche Wirtschaft betrachtet die Kaprepublik als Eintrittstor in andere afrikanische Märkte“, so die der Bundesregierung zuarbeitende Stiftung Wissenschaft und Politik.[15] In den Jahren 2004 und 2005 war Südafrika der wichtigste Abnehmer der deutschen Waffenschmieden außerhalb der westlichen Industrieländer.[16] Auch 2009 blieb Deutschland mit einem Handelsvolumen von 12,6 Milliarden Euro einer von Südafrikas wichtigsten Handelspartnern.[17]

Bei der WM gibt es einiges zu holen: Die Umsätze der Reisebüros stiegen nach Angaben des deutschen Reiseverbandes um bis zu 116% an. Doch der deutsche Schwerpunkt liegt im Stadionbau. Das Stadion in Kapstadt ist das teuerste Gebäude, das jemals in Südafrika errichtet wurde. Unter anderem durch den Bau solcher Stadien konnten deutsche Firmen bisher einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro erzielen.[18] Vorgesehen war die Schaffung von 500.000 Arbeitsplätzen bei den Vorbereitungen. Entstanden sind im Stadionbau nur ca. 22.000. Etwa die Anzahl der Arbeitsplätze, die, wie das Statistische Amt Südafrikas feststellte, zwischen 2007 und 2008 im Baugewerbe weggefallen sind.[19]

Deutsche Tradition

Gute Handelsbeziehungen mit Südafrika haben in Deutschland Tradition. Der Automobilkonzern Daimler versorgte seit 1978 das Apartheidsregime mit Fahrzeugen, die schnell zum Standardmodell des Militärs wurden. In den achtziger Jahren überflutete ein Dieselmotor, gebaut nach Daimlerlizenz, den Markt. Auch dieser wurde bevorzugt vom Militär in gepanzerte Fahrzeuge eingebaut. Daimler Benz war an Projekten der südafrikanischen Marine beteiligt und verkaufte 1985 Hubschrauber an die südafrikanische Polizei zur Überwachung von Demonstrationen und Identifizierung von AktivistInnen.[20] Auch nach dem Ende der Apartheid ist Daimler am südafrikanischen Markt interessiert und betreibt eigene Produktionsstätten. Bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft der Männer tritt Daimler Benz als Hauptsponsor der deutschen Nationalelf in Südafrika auf. Apartheidsregime oder nicht – auf jeden Fall business as usual.

Anmerkungen:

[1]Köhler startet WM-Kampagne für Afrika. Aus: http://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6144:kohler-startet-wm-kampagne-fuer-afrika&catid=75&Itemid=131 (28.05.2010)

[2]Troops are reinforcing a porous and dangerous border. Aus: http://irinnews.org/Report.aspx?ReportId=89262 (26.05.2010)

[3]Raab, Klaus: Erst schießen, dann fragen? Aus: Die Wochenzeitung, 13.05.2010

[4]Wonacott, Peter: No Terror Threat Seen at World Cup. Aus: The Wall Street Journal, 02.06.2010

[5]Crime in the RSA from April to March: 2003/2004 – 2008/2009. Aus: http://www.iss.co.za/uploads/0909CRIMETOTALS.PDF

[6]Siehe Fußnote 3

[7]Makinana, Andisiwe; Keating, Candes: Public Sevice Workers Threaten Total Shutdown. Aus: http://allafrica.com/stories/200706060503.html (06.06.2007)

[8]Khan, Romin: Ein politischer Streik und Duschen gegen Aids. Aus: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25552/1.html (24.06.2007)

[9]A CALL TO A PEOPLE’S INSPECTION IN KLIPTOWN. Aus: http://www.labournet.de/internationales/suedafrika/kliptown2.html (29.01.2008)

[10]Der Inflations-Jahresdurchschnittswert für 2009 lag bei 7,1 Prozent. Perspektivisch wird die Inflationsrate weiter steigen, da beispielsweise dem staatlichen Stromversorger Eskom ab 2010 eine Preisanpassung über drei Jahre von jeweils 25 Prozent genehmigt wurde. Aus: Auswärtiges Amt, Länderinformation Südafrika Wirtschaft, März 2010

[11]Ebd.

[12]Slaughter, Barbara: South Africa: COSATU calls off public service strike. Aus: http://www.wsws.org/articles/2007/jul2007/safr-j14.shtml (14.07.2007)

[13]Delegation des Innenausschusses reist nach Südafrika und Namibia. Aus: Pressemitteilung des Bundestags, 01.04.2010

[14]Ein gewisser Widerspruch. Aus: German-Foreign-Policy.com,, 08.10.2007

[15] Mair, Stefan: Südafrika – Modell für Afrika, Partner für Deutschland? SWP-Studie, Mai 2010, S. 5. Vgl. auch Juniorpartner Südafrika (I). Aus: German-Foreign-Policy.com, 08.06.2010

[16]Länderportrait Südafrika. Aus: Bonn International Center for Convention, Oktober 2009

[17]Südafrika – Beziehungen zu Deutschland. Aus: Auswärtiges Amt, Länderinformationen Südafrika Bilateral, März 2010

[18]WM lockt Fußballfans nach Südafrika. Aus: Aktuelle Meldung des Bundestags, 05.05.2010

[19]Die Fußball-Weltmeisterschaft und die Slums. Aus: http://marx21.de/content/view/1001/32 (04.03.2010)

[20]Apartheid-Opfer vs. Daimler. Aus: medico international, 13.04.2010