IMI-Standpunkt 2010/011 - in: AUSDRUCK (April 2010)

Propagandaoffensive bereitet Bundeswehr-Offensive den Boden


von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 13. April 2010

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Drei deutsche Soldaten sind bei Kämpfen im Norden Afghanistans getötet worden. Der Entwicklungshilfeminister tönt aus dem NATO-Hauptquartier Nord in Mazar-i-Sharif von einem „schändlichen Angriff“ und verurteilt die Aktionen der „feigen Mörder.“ Das ist gut für die Moral der Truppe.

Sein Parteifreund und künftiger Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus ruft nach mehr und tödlicheren Waffen. Das ist gut fürs Geschäft. Besonders der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann und der Luftwaffenmonopolist EADS verdienen, wenn deutsche Soldaten in Kampfeinsätze geschickt werden. Auf der Homepage von KMW lesen sich die Pressemeldungen wie Nachrichten von der „Heimatfront“.

11. März 2010: KMW übergibt die ersten Serienfahrzeuge vom Typ „JFST Fennek“, die bereits im April in Afghanistan die Bundeswehr „zu einem wesentlich verbesserten Aufklären, Erkennen, Identifizieren und Vermessen von feindlichen Zielen“ befähigen sollen.

29. März 2010: Die Bundeswehr bestellt 41 gepanzerte Fahrzeuge Dingo 2 und die Panzerbauer sichern eine Lieferung bis Jahresende für den Afghanistan-Einsatz zu.

6. April 2010: Die Bundeswehr ordert 44 gepanzerte Fahrzeuge für ihre „Gefechtsfeld-Schaden-Instandsetzungs-Trupps“. Auch sie sollen noch in diesem Jahr in Afghanistan zum Einsatz kommen. (1)

Kriegsgeschrei bis zur Hysterie

Königshaus hat sich an die Spitze derjenigen Politiker gesetzt, die seit Monaten für mehr Feuerkraft der deutschen Interventionstruppe am Hindukusch trommeln. „Wer in das Kanonrohr eines Leopard 2 schaut, überlegt sich zwei Mal, ob er eine deutsche Patrouille angreift“, verkündete er in einem Zeitungsinterview. (2) Außerdem will er die Truppe mit Mörsern ausrüsten. Hatte nicht die NATO gerade verkündet, ein wichtiges Element ihrer künftigen Afghanistanstrategie sei es, zivile Opfer zu vermeiden? Für Königshaus ist das letztlich eine mathematische Frage. Man vergleiche die „Kollateralschäden“ von Angriffen mit Kampfbombern und von Mörserfeuer und entscheide dann.

Für Großwaffen made in Germany machen sich Militärs wie der ISAF-General Jörg Vollmer (3) und Ex-Generalinspekteur Harald Kujat stark. Sie wollen schwere Artillerie in Form der Panzerhaubitze 2000 in den Norden Afghanistans schicken. Kujat verlangt außerdem Tornado-Kampfbomber mit Bordwaffen. Der Ex-Generalinspekteur steigert das Kriegsgeschrei bis zur Hysterie. „Die jungen Soldatinnen und Soldaten werden von einer Nation geopfert, die ihnen alles an nötiger Technik zur Verfügung stellen könnte (…) Das ist ungeheuerlich.“ (4)

Der SPD-Militärexperte Rainer Arnold ruft nach Kampfhubschraubern. Der ehemalige Planungschef im „Verteidigungs“ministerium, Ulrich Weisser, will zusätzlich noch Aufklärungsdrohnen und Transporthubschrauber. (5) „Bild“ kann wieder einmal aus internen Dokumenten der Bundeswehr schöpfen. Berichte an das Einsatzführungskommando verlangen demnach wirkungsvollere Munition für das Gewehr G36. (6) „Mit der Hartkernmunition würden Taliban-Kämpfer nicht sofort kampfuntauglich gemacht.“ (7) Auch die Kanonen der gepanzerten Fahrzeuge Dingo und Fuchs hätten nicht genügend Durchschlagskraft, um die landestypischen Häuser zu durchbohren.

Propaganda für die Heimatfront

Mit der Vorstellung, deutsche Soldaten würden von verantwortungslosen Politikern ohne ausreichende Bewaffnung und Ausrüstung an den Hindukusch geschickt, soll endlich die seit Jahren konstant ablehnende öffentliche Meinung gegenüber dem Afghanistaneinsatz in Deutschland aufgebrochen werden.

Anfang April war auf wikileaks.org ein Papier einer Spezialeinheit des CIA für psychologische Kriegsführung veröffentlicht worden, in dem diese „Red Cell“ (Rote Zelle) Pläne vorstellt, um in Deutschland und Frankreich Stimmung für den Afghanistan-Krieg zu machen und eine Entwicklung in Richtung Abzug wie in den Niederlanden zu verhindern. So sollen Nachrichten produziert werden, „die die Konsequenzen einer NATO-Niederlage speziell für deutsche Interessen dramatisieren.“ (8)

In einer Studienarbeit zum „Kampf an der Heimatfront“ werden die gängigen Propagandatechniken emotionslos beschrieben. „Keine Regierung wird dauerhaft einen Kampfeinsatz durchsetzen können, wenn sie nicht die Rückendeckung des eigenen Volkes hat. Diese zu erreichen obliegt nicht alleine der Sachlage als solcher, sondern ebenso der strategischen Ausrichtung staatlicher Kommunikationsprozesse – kurz der Propaganda.“ Ferner sei „die gezielt einseitige Darstellung von Informationen“ auch in westlichen Demokratien „gängige Praxis.“ (9) Die Bundeswehr hat durchaus Erfahrung mit der Manipulation der Medien. An der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Strausberg werden PR-Strategen der Bundeswehr ausgebildet. Mancher Leitartikel, manche Überschrift der letzten Tage scheint direkt von diesen Medien-Bearbeitern inspiriert.

Während das „friendly fire“, bei dem die Bundeswehr am Karfreitag sechs afghanische Soldaten getötet hatte, kaum und der aufschlussreiche Umstand, dass die afghanische Armee in Zivilfahrzeugen unterwegs ist, praktisch gar nicht in den Medien hinterfragt wird, wird der Tot der deutschen Soldaten mit einer Debatte über mehr Waffen verbunden. Ex-„Verteidigungs“minister Volker Rühe will eigens einen „Rat ehemaliger Generalinspekteure“ installieren, der sich um eine wirksamere Bewaffnung der Truppe kümmern soll. (10) Mit dabei soll auch Harald Kujat sein, von 2000 bis 2002 ranghöchster Soldat der Bundeswehr. Der empfiehlt sich für das Amt mit seiner Aussage, dass die Rüstungsindustrie noch manches zu bieten habe, „nur die Ministerialbürokratie tut nichts.“ (11) Kujat trommelt außerdem für noch mehr Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, insbesondere für Kampftruppen statt Ausbilder. (12)

Abschied von der „Parlamentsarmee“

Ein „Expertenrat“ aus Generalen, der Vorschläge für Bewaffnung, Stärke und Strategie der Bundeswehr am Hindukusch macht; „Verteidigungsexperten“, die ohne das Parlament über die Entsendung einer 350 Soldaten umfassenden Einsatzreserve für Afghanistan entscheiden; eine Strukturkommission unter Leitung des Fallschirmjägers und Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, die den Auftrag hat, Bundeswehr und Ministerium für künftige Kriegseinsätze zu optimieren – der Idee von der „Parlamentsarmee“ wird gerade der Boden unter den Füßen weggezogen. Die Öffentlichkeit wird dazu mit dem Bild einer bemitleidenswerten Truppe gefüttert, die sich feiger und schändlicher Gegner erwehren muss. Wesentliche teile der Realität werden dabei einfach wegretuschiert.

Dazu gehört das Massaker an Zivilisten, das mit dem von einem deutschen Offizier befohlenen Luftangriff im September 2009 nahe Kundus angerichtet wurde. Dazu gehört die Offensive der NATO im Süden, die zahlreichen Zivilisten das Leben gekostet hat und offenbar nicht so „erfolgreich“ verläuft, wie die Verlautbarungen des Bündnisses glauben machen wollen. So berichten Geheimdienstler, dass die Widerstandskämpfer der NATO-Offensive im Süden „ausgewichen sind und ihre Schwerpunktaktivitäten in die Region um Kundus verlegt haben.“ Es handele sich um einen „Verdrängungseffekt der Aktivitäten der Taliban aus Helmland nach Kundus.“ (13)

Weil man das bei der NATO längst weiß und weil der Norden für den Nachschubbedarf der immer größer werdenden westlichen Interventionstruppe von wachsender Bedeutung ist, verlegt auch die US-Armee seit Wochen Soldaten und Waffen in den Norden. Mitte März hatte Generalleutnant Bruno Kasdorf, Chef des Stabes der ISAF in Kabul, eine Militäroffensive im Norden angekündigt. „Ich will nicht sagen, in dem Ausmaß und in dem Umfang, wie wir das jetzt unten in Helmland sehen. Aber sicher etwas Ähnliches.“ (14) Seit Mitte Januar landen auf dem massiv ausgebauten deutschen Flugplatz in Mazar-i-Sharif Großraumtransporter vom Typ Antonow AN-124, die bis zu 150 Tonnen Ausrüstung und Waffen transportieren können.

Ende März 2010 hatten „zahlreiche Medienvertreter“ die Gelegenheit, „die einsatzvorbereitende Ausbildung der schnellen Eingreiftruppe am Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Heer in der Altmark zu bestaunen.“ Dabei zeigte die Truppe wie es im Einsatz in Afghanistan laufen soll. „Die Infanteristen näherten sich mit ihren gepanzerten Fahrzeugen unter massivem Feindfeuer an und eroberten Meter für Meter die Feuerüberlegenheit, bis die letzten Schüsse der Aufständischen verstummten.“ (15) Die „Schändlichkeit“ und „Feigheit“ der bewaffneten NATO-Gegner in Afghanistan dürfte also im Wesentlichen darin liegen, dass sie den militärischen „Säuberungsaktionen“ der NATO ihre eigene Taktik entgegen setzen.

Bei dem militaristischen Trommelfeuer, das derzeit in den Medien entfacht wird, ist kaum noch zu hören, wie „Verteidigungs“minister Guttenberg den Ton verschärft. Es scheint nur folgerichtig, dass man nun beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan „umgangssprachlich von Krieg reden“ kann. (16)

Im aktuellen Mandat, das der Bundestag vor nicht einmal zwei Monaten erteilt hat, ist viel von Unterstützung und Stabilisierung, aber in keiner Zeile von Krieg die Rede. (17)

Der aber wird in den nächsten Monaten mit aller Härte geführt werden.

Quellen:

(1)www.kmweg.de
(2)www.tagesspiegel.de/politik/Bundeswehr-Afghanistan-Hellmut-Koenigshaus;art771,3076896
(3)Frankfurter Rundschau, 8.4.2010
(4)sz-online, 7.4.2010 „Fehlt der Bundeswehr die nötige Ausrüstung?“
(5)www.welt.de/politik/deutschland/article7066506/Kundus-Tod-der-Soldaten-loest-Materialdebatte-aus.html
(6)www.bild.de, 7.4.2010 „Wie gut sind unsere Soldaten wirklich ausgerüstet?“
(7)Spiegel-Online, 7.4.2010 „Westerwelle warnt vor Flucht aus Afghanistan“
(8)Die Welt, 3.4.2010 „CIA spielt mit Horrorszenarien“
(9)Florian Philipp Ott: Kampf an der Heimatfront. Über Probleme militärischer Öffentlichkeitsarbeit in Demokratien am bundesdeutschen Beispiel. Universität Duisburg-Essen, März 2009
(10)Spiegel-Online, 5.4.2010 „Rühe fordert Expertenrat aus Militärs“
(11)Welt-Online, 4.4.2010 „Trauer und Wut in Kundus“
(12)Spiegel-Online, 4.4.2010 „Ex-Generalinspekteur wirft Koalition Versagen vor“
(13)Stuttgarter Nachrichten, 3.4.2010
(14)www.bundeswehr.de, 18.03.2010 „Afghanistan: Offensive auch im Norden“
(15)www.bundeswehr.de, 23.03.2010 „Schnelle Eingreiftruppe unter massivem Feindfeuer“
(16)Spiegel-Online, 4.4.2010 „Guttenberg spricht von Krieg in Afghanistan“
(17)Deutscher Bundestag, Drucksache 17/654, 9.2.2010