IMI-Analyse 2010/017 - in: AUSDRUCK (April 2010)

Energie statt Entwicklung? Der Europäische Auswärtige Dienst und die Militarisierung der Außenpolitik


von: Christoph Marischka/ Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 13. April 2010

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Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon in Kraft, mit dem der neue Posten der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen wurde, den die Britin Catherine Ashton bekleidet. Die Idee dahinter: sämtliche außenpolitischen Machtkapazitäten – militärisch, diplomatisch, entwicklungspolitisch, etc. – sollen für die effektive Durchsetzung europäischer Interessen im Sinne einer „imperialen Machtpolitik aus einem Guss“ gebündelt werden (siehe AUSDRUCK Dezember 2009).

Zur Unterstützung ihrer Arbeit soll der Hohen Vertreterin nun schnellstmöglich ein „Europäischer Auswärtiger Dienst“ (EAD) an die Seite gestellt werden, für dessen konkrete Struktur und Arbeitsweise Ashton am 25. März 2010 eine Vorlage lieferte, die die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Nahezu sämtliche militärischen EU-Institutionen sollen in den EAD integriert werden (Militärstab, Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee, etc.). Die Rolle des Militärs wird im künftigen EAD so dominierend sein, dass man ihn ehrlicherweise als einen „Militärisch-Auswärtigen Dienst“ bezeichnen sollte, alles andere ist ein gigantischer Etikettenschwindel.

Aufgrund seiner stark militärischen Ausrichtung steht somit zu befürchten, dass große Teile der „zivilen“ EU-Außenpolitik mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst noch stärker vor den Karren einer machtpolitisch geleiteten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gespannt werden als dies ohnehin bereits der Fall ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Entwicklungszusammenarbeit und die Zivile Konfliktbearbeitung.

Beispiel Tschad

Bereits heute werden zahlreiche Maßnahmen mit eindeutigem Sicherheitsbezug, deren Beitrag für die Armutsbekämpfung bestenfalls fragwürdig sind, über EU-Entwicklungshilfegelder querfinanziert. Der Tschad ist ein „gutes“ Beispiel hierfür: Als Ende der 1990er die Ölquellen im Tschad erschlossen werden sollten, war man sich durchaus der Risiken bewusst. Seit der Unabhängigkeit 1960 wurde das Land von autoritären Präsidenten regiert und regelmäßig von Putschen und anderen bewaffneten Konflikten heimgesucht. Weil der Durst nach Energie durch die Industriestaaten sich nicht stillen lässt, arbeitete die Weltbank seinerzeit ein Modellprojekt aus, ein scheinbar „beispielloses Regelwerk, … das Reichtum an Öl unmittelbar in Vorteile für die Armen, die Verletzlichen und die Umwelt verwandelt“.[1] Umsetzen wollte die Weltbank dieses alte Versprechen, indem sie gemeinsam mit den Öl-Multis ExxonMobil, Chevron und Petronas den Bau von Förderanlagen und einer Pipeline finanzierte. Im Gegenzug musste die Regierung des Tschad zustimmen, 80% der Öleinnahmen, welche den Gesamthaushalt der Regierung um ein Drittel anschwellen lassen sollten, in die Armutsbekämpfung zu investieren. Der Präsident Déby hielt sich jedoch nicht an diese Abmachung, sondern steckte die zusätzlichen Einnahmen in seinen ohnehin aufgeblähten Sicherheitsapparat. Der Konflikt eskalierte und Déby reagierte mit eiserner Faust, ohne einen Unterschied zu machen zwischen ziviler und bewaffneter Opposition: 2008 rangierte der Tschad auf Platz 170 (von 179) auf dem Human Development Index und auf Platz 173 (von 180) auf dem Korruptionsindex von Transparency International, 80% der Bevölkerung haben weniger als einen US$ pro Tag zur Verfügung. Eine Studie des Bonn International Center for Conversion (BICC) hat kürzlich die Folgen der Ölpipeline auf die Konfliktdynamiken im Tschad unter dem Titel „uns wurde Entwicklung versprochen und alles was wir bekamen war Elend“ aufgearbeitet.

Déby wird bei seinem Kampf gegen die Rebellengruppen regelmäßig auch militärisch von Frankreich unterstützt, das bis heute etwa 1.200 Soldaten im Land stationiert hat. Auf Vorschlag Frankreichs fand zudem im Jahr 2008 eine EU-Militärmission im Osten des Tschad statt, welche zwangsläufig den Konflikt zwischen Regierung und Opposition eskalierte, in diesem Partei ergriff und Déby auf internationaler Ebene aufwertete. Bis heute sind europäische Soldaten an der Ausbildung von Sicherheitskräften im Tschad beteiligt. Selbst Tagesschau.de titelte nach dem offiziellen Ende der EUFOR-Mission, diese sei durch europäische Entwicklungshilfe erkauft worden: 311 Mio. Euro soll die korrupte Regierung bis 2013 aus dem Europäischen Entwicklungsfonds erhalten.[2]

Rohstoffkontrolle und Warnung vor den Schwellenländern

Solche Kuhhandel sollen künftig mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst noch einfacher werden. Catherine Ashton unterstrich in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament, dass es beim EAD v.a. auch um die Sicherung des Zugriffs auf Energie- und andere Rohstoffe geht: Mit Verweis auf den Aufstieg von Schwellenländern und die Verträge, welche diese in letzter Zeit mit afrikanischen und zentralasiatischen Staaten über die Förderung von Energieträgern abgeschlossen hatten, drohte sie: „Wenn wir an einem Strang ziehen, können wir unsere Interessen wahren. Wenn nicht, werden andere für uns entscheiden. Es ist wirklich so einfach.“[3]

Als bisherige Beispiele für eine „umfassende Strategie“, die durch den EAD realisierbar werden solle, nannte sie das europäische Engagement auf dem Balkan („die Geburtsstätte europäischer Außenpolitik“), in Somalia und Georgien. Dort griffen „zivile“ und militärische EU-Missionen, diplomatischer Druck, Visa-Politik und zivilgesellschaftlicher Dialog bis hin zu entwicklungspolitischen Maßnahmen und den Partnerschaftsinstrumenten nahtlos ineinander. Auf dem Balkan sei dies schon weitgehend realisiert: Eine „zivile“ EU-Mission in Kosovo (gemeint ist der paramilitärische EULEX-Einsatz), eine militärische EU-Mission in Bosnien, diplomatischer Druck und Einflussnahme auf die Bevölkerung durch die Visa-Politik und zivilgesellschaftlichen Dialog. In Somalia werde der Marine-Einsatz Atalanta durch eine EU-Mission zur Ausbildung somalischer „Sicherheitskräfte“ sowie die Finanzierung staatlicher Repressionsorgane über das europäische Instrument für Stabilität und entwicklungspolitische Maßnahmen zur Armutsbekämpfung flankiert.

Auch in Georgien kämen verschiedene Instrumente der EU-Außenpolitik zum Einsatz, die EU-Beobachtermission in Verbindung mit Ausstattungsprogrammen, Handels- und Visaerleichterungen und der Europäischen Nachbarschaftspolitik stellen nach Catherine Ashton einen Beitrag zur regionalen Stabilität dar. Russland würde dies sicherlich anders sehen, aber ein Europa, das mit einer Stimme spricht – der Stimme Ashtons und ihrer hohen Beamten im EAD – könne natürlich auch gegenüber Russland besser die eigene Position vertreten.

Der Hang Ashtons zur militärischen Rohstoffsicherung kam in den gewählten Beispielen deutlich zum Ausdruck: Georgien und der Balkan stellen wichtige Transitrouten unter Umgehung Russlands für Öl und Gas aus Zentralasien dar, Somalia liegt an einer der wichtigsten Routen des Welthandels.

Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe

Laut gegenwärtigen Planungen soll dem EAD künftig eine „strategische Rolle“ bei der Programmierung sämtlicher, vor allem entwicklungsbezogener EU-Finanzinstrumente übertragen werden. Obwohl zuletzt nochmals in Artikel 208 des Vertrags von Lissabon festgeschrieben wurde, dass die EU-Entwicklungshilfe die unmittelbare Armutsbekämpfung zum Ziel hat, dürfte sich der gegenwärtige Trend, Entwicklungshilfegelder mehr und mehr nach sicherheitspolitischen Gesichtspunkten zu vergeben, damit weiter verschärfen.

Bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit habe die EU als relativ neuer sicherheitspolitischer Akteur laut dem ehemaligen EU-Außenbeauftragten Solana bereits einen „modernen Ansatz zum Krisenmanagement“ entwickelt. 27 zivile und militärische Missionen hat die EU bereits im Ausland durchgeführt, europäische Soldaten und Polizisten sind auf der halben Welt präsent. Doch die größten Infrastrukturprojekte in den betreffenden Ländern werden häufig von China oder auch dem Iran durchgeführt. Die EU bringt kollektiv mehr als die Hälfte der globalen Entwicklungshilfe auf und möchte dies künftig besser nutzen können. Deshalb soll der EAD auch auf die teils üppigen Finanzierungsprogramme der EU zugreifen können: Neben den Instrumenten für Stabilität und die Europäische Nachbarschaftspolitik auch auf den Europäischen Entwicklungsfonds, das Instrument für Entwicklungszusammenarbeit und das Instrument für Demokratie und Menschenrechte. Für die Programmierung dieser Instrumente ist bislang überwiegend die Kommission zuständig. Zukünftig soll jedoch der EAD eine „Sicherheitspolitik aus einem Guss“ gewährleisten. Somit wird erleichtert, dass mit Entwicklungshilfegeldern, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für die Sicherheitskräfte der jeweiligen Regierung Förderabkommen „gekauft“ und die Pipelines dann gleich durch Europäische Polizei- oder Militärmissionen geschützt werden können. Gegenwärtig wird beispielsweise in Mauretanien über das Stabilitätsinstrument der Ausbau von Polizei und Militär finanziert, hierfür sollen zukünftig auch Gelder aus dem Europäischen Entwicklungsfonds zweckentfremdet werden. In Mauretanien – mit dessen regelmäßig putschender Militärführung die EU auch bei der Migrationsabwehr bestens zusammenarbeitet – ist darüber hinaus, ebenso wie im benachbarten Mali eine EU-Mission zur Sicherheitssektorreform geplant. In beiden Ländern befürchtet die EU vermeintlich erstarkende terroristische Gruppierungen. Vor allem aber sind die Länder im Rahmen des Wüstenstrom-Projects Desertec von Interesse.

Militarisierung der Zivilen Konfliktbearbeitung

Ursprünglich war die Zivile Konfliktbearbeitung – oder, das Zivile Krisenmanagement – als Alternative nicht als Ergänzung militärischer Einsätze gedacht. Im Rahmen der als neues EU-Leitbild praktizierten Zivil-militärischen Zusammenarbeit wird ziviles und militärisches Krisenmanagement jedoch immer stärker miteinander verzahnt. Dabei kommt jedoch dem Militär die Führungsrolle zu, womit das zivile Krisenmanagement auf die Rolle eines bloßen Erfüllungsgehilfen zur optimierten Durchsetzung militärisch-strategischer Interessen reduziert wird.

Im neuen Europäischen Auswärtigen Dienst soll nun diese Verzahnung nochmals deutlich intensiviert werden, indem die bisherige Trennung ziviler und militärischer Einsatzplanung im neuen „Crisis Management Planning Directorate“ (CMPD) aufgehoben werden soll. Alle Einsätze sollen künftig „aus einer Hand“ geplant werden. Um es deutlich zu formulieren: Eine unabhängige und vollständig vom Militärischen getrennte zivile Einsatzplanung wird es damit in Zukunft wohl nicht mehr geben. Symptomatisch ist dabei, dass mit Claude-France Arnould die bisherige Leiterin der militärisch-strategischen Planungsabteilung zur neuen Chefin des CMPD ernannt wurde. Vor diesem Hintergrund davor zu warnen, dass das Militär gegenwärtig dabei ist, sich – salopp formuliert – wichtige Teile der zivilen EU-Außenpolitik „unter den Nagel zu reißen“, ist somit wohl leider keineswegs eine Übertreibung.

So warnt auch Alain Délétroz von der International Crisis Group, mit dem EAD erhalte das Krisenmanagement auf EU-Ebene einen „stark militärischen Geschmack.“ Zivile Aspekte drohten im neuen EAD militärlogischen Erwägungen untergeordnet zu werden: „Jetzt schauen wir in eine Zukunft, in der Militärexperten die Planung ziviler Missionen übernehmen.“ Die Tragweite der nun auf den Weg gebrachten Verschmelzung im EAD wird von Délétroz mit folgenden Worten untermauert: „Die Strukturen, die heute geschaffen werden, werden sich über Jahrzehnte nachhaltig auf die Art und Weise, wie die EU-Projekte in der Welt wahrgenommen werden, auswirken. Die Kapazität der Union zur Konfliktverhütung und zur Friedenssicherung hat gerade einen herben Schlag erlitten.“[4]

[1]Claudia Frank, Lena Guesnet: “We were promised development and all we got is misery” – The Influence of Petroleum on Conflict Dynamics in Chad, BICC-brief 41, www.bicc.de.

[2]„Hoher Preis für Krisenmission – EU-Millionen für Tschads Militärregime“, www.tagesschau.de, 08.05.2009.

[3]Address by HR Catherine Ashton at the Joint Debate on Foreign and Security Policy, European Parliament Plenary, 10.3.2010, www.consilium.europa.eu.

[4]Alain Délétroz: Kapazität der EU zur Friedenssicherung schwindet, in: Tagesspiegel, 22.2.2010, www.crisisgroup.org