IMI-Standpunkt 2010/002 - in: AUSDRUCK (Februar 2010)

Showveranstaltung: Zur Londoner Afghanistan-Konferenz


von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 2. Februar 2010

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Der britische Premierminister und Gastgeber der Londoner Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010, Gordon Brown, bewertete in seiner Eröffnungsrede das Treffen feierlich als „Moment der Entscheidung“.[1] Entschieden wurde in London allerdings nichts von wirklicher Bedeutung, was nicht vorher in enger Abstimmung mit der US-Regierung und den EU-Vertretern festgelegt worden war bzw. die neue Afghanistan-Strategie der NATO voll und ganz unterstützte. „De facto verpflichteten sich die knapp 60 teilnehmenden Staaten mit der Konferenz zur Unterstützung der Afghanistanpolitik der US-Regierung von Barack Obama und seines Generals McChrystal.“[2] Keinesfalls stellen die Beschlüsse der Konferenz eine eigene Agenda der Konferenzteilnehmer dar (s.u.).

Kostengünstige Kriegsführung

Bereits im März 2009 wurden von den USA mit ihrer neuen Afghanistan-Strategie die Weichen gestellt, die im Kern massive Truppenerhöhungen zur Eskalation des Kriegs und den gesteigerten Aufbau des Polizei- und Militärapparates des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai vorsah. Ziel dieser Strategie ist die „Afghanisierung“ des Kriegs mit einer ab 2011 beginnenden Abzugsphase der westlichen Truppen und einer gleichzeitigen Übergabe der sog. Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung.[3] Insofern bilden die auf der Konferenz gefassten Beschlüsse[4] gerade keinen „Wendepunkt“, wie allseits von ihren Initiatoren suggeriert wurde, sondern eine Abstützung der fatalen Afghanistan-Strategie der NATO.

Im Wesentlichen gab die Regierung Karsai eine Verpflichtungserklärung zu einer Verbesserung ihrer eigenen Regierungsführung, vor allem hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung, ab. Für den Aufbau der afghanischen Armee und Polizei wurden bereits beschlossene Zwischenzielgrößen bestätigt: bis Oktober 2011 soll die Polizei auf 134.000 (einschließlich etwa 20.000 Mann Gendarmerie) und das Militär auf 171.600 Köpfe anwachsen. Zusätzlich wurde die Schaffung eines Fonds zur Reintegration Aufständischer angekündigt.[5]

Allerdings liegen diese Zahlen noch beträchtlich unter den Vorgaben von 240.000 Soldaten und 160.000 Polizisten, die auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Bratislava noch Ende Oktober 2009 als Ziel ausgegeben wurden, bei deren Erreichen die afghanische Regierung in der Lage sei, selbst für Stabilität zu sorgen. Der Vorteil dieser Afghanisierung des Kriegs wurde von einer Militärzeitschrift so beschrieben, sie sei „50-mal billiger als die Stationierung fremder Kräfte.“[6]

Die deutsche Afghanistan-Strategie

Die Bundesregierung legte wenige Tage vor der Konferenz in London ein eigenes Konzept mit dem Titel „Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung“ vor.[7] Inhaltlich trägt die deutsche Regierung die neue Afghanistan-Strategie der US-Regierung voll mit, indem sie ab 2010 ihre finanziellen Mittel für den zivilen Aufbau von 220 Mio. Euro auf 430 Mio. Euro nahezu verdoppelt und zu dem beschlossenen Reintegrationsfonds für Aufständische (Gesamtvolumen 360 Mio. Euro) mit 50 Mio. Euro erheblich beiträgt. Dieser Fonds soll den irrwitzigen Zweck verfolgen, Aufständische durch eine Ausstiegsprämie vom militärischen Widerstand gegen die NATO-Truppen abzubringen. Josef Joffe, Herausgeber von „Die Zeit“, bezeichnete den Fonds, der in den Medien auch gern als „Abwrackprämie für Terroristen“ bezeichnet wird, folgerichtig als „Augenwischerei.“[8]

In militärischer Hinsicht wird Deutschland durch Schwerpunktverlagerungen innerhalb ihres Einsatzkontigents den Anteil an Ausbildern von 280 auf 1.400 Soldaten erhöhen und zusätzlich die Mandatsobergrenze von derzeit noch 4.500 Soldaten um 850 weitere auf 5.350 Soldaten anheben, wobei 500 Soldaten sofort in Marsch gesetzt werden sollen und 350 als Reserve dienen. Diese Maßnamen würden zusätzliche Kosten in Höhe von 275 Mio. Euro bedeuten. Mit den bereits im letzten Mandat des Bundestages vom 03. Dezember 2009 vorgesehenen 820,7 Mio. Euro für diesen Einsatz wird damit zum ersten Mal die Eine-Miliarde-Euro-Grenze gesprengt. Angesichts von Haushaltskürzungen im sozialen Bereich, ein Skandal, noch mehr Geld in das Militär zu pumpen.

Außerdem ist vorgesehen, die Anzahl der Polizeiberater beim Aufbau der afghanischen Polizei (ANP) von 123 auf 200 bis Mitte 2010 zu steigern und bis Februar 2010 die deutschen Teilnehmer der EU-Mission EUPOL Afghanistan von 45 auf 60 auszuweiten.[9] Der Aufbau des Polizeiapparates von Hamid Karsai wird allerdings zur Sicherheit für die afghanische Bevölkerung kaum etwas beitragen, wie häufig von Regierungsseite suggeriert wird. Ganz im Gegenteil charakterisiert der ZDF-Korrespondent für Afghanistan, Hans-Ulrich Gauck, die afghanische Polizei als Teil des Problems: „Die verhassteste Berufsgruppe in Afghanistan sind die Polizisten, denn die sind in aller Regel korrupt.“[10] Auch Rupert Neudeck, Chef vom Komitee Cap Anamur, stellt eine völlig außer Kontrolle geratene Korruption und ausufernde Kriminalität in Afghanistan fest, bei der die afghanische Polizei und Militär ein erheblicher Teil des Problems seien[11] und genau diese soll nun nach der neuen Afghanistan-Strategie der Bundesregierung verstärkt aufgebaut werden.

Polizeiausbildung

Zusätzlich offenbart die Polizeiausbildung auch innenpolitischen Konfliktstoff. Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), verwahrt sich aufs Schärfste gegen die Pläne der Bundesregierung, Polizisten nach Afghanistan zu entsenden: „Wir haben in Bürgerkriegsgebieten nichts zu suchen, wir sind keine paramilitärische Einheit. Wir sind nicht dafür da, Raketenabwehr zu machen, wir sind nicht dafür da, in Sprengfallen hineinzufahren oder darauf zu achten. Wir haben nach dem Kriege lange gebraucht, eine zivile Polizei aufzubauen, wir wollen nicht zurückfallen. Wenn sozusagen als Militärersatz Polizei angefordert wird, weil man dies innenpolitisch besser durchsetzen kann, dann sind wir auch dagegen, wenn mehrere Hundert Polizisten jetzt auf einmal in Afghanistan sein sollen.“[12]

Allerdings sprechen sich die GdP, ebenso wie ihr Zwilling, die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), nur deshalb gegen eine Entsendung ihrer Kollegen aus, da beide Gewerkschaften die vom Bundesinnenministerium geplante Einrichtung einer eigenständigen Polizeieinheit für Auslandseinsätze mit einem Stellenpool von 360 Polizisten favorisieren, nicht zuletzt deshalb, da für dieses Projekt zusätzlich Geld bereit gestellt werden müsste.[13]

Auch für den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, hat das Vorhaben, lieber Polizisten als Soldaten zum Aufbau von afghanischen Repressionsapparaten zu entsenden, viel Potential: „Und die Polizei muss so aufgestellt werden auch in der Bundesrepublik, dass sie natürlich im Interesse der deutschen Gesellschaft und der Staatengemeinschaft auch in internationalen Krisen eingesetzt werden kann. Es ist besser, Polizei bildet Polizei aus, als wenn Militär Polizei ausbildet.“[14]

Die genannten Maßnahmen machen eine Neuverabschiedung des erst am 03. Dezember 2009 verlängerten Bundestagsmandats notwendig, was voraussichtlich Ende Februar 2010 der Fall sein wird.

Westerwelles Showveranstaltung

Während und nach der Konferenz stellte Guido Westerwelle die Bedeutung der deutschen Afghanistan-Strategie so dar, als hätte sie die bisherige Politik der an diesem Krieg Teilnehmenden vollständig vom Kopf auf die Füße gestellt. Der deutsche Außenminister sprach von einem „Konzept des Neuanfangs und der neuen politischen Strategie“, hob hervor, dass es auch in der Völkergemeinschaft „großen Rückenwind für den deutschen Strategiewechsel“ gegeben habe und kam endlich zu folgendem Schluss: „Alle Punkte des deutschen Konzepts haben Eingang in das Schlussdokument der Konferenz gefunden“, wie er auf der Homepage des Auswärtigen Amtes sich selbst zitieren ließ.[15]

Nicht zuletzt schien es für die deutsche Delegation auf dem Londoner Treffen darum zu gehen, Fortschritte der zurecht äußerst kriegsskeptischen Öffentlichkeit vermelden zu können. Nach einer aktuellen Umfrage des ZDF-Politbarometers vom 29. Januar 2010 zweifeln 76 Prozent der Deutschen am Erfolg des NATO-Einsatzes am Hindukusch und 65 Prozent lehnen die neuerliche Aufstockung des Bundeswehrkontigents kategorisch ab.[16]

Die ablehnende Haltung dürfte noch drastisch zunehmen, wenn tatsächlich eintreten sollte, was Frank Leidenberger, angesichts der neuen deutschen Strategie („Partnering“), prophezeit: der Kommandeur der deutschen Afghanistan-Truppen rechnet mit mehr Gefechten und einem deutlich gefährlicheren Einsatz.[17] Bisher erfolgte die Ausbildung größtenteils in den befestigten Lagern der Bundeswehr, was allgemein als „Mentoring“ bezeichnet wird. Sein oberster Dienstherr zu Guttenberg sprang Leidenberger in einem FAZ-Interview bei. „Ein neuer Schwerpunkt ist es, dass man Präsenz in der Fläche zeigt. (…) Wer in der Fläche präsent ist, kann unter Feuer kommen und muss sich wehren können. So ist die afghanische Wirklichkeit.“[18]

Sicherlich wird es zu einer Zunahme von Kampfhandlungen vor allem deshalb kommen, da der vom Bundeswehrkontigent beherrschte Norden Afghanistans für Egon Ramms, Kommandeur des NATO-Allied Joint Force Command Brunssum, strategisch eine zentrale Rolle für den Krieg im Süden spielt: „Es ist eine unserer elementarsten Aufgaben im Norden, für die Sicherheit der Nachschubrouten zu sorgen. Diese Wege sind von strategischer Bedeutung, über sie läuft ein großer Teil der gesamten Versorgung unserer Truppen in Afghanistan.“[19]

Insofern hatte die Konferenz den Charakter einer „Showveranstaltung“,[20] bei der weniger die gefassten Beschlüsse als vielmehr der „psychologische Effekt“[21] im Vordergrund stand, die katastrophale Politik der Bundesregierung weiterhin als Erfolg zu verkaufen.

Anmerkungen

[1] Volkery, Carsten: NATO feiert Durchhalteparolen als Gipfelerfolg, in http://www.spiegel.de, 28.01.2010

[2] Hansen, Sven: Und täglich grüsst das Murmeltier, in http://www.taz.de, 29.01.2010

[3] Vgl. Wagner, Jürgen: Bürgerkrieg unter westlicher Beaufsichtigung. Die neue Afghanistan-„Strategie“, in AUSDRUCK, Dezember 2009, S.4-9

[4] Vgl. Afghanistan: The London Conference, Communiqué, 28 January 2010, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2010/2010-01-28-abschlussdokument-afghanistankonferenz,property=publicationFile.pdf (29.01.2010)

[5] Vgl. Bundesregierung: Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung: Das deutsche Afghanistan-Engagement nach der Londoner Konferenz, 25.01.2010, http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Downloads/100126-papier.pdf, S.5 f.

[6] NATO passt Afghanistan-Strategie an. Einsatz kostet mehr, in Y – Das Magazin der Bundeswehr, 12/2009, S.8

[7] Vgl. Bundesregierung, ebd.

[8] Maluch, Thilo: Afghanistan-Schlamassel bei Maybritt Illner, http://www.welt.de, 29.01.2010

[9] Vgl. Bundesregierung, ebd., S.10 f.

[10] Zitiert in Maluch, ebd.

[11] Vgl. in Maluch, ebd.

[12] Freiberg, Konrad: Gewerkschaften kritisieren Verstärkung der Polizeiausbildung in Afghanistan durch deutsche Polizisten, http://www.ndr.de , 26.01.2010

[13] Vgl. Gewerkschaften kritisieren Verstärkung der Polizeiausbildung in Afghanistan durch deutsche Polizisten, http://www.ndr.de , 26.01.2010

[14] Arnold, Rainer (verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion): Interview, http://www.dradio.de, 27.01.2010

[15] Westerwelle, Guido: Strategischer Neuanfang für Afghanistan, http://www.auswaertiges-amt.de, 28.01.2010

[16] Vgl. Mehrheit lehnt neue Strategie ab, in http://www.sueddeutsche.de, 29.01.2010

[17] Vgl. Es kann mehr Gefechte geben, in http://www.sueddeutsche.de, 31.01.2010

[18] Zu Guttenberg: im Gespräch „Afghanische Sicherheitskräfte in der Fläche ausbilden, in http://www.faz.net, 25.01.2010

[19] Ramms, Egon: Interview: Wir oder die Taliban, in loyal, 01/2010, S.28-31, S.31

[20] Bahar, Afsane: Der Habitus der Überlegenheit, in http://www.german-foreign-policy.com, 28.01.2010

[21] Volkery, ebd.